Die in zunehmendem Ausmass komplexen und schwierigen Behandlungssituationen in der Pädiatrie können teilweise zu ethischen Dilemmata bei den betreuenden Fachpersonen oder den Angehörigen führen. In diesen Fällen bietet das 7-Schritte-Modell eine strukturierte Vorgehensweise zur Entscheidungsfindung im Behandlungsteam. Es beinhaltet eine detaillierte fachliche Beurteilung und – auf bioethischen Werten beruhender – Reflexion der Patienten Situation. Diese Vorgehensweise kann, wie an dem Fallbeispiel eines an einer Muskelatrophie erkrankten Säuglings exemplarisch aufgezeigt, zu einer Konsensus Entscheidung und Empfehlung für die Eltern hinsichtlich des Vorgehens führen. Entscheidende Punkte sind die Beurteilung unter Einbezug der ethischen Werte sowie die Entscheidung im besten Interesse des Kindes.
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Zusammenfassung
Die in zunehmendem Ausmass komplexen
und schwierigen Behandlungssituationen in
der Pädiatrie können teilweise zu ethischen
Dilemmata bei den betreuenden Fachperso-
nen oder den Angehörigen führen. In diesen
Fällen bietet das 7-Schritte-Modell eine
strukturierte Vorgehensweise zur Entschei –
dungsfindung im Behandlungsteam. Es be –
inhaltet eine detaillierte fachliche Beurtei –
lung und – auf bioethischen Werten
beruhender – Reflexion der Patienten Situ –
ation. Diese Vorgehensweise kann, wie an
dem Fallbeispiel eines an einer Muskelatro –
phie erkrankten Säuglings exemplarisch
aufgezeigt, zu einer Konsensus Entschei –
dung und Empfehlung für die Eltern hinsicht –
lich des Vorgehens führen. Entscheidende
Punkte sind die Beurteilung unter Einbezug
der ethischen Werte sowie die Entschei –
dung im besten Interesse des Kindes.
Einleitung
Die Therapiemöglichkeiten der modernen
Medizin eröffnen für viele Patienten Hei –
lungschancen und positive Entwicklungen.
Zunehmend häufiger stellen sich aber so –
wohl für das Betreuungsteam als auch für
die Angehörigen oder betroffenen Patienten
die Frage, ob die Aussichten und Prognose
der Erkrankung die belastenden und inten –
siven Therapien rechtfertigen. Eine aus –
schliesslich paternalistische Entscheidungs –
findung durch den Arzt wird heutzutage
durch die Bildung von Gremien, ethischen
Foren oder Ethikexperten abgelöst, die in
solchen Situationen einen Lösungsvorschlag
erarbeiten. Ein Kernpunkt dieser Strukturen
beinhaltet die gemeinsame Entscheidung in
dem Behandlungsteam oder die – nach Hin –
zuziehen eines Ethikexperten – getroffene
Entscheidung. Zahlreiche Arbeiten, insbe –
sondere in den letzten 10 Jahren, haben sich
mit der Frage der Entscheidungsfindung, vor allem in pädiatrischen Intensivabteilungen,
beschäftigt. Der Pro
zess der Entscheidungs –
findung und die Rolle der Eltern sowie des
Betreuungsteams wird in diesen Arbeiten
analysiert
1), 2), 3) .
Im Folgenden soll das (von Dialog Ethik
entwickelte) 7-Schritte-Modell an einem
klinischen Fallbeispiel aus dem Ostschwei –
zer Kinderspital illustriert werden.
Einführung
in das 7-Schritte-Modell
Es gibt verschiedene Strukturen und Mo –
delle zur Entscheidungsfindung in nicht
ein deutigen Situationen. Die ersten Model –
le diesbezüglich entstanden in den 70er
Jahren in den USA. Seitdem haben sich in
Europa und den USA verschiedene Struktu –
ren entwickelt, wie z. B. klinische Ethikkom –
missionen, ad-hoc-Beratungen, das Inter –
aktionsmodell in Nijmegen und das «dezen –
trale Rad Modell» in Toronto
4). Während in
einigen Spitälern externe Gremien zu Hilfe
gerufen werden, werden in grösseren Spi –
tälern zunehmend Ethikexperten eingesetzt
bei schwierigen ethischen Fragestellungen.
