Die Entdeckung des Insulins durch Banting und Best 1922 revolutionierte die Behandlung des Typ 1 Diabetes. Die initial verwendeten gereinigten Insuline tierischer Herkunft hatten allerdings nur eine kurze Wirkdauer von einigen Stunden.
Fortbildung / Formation continue
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Vol. 15 No. 4 2004
Einführung
Die Entdeckung des Insulins durch Banting
und Best 1922 revolutionierte die Behand-
lung des Typ 1 Diabetes. Die initial verwen-
deten gereinigten Insuline tierischer Herkunft
hatten allerdings nur eine kurze Wirkdauer
von einigen Stunden. Um den Insulinbedarf
eines Patienten mit Typ 1 Diabetes lücken-
los abdecken zu können, waren deshalb In-
sulininjektionen alle vier bis sechs Stunden
notwendig. Die Entwicklung des ersten Ver-
zögerungsinsulins (Protamin-Insulin) gelang
Hagedorn 1936, welches in der Folge zum
NPH-Insulin (NPH: Neutral-Protamin Hage-
dorn) weiterentwickelt wurde (z.B. Insula-
tard
®, Humulin ®N etc.). Der Zusatz von Neu-
tral-Protamin Hagedorn führt zu einer ver-
zögerten Absorption der Insulinmoleküle aus
dem subkutanen Fett ins Blut. Auf ähnliche
Weise verzögert auch der Zusatz von Zink (In-
sulin-Zink-Suspensionen, z.B. Lente
®, Semi-
Lente ®etc.) die Absorption des Insulins.
Die Anwendung dieser Verzögerungsinsuline
gewährte eine lückenlose Abdeckung des
nächtlichen Insulinbedarfs und machte das
klassische Zwei-Spritzen-Schema erst mög-
lich. Das Wirkungsprofil dieser Insuline ist
aber, besonders bei Kindern und Jugend-
lichen, nicht ideal, denn vier bis fünf Stunden
nach Applikation von NPH-Insulin treten Plas-
ma-Spitzenkonzentrationen auf, die vor allem
nachts zu Hypoglykämien führen können. Da
eine Steigerung der Insulin-Dosis nicht nur
dessen Wirkdauer verlängert, sondern auch
dessen Wirkungsmaximum verstärkt, wird
die angestrebte Verbesserung der mor-
gendlichen Blutzucker häufig durch das
Auftreten von nächtlichen Hypoglykämien li-
mitiert. Zusätzlich ist die Voraussagbarkeit
der Wirkung der bisherigen Verzögerungsin-
suline auf Grund von Absorptionsschwan-
kungen äussert schwierig dies ist insbeson-
dere bei den Insulin-Zink-Suspensionen der
Fall. Die Entwicklung neuer Insuline mit sta-
bileren und längeren Wirkungsprofilen war
deshalb seit langem wünschenswert. Die Re-alisation solcher Insuline wurde dank moder-
ner Gentechnologie möglich und in den letz-
ten zwei Jahren kamen zwei neue, lang wirk-
same Insulinanaloga – Lantus
®und Levemir ®
– auf den Schweizer Markt. Erste Erfahrun-
gen mit diesen beiden Insulinen bei Kindern
und Jugendlichen wollen wir hier vorstellen.
Lantus ®(Glargin)
Lantus ®, hergestellt von der Firma Aventis, war
das erste dieser neuen Langzeit-Insuline. Lan-
tus
®unterscheidet sich vom nativen Human-
insulin durch zwei Strukturveränderungen: in
Position 21 der A-Kette wurde Arginin gegen
Glycin ausgetauscht und an das C-terminale
Ende der B-Kette wurden zwei Argininmole-
küle angefügt. Dadurch wird eine Veränderung
des isoelektrischen Punktes und eine verän-
derte Löslichkeit des Moleküls erreicht: im
sauren pH ist Glargin in Lösung, im subkuta-
nen pH-neutralen Gewebe mikropräzipitiert
es. Aufgrund des sauren pH-Wertes der In-
jektionslösung kann Lantus
®nicht mit ande-
ren (pH-neutralen) Insulinen gemischt werden.
