Die Behandlung kranker Kinder erfordert häufig potenziell schmerzhafte diagnostische oder therapeutische Eingriffe. Wir müssen stets darum besorgt sein, diese Schmerzen zu lindern oder zu verhindern. Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Schmerzen in der Pädiatrie haben im Verlauf des letzten Jahrzehnts beachtliche Fortschritte gemacht, was nicht nur die Lebensqualität der kranken Kinder, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Behandelnden verbessert hat.
18 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 2 2003
Die Behandlung kranker Kinder er forder t
häufig potenziell schmer zhafte diagnosti-
sche oder therapeutische Eingrif fe. Wir
müssen stets darum besorgt sein, diese
Schmer zen zu lindern oder zu verhindern.
Erkennung, Beur teilung und Behandlung
von Schmer zen in der Pädiatrie haben im
Verlauf des letzten Jahr zehnts beachtliche
For tschritte gemacht, was nicht nur die Le-
bensqualität der kranken Kinder, sondern
auch die Arbeitsbedingungen der Behan-
delnden verbesser t hat. Die Wahl der Anal-
gesie für kur ze, aber doch schmer zhafte
Eingrif fe ist nicht immer leicht. Wir be-
richten hier über unsere Er fahrungen im
Gebrauch von MEOPA* (Mélange Equimo-
laire Oxygène / Protoxyde d’Azote, äqui-
molares Gemisch von 50% Sauerstof f und
50% Lachgas) für diese Indikationen.
Geschichtliches
und klinische Wirkung
Seit über 2 Jahrhunder ten in der Medizin
benutzt, hat Stickoxydul (N
2O), auch Lach-
gas genannt, eine schmer zlindernde, an-
xiolytische und sedative Wirkung. Diese ist
konzentrationsabhängig (Tabelle 1). Das
feste Gemisch MEOPA wurde im Jahre
1961 entwickelt und gelangte 1965 auf
den Markt, insbesondere in den angel-
sächsischen Ländern, wo es in Gebärsä-
len und nicht-är ztlichen Ambulanzen an-
gewendet wird. In den neunziger Jahren
kam diese Technik in den onko-hämatolo-
gischen Pädiatrieabteilungen Frankreichs
wieder auf. Die Wirkung von MEOPA tritt schnell ein
(3 Minuten) und verschwindet, sobald die
Verabreichung abgesetzt wird. MEOPA be-
wirkt eine Sedation bei erhaltenem Be-
wusstsein, was es dem Kind erlaubt, ak-
tiv mitzumachen; ausserdem bleiben die
Schutzreflexe der Luftwege erhalten und
das Kind muss nicht nüchtern sein. Uner-
wünschte Nebenwirkungen sind von gerin-
ger Bedeutung und nur von kur zer Dauer:
Brechreiz oder Erbrechen, Kopfschmer zen,
Stimmungsänderungen sowie sensorische,
akustische oder visuelle Wahrnehmungen
und Parästhesien.
MEOPA verursacht keine Abhängigkeit, hin-
gegen wurde über den Missbrauch von
N
2O-Patronen als psychoaktive Substanz
an Par tys berichtet. Ohne ernsthafte Ge-
fahr für den Patienten stellt es bei ge-
legentlicher Anwendung kein namhaftes
Risiko für das behandelnde Personal dar.
Es wurde keinerlei teratogene Wirkung
beim Menschen nachgewiesen. Trotzdem
ist es ratsam, deren Verabreichung nicht
Krankenschwestern im ersten Schwanger-schaftstrimenon anzuver trauen. Falls kein
Gas-Lüftungssystem besteht, sind regel-
mässige Lüftung der Räume und der Ge-
brauch von mobilen Flaschen einfache
Massnahmen, um die berufliche Exposition
zu vermindern. Bei längerem Gebrauch
an einem bestimmten Or t sollte ein Gas-
Abfuhr- oder -Wiedergewinnungssystem in-
stallier t werden.
MEOPA ist aufgrund dieser Eigenschaften
ideal für eine Analgesie bei kur zen (weni-
ger als 30 Minuten), mässig schmer zhaf-
ten Eingrif fen.
Material,
praktische Anwendung
Verabreichung gemäss einem genau defi-
nier ten Protokoll (Tabelle 2)und das Be-
rücksichtigen der Kontraindikationen (Ta-
belle 3)sind Voraussetzung jeder Anwen-
dung. Besonders soll auf das Bestehen
eines nicht-drainier ten Pneumothorax, wel-
cher durch Dif fusion des N
2O rasch zuneh-
men könnte, geachtet werden.
