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Integrative Pädiatrie – Implementierung einer Akupunktursprechstunde im Rahmen der Sprechstunde für pädiatrische Gastroenterologie am Stadtspital Triemli, Zürich

Complementary and Alternative Medicine (CAM) has not been systematically institutionalized in pediatric hospital care in Switzerland so far. Acupuncture (Laser, Needels, Acupressure, etc.) as a part of Traditional Chinese Medicine (TCM) is now applied in an outpatient setting.

Abstract

Complementary and Alternative Medicine (CAM) has not been systematically institutionalized in pediatric hospital care in Switzerland so far. Acupuncture (Laser, Needels, Acupressure, etc.) as a part of Traditional Chinese Medicine (TCM) is now applied in an outpatient setting. Studies should be initiated in near future. The process and concept leading up to this successful implementation will be described in this article. We show that with a motivated team and structured proceedings, implementation of integrative medicine in a children’s hospital can be successful.

Einführung

Seit dem klaren «Ja» der Schweizer Stimmbürger zur Berücksichtigung der Komplementärmedizin in der Bundesverfassung im Jahr 2009 ist in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Erwachsenenmedizin bemerkenswertes geschehen: es gibt Zentren für Komplementärmedizin an grösseren und kleineren Spitälern oder auf einzelnen Abteilungen werden Therapieverfahren eingesetzt. Die Kommunikation untereinander ist offener geworden und von grösserem gegenseitigen Respekt geprägt als früher. Auch Pflegende öffnen sich und teilen ihren Vorgesetzten mit, dass sie über Zusatzqualifikationen im komplementären Bereich verfügen (die sie sich meist privat finanziert zuvor angeeignet hatten). Teils werden diese dann in die Umsetzung von einzelnen Methoden miteinbezogen.

Im August 2017 hat der Bundesrat entschieden, dass die ärztlichen Leistungen für die fünf komplementären Heilmethoden (Phytotherapie, Homöopathie, Akupunktur, trad. Chin. Medizin und anthroposophische Medizin) von der Grundversicherung übernommen werden.

Langsamer als in der Erwachsenenmedizin geht die Umsetzung des Verfassungsartikels in der Kinderheilkunde vonstatten. Die Gründe dafür sind vermutlich multifaktoriell: die Pädiatrie ist ein «kleineres Fachgebiet» mit «kleinerer Lobby». Studien bei Kindern gestalten sich schwieriger, da die Auflagen der Ethikkommissionen höher sind als bei Erwachsenen. Die personellen Ressourcen werden knapper (Kinderärztemangel) – einige Spitäler wissen nicht mehr, wie sie ihre Oberarztstellen besetzen sollen. Viele Medikamente sind in der Pädiatrie im «off-label»-Einsatz – und dann noch zusätzlich Therapieverfahren aus der Komplementär-medizin beiziehen, die auf Erfahrungsmedizin beruhen und bei Kindern noch nicht evidenzbasiert untersucht wurden, um an einer Klinik integrativ zu arbeiten benötigt Mut, Weitsicht und viel Engagement.

In der Kinderklinik des Kantonsspitals Fribourg wurde als erstes Spital in der Schweiz im Januar 2015 mit der Umsetzung des Einbezugs der Komplementärmedizin im stationären Setting in einer Pilotphase von 18 Monaten begonnen1). Aufgrund des Erfolgs mit zahllosen positiven Rückmeldungen der Eltern wird es weitergeführt und ausgebaut. Es werden überwiegend Therapieverfahren der anthroposophischen Medizin eingesetzt.

Gegebenheiten am Stadtspital Triemli

Das Stadtspital Triemli gehört zu den grössten und modernsten Spitälern der Schweiz – mit 6 Departementen, 34 Kliniken, Instituten und Abteilungen sowie 12 fachübergreifenden Zentren. Die Kinderklinik ist für die Grundversorgung der Kinder und Jugendlichen rund um das Stadtspital zuständig und ein wichtiger Kooperationspartner für die niedergelassenen Kollegen in der Umgebung sowie das Kinderspital Zürich.

