Da der Astigmatismus typischerweise bei kleinen Kindern hoch ist und sich im Laufe des Wachstums verbessert (Abb. 3), darf man höhere Werte als die Normvorgaben tolerieren, ohne dass man bezogen auf den späteren Visus im Kindergartenalter etwas verpasst. Die sensitive Phase für refraktive Amblyopie ist viel länger als für Schielamblyopie3). Eine Brille wegen eines Astigmatismus bei Kindern unter 2 Jahren ist sehr selten nötig.
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Der Plusoptix Visionscreener ist ein wertvol-
les Hilf smit tel f ür Nicht- O phthalmologen, v. a.
Kinderärzte, um schnell und für den Patienten
ohne Belastung einen Test zur Erkennung von
Amblyopie-Risikofaktoren durchzuführen. Es
ersetzt nicht die klinische Untersuchung,
sondern ist nur in Ergänzung hierzu zu sehen.
Für Kinderärzte empfehlen wir die Zuweisung
an einen Ophthalmologen, wenn bei den Vor –
sorge-Untersuchungen gemäss der Checklis –
te der Schweizerischen Gesellschaft für Pädi –
atrie
1) folgende Untersuchungen auffällig sind:
1. Kann das Kind die Fixation aufnehmen?
Zittern die Augen? Kann die Fixation mit
je dem Auge einzeln gehalten werden?
2. Optische Achse klar (Medientrübung)? Fundusrot-Reflex symmetrisch (Abb. 1)
?
3. Test auf Schielen: Hornhaut-Reflexe, Fun –
dusrot-Reflex, wenn möglich Abdecktest,
Lang-Stereotest (Abb. 1 Mitte und unten) .
4. Ist die Augenbeweglichkeit eingeschränkt?
(Folgebewegung mit Spielzeug)
5. Sobald dies möglich ist, sollte die Seh –
schärfe geprüft werden. Bei Babys kann
eine Untersuchung des Verhaltens bei Ab –
deckung des einen Auges im Vergleich zur
Abdeckung des anderen Auges einen Hin –
weis darauf geben, ob die Sehentwicklung
in etwa symmetrisch ist. Für ältere Kinder
im Alter ab 3 Jahren, ev tl. auch früher, soll –
te die Sehschärfe gezielt mit Sehtafeln
monokular geprüft werden. Hier bietet sich
für die Kinderarzt-Praxis der Test nach Lea
Hyvärinen an (Abb. 2) .
6. Plusoptix-Screening mit geänderten Norm –
werten im Vergleich zur Werkseinstellung.
Empfehlungen zum Plusoptix
Keine Methode besitzt eine 100 % Sensitivität
und Spezifizität. Dies ist daher auch von die –
sem Gerät nicht zu erwarten. Die vom Werk
eingestellten aktuellen Normwerte führen zu
einer sehr hohen Anzahl von unnötigen Über –
weisungen an den Augenarzt (zu niedrige
Spezifizität mit vielen falsch positiven Resul –
taten)
2). Aus diesem Grund empfiehlt die Strabismuskommission der SOG (ausgearbei
–
tet von Dr. Corina Klaeger, Bern, und Prof.
Anja Palmowski-Wolfe, Basel) neue Werte, ab
denen eine Überweisung zum Augenarzt emp –
fohlen wird (Tab. 1) .
Begründungen zu den einzelnen
Normwerten
Anisometropie
Dieser Wer t w ur de im Ver gleich zur Wer ksein –
s tellung nur minimal um 0.25 dpt er höht – au f
1.0 – ohne A lter sabhängigkeit , weil b ei einem
Seitenunterschied unter 1 dpt das Risiko einer
Amblyopie-Entwicklung praktisch nicht gege –
b en is t . Sollte denno ch eine kleine A mblyopie
auftreten, sollte diese durch die Sehprüfun –
gen im Schulalter auffallen. Eine solche Re –
fraktionsamblyopie kann noch bis ins Teena –
ger-Alter erfolgreich behandelt werden
3).