Gebrauch von MEOPA für schmerzhafte Eingriffe
in der Pädiatrie
N2O-Konzentration Wirkung
< 40% Leichte bis mittlere Analgesie
40–60% Tiefe Analgesie ohne Bewusstseinsbeeinträchtigung
60–70%Leichte Schläfrigkeit und Bewusstseinsbeeinträchtigung
80–90% Anästhesie mit Herzkreislaufversagen
durch Hypoxie bei längerdauernder Anwendung
100% Bewusstseinsverlust innert 1 Minute, dann bulbäre
Lähmung, Apnoe und Herzkreislaufstillstand
Tabelle 1:Wirkung eines N 2O-O 2-Gemisches in Abhängigkeit
des N
2O-Gehaltes
*Für MEOPA gibt es keine geläufige deutsche Abkür zung.
Im englischen Sprachraum wird dieses Gemisch als
Entonox
®ver trieben, bei uns ver treibt die Firma PanGas
das Gemisch als Medimix 50 ®.
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MEOPA wird in einer Gasflasche geliefer t,
welche das Gemisch mit den gegebenen
Konzentrationen enthält und dadurch jeden
Manipulationsfehler und eine eventuelle
Hypoxie verhinder t. Es wird mittels eines
Ballons, eines Einwegventils und einer far-
bigen, par fümier ten, der jeweiligen Ge-
sichtsgrösse angepassten Maske verab-
reicht. Ein auf dem Expirationsventil montier-
tes kleines Spielzeug (Flugzeug, Pfeife …)
erlaubt es dem Kind, seine Atmung auf
spielerische Weise zu kontrollieren (Ab-
bildungen 1 und 2). Nachdem das Material
dem Kind und der Familie erklär t und vor-geführ t wurde, wird die Wahl von Farbe und
Geschmack der Maske dem Kind über-
lassen. Danach wird die Maske auf Nase
und Mund aufgesetzt. Bei jüngeren oder
ängstlichen Kindern kann eine Kranken-
schwester die Maske sanft festhalten, wo-
bei dem Kind die Möglichkeit gelassen
wird, den Kopf zu bewegen. Nach 3-minüti-
gem Einatmen des Gases ist die Sedation
ausreichend, um den schmer zhaften Eingrif f
auszuführen. Die Über wachung geschieht
klinisch. Im Falle einer vorherigen oder
gleichzeitigen Anwendung eines Morphium-
präparates oder eines Sedativums ist dieGegenwar t eines Ar ztes er forderlich und
es wird die transkutane Sauerstof fsättigung
mittels eines Pulsoxymeters gemessen.
Eigene Er fahrungen
Nach Beendigung der Ausbildungszeit des
Personals haben wir bei jedem Kind über
6 Monate, bei welchem ein schmer zhafter
Tabelle 2:Praktische Empfehlungen
• Anwendung auf ärztliche Verordnung und Anwesenheit eines Arztes
auf der Station
• Berücksichtigen der Kontraindikationen
• Medikamentenkombinationen wegen Potenzialisationsrisiko vermeiden
(Morphium, Benzodiazepine)
• Das Kind vorbereiten und vertraut machen
– Das Material präsentieren (Maske, Flugzeug, Pfeife)
– Die sensorischen Veränderungen erklären, welche das Kind spüren wird
– Anhand eines Videos ein Anwendungsbeispiel zeigen
• Material und Inhalt der Gasflasche überprüfen
• An Kombination mit einem Lokalanästhetikum (EMLA, Lidocain …) denken
• Eine Krankenschwester einzig für die Verabreichung von MEOPA vorsehen,
um eine kontinuierliche Inhalation sicherzustellen
• Die Maske nicht mit Gewalt aufsetzen
• Den schmerzhaften Eingriff erst nach mindestens 3 Minuten Inhalationszeit
beginnen
• Klinische Überwachung sicherstellen
(ein Pulsoxymeter ist nur bei Medikamentenkombination notwendig)
• Bei Misserfolg abbrechen
Tabelle 3:Kontraindikationen
• Abhängig vom Eingriff:zu grosser Schmerz, zu lange Dauer
• Abhängig vom Patienten:Schädeltrauma, intrakranielle Hypertension, Veränderung
des Bewusstseinzustandes, pulmonale Hypertension, Ansammlung von Luft in einem
Hohlraum (Pneumothorax, Emphysem, Darmdilatation), Gasembolie, unstabile hämo-
dynamische Verhältnisse, Gesichtsknochenbruch
• Relative:Weigerung des Kindes
Abbildung 2:Material.