Ein Nachteil dieser beiden Modelle ist, dass
die Entscheidung einem externen Gremium
oder einem Experten aufgetragen wird,
welcher nicht direkt in die Behandlung und
Betreuung des Patienten involviert ist. Da –
durch kann die Umsetzung einer Entschei –
dung – beispielsweise die Re direction of
care zur Comfort Care – möglicherweise
erschwert werden. Des Weiteren kann es
schwierig sein, alle Aspekte, welche das
Betreuungsteam für wichtig ansieht, in die
Entscheidungsfindung einfliessen zu las –
sen. Von dem Institut Dialog Ethik wurde ein
Modell entwickelt, welches eine Entschei –
dungsfindung im Team anhand eines struk –
turierten und auf ethischer Reflexion beru –
henden Vorgehensweise ermöglicht
5).
Dieses Modell wird in der Deutschschweiz
in einigen Spitälern angewandt. Die Neona –
tologie des Universitätsspitals Zürich hat
vor über 10 Jahren ein vereinfachtes, an das 7-Schritte-Modell an
gelehntes Verfahren
entwickelt, um in dem Bereich der Neona –
tologie, insbesondere bei der Betreuung
extremer Frühgeborenen, eine Hilfe zum
Vorgehen in Dilemmata Situationen zur
Verfügung zu haben
6).
Darstellung der einzelnen
Schritte und Durchführung der
ethischen Fallbesprechung (EFB)
anhand eines Patientenbeispiels
Anhand eines Patientenfalles soll im nach –
folgenden illustriert werden, wie die ver –
schiedenen Schritte durchgeführt werden
und zu einer Entscheidung führen können
(aus didaktischen Gründen sind einige
Sachverhalte gekürzt und vereinfacht dar –
gestellt).
Es handelt sich um einen 8 Monate alten
Jungen mit einer seit einigen Monaten
beobachteten, schweren, progredienten
Muskelerkrankung mit ausgeprägter mus –
kulärer Hypotonie. Aufgrund einer Trink –
schwäche und zunehmenden Muskelhypo –
tonie mit Schwäche der Atemmuskulatur
erfolgte die stationäre Aufnahme. Zu die –
sem Zeitpunkt zeigte sich eine einge –
schränkte respiratorische Situation mit
erhöhten pCO2-Werten und rezidivieren –
den, kurzen Atempausen. In den letzten
Wochen war der Junge kaum noch in der
Lage gewesen, sich spontan zu bewegen.
Aktuell im Vordergrund standen das einge –
schränkte Trinkverhalten und die aufgetre –
tenen respiratorischen Störungen. Eine
weiterführende Diagnostik war von den
Eltern zunächst als nicht notwendig be –
trachtet worden und erst nach Zustands –
verschlechterung initiert worden. Die Be –
funde waren zum Zeitpunkt der ersten
Besprechung noch ausstehend.
Zu diesem Zeitpunkt wurde von den Mitar-
beitenden der Säuglingsabteilung die Frage
des weiteren Vorgehens aufgeworfen und
eine EFB einberufen. Diese wurde innerhalb
einer Woche geplant und alle involvierten
und interessierten Fachpersonen wurden
dazu eingeladen. Von einer Beteiligung der
Eltern an der EFB wurde – wie in den meis –
ten Fällen – Abstand genommen, da dies
sehr anspruchsvoll im Hinblick auf die
Formulierungen und Diskussionen sein
kann. Es nahmen somit die beteiligten
Ärzte und Pflegefachpersonen des Kinder –
spitals, die Mitarbeitenden der Kinderspi –
Ethische Problemsituationen in der
Pädiatrie: Modell und Patientenbeispiel
für eine Entscheidungsfindung im
Behandlungsteam
Gudrun Jäger, St. Gallen
Vol. 24 Nr. 2 2013
Fortbildung
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tex, der Physiotherapie, des Sozial
–
dienstes und der niedergelassene Kinder –
arzt teil. Die Moderation wurde von einem
in Gesprächsführung erfahrenen Kaderarzt
geleitet.
1. Schritt: Formulierung des ethischen
Dilemmas. In diesem Schritt geht es um
die Hauptaspekte des medizinischen Sach –
verhaltes und die wichtigsten Krankheits –
befunde sowie die Beschreibung des
ethischen Dilemmas. Die medizinischen
Be funde zeigen das Bild einer schweren
Muskelatrophie, welche die klinischen Kri –
terien einer spinalen Muskelatrophie wei –
testgehend erfüllen. Die genetischen Be –
funde waren noch ausstehend. Da nicht alle
möglichen Formen einer spinalen Muskel –
atrophie abgeklärt werden können, ist auch
bei einem negativen Befund die Erkrankung
nicht ausgeschlossen. Von den Anwesen –
den wird das ethische Dilemma folgender –
massen formuliert: Ist eine Langzeitbeat –
mung auf dem Hintergrund der schnell
progredienten Erkrankung mit einer sehr
eingeschränkten Lebensqualität gerecht –
fertigt oder wird dem Kind eher Leiden zu –
gefügt dadurch?
