In pädiatrischen Notfallstationen sind neuropädiatrische Notfälle mit > 5% der Konsultationen vertreten: Der häufigste Grund ist der epileptische Anfall, gefolgt von anderen, teils deutlich selteneren Krankheitsbildern. Viele neuropädiatrische Notfälle wie Kinder mit Fieberkrämpfen und Kopfschmerzen zeigen einen «gutartigen» Verlauf. Andererseits gilt es seltene, potentiell lebensbedrohliche zu erkennen. Der klinischen Beurteilung kommt dabei die wichtigste Bedeutung zu, da die klinische Synthese eine neurologische Lokalisationsdiagnostik und den richtigen Einsatz der technischen Hilfsmittel erlaubt. Insbesondere sind fokalen Hinweisen in der Anamnese und im Neurostatus Beachtung zu schenken, da sie mehrheitlich auf eine relevante Ursache hinweisen können.
29
Fortbildung Neuropädiatrie
Einleitung
In pädiatrischen Notfallstationen sind neuro-
pädiatr ische Not fälle mit > 5 % der Konsult ati –
onen vertreten: Der häufigste Grund ist der
epileptische Anfall, gefolgt von anderen, teils
deutlich selteneren Krankheitsbildern. Viele
neuropädiatrische Notfälle wie Kinder mit
Fieberkrämpfen und Kopfschmerzen zeigen
einen «gutartigen» Verlauf. Andererseits gilt
es seltene, potentiell lebensbedrohliche zu
erkennen. Der klinischen Beurteilung kommt
dabei die wichtigste Bedeutung zu, da die
klinische Synthese eine neurologische Loka –
lisationsdiagnostik und den richtigen Einsatz
der technischen Hilfsmittel erlaubt. Insbeson –
dere sind fokalen Hinweisen in der Anamnese
und im Neurostatus Beachtung zu schenken,
da sie mehrheitlich auf eine relevante Ursa-
che hinweisen können.
Epileptische Anfälle
1. Transiente Bewusstseinsveränderungen
werden im Kindes- und Jugendalter häufig
durch epileptische Anfälle, altersabhängig,
aber auch durch zahlreiche nichtepileptogene
Ursachen hervorgerufen oder imitiert. Eine
Neuropädiatrische Notfälle
T. Iff 1, Zürich, A. Klein 2, Bern
1 Praxis für Kinderneurologie und Konsiliararzt Neuropädiatrie, Triemlispital2 Leitende Ärztin Neuropädiatrie, Universitäts-Kinderspital beider Basel und Leiterin pädiatrisches Muskelzentrum, Neuropädiatrie, Inselspital Bern, Konsiliarärztin für neuromusku-
läre Erkrankungen CHUV
Abbildung 1: Epileptische Anfälle wichtige Differentialdiagnose im Schul- und
Adoleszentenalter stellen Synkopen dar (Prä
–
valenz von 15-25%)
1. Trotz unterschiedlicher
Pathogenese können sich epileptische Anfälle
klinisch sehr ähnlich manifestieren wie eine
konvulsive Synkope: Da kein einzelnes, klini –
sches Zeichen die sichere Unterscheidung
ermöglicht, und die objektiven Untersu –
chungsmethoden häufig normal ausfallen,
erlaubt v. a. eine detaillierte Anamnese die
wahrscheinliche Diagnose
2. Eine Synkope ist
keine Erkrankung per se, sodass immer eine
Ursache gesucht werden muss. Die Mehrheit
der pädiatrischen Synkopen sind reflex- und
orthostatisch bedingt und nicht «gefährlich».
Bei Auf treten in Zusammenhang mit körperli –
cher Anstrengung, einem angeborenen oder
medikamentös erworbenen, verlängerten QT-
Syndrom, positiver Familienanamnese von
plötzlichem Herztod/Herzrhythmusstörungen
oder vorbestehender kardialer Auffälligkeit
muss an die Möglichkeit einer kardialen Syn –
kope gedacht und extensiver abgeklärt wer-
den als die empfohlenen Basisuntersuchun –
gen, welche auch eine BD -Bestimmung mit
Lageänderung und Ruhe-EKG beinhalten. Die wichtigen Präventionsmassnahmen reflex-
oder orthostatisch bedingter Synkopen beste
–
hen aus Vermeidung auslösender Faktoren
wie auch ausreichender Flüssigkeits- (und
Salz- ) Zufuhr
1.