Das Wirkungsprofil von Lantus
®unterschei-
det sich wesentlich von demjenigen der NPH-
Insuline. Während das Wirkungsmaximum bei
den NPH-Insulinen drei bis sechs Stunden
nach subkutaner Injektion erreicht wird und
die Wirkung anschliessend – speziell bei jün-
geren Kindern – bald nachlässt, findet sich
bei Lantus
®ein flacheres Wirkungsprofil ohne
eigentliche Plasma-Spitzenkonzentration. Zu-
dem kann die Wirkung bis 24 Stunden nach
der Injektion anhalten. Somit weist Lantus
®
ein nahezu ideales Wirkungsprofil für ein Ba-
sis-Insulin auf und ist die ideale Ergänzung zu
den schnell wirksamen Insulinanaloga (As-
part oder Lispro) beim Basis-Bolus-Insulin-
therapie-Schema. Jedoch nicht bei allen Pa-
tienten, vor allem bei jüngeren Jugendlichen,
hält die Wirkung von Lantus
®über 24 Stun-
den an, was sich in einem Blutzuckeranstieg
in den späten Nachmittagsstunden äussert
(bei Lantus
®-Injektion vor Bettruhe). Bei die-
sen Patienten muss daher Lantus ®zweimal
pro Tag verabreicht werden, um eine lück-
enlose Abdeckung des Insulinbasisbedarfs zu
gewährleisten.Am Kinderspital in Zürich verwendeten wir
Lantus
®erstmals im Rahmen einer interna-
tionalen, multizentrischen Phase III-Studie.
Adoleszente und junge Erwachsene, die alle
mit einem Basis-Bolus-Schema eingestellt
waren, erhielten nach initialer Randomisie-
rung entweder Lantus
®oder wie bis anhin ein
NPH-Insulin. Bei der Mehrzahl der Patienten
in der Lantus
®-Gruppe stellte sich rasch eine
signifikante Verbesserung der morgend-
lichen Blutzuckerwerte ein und die zum Teil
ausgeprägten und erratischen morgend-
lichen Blutzuckerschwankungen stabilisier-
ten sich deutlich. Zudem nahm die Häufigkeit
nächtlicher oder morgendlicher Hypoglykä-
mien ab. Nicht alle Patienten schienen aber
vom Wechsel auf Lantus
®zu profitieren. Ins-
besondere bei Patienten mit häufig wech-
selndem Insulin-Tagesbedarf, beispielsweise
bei sportlich sehr aktiven Jugendlichen, er-
wies sich Lantus
®zum Teil als nachteilig, da
eine kurzfristige Verminderung des bereits in-
jizierten basalen Insulins nicht möglich ist. In
diesen Situationen kann allenfalls mittels ei-
ner Reduktion des kurz wirksamen Insulins
oder einer vermehrten Kohlenhydratzufuhr
der verstärkten Insulinsensitivität bei sport-
licher Aktivität entgegengewirkt werden.
Klinische Studien bei erwachsenen und
adoleszenten Patienten mit Typ 1 Diabetes
haben im Vergleich zu den NPH-Insulinen
eine signifikante Abnahme von nächtlichen
Hypoglykämien aufzeigen können, eine Ver-
besserung der HbA1c-Werte trat aber in der
Regel nicht auf.