2. Schritt: Kontextanalyse. Die hier zu –
sammengetragenen Erfahrungen stammen
aus dem ärztlichen Bereich (Abteilungsarzt,
betreuender Facharzt und niedergelasse –
ner Kinderarzt), von den Pflegefachfrauen
des Kinderspitals, der Physiotherapeutin
sowie den Mitarbeiterinnen der Kinderspi –
tex. Aus medizinischer Sicht sprechen die
Befunde und die Klinik des Kindes für eine
angeborene, spinale Muskelatrophie. Ande –
re Muskelerkrankungen sind entweder
durch bereits vorliegende Untersuchungs –
ergebnisse ausgeschlossen oder unwahr-
scheinlich. Eine kurative Therapie dieser
progredienten Erkrankung existiert nicht,
sie gehört somit gemäss einer Einteilung
der englischen pädiatrischen Palliativver –
einigung (ACT) zur Gruppe 2 der Palliativer –
krankungen
7). Von den Pflegefachfrauen
wird das Kind als kognitiv wach und auf –
merksam erlebt, zunehmend aber von der
Atemarbeit beeinträchtigt und erschöpft.
Das Husten ist durch die fehlende Muskel –
kraft und die Ansammlung von Sekret er-
schwert. Die familiäre Situation ist charak –
terisiert von einer abwehrenden Haltung
der Eltern, die die Erkrankung und ihr
Fortschreiten nicht wahrhaben wollen und
das Kind immer wieder rasch vom Spital nach Hause nehmen möchten. Ihr bisheri
–
ges Verhalten gegenüber dem 12-jährigen
Geschwisterkind wird als problematisch
angesehen. Beide Kinder schlafen im sel –
ben Zimmer, der ältere Bruder ist nicht über
die schwere Erkrankung des jüngeren Bru –
ders informiert und die Gespräche hierüber
wurden vermieden.
3. Schritt: Werteanalyse. In der Beurtei-
lung der Patientensituation mit Hilfe der 4
bioethischen Prinzipien (nach Beauchamps
und Childress
8)) kommen bei diesem Jungen
vor allem die beiden Werte Gutes tun und
Leiden vermeiden zum Tragen. In der Be –
treuung des Kindes werden einzelne sup –
portive Massnahmen, wie die O2 Gabe bei
Sättigungsabfällen und die Sekretmobilisie –
rung, als erleichternd und sinnvoll angese –
hen. Allerdings beeinflussen sie nicht das
Fortschreiten der Erkrankung. Das Absau –
gen und Stimulieren bei Atempausen wird
eher als belastend und anstrengend und
damit als Leidzufügend eingestuft. Auch die
zunehmend intensivere Pflege und damit
verbundene längere Spitalaufenthalte wer –
den als leidvoll und belastend gesehen. Ein
Punkt, der auch für die Mutter sehr wesent –
lich ist; sie wünscht die Zeit im Spital mög –
lichst kurz zu halten. Der für ein Überleben
entscheidende Punkt einer invasiven The –
rapie mittels Tracheostoma und einer
Heimbeatmung wird in dem vorliegenden
Fall als insgesamt sehr belastende und vom
medizinischen Team als Leidzufügende
Massnahme eingeschätzt.
Das bioethische Prinzip der Autonomie ist
in der Erwachsenenbetreuung in Form des
informed consent ein zentraler Punkt, bei
einem Säugling ohne Willensäusserung
jedoch schwierig anzuwenden. Im Vor-
dergrund steht hier die Fürsorge oder Be –
ne-ficiance-Pflicht für das Kind und der
für sorgliche Stellvertreterentscheid. Die
Berücksichtigung der Würde, die unabhän –
gig vom Zustand des Menschen unverlier-
bar ist, wird in die Beurteilung miteinbezo –
gen. Das 4. Prinzip der Gerechtigkeit spielt
in einem übergeordneten Rahmen eine
Rolle, da sich die Frage stellt, ob die vorge-
schlagene Vorgehensweise und Massnah –
men in einer ähnlichen Situation auch bei
anderen Patienten eingesetzt würde. Des
Weiteren stellen sich in diesem Zusammen-
hang die Fragen nach der Verteilung der
Ressourcen und der zur Verfügung stehen –
den medizinischen Mittel. Dieser Punkt wird bei uns häufig nicht im Rahmen einer
EFB diskutiert. Allerdings könnte dies – ins
–
besondere wenn intensiv-medizinische
Aufenthalte notwendig sind – zu einer Ab –
wägung der limitierten, zur Verfügung ste –
henden Mittel innerhalb der Erkrankungs –
gruppe der Patienten führen. An dieser
Stelle sind exemplarisch die Überlegungen
im Rahmen der drohenden Influenza Pan –
demie vor einigen Jahren zu nennen
9).