Astigmatismus
Da der Astigmatismus typischerweise bei
kleinen Kindern hoch ist und sich im Laufe
des Wachstums verbessert ( Abb. 3 ), dar f man
höhere Werte als die Normvorgaben tolerie –
Empfehlung der Strabismus-Kommission der Schweizerische
Gesellschaft für Ophthalmologie
Plusoptix-Werte und Überweisung
an den Augenarzt/die Augenärztin*
Corina Klaeger, Bern; Anja Palmowski-Wolfe, Basel
A b b . 1 : Prüfung des Fundusrot-Reflexes
Oben: 6 Monate altes Baby mit beidseitiger
angeborener Linsentrübung. Der Einblick bei
regredientem Licht zeigt die Linsentrübung
als dunkle «Scheibe», da das rote Rückleuch –
ten des gut durchbluteten Augenhinter grunds
verhindert wird. Am linken Auge ist der
Strahlengang zum Teil etwas schräg. Das
schräg auf die Linsentrübung fallende Licht
wird als Streulicht zurückgeworfen und lässt
hierdurch die Linsentrübung weiss erschein –
en. Mitte und Unten: Alternierendes In nen-
schielen. In der Mitte schielt das rechte Auge
nach innen, unten das linke Auge. Das Fundus –
r ot is t au f dem schielenden Auge gut zu sehen
und asymmetrisch zum fixierenden Auge.
Abb. 2: Sehprüfung kleiner Kinder mit Sym –
bolen nach Lea Hyvärinen. Wichtig ist hier die
Berücksichtigung des Prüfabstandes bei der
Auswertung. Monokulare Prüfung, indem ein
Auge mit einem Mattglas abgedeckt ist.
Art Geräte
NormwerteÜberweisung
ab Alter
< 2J
2–5 J≥ 6 J
Anisometropie Sphärisches Äquivalent ≥ 0.75 dpt≥ 1.0≥ 1.0≥ 1.0
Astigmatismus Zylinder ≥ 0.75 dpt≥ 2.5≥ 1.5≥ 1.0
Hyperopie Sphärisches Äquivalent ≥ +1 d p t≥ +3.0≥ +2.5≥ +2.5
Myopie Sphärisches Äquivalent ≥ -1 d p t≥ -1. 5≥ -1. 5≥ - 0.75
Hornhautreflexe Asymmetrie ≥ 5.0
Anisokorie Pupillendurchmesser ≥ 1 mm
Kein Messergebnis trotz guter Mitarbeit in jedem Alter
Zuweisung
Tabelle 1: Plusoptix-Werte, ab denen eine Überweisung zum Augenarzt empfohlen wird. * Erschienen in Ophta 2016, 1: 24–25.
1Prof. ffRTofaff.bin
1Prof. RTab
25
fristig dem Kinderophthalmologen vorgestellt
werden.
Zusammenfassend ist das Plusoptix für den
Kinderarzt eine gute zusätzliche Möglichkeit,
Amblyopierisiken zu erfassen. Wichtig ist in
jedem Fall, dass die Untersuchung mit dem
Plusoptix nicht die klinische Untersuchung
ersetzt, sondern ergänzt.
Referenzen
1) Ambühl D, Bächeler A, Baumann T, et al. Checklis -
ten Vorsorgeuntersuchungen. Swiss Society of
Paediatrics, 4. Aufl. 2011.
2) Nathan NR, Donahue SP. Modification of Plusoptix
referral criteria to enhance sensitivity and specifi -
city during pediatric vision screening. J Amer Assoc
Pediat Ophthalmol Strabism 2011; 15: 551–555.
3) Khan T. Is There a Critical Period for Amblyopia
Therapy? Results of a Study on Older Anisometro -
pic Amblyopes. Clin Diagn Res. 2015; 9: NC01–
NC04.