Levemir ®(Detemir)
Die verzögerte Wirkung eines Insulinanalo-
gons war bisher abhängig von dessen Ab-
sorptionsgeschwindigkeit aus dem subku-
tanen Fettgewebe ins Blut. Dies trifft für das
von der Firma NovoNordisk entwickelte Le-
vemir
®nicht zu. Im Gegensatz zu allen an-
deren lang wirksamen Insulinen wird Levemir
nach subkutaner Injektion relativ schnell in
die Blutbahn absorbiert, bindet sich dann aber
an Albumin, von wo es langsam wieder abge-
geben wird. Diese Bindung an Albumin wird
durch folgende strukturelle Veränderungen
am Insulin-Molekül erreicht: Threonin in Posi-
tion 30 der B-Kette wurde entfernt und Lysin
in Position 29 acetyliert. Diese angehängte
C14-Fettsäure erlaubt die Bindung des In-
sulins an Albumin. Gemäss unserer Erfah-
rung lässt sich Levemir
®nicht mit kurz wirk-
samen Insulinen mischen, da die letzteren
hierbei ihren schnellen Wirkungseintritt zu
Lantus ® und Levemir ® –
zwei neue, lang wirksame Insulinanaloga
Daniel Konrad; Michael Steigert*; Eugen J. Schoenle
* Aktuelle Adresse: Kinderklinik, Kantonsspital,
Spitäler Chur AG, Chur
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verlieren scheinen. Zudem besteht auf-
grund der klaren Lösung eine gewisse Ver-
wechslungsgefahr mit den kurz wirksamen
Insulinen, da sich bis anhin alle Verzöge-
rungsinsuline in trüber Lösung präsentierten;
dasselbe gilt auch für Lantus
®.
Ein wesentlicher Nachteil der NPH-Insuline
ist die intraindividuelle Absorptions-Unregel-
mässigkeit aus der subkutanen Fettschicht,
die oft zu unvorhersehbaren Hypoglykämien
führt. Bei Levemir
®fehlen diese Absorp-
tionsschwankungen weitgehend. Entspre-
chend resultieren stabilere nächtliche Blut-
zuckerprofile. Ähnlich dem Lantus
®kann die
Wirkung bis 24 Stunden nach der Injektion
anhalten. Aber auch für Levemir
®gilt, dass
bei einem Teil der Patienten die Wirkdauer
kürzer ist, weshalb es in diesen Fällen zwei-
mal pro Tag verabreicht werden muss.
Levemir
®ist seit dem 1. März 2004 in der
Schweiz zugelassen, wir konnten jedoch be-
reits vorher, im Rahmen einer klinischen
Phase III-Studie, Erfahrungen mit diesem
neuen lang wirksamen Insulinanalogon sam-
meln. Ähnlich wie bei Lantus
®trat bei der
Mehrzahl der Jugendlichen, welche Levemir ®
erhielten, eine rasche und signifikante Ver-
besserung der morgendlichen Blutzucker-
werte ein und die zum Teil ausgeprägten und
erratischen Blutzuckerschwankungen stabi-
lisierten sich deutlich. Zudem nahm die Häu-
figkeit nächtlicher oder morgendlicher Hy-
poglykämien ab. Diese Beobachtungen stim-
men mit mehreren klinischen Studien bei
erwachsenen Patienten mit Typ 1 Diabetes
überein.
Auch im Kleinkindesalter machten wir bisher
gute Erfahrungen mit Levemir
®. Charakteris-
tisch für diese Altersgruppe sind starke Blut-
zuckerschwankungen, die eine gute Blut-
zuckereinstellung mit dem herkömmlichen
Zwei-Spritzen-Schema bei einem Teil der Pa-
tienten sehr schwierig gestalten. Ein Haupt-
grund für diese Schwankungen sind die be-
reits erwähnten intraindividuellen Absorp-
tionsunregelmässigkeiten der NPH-Insuline
speziell bei jüngeren Kindern. Bei diesen Kin-
dern teilen wir die Abendspritze auf, dasheisst Applikation eines rasch wirksamen In-
sulinanalogons (z.B. Insulin Aspart oder Lis-
pro) vor dem Abendessen und von Levemir
®
vor Bettruhe. Die Morgenspritze besteht aus
einer Mischung von Normalinsulin und NPH-
Insulin. Dieses Schema wird dem Bedarf
nach Zwischenmahlzeiten bei Kindern ge-
recht. Die Blutzuckerwerte stabilisieren sich
oft auch tagsüber und Hypoglykämien treten
ebenfalls seltener auf, speziell nachts. Dies
kann insbesondere auch zu einer Verbesse-
rung der sozialen/familiären Situation füh-
ren, da die nicht voraussagbaren Blutzuck-
erschwankungen beim Kind nicht selten zu
Stresssituationen bei den Eltern führen. Län-
gere Verläufe sind allerdings notwendig, um
den Effekt dieser neueren Behandlungsstra-
tegien auf die Blutzuckereinstellung und das
HbA1c schlüssig beurteilen zu können. Erste
Erfahrungen deuten aber auf eine Verbes-
serung hin.