2. Epileptische Anfälle repräsentieren 5%
der Konsultationen auf einer Notfallstation.
Auch hinter diesen muss die Ursache gesucht,
und vorab geklärt werden, ob ein Anfall pro –
voziert oder spontan aufgetreten ist (s. Abbil –
dung 1) .
Mit einer Prävalenz von 2-5% sind einfache
Fieberkrämpfe (= FK) die häufigsten, provo –
zierten, epileptischen Anfälle im Kindesalter
von 6 bis 60 Monaten. V. a. bei Säulingen und
Kleinkindern muss eine Meningitis oder bei
prolongierter postiktaler Phase oder febrilem
St. epilepticus eine (Herpes-) Enzephalitis als
Ursache ausgeschlossen werden. Die Richtli –
nien zur Evaluation eines einfachen FK emp –
fehlen deshalb, dass eine Lumbalpunktion bei
jedem Kind mit meningitischen Symptomen
oder Zeichen, bei Säuglingen zw. 6 und 12
Monaten aber nur bei ungenügendem oder
unbekanntem Status der Hämophilus influen –
z ae b – o der P neumokkenimpf ung , o der antibi –
otisch vorbehandelten Kindern indiziert ist.
Weitere Abklärungen wie EEG u. a. werden
nicht benötigt
3. Aufgrund der hohen Rezidiv –
rate (bei erstem FK >12 Monate 30 %) ist die
Aufklärung der verängstigten Eltern am wich –
tigsten. Auch bei wiederholten, einfachen FK
ist überwiegend mit einer guten Prognose
ohne kognitive Langzeitfolgen und ohne Ent-
wicklung einer späteren Epilepsie zu rechnen,
und es wird keine antiepileptische Dauer- und
auch keine intermittierende Prophylaxe emp –
fohlen. Da das Vorliegen einer positiven Fami –
lienanamnese für Epilepsie, vorbestehende,
neurologische Entwicklungsstörungen und
komplizierte FK mit einem erhöhten, späteren
Epilepsierisiko (4-6% gegenüber 1% in der
Normalbevölkerung) assoziiert sind, müssen
komplizierte FK auf individueller Basis evalu –
iert werden, auch wenn für die Mehrheit das
gleiche gilt wie für einfache FK.
3. Unprovozierte, epileptische Anfälle tre-
ten bei ca. 2% aller Kinder und Jugendlichen
bis 16 Jahre auf, meist mit einer Dauer < 5
Min., eine Epilepsie bei 1% . In den meisten
Studien w ir d zur A bklär ung nach einem er sten
unprovozierten Anfall ein EEG empfohlen:
Pathologische Veränderungen zeigen ein er -
höhtes Rezidivrisiko oder erlauben sogar
EditoraoolCtohoornsc
30
Fortbildung Neuropädiatrie
schon nach dem ersten Anfall die Diagnose
eines Epilepsiesyndroms wie z. B. eine Rolan-
doepilepsie. Ein Normalbefund schliesst aber
einen epileptischen Anfall oder eine Epilepsie
nicht aus. Eine notfallmässige Bildgebung
wird nach einem ersten, spontanen Anfall bei
Kindern mit einem längerdauernden, postik -
talen fokalen neurologischen Ausfall bei <1%
benötigt. Eine Bildgebung im Intervall sollte
bei fokalen Anfällen oder EEG-Veränderun -
gen, Kindern < 1 Jahr, vorbestehenden kogni -
tiven oder motorischen Beeinträchtigungen
oder pathologischem Neurostatus erwogen
werden
4.
Verschiedene Studien zeigen eine Rezidivrate
von durchschnittlich 50 % innerhalb von 2
Jahren: Bei Vorliegen von 3 Risikofaktoren
(fokaler erster Anfall, pathologische EEG-
Veränderungen, neurologische Grunderkran -
kung) kann das Rezidivrisiko bis 80 % betra -
gen, ohne diese um 20 % . Dies b e deutet auch,
dass nicht nach jedem unprovozierten Anfall
weitere folgen müssen, und sich eine Epilep -
sie entwickelt. Die Rezidivwahrscheinlichkeit
nach einem 2. unprovozier ten A nf all steig t au f
70 -80 % , sodass bei ≥ 2 unprovozierten, epi-
leptischen Anfällen die Definition einer Epilep -
sie akzeptiert wird, unabhängig vom EEG oder
weiteren Zusatzuntersuchungen
5.