Seit vielen Jahren führt Dr. med. George Marx am Stadtspital Triemli als Konsiliaroberarzt eine pädiatrisch gastroenterologische Sprechstunde. Die Patienten seiner Sprechstunde re-präsentieren das gesamte Spektrum der pädiatrischen Gastroenterologie und werden durch ihn umfassend betreut. Eine «Knacknuss» der Gastroenterologie sind die sog. Funktionellen Bauchschmerzen (FID) – für welche in der Erwachsenenmedizin positive Effekte durch Akupunktur beschrieben werden2,3). Für die Pädiatrie liegen keine aussagekräftigen Studien vor4). Eine Pilotstudie5) beschreibt positive Wirkungen auf den Schmerz bei akuter Appendizitis auf der Notfallstation. Desweiteren konnte gezeigt werden, dass die Ohr- und Körperakupunktur postoperatives Erbrechen und Übelkeit im Rahmen einer Chemotherapie bei Kindern bessert6,7,8,9).

Das National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH, establ. 1992) des National Institutes of Health (NIH) hat in seinem Strategieplan 2016 sechs “Top Scientific Priorities” formuliert10,11). Höchste Priorität hat dabei das nicht pharmakologische Schmerz-management.

Akupunktur

Die Akupunktur ist ein integraler Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin und wird seit über 2000 Jahren praktiziert. Durch sie werden Körperfunktionen mit Nadeln und zugehörigen Reizverfahren über spezifische Punkte der Körperoberfläche gezielt therapeutisch beeinflusst und sie wirkt u.a. über eine Anregung und Wiederherstellung der körpereigenen Regulation. Sie wird in den verschiedenen Fachgebieten in Prävention, Therapie und Rehabilitation bei funktionellen, psychosomatischen und organischen Erkrankungen und bei Schmerzzuständen eingesetzt.

Dr. med. Gerhard Bachmann(1895-1967) Begründer der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur DÄGfA schrieb: «Die Akupunktur wird mit ihren Grundvorstellungen teilhaben an einem Umbau unserer Anschauung über Gesundheit und Krankheit…. Die zukünftige Entwicklung der Medizin wird von selbst den Wert der Akupunktur herausstellen.» «Die synthetische Betrachtungsweise zeigt, wie eine Ganzheitsmedizin aussehen soll, die gleichzeitig die somatischen und psychischen Bereiche umfasst, um endlich zum Durchbruch in das Gebiet des Geistigen zu gelangen.»

Die verschiedenen Therapieverfahren reichen von der klassischen Körper-, Ohr-, und Schädelakupunktur über Laserakupunktur (ohne Nadeln), Shonishin (jap. Kinderakupunktur), Akupressur, Tuina (Massageformen), Dauerapplikationsformen (z.B. bei Ohr-Akupunktur), TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation), Elektrostimulationsakupunktur (bei Operationen) bis hin zu adjuvanten Verfahren z.B. Moxibustion/Schröpfen.

Gut untersucht sind bisher die schmerzlindernden, antientzündlichen, antiallergischen und entspannenden Wirkungen der Akupunktur12). Auch konnte 2011 in einem systematischen Review gezeigt werden, dass die Akupunktur bei Kindern generell sicher und nahezu ohne Nebenwirkungen ist, wenn sie durch einen erfahrenen und gut ausgebildeten Behandler erfolgt13). Und gerade Kinder, bei welchen man stets bemüht ist, die Verwendung von allopathischen Medikamenten auf ein Minimum zu reduzieren, profitieren von dieser ganzheitlichen Therapieform. Durch die völlig schmerzlose Stimulation der Akupunkturpunkte mittels Laser-Akupunktur oder Reizung durch aufgeklebte Goldkügelchen oder Mikronadeln können sich auch ängstliche Kinder leicht auf die Methode einlassen.

Akupunktur im Rahmen der gastroenterologischen Sprechstunde der Kinderklinik am Stadtspital Triemli

Durch Frau  Hanna Seewald, Oberärztin m.e.V. und Trägerin des Fähigkeitsausweises Akupunktur – traditionelle chinesische Medizin (ASA) bot sich im Jahr 2018 erstmals die Möglichkeit, Akupunktur gezielt als therapeutische Option im ambulanten Setting am Stadtspital Triemli anzubieten. Die Akupunktur bietet bei zahlreichen Krankheitsbildern die Möglichkeiten, den Heilungsverlauf positiv zu unterstützen. In Studien werden, wie bereits oben erwähnt, bei Erwachsenen mit funktionellen Bauchschmerzen (IBS) positive Effekte durch den Einsatz von Akupunktur beschrieben4,5). Für Kinder existieren bisher noch keine Studien. So entschieden wir uns, um ein objektivierbares Bild bei einem Krankheitsbild zu erhalten, die Akupunktur bei chronisch funktionellen Abdominalbeschwerden (v.a. Bauchschmerzen und funktionelle Dyspepsie) im Kindesalter anzuwenden.