Gemäss unseren ersten Erfahrungen scheint
Levemir
®bei Patienten mit häufig wech-
selndem Insulintagesbedarf, beispielsweise
bei sportlich sehr aktiven Jugendlichen,
besser geeignet zu sein als Lantus
®. Mögli-
cherweise hängt dies mit der fehlenden sub-
kutanen Depot-Bildung zusammen.
Schlussfolgerungen
Die Insulinbehandlung bei Kinder und Ju-
gendlichen ist eine nicht zu unterschätzen-
de und manchmal schwierige Angelegenheit.
Wichtig ist dabei die individuelle Anpassung
der verschiedenen Therapie-Schemata an
den jeweiligen Patienten. Bei Kleinkindern
sind multiple tägliche Insulin-Injektionen
nicht wünschenswert, obwohl der Bedarf
nach häufigen Zwischenmahlzeiten ein sol-
ches Regime bevorzugen würde. Hier hat
sich die morgendliche Applikation einer in-
dividuellen Mischung, bestehend aus einem
kurz wirksamen Insulin und NPH-Insulin, be-
währt, mit der sich Frühstück, Mittagessen
und Zwischenmahlzeiten am Vormittag und
Nachmittag abdecken lassen. Bei einem Teil
der Patienten treten aber auf Grund von Ab-sorptionsunregelmässigkeiten des NPH-In-
sulins kaum zu beherrschende Blutzucker-
schwankungen auf. Auch bei älteren Kindern
und Jugendlichen mit NPH-Insulin kann es
aus dem gleichen Grund zu unvorhersehba-
ren, besonders nächtlichen Hypoglykämien
kommen. In diesen Fällen können die neuen
lang wirkenden Insulinanaloga Lantus
®und
Levemir ®hilfreich sein, da Absorptions-
schwankungen fehlen, was in stabileren
nächtlichen Blutzuckerprofilen resultiert.
Die neuen Insulin-Analoga Lantus
®und Le-
vemir ®sind deshalb nicht als Ersatz des NPH-
Insulins, sondern als Ergänzung zu diesem zu
sehen.
Referenzen
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(NPH insulin and regular human insulin) in basalbo-
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tologia 2004; 47: 622–629.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Eugen J. Schoenle
Abteilung f. Endokrinologie u. Diabetologie
Universitäts-Kinderklinik
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
Tel. 044 266 7309
eugen.sc
hoenle@kispi.unizh.c h
Tabelle: Vorteile/Nachteile von Levemir ®und Lantus ®im Vergleich zu NPH-Insulinen
Vorteile Nachteile
Stabileres Wirkungsprofil ohne ausgeprägtes Fehlende Mischbarkeit mit anderen
Wirkungsmaximum Insulinen
Bessere morgendliche Blutzuckerwerte Verwechslungsgefahr mit kurz wirksamen
Insulinen
Weniger Hypoglykämien Eingeschränkte Steuerbarkeit bei Sport
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Eugen J. Schoenle , Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Universitäts-Kinderklinik, Zürich