Da bei einem einmaligen, kurzen Anfall keine
neurokog niti ven Folgen zu er war ten sind , w ir d
empfohlen, nach einem ersten unprovozierten
Anfall mit einer Dauerprophylaxe zuzuwarten.
Empfohlen werden Vorsichtsmassnahmen zur
Prävention von anfallsbedingten Verletzungs -
folgen bei Rückfällen: Schwimmen/Baden
überwacht (bei Schulkindern/Adoleszenten
Duschen!), Vermeiden von Klettern in die
Höhe wegen Sturzgefahr, Velofahren mit Helm
auf nicht stark befahrenen Strassen
5.
Bei einer Anfallsdauer >5 Min. nimmt das Ri –
siko eines prolongierten Anfalls und eines
Status epilepticus (=SE) deutlich zu. Die
Mortalität des SE liegt bei Kindern geschätzt
unter 3% . Kinder mit prolongierten Anfällen
oder einem SE als Erstmanifestation neigen
erneut zu prolongierten Anfällen bei Rückfäl –
len. Da b ei K inder n mit einem SE die Möglich –
keit einer persistierenden, neuronalen Läsion
besteht, ist sowohl bei provozierten als auch
spontanen Anfällen mit einer Dauer >5 Min.
eine medikamentöse Krampfcoupierung mit
Benzodiazepinen indiziert. Die beste Evidenz
dazu liegt für die intravenöse Gabe von Lora-
zepam (0.05- 0.1 mg/kg) und Diazepam (0.2
mg/k g ) vor, die W ir ksamkeit ist ab er eb enf alls
für rektales Diazepam (0.3- 0.5 mg/kg KG,
max. Dosis 20 mg), nasales (0.2- 0.3 mg/kg KG , ma x . D osis 10 mg ; meist Sp ezialr ezeptur)
oder orales Midazolam (0.2 mg/kg KG ; Buc-
colam®) belegt.
Wegen einfacherer Anwendung und besserer,
sozialer Akzeptanz wird ausserhalb des Spi
–
tals die orale (oder nasale ) Midazolamappli –
kation gegenüber der rektalen Diazepamgabe,
welche häufiger bei kleineren Kindern zur
Akutunterbrechung von FK oder Anfällen
verabreicht wird, v. a. bei Schulkindern und
Jugendlichen favorisiert. Atemdepression bei
Überdosierung treten bei max. 6% auf
6. Da der
Wirkeintritt von Lorazepam sublingual (Teme –
sta expidet®) 1 Stunde beträgt, ist es zur
Krampfcoupierung nicht geeignet.
Akute Kopfschmerzen
In pädiatrischen Notfallstationen stellen aku –
te Kopfschmerzen (= KS) 0.8-3% aller Konsul –
tationsgründe dar, in der Praxis ist mit einem
höheren Anteil zu rechnen. Im zeitlich be –
grenzten Akutsetting ist es prioritär, primäre
von sekundären Kopfschmerzen abzugrenzen,
und bei den sekundären ernsthafte, zugrun –
deliegende Krankheiten mit sofortiger Be –
handlungskonsequenz erkennen zu können.
Akut interventionsbedürftige KS durch Menin -gitis, Hirntumore, Hydrozephalus/VP-Shunt
–
dysfunktion oder vaskuläre Prozesse (Stroke,
B lutung u. a. ) sind mit 6 % deutlich seltener als
94% nicht-lebensbedrohender KS.
7 Letztere
werden am häufigsten durch virale Luft –
wegsinfektionen, gefolgt von Migräne (meist
schon früher aufgetreten!) verursacht. Ver –
schiedene Studien zeigen, dass die ernsthaf –
ten KS mit einer genauen Anamnese und
neurologischen Untersuchung klinisch zuver –
läs sig und mit hoher Wahr scheinlichkeit abge –
grenzt werden können, die Alarmzeichen (s.
Tabelle 1) müssen aber aktiv evaluiert wer-
den.