Abbildung 1:Mobile Gasflasche.
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Eingrif f mittlerer Intensität notwendig war,
vorgeschlagen, MEOPA anzuwenden. Alter
des Patienten, Ar t des schmer zhaften Ein-
grif fes, Anwendungsdauer von MEOPA, un-
er wünschte Nebenwirkungen, Beur teilung
der Schmer zen, Zufriedenheit des Patien-
ten, der Eltern und der Krankenschwestern
wurden systematisch registrier t. Diese Da-
ten erlauben es uns, über die vom
1.11.2001 bis 31.12.2002 gesammelten
Er fahrungen zu berichten.
Während dieser Periode wurde MEOPA bei
76 Kindern und insgesamt 155 Eingriffen
angewendet, davon bei 54 Kindern einmal,
bei 22 mehrere Male, bei einem Kind
23-mal (Mittelwer t 2 Eingrif fe). 30 Kinder
mit insgesamt 57 Eingrif fen waren jünger
als 5 Jahre (Tabelle 4). Diese Altersgren-
ze haben wir festgehalten, da in der Litera-
tur je nach Altersgruppe eine unterschied-
liche Wirksamkeit und Toleranz von MEOPA
nachgewiesen wurde.
Die verschiedenen Eingriffesind in Tabelle
5beschrieben, wovon die häufigsten Ve-
nenpunktionen (setzen eines Venflon, Blut-
entnahme oder Katheteröf fnung/Injektion
in einen Por t-A-Cat
® = 49,6%) und Lumbal-punktionen (mit oder ohne intrathekaler In-
jektion = 16,1%) waren. Für gewisse Ein-
grif fe erhielten die Kinder zudem EMLA-Sal-
be (65 Fälle = 42%) oder eine Lokalanäs-
thesie (14 Fälle = 9%). Die Blutentnahme
ist keine absolute Indikation für MEOPA, da
die Anwendung einer anästhesierenden
Salbe Typ EMLA in den meisten Fällen aus-
reichend ist. Wir haben MEOPA für Blutent-
nahmen bei chronisch kranken oder ängst-
lichen Patienten, welche von der anxiolyti-
schen und amnesieer zeugenden Wirkung
des Gases profitieren konnten, angewandt.
Zahlreiche weitere Indikationen, welchen
wir in unserem Spital nicht begegneten,
werden in der Literatur er wähnt: untere
und distale Endoskopie, Behandlung von
Verbrennungen, intraar tikuläre Injektionen,
Nieren- oder Leberbiopsien, diverse Punk-
tionen (z.B. Abszesse), Entfernung von
Trommelfellröhrchen, Zahnpflege…MEOPA ist für kur ze, weniger als 30 Minu-
ten dauernde Eingrif fe indizier t. Die Inhala-
tionsdauerwar durchschnittlich 11 Minuten,
der Mittelwer t 10 Minuten. Uner wünschte
Nebenwirkungen treten häufiger auf, wenn
man eine Dauer von 15 Minuten über-
schreitet. In unserer Testgruppe musste ein-
mal die Inhalation nach 20 Minuten wegen
Unruhe des Kindes abgebrochen werden.
Während des Eingrif fes wurde das Verhal-
ten des Kindesfestgehalten (Tabelle 6). In
77,4% der Fälle blieb das Kind ruhig. Die
Beur teilung der Analgesiewar ein wesent-
licher Punkt unserer Arbeit. Diese scheint
wirksam zu sein, da die Evaluation der
Schmer zen mittels einer Schmer zskala für
Kinder über 5 Jahre und einer Objective
Pain Scale für Kinder unter 5 Jahren zeigt,
dass 80% der Kinder keine oder nur leich-
te Schmer zen verspür ten. Der Vergleich
verschiedener Altersgruppen ergibt, im Ein-
Tabelle 4:Anzahl Eingriffe
pro Altersgruppe
Eingriffe Anzahl Fälle Prozentsatz
• Öffnen eines Porth-A-Cath (PAC) 34 21,9%
• Setzen eines Venflons 31 20,0%
• Verband 20 12,9%
• Wundnaht 17 11,0%
• Lumbalpunktion (LP) 13 8,4%
• Blutentnahme 10 6,5%
• Intrathekale Punktion (IT) 10 6,5%
• Entfernen eines Drains 8 5,2%
• Gips 2 1,3%
• Entfernen von Nahtmaterial 2 1,3%
• Entfernen eines Fremdkörpers 2 1,3%
• PAC + IT 1 0,6%
• PAC + LP 1 0,6%
• LP + Knochenmarkpunktion 1 0,6%
• Setzen eines arteriellen Katheters 10,6%
• Einlegen einer Sonde 1 0,6%
• Frakturreduktion 1 0,6%
Tabelle 5:Eingriffe
Jahre
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klang mit den Literaturangaben, dass
MEOPA bei Kindern über 5 Jahre wirksa-
mer ist (p = 0,00017, Tabelle 7). Die kli-
nische Toleranzwar in unserer Er fahrung
immer gut, die Nebenwirkungen gering, sel-
ten und ungefährlich (Tabelle 8). Träume,
Euphorie oder Heiterkeit waren relativ häu-
fig, während Übelkeit oder Erbrechen nur
in 4,5%, Panik oder Halluzinationen nur in
2,6% der Fälle auftraten. Diese Nebenwir-
kungen waren schnell reversibel und ver-schwanden 5 Minuten nach Beendigung
der Inhalation.