4. Schritt: Erarbeiten von Entscheidungs
optionen. Hier sollten mindestens 3 Opti –
onen genannt werden, um eine Entweder
oder Entscheidung zu vermeiden. Folgende
Vorgehensweisen wurden diskutiert:
• Die weitere Therapie mit forcierter Mobi –
lisierung des Sekrets und Absaugen, O2-
Gabe, Stimulation der Apnoen und gros –
szügige stationäre Aufnahme im Spital
• Weitere Abklärungen bzw. Evaluationen
bezüglich weiterer Therapien, z. B. Tra –
cheostomie und Heimbeatmung; allen –
falls Versorgungen in ausländischen Zen –
tren
• Keine Intensivierung der Therapie, ledig –
lich die bis jetzt begonnene Therapie
belassen, keine O2-Therapie zu Hause
• So weit wie möglich die palliative Betreu –
ung zu Hause erweitern, den Eltern Hilfe
anbieten und die Betreuung durch die
Kinderspitex intensivieren
• Den Eltern in der Akzeptanz der Erkran –
kung Kontakte vermitteln und bei Bedarf
Kontakte zu anderen Betroffenen ihres
Kulturkreises (türkische Herkunft) ver –
mitteln
5. Schritt: Analyse der Entscheidungs
optionen. Dieser Schritt dient der Zuord –
nung zu einem bioethischen Prinzip und soll
einseitige oder immer wiederkehrende Me –
chanismen erkennen. Zudem sollten juris –
tisch nicht legitime Vorgehensweisen aus –
geschlossen werden. Der 1. Punkt ist gut
mit dem Prinzip der Leidensminderung und
Gutestun im Einklang zu bringen, bei Fort –
schreiten der Erkrankung jedoch in abseh –
barer Zeit nicht mehr erfolgsversprechend.
Zusätzlich beinhaltet es den – vor allem für
die Mutter – nicht gewünschten Aspekt der
häufigeren Spitalaufenthalte. Die 2. Option
wird von den Fachpersonen beurteilt als
eine Therapie mit der Lebenserhaltung um
jeden Preis, allerdings mit der Folge, dem
Kind mehr Leiden zuzufügen. Bei der 3.
Option steht die Leidensminderung im
Vordergrund, dies mit in Kaufnahme eines
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Fortbildung
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rascheren Versterbens des Jungen. Die
beiden letzten Optionen bauen auf den
vorherigen auf und sind unabhängig von der
Hauptvorgehensweise möglich.
6. Schritt: Konsensus. Dieser Schritt der
EFB beinhaltet die Entscheidung und Re –
flektion einer Vorgehensweise. Essentiell
ist, dass sich der Entscheid am Wohl und
Interesse des Kindes orientiert und die
Konsequenzen mit erwogen werden. Es ist
auch durchaus möglich, dass in einer EFB
kein Konsensus gefunden wird, insbeson –
dere unter Beachtung des Prinzips, dass
kein Entscheid mit lebenslimitierender Kon –
sequenz getroffen wird, wenn nicht alle eng
in die Betreuung des Kindes involvierten
dies akzeptieren können. Dies bedeutet
nicht, dass die EFB versagt hat, sondern es
zeigt vielmehr die Unmöglichkeit, in jeder
Situation eine Sicherheit herbeizuführen
und reflektiert auch die zum Teil falschen
Erwartungen an eine EFB
10). Im vorliegen –
den Beispiel bestand bei den beteiligten
Fachpersonen unter Einbezug aller Ge –
sichtspunkte der Konsens, von einer belas –
tenden, invasiven Therapie Abstand zu
nehmen (Option 3). Die 2. Vorgehensweise
erscheint durch die intensiven, Leiden zu –
fügenden Massnahmen bei der deutlich
eingeschränkten Lebensqualität nicht ge –
rechtfertigt. Das Betreuungsnetz für die
Eltern, die Information des Bruders bezüg –
lich der Erkrankung und die Möglichkeit,
auf die Hilfen des Spitals zurückzugreifen,
sollten den Eltern erneut angeboten wer –
den. Insbesondere die Betreuung in der
Terminalphase ist ein wesentlicher Punkt,
welcher bei diesem Entscheid bedacht
werden und mit den Eltern besprochen
werden sollte. Da diese wichtigen Aspekte
der Palliativbetreuung nicht mehr Bestand –
teil eines ethischen Problemfeldes sind, ist
es sinnvoll, diese z. B. im Rahmen eines
Runden Tisches zu besprechen.