Beginn, Dynamik, Schweregrad und Lokalisa –
tion der KS er geb en w ichtige Hinweise au f die
Ursache. Ein perakuter Beginn kann auf eine
Hirnblutung oder einen anderen vaskulären
Prozess wie Hirnschlag oder Gefässdissektion
hinweisen und muss ohne Verzug abgeklärt
werden. Auch ein erster und intensiver
Schmerz («first and worst») muss ernst ge-
nommen werden, ebenfalls ein seit kurzem
bestehender, progressiver und/oder therapie –
resistenter. Hirndrucksymptome wie nächtli –
ches oder frühmorgendliches Erwachen we –
gen KS, Nüchternerbrechen oder durch
Tabelle 1: Red flags bei Kopfschmerzen (= KS)
Anamnese:
• Alter < 3 Jahre
• Perakute KS
• Erstmalige, sehr starke KS ( „first and worst“ )
• Nächtliches Erwachen wegen KS
• Nüchtern Erbrechen, wiederholtes Erbrechen bei vorher gesundem Kind
• Progrediente KS ohne Ansprechen auf Therapie
• Kürzlicher Beginn (< 1 Monat) eines intensiven KS
• Änderung eines lange vorbestehenden KS
• Neuauftretende KS bei immunsupprimiertem Kind
• Wesensänderung und Schulleistungsabfall
• Fehlende Familienanamnese für Migräne/primäre KS
• Occipitale Lokalisation (Pathologie hintere Schädelgrube !)
• KS + neurologische Auffälligkeiten: qualitative/quantitative Bewusstseinsänderungen,
epileptische Anfälle, Sehstörungen (Doppelbilder), Gangauffälligkeiten/Ataxie,
Sensibilitätsstörungen, Paresen u. a.
Status:
• Makrozephalie (ohne familiäre Makrozephalie)
• Meningitische Zeichen bei Fieber
• Stauungspapillen
• Augenmotilitätsstörungen, v. a. Abducens-, Okulomotoriusparese, Nystagmus u. a.
• Andere Hirnner venausfälle wie Fazialisparese
• Schiefhals
• Gang- und/oder Extremitätenataxie (Intentionstremor)
• Bewusstseinsänderungen
• Fokale Ausfälle wie Hemiparesen, Sensibilitätsstörungen, Pyramidenbahnzeichen (Babinski!)
u. a.
1Prof. ffRTofaff.bin
31
Fortbildung Neuropädiatrie
Valsalvamanöver ausgelöste/verstärkte KS
müs sen gezielt er f r ag t wer den. Die o ccipit ale
Manifestation der Kopfschmerzen ist unge-
wöhnlich und kann Ausdruck eines Prozesses
in der hinteren Schädelgrube sein, kommt
aber auch bei Migränepatienten selten vor.
Auch im K leinkindes alter von et wa 2- 5 Jahr en
ist Vorsicht geboten, da klinisch häufig weni -
ger Informationen gewonnen werden können.
Die Kriterien für die primären und sekundären
KS sind in der internationalen Kopfschmerz -
klassifikation umschrieben.
Eine neurologische Untersuchung bei akuten
KS beinhaltet eine Allgemeinuntersuchung mit
Vitalparametern (BD, Kopfumfang), eine Su-
che nach Zeichen f ür meningeale Reizung und
einer Er kr ankung aus dem HNO - , O phthalmo -
logie - und Hautbereich sowie einer ausführli -
chen neurologischen Untersuchung. In dieser
werden am häufigsten Stauungspapillen, Ata -
xie, Hemiparese und Augenmotilitätsstörun -
gen bei ernsthaften KS gefunden. Fokale
Ausfälle können aber bei Raumforderungen,
die sich im Kindesalter wiederholt im Mittelli -
nienbereich befinden, fehlen
8.
Falls in der Anamnese und/oder neurologi -
schen Untersuchung Alarmzeichen vorhanden
sind, ist eine Weiterabklärung mit Bildgebung
meist mittels MRI indiziert. Eine Lumbalpunk -
tion ist indiziert in der Konstellation KS und
Fieber zur Meningitisabklärung und allenfalls
bei vermuteter Subarachnoidalblutung nach
normalem Schädel-CT.
Die T her apie r ichtet sich nach der Ur sache : B ei
sekundären Kopfschmerzen müssen die zu -
grundeliegenden Krankheiten behandelt wer -
den. Analgetika kommen bei sekundären und
p r
imären KS symptomatisch zur Anwendung:
- Acetaminophen/Paracetamol, 15 mg/kg/
Dosis (max. 60 mg/kg KG/Tag) - Ibuprofen, 10 mg/kg/Dosis (max. 30 mg/
kg KG/Tag)
Bei einer akuten Migräneattacke scheint Ibu
-
profen wirksamer zu sein als Acetaminophen.