In 94,2% der Fälle waren die Eltern und
Krankenschwestern mit der Anwendung
von MEOPA zufrieden. Unzufriedenheit war
meist auf Enttäuschung darüber zurück-
zuführen, dass das Kind sich bewegte oder
weinte, während eine stärkere Sedation er-
hof ft wurde. Man muss sich dabei in Er-
innerung rufen, dass es sich um eine Se-dation bei erhaltenem Bewusstsein han-
delt und die amnesie er zeugende Wirkung
des Gases eine bessere Akzeptanz der
weiteren Behandlung erlaubt.
Schlussfolgerungen
Gemäss unserer Er fahrung ist MEOPA eine
ausgezeichnete Lösung als Analgesie bei
Eingrif fen mittlerer Schmerzintensität und
kurzer Dauer.Seine Anwendung ist einfach
und sicher, sofern es nicht mit anderen
Medikamenten kombinier t wird. Es muss je-
doch in Erinnerung behalten werden, dass
•seine Wirksamkeit schwach ist, was
zur Sicherheit beiträgt, aber auch die
Indikationen beschränkt;
•im Falle eines Misser folges, insbe-
sondere bei Kindern unter 5 Jahren,
auf das Weiter führen ver zichtet
werden soll.
MEOPA hat das Leben unserer kleinen Pa-
tienten sowie die Arbeitsatmosphäre des
Pflegepersonals, für welche das nicht er-
kannte Leiden der Kinder ein grosser
Stressfaktor bedeutet, grundlegend ver-
änder t. Es sollte deshalb in sämtlichen
Notfall- und Pädiatrieabteilungen zur Ver-
fügung stehen. Wir möchten uns ganz her zlich beim Är zte- und Pflegeteam
der Pädiatrieabteilung des Spitals Sion bedanken, welches
dank seiner Motivation und Mitarbeit die Einführung von
MEOPA und die Ver wirklichung dieser Arbeit ermöglicht hat.
Literatur:siehe französischer Text.
Verhalten des Kindes Prozentsatz Anzahl Fälle
• Ruhig, gelassen 77,4% 120
• Weinen 8,4% 13
• Schmerzverzerrte Mimik 4,5% 7
• Erregung 3,9% 6
• Notwendigkeit, das Kind festzuhalten 4,5% 7
• Abwehrreaktionen 1,3% 2
Tabelle 6:Verhalten des Kindes
Tabelle 8:Nebenwirkungen von MEOPA
< 5 Jahre 5–16 Jahre
• Keine Schmerzen 70% 91%
• Ungenügende Schmerzstillung 30% 9%
Tabelle 7
Nebenwirkungen von MEOPA Prozentsatz Anzahl Fälle
• Keine 42,6% 66
• Euphorie 12,9% 20
• Heiterkeit 12,3% 19
• Träume 11,6% 18
• Erregung 5,8% 9
• Trunkenheit 6,5% 10
• Übelkeit/Erbrechen 4,5% 7
• Panik/Alptraum 1,3% 2
• visuelle/audit. Halluzination 1,3% 2
• Kopfschmerzen 1,3% 2
Colette Bourgois, Henri Kuchler, Sion
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Korrespondenz:–Dr H. Kuchler, Médecin-chef, Dépar tement de pédiatrie
Hôpital de Champsec, 1951 Sion
kuchler
h@netplus.ch –Colette Bourgois, Infirmière-chef fe
colettebour gois@bluewin.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Colette Balice-Bourgois , Hôpital de l’Enfance, Lausanne