Der 7. Schritt beinhaltet die Kommuni
kation und Dokumentation des Ent
scheids. Diese wichtigen Aspekte werden
festgelegt. Das Elterngespräch selbst ist
nicht im den 7 Schritten enthalten. Aller –
dings sollte erst nach dem Elterngespräch
und nach Akzeptanz der Eltern die bespro –
chene Vorgehensweise definitiv werden.
Essentiell ist dabei, dass die Eltern nicht
das Gefühl haben, selbst über den eventu –
ellen Tod ihres Kindes entschieden zu ha –
ben. Hier sollte im Gespräch hervorgeho -ben werden, dass die Verantwortung für
den Entscheid bzw. die Einschätzung bei
den Fachpersonen liegt, die Eltern diesen
Entscheid aber mittragen müssen. Eine
Diskrepanz in der Beurteilung zwischen den
Fachpersonen und den Eltern ist in der
heutigen pluralistischen Gesellschaft ein
bekannter Punkt. Es wird generell versucht
werden, mit den Eltern zu einer Überein
–
stimmung zu kommen, möglicherweise
auch erst nach mehreren Gesprächen. Ein
Entscheid gegen den Willen der Eltern,
insbesondere wenn er durch eine redirec-
tion of care zu dem Versterben des Kindes
führen könnte, gilt sowohl juristisch als
auch moralisch-ethisch als sehr problema –
tisch, kann aber in Einzelfällen möglicher –
weise nicht umgangen werden.
Die dargestellte EFB zeigt, wie in einer Dilem –
ma-Situation nach intensiver und detaillier –
ter Reflexion ein Konsens zur weiteren Be –
treuung eines Patienten gefunden wurde und
die Überlegungen auch den Wünschen der
Eltern nach Leidensminderung entsprachen.
Die Bedeutung des Konsens in dem gesam –
ten Behandlungsteam beinhaltet für viele
Eltern ein wichtiges Kriterium für die Fürsor –
ge und ein Qualitätsmerkmal der Entschei –
dung in solchen schwierigen Situationen.
Auch die Eltern des von uns betreuten Säug –
lings konnten sich schliesslich dem Konsens
und der Empfehlung des Teams anschliessen
und die Vorgehensweise akzeptieren.
Fazit
Die EFB bietet für viele Mitglieder eines
Behandlungsteams ein Forum, in dem die
Möglichkeit besteht, in ethischen Dilem –
mata-Situationen nach einer Reflexion der
bioethischen Werte zu einer Entscheidung
zu kommen. Die Bereitschaft, sachlich und
offen die eigenen Erfahrungen und Werte –
haltungen zu diskutieren, ist eine wichtige
Voraussetzung. In einer Institution des
Gesundheitswesens, die in der Regel heut –
zutage von Mitarbeitenden mit verschiede –
nen Erfahrungen, Einstellungen und Halt-
ungen zusammengesetzt ist, ist hiermit ein
integrierendes Instrument für belastenden –
de Situationen gegeben. Nach unseren ei –
genen Erfahrungen tragen die EFB dazu bei,
in komplexen, ethisch schwierigen Patien –
tenbetreuungen diese Situationen besser
zu meistern und auch durch die Konsensus-
findung eine grössere Mitarbeiterzufrieden –
heit zu erzielen.
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Es bestehen keine Interessenskonflikte.
Korrespondenzadresse
Dr. Gudrun Jäger
FMH Pädiatrie
FMH Intensivmedizin
Ostschweizer Kinderspital
Interdisziplinäre Intensivstation
Claudiusstr. 6
9006 St. Gallen
gudrun.jaeger@kispisg.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unter –
stützung und keine anderen Interessenkon –
flikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag
deklariert.
Vol. 24 Nr. 2 2013
Fortbildung
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Gudrun Jäger , FMH Pädiatrie FMH Intensivmedizin Ostschweizer Kinderspital Interdisziplinäre Intensivstation Andreas Nydegger