4) Arens CD, Bertram B (eds). Praxisorientierte Hand -
lungs - leitlinien für Diagnose und Therapie in der
Augenheilkunde des Berufsverbands der Augenärz -
te e.V. Düsseldor f: BVA. (1998). Leitlinie Nr. 26a:
Amblyopie.
Korrespondenzadressen
Dr. med. Corina Klaeger
Gurtengasse 2
3011 Bern
gurtengasse @gmail.com
Prof. Dr. med. Anja Palmowski-Wolfe
Augenklinik, Universitätsspital Basel
Mittlere Strasse 91
4056 Basel
ren, ohne dass man bezogen auf den späteren
Visus im Kindergartenalter etwas verpasst.
Die sensitive Phase für refraktive Amblyopie
ist viel länger als für Schielamblyopie
3). Eine
Brille wegen eines Astigmatismus bei Kindern
unter 2 Jahren ist sehr selten nötig.
Hyperopie
Ein hy p erop es Auge is t zu klein. Dur ch Wachs -
tum vermindert sich die Hyperopie. Sofern
kein Schielen vorliegt, ist eine Hyperopie von
+3.0 dpt bei einem kleinen Kind unproblema -
tisch und führt nicht zur Amblyopie. Dement -
sprechend werten die American Association
of Pediatric Ophthalmology and Strabism, der
deutsche Berufsverband der Augenärzte und
die Deutsche Ophthalmologische Gesell -
schaft Refraktionswerte in Zykloplegie von >
+3 dpt als Amblyopie-Risiko
2) , 4) . Hierzu ist
anzumerken, dass das Plusoptix die Refrakti –
on nicht in Zykloplegie misst.
Wie bei allen Testmethoden ist die Hyperopie
in Zykloplegie höher als in Miosis.
Wenn eine signifikante Hypoakkommodation
kombiniert mit Hyperopie vorliegt, wird der
Screener dies erfassen. Wenn durch die Ak –
kommodation die Hyperopie kompensiert
wird, ohne dass es zum Schielen kommt (normaler Lang-Stereotest), darf mit einer
B r ille b ei einer Hy p er opie von ≤ + 3.0 gewar tet
werden, bis im Alter von ca. 4 Jahren ein Seh
–
test durchgeführt werden kann.
Myopie
Beim Plusoptix wird die Messung beim Kin –
derarzt ohne Zykloplegie durchgeführt. Auch
wenn die Untersuchung in einer Entfernung
von 1m erfolgt, kann es sein, dass Kinder
noch akkommodieren und so eine Myopie
vor get äuscht w ir d. Eine Myopie von < -1.5 dpt
führt nicht zur Amblyopie, da genaues visuel -
les Arbeiten in der Nähe stattfindet und hier
eine schar fe A bbildung au f der Net zhaut auch
ohne Kor r ek tur er folg t . Da mit einer ger ing f ü -
gigen Myopie auch die mittlere Entfernung
noch gut gesehen werden kann, stellt eine
unkorrigierte Myopie in dieser Grösse für ein
Kind kein Hindernis für die Sehentwicklung
dar. Allerdings darf die Myopie nicht in kurzer
Zeit (1–3 Monate !) drastisch zunehmen. Bei
Kindern unter 3 Jahren ist die Sklera noch
elastisch und kann bei erhöhtem Augen-in -
nendruck nachgeben. Somit kann in den ers -
ten 3 Lebensjahren eine schnell zunehmende
Kurzsichtigkeit ein erster Hinweis auf ein Au -
gendruckproblem sein und sollte dann kurz -
Abb. 3: Astigmatismus-Werte in Abhängigkeit des Alters. Reprinted from Gwiazda J, Grice K,
Held R, et al. Astigmatism and the development of myopia in children, Vision Research 2000;
40 : 1019–1026, with permission from Elsevier.
1Prof. ffRTofaff.bin
1Prof. RTab
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Corina Klaeger Prof. Dr. med. Anja Palmowski-Wolfe , Augenklinik, Universitätsspital Basel Andreas Nydegger