Beim Analgetikaeinsatz ist dabei besonders
auf eine frühe Gabe im Migräneattackenab -
lauf zu achten. Bei ungenügendem Anspre -
chen auf diese Schmerzmittel wird bei einer
Mig r äne Sumatr ipt an nas al 10 o der 20 mg b ei
Jugendlichen ab 12 Jahren empfohlen
8.
Gangauffälligkeit
Eine Änderung des Gangbildes kann durch
1. Schwäche
2. Ataxie
3. Schmerzen verursacht sein. Die klinische
Untersuchung zur Unterscheidung dieser Ur -
sachen ist wichtig und für die weitere Diag-
nostik richtungsweisend.
Die Schwäche erschwert das Aufstehen vom
Boden, das Aufsitzen aus Rückenlage oder
Bewegungen gegen Schwerkraft. Die Ataxie
verursacht ein breitbasiges Gangbild mit
Schwierigkeiten bei Richtungs- oder Tempo -
wechsel. Wenn die Ataxie stärker ausgeprägt
ist, sind die Kinder nicht mehr gehfähig, sitzen
allenfalls mit schlechtem Gleichgewicht, zei -
gen evt. eine Dysmetrie und sind muskulär
hypoton.
Eine wichtige Differentialdiagnose beim Ju -
gendlichen ist eine funktionell bedingte Ände-
rung des Gangbildes. Die Art der Fortbewe-
gung, die dann zu beobachten ist, erfordert
meist ein gutes G leichgew icht , gute K r af t , und
das Bild ändert sich oft situationsbedingt.
1. Akute Ataxie
Die häufigste Ursache ist die postinfektiöse
Ataxie, die im Kleinkindesalter auftritt. Sie
beginnt subakut innert Stunden, 1-3 Wochen
Red flags bei akuter Ataxie Mögliche Differentialdiagnose
Zuätzliche Hinweise Vorgehen
Plötzlicher, perakuter Beginn, Asymmetrie Cerebellärer Stroke Rasche Bildgebung, cave Einklemmungsgefahr
bei Schwellung in der hinteren Schädelgrube
Bewusstseinsalteration - Akut disseminierte Encephalomyelitis (ADEM)
- Cerebellitis
- Intoxikation MRI, Corticosteroide
MRI, Über wachung wegen Schwellung in der
hinteren Schädelgrube, allenfalls Corticosteroide
Überwachung
Bewusstseinsalteration, Erbrechen,
Papillenödem Akute infektiös/parainfektiöse Cerebellitis
Überwachung, s.o.
Irritabilität, Myoklonien, Opsoklonus Opsoklonus Myoklonus Syndrom Rasche Diagnostik, Neuroblastomsuche,
Immunsupressive Therapie
Rezidivierende Episoden Stoffwechseldefekt Urin und Blut-Asser vat in akuter Episode,
Stoffwechsel- Abklärung
Rezidivierende kurzdauernde
Episoden von Ataxie - Minuten: benigne paroxysmale Vertigo
- Minuten bis Stunden: seltene genetische
episodische Ataxien Video von Episode
Neuropädiatrische Abklärung
Tabelle 2: Differentialdiagnosen der akuten postinfektiösen Ataxie, deren zusätzliche Symptome und weiteres Vorgehen nach einem Infekt, oft nach einer Varizellen
-
infektion, oder anderen viralen Infektionen.
Die rumpfbetonte Ataxie erreicht das Maxi-
mum innert 1-2 Tagen und erholt sich in 1-3
Wochen. Rezidive sind untypisch und müssen
an einen Stoffwechseldefekt denken lassen.
Bei typischer Klinik und Anamnese bedarf es
keiner weiteren Abklärung.
Differentialdiagnose: Die Differentialdiagnose
der akuten Ataxie ist breit, ein gezieltes
diagnostisches Vorgehen ist angezeigt, je
nach zusätzlichen klinischen Hinweisen
9, ( Ta -
belle 2).
2. Akute Schwäche
hier ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) an
erster Stelle zu erwähnen. Innert 4 Wochen
nach Infekt kommt es zu einer von distal nach
proximal aufsteigenden, beinbetonten Schwä -
che, typischerweise ohne sensible Ausfälle.