Die Implementierung startete mit einer Pilotphase im Herbst 2018. Fachärzte mit dem Fähigkeitsausweis Akupunktur – Chinesische Arzneitherapie – TCM (ASA) führten die klinische Umsetzung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen durch. Diese Pilotphase diente dem Benchmarking von Arbeitsabläufen:

Nach somatischer Abklärung in unserer gastroenterologischen Sprechstunde und Diagnose-stellung einer funktionellen Magen-Darm-Störung, erfolgte bei Bedarf und Interesse des Patienten eine Zuweisung in unsere interdisziplinäre Akupunktursprechstunde.

Die Erstkonsultation in dieser Akupunktursprechstunde umfasst eine eingehende Anamnese und Untersuchung aus Sicht der TCM, sowie bei Einwilligung des Patienten die erste Akupunkturbehandlung. Zur Anwendung kommt die Laserakupunktur, die Behandlung mit feinen Akupunkturnadeln, sowie der Einsatz von Dauernadeln und –kügelchen, je nach Konstitution und Bedürfnissen des jungen Patienten.

Die Akupunkturbehandlungen werden je nach Intensität der Beschwerden zunächst alle 1-2 Wochen durchgeführt. Nach ca. 3 Sitzungen erfolgt die erste Zwischenevaluation und eventuell Anpassung des Therapieregimes und der Behandlungsintervalle (Auswahl der Akupunktur-punkte, Wechsel der Behandlungsmethode etc.). Ein Behandlungszyklus besteht aus ungefähr 6 Sitzungen, wobei die Behandlungsintervalle bei Besserung der Symptome verlängert werden. Je nach Erfolg der Behandlung wird das weitere Procedere gemeinsam mit dem Patienten und den Eltern besprochen, umso ein möglichst ganzheitliches und individualisiertes Konzept für jeden einzelnen Patienten, in Einbezug der vorhandenen Ressourcen, zu erstellen.

Zwischen allen behandelnden Ärzten findet ein regelmässiger Austausch statt. Dieser dient zum gegenseitigen Austausch, zur Evaluation der Behandlungsergebnisse sowie zur Klärung neu aufgetretener Fragestellungen, falls die Therapie nicht zum gewünschten Erfolg führt.

Während dieser Phase wurden Fragebögen entwickelt, um die Effektivität der Akupunktur bei Kindern mit funktionellen Magen-Darm Beschwerden zu evaluieren. Als Grundlage für die Erstellung der Fragebögen diente der Deutsche Schmerzfragebogen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern (DSF-KJ)14) zur standardisierten Erfassung und umfassenden Darstellung der Schmerzproblematik von Kindern und Jugendlichen (siehe Beilage).

Potentielle Hindernisse im Implementierungsprozess

Der gesamte Implementierungsprozess an der Kinderklinik des Stadtspitals Triemli wurde von einer grossen Wertschätzung und Unterstützung durch die Chefärztin Frau Prof. Dr. med. Maren Tomaske getragen. Durch das bislang «kleine» Team durch 1 Person vor Ort können eventuell nicht immer regelmässig und zeitnah Akupunkturtermine ermöglicht werden. Zumal die Akupunktursprechstunde als «add on» zum regulären Klinikbetrieb erfolgte. Gleichzeitig liegt in einem kleinen Team auch eine grosse Chance: flexibel zu agieren und Abläufe anzupassen ist leichter möglich.

Abgeltung der erbrachten Leistung

Für Frau Dr. med. Mercedes Ogal wurde die Anstellung als Konsiliaroberärztin durch die Klinikleitung ermöglicht, um die Implementierung optimal zu gestalten. Im weiteren erfolgt eine Tarmedkonforme Abrechnung der KVG-anerkannten Akupunkturziffern.

Ausblick

Schritt für Schritt erfolgt im Sommer 2019 der Übergang in die Hauptphase, welche durch die Anwendung der Fragebögen begleitet und kontrolliert werden soll. Es war geplant, das Projekt an der Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) am 4./5.6.2020 vorzustellen. Aufgrund der COVID-Situation war dies leider nicht möglich.

Uns trägt die Hoffnung, mit der Implementierung der interdisziplinären Akupunktur-sprechstunde zu einem ganzheitlichen Behandlungsangebot mit nachhaltigem -erfolg beitragen zu können und somit dem Wunsch vieler Patienten nach einem integrativ-medizinischen Angebot, welches sowohl die Schulmedizin als auch komplementärmedizinische Verfahren vereint, nachzukommen.

Fragebögen

  • Fragebögen für Eltern – jeweils Erst- und Verlaufsfragebogen
  • Fragebögen für Jugendliche – jeweils Erst- und Verlaufsfragebogen
  • Fragebögen für Kinder – jeweils Erst- und Verlaufsfragebogen

Diese Fragebögen können direkt bei Mercedes Ogal angefragt werden.

Literatur

  1. Tido von Schoen-Angerer et al; Acceptance, satisfaction and cost of an integrative anthroposophic program for pediatric respiratory diseases in a Swiss teaching hospital: An implementation report. Complementary Therapies in Medicine (2017), http://dx.doi.org/10.1016/j.ctim.2017.10.005
  2. Wu Ixy et al.; Acupuncture and related therapies for treating irritable bowel syndrome: overview of systematic reviews and network meta-analysis. Therap Adv Gastroenterol. 2019 Jan 20;12:1756284818820438. doi: 10.1177/1756284818820438. eCollection 2019
  3. Manheimer E. et al.; Acupuncture for treatment of irritable bowel syndrome. Cochrane Database Syst Rev. 2012 May 16;(5):CD005111. doi: 10.1002/14651858.CD005111.pub3
  4. Ann Ming Yeh; Brenda Golianu; Review:Integrative Treatment of Reflux and Functional Dyspepsia in Children. Children 20141(2), 119-133; doi:10.3390/children1020119
  5. Nager Al et al.; Effects of acupuncture on pain and inflammation in pediatric emergency department patients with acute appendicitis: a pilot study. J Altern Complement Med. 2015 May;21(5):269-72. doi: 10.1089/acm.2015.0024. Epub 2015 Apr 15
  6. Yeh, C.H.; Chien, L.-C.; Chiang, Y.C.; Lin, S.W.; Huang, C.K.; Ren, D. Reduction in nausea and vomiting in children undergoing cancer chemotherapy by either appropriate or sham auricular acupuncture points with standard care. J. Altern. Complement. Med. 201218, 334–340. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
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  8. Reindl, T.K.; Geilen, W.; Hartmann, R.; Wiebelitz, K.R.; Kan, G.; Wilhelm, I.; Lugauer, S.; Behrens, C.; Weiberlenn, T.; Hasan, C.; et al. Acupuncture against chemotherapy-induced nausea and vomiting in pediatric oncology. Interim results of a multicenter crossover study. Interim results of a multicenter crossover study. Support Care Cancer 200614, 172–176. [Google Scholar] [CrossRef]
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  10. Hilary McClafferty et al; Pediatric integrative medicine. Clinical report of the American Academy of pediatrics, Pediatrics Volume 140, number 3
  11. US Department of Health and Human Services; National Institutes of Health; National Center for Complementary and Integrative Health. NCCIH 2016 strategic plan. Available at: https:// nccih.nih.gov/about/strategic-plans/ 2016. Accessed December 14, 2016  
  12. Brittner M, Le Pertel N, Gold MA. Acupuncture in pediatrics. Curr Probl Pediatr Adolesc Health Care. 2016;46(6):179–183
  13. Adams D, Cheng F, Jou H, Aung S, Yasui Y, Vohra S. The safety of pediatric acupuncture: a systematic review. Pediatrics. 2011;128(6). Available at: www.pediatrics.org/cgi/content/full/ 128/6/e1575
  14. Schroeder, S., Hechler, T., Denecke, H. et al. Schmerz (2010) 24: 23. https://doi.org/10.1007/s00482-009-0864-8

Weitere Informationen

Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Mercedes Ogal Integrative Medizin Innerschweiz AG, Brunnen

Dr. med.  Hanna Seewald Kinderklinik, Stadtspital Triemli, Zürich

Dr. med.  George Marx Ostschweizer Kinderspital St. Gallen / Triemlispital Zürich

Prof. Dr. med.  Maren Tomaske Kinderklinik Stadtspital Triemli