Bei Kindern sind oft Schmerzen im Vorder -
grund. Die Schmerzen nehmen zu beim Auf-
sitzen aus Rückenlage, Anheben der Beine
aus Rückenlage, und meist ist es unmöglich,
im Langsitz zu sitzen. Die Diagnose bestätigt
sich durch fehlende Reflexe, im Liquor erhöh -
tes Eiweiss bei normaler Zellzahl. In der Neu -
rographie zeigen sich Leitungsblöcke, je nach
Unterform Demyelinisierung oder axonale
Schädigung. Die Therapie besteht aus Im -
munglobulingabe über 2-5 Tage, allenfalls
wiederholt. Wichtig ist, diese Patienten v. a.
zu Beginn der Erkrankung rasch zur Überwa -
chung von Sauerstoffsättigung, Blutdruck und
Herzrhythmus zu hospitalisieren, da eine ra -
sche Verschlechterung der respiratorischen
Muskelkraft, und autonome Dysregulationen
auftreten können
10.
Hauptdifferentialdiagnose für das GBS ist eine
spinale Problematik (Myelitis, Tumor, einge -
1Prof. ffRTofaff.bin
32
Fortbildung Neuropädiatrie
blutete Gefässmalformation etc.). Dafür kli-
nisch hinweisend sind das motorische und
sensible Niveau sowie die Blasen - und Darm -
entleerungsstörung. Bei einer akuten Schwä -
che muss deshalb nach einem motorischen
oder sensiblen Niveau gesucht werden. Falls
ein s olches gef unden w ir d , is t eine not f allmäs
-
si
ge Bildgebung mittels MRI notwendig, da der
frühe Einsatz von hochdosierten Steroiden bei
der Myelitis die Prognose verbessern kann.
3. Schmerz
Bei im Vordergrund stehenden Schmerzen bei
Gangauffälligkeiten kommen auch entzündli -
che/infektiöse Differentialdiagnosen in Frage
wie Coxitis, Discitis, Myositis.
Die akute Halbseitensymptomatik
Bei akut/subakut auftretender Halbseiten -
symptomatik oder anderer akut aufgetretener
fokaler Neurologie gibt es verschiedene diffe -
rentialdiagnostische Möglichkeiten. Ursäch -
lich in Frage kommen Migräne mit Aura, Tu-
mor, Abszess, postiktale Parese, entzündliche
Veränderungen wie eine Multiple Sklerose,
ADEM, Gefässmalformationen mit akuter/
subakuter Einblutung aber auch der akute is -
chämische oder hämorrhagische Schlagan -
fall. Im Gegensatz zu Erwachsenen mit akut
neurologischem Defizit, bei denen der Schlag -
anfall in > 75% ursächlich ist, ist er es bei
Kindern nur in 7 %
11. Die rasche Abklärung ist
also nicht nur wichtig, um den Stroke zu dia-
gnostizieren und zu behandeln, sondern auch
um die Differentialdiagnosen abzuklären (Ta –
belle 3). Die Diagnose hat in den meisten
Fällen eine direkte therapeutische Konse –
quenz, die rasche Therapieeinleitung prognos -tische Bedeutung. Anamnestische Angaben
über Beginn und Verlauf helfen in der Unter
–
scheidung, aber meist ist eine bildgebende
A b k l ä r u n g n o t w e n d i g , a m b e s t e n m i t t e l s k r a n i –
alem MRI mit speziellen Sequenzen
12.
Auch bei einem transitorischen Hemisyndrom
ist die weitere Diagnostik dringend und rasch
einzuleiten, auch wenn «alles wieder vorbei»
ist . Es kann sich b ei dem tr ansienten G esche –
hen um eine erste Ischämie bei Gefässsteno –
se oder Embolie handeln, die einem grösseren
Infarkt vorangeht, der verhindert werden
kann, wenn die richtigen Massnahmen in die
Wege geleiten werden.
Der ischämische Schlaganfall
Beim ischämischen Schlaganfall beim Kind ist
das Intervall von ersten Symptomen bis zur
Diagnose immer noch deutlich länger als beim
Erwachsenen. Dies liegt am fehlenden Be –
wusstsein der Möglichkeit eines ischämi –
schen Schlaganfalls bei Kindern in der Bevöl –
kerung, aber auch bei Medizinalpersonen.
13
Die typische Klinik ist das akute, fokale neu-
rologische Defizit. Bei Infarkten im Media –
stromgebiet, die am häufigsten vorkommen
(ca. 75%), ist die Hemiparese, oft mit fazialer
Beteiligung, mit oder ohne Sensibilitätsstö –
rung, im Vordergrund. Eine Sprech- oder
Sprachstörung kommt v. a. bei Kleinkindern
auch bei Ischämien der nicht dominanten
Hemisphäre vor. Bei Infarkten der hinteren
Strombahn kommt es zu Hirnnervenausfällen,
Bewusstseinstrübung, Ataxie, allenfalls auch
Hemiparese, bei cerebellären Infarkten zur
akuten Ataxie, oft begleitet von Kopfschmer –
zen und Erbrechen. Bei Kindern sind epilepti –
sche Anfälle im Rahmen des Infarktes häufig (bis 50 %), begleitende Kopfschmerzen eben
–
falls mit bis 30 % , was die Unterscheidung zur
Migräneepisode erschwert. Bei der Migräne
folgen typischerweise die Kopfschmerzen den
fokalen neurologischen Zeichen und diese
haben meist einen sequentiellen Ablauf mit
unterschiedlichen Symptomen, die nicht dem
Versorgungsgebiet einer einzigen Arterie ent-
sprechen.
Die Ursache des Schlaganfalls bei Kindern ist
meist multifaktoriell. Viel häufiger als bei Er –
wachsenen liegt eine Vaskulopathie zu Grun –
de. Am häufigsten tritt die transiente fokale
Vaskulopathie 1- 2 Jahre nach einer Varizellen
–
inf
ektion auf, kann aber auch durch andere
Erreger wie Parvoviren, Mykoplasmen, Borre –
lien etc. verursacht werden. Daneben sind
Infekte auch mitursächlich für Dissektionen
als weitere häufige Ursache des kindlichen
Schlaganfalls.
Wichtig ist die gute Überwachung und rasche
Ursachenabklärung. Eine Bewusstseinsein –
schränkung ist untypisch für einen ischämi –
schen Stroke, und muss an eine Einblutung
oder ein malignes Oedem mit drohender Ein –
klemmung denken lassen.
Die Diskussion bezüglich intravenöser oder
intraarterieller Lyse, Plättchenaggregations –
hemmung oder Antikoagulation wird vom
Stroke-Team geführt, in das auch Erwachse –
nenneurologen einbezogen sind. Für alle diese
Therapien gibt es weiterhin keine gute Evi-
denzlage b ei K inder n und es müs sen Vor- und
Nachteile individuell abgewogen werden
12.
Diagnose Auftreten Hinweise Diagnostik
Migräne Über Minuten FA, wandernde Symptomatik meist mit visu –
eller und sensorischer Plus-Symptomatik,
Dauer < 30 Minuten, Kopfschmerzen folgend Bei typischer Klinik keine, «Stroke
MRI» bei längerer Dauer, Kopfschmer
-
zen vor Beginn der fokalen Neurologie
Todd‘sche Parese Perakut Erstmaliger fokaler Anfall, länger als
2 Std. anhaltend
Fazialisparese Innert Stunden Isolierte periphere Fazialisparese Keine bei klarer Klinik
Konversionssyndrom Innert Stunden Symptome nicht einer neuroanatomischen
Lokalisation zuordenbar, wechselndKeine
ADEM Innert Stunden/Tage Bewusstseinsveränderung, multifokale neu -
rologische Ausfälle
Hämorrhagischer Stroke Perakut Kopfschmerzen und Bewusstseinsalteration CT
Akute postinfektiöse Ataxie Innert Stunden Ataxie isoliert MRI, wenn Hinweise für Cerebellitis
siehe Ataxie
Tumor/Gefässmalformation
mit Einblutung Akut – Innert Stunden bis
Ta g e n Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks
MRI
Tabelle 3: Differentialdiagnose des ischämischen Schlaganfalls im Kindesalter, angepasst aus Mackay MT et al 2015 (22), in der Reihenfolge
ihrer Häufigkeit
1Prof. ffRTofaff.bin
33
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Korrespondenzadresse
Dr. med. Tobias Iff
FMH Kinder- und Jugendmedizin,
Schwerpunkt Neuropädiatrie
Praxis für Kinderneurologie
Lavaterstr. 83
CH-8002 Zürich
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Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
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1Prof. ffRTofaff.bin
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Dr. mec. Tobias Iff , FMH Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Neuropädiatrie Praxis für Kinderneurologie Dr med Andrea Klein , Département de neurologie pédiatrie, Hôpital universitaire pédiatrique de Bâle (UKBB), Bâle et Hôpital universitaire pédiatrique de Berne, Hôpital de l’Île, Berne Andreas Nydegger