Die Prävention atopischer Erkrankungen mittels einer speziellen Ernährung bei Neugeborenen und Säuglingen und durch Massnahmen in deren Umgebung ist in der Schweiz weit verbreitet.
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Vol. 15 No. 3 2004 Empfehlungen / Recommandations
Warum eine Revision
der Empfehlungen?
Philippe Eigenmann, Genève,
für PIA-CH
Unsere Empfehlungen sind jetzt ein Jahr
alt, und haben manche positive Kom-
mentare ausgelöst. Neue Ergebnisse der
Forschung haben gezeigt, dass partiell
oder stark hydrolysierte Säuglingser-
nährung eine gewisse allergiepräventi-
ve Wirkung haben; welche Präpaparte
besser wirken, bleibt noch offen.
Manche Studien haben widerspüchliche
Ergebnisse gezeigt; weitere Langzeit-
studien sind wichtig. Die vorliegenden
Empfehlungen sind auf andere Richtli-
nien ( z.B. solche der WHO) abgestimmt.
Das Atopie-Risiko eines gesunden Säug-
lings wird immer schwierig zu beurteilen
sein, mindestens bis eine zuverlässige-
re Beurteilung als die Familienanamnese
zur Verfügung steht. Während in der ers-
ten Version das uniparentale Risiko be-
wusst nicht kommentiert wurde, be-
rücksichtigen wir jetzt auch die Gruppe
von Säuglingen mit einem erstgradig
Verwandten mit atopischer Erkrankung.
Wir bitten unsere Kolleginnen und Kol-
legen, die Familienanamnese mit ande-
ren Aspekten der Patientengeschichte,
wie dem Schweregrad der atopischen
Erkrankungen in der Familie oder ersten
Symptomen einer atopischen Erkrank-
ung beim Säugling, zu ergänzen. Nur die
klinische Erfahrung der behandelnden
Kinderärztin des behandelnden Kinder-
arztes wird erlauben, diese Empfehlun-
gen im Alltag sinnvoll einzusetzen.
Empfehlungen / Recommandations
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Vol. 15 No. 3 2004
Einleitung
Die Prävention atopischer Erkrankungen
mittels einer speziellen Ernährung bei Neu-
geborenen und Säuglingen und durch Mass-
nahmen in deren Umgebung ist in der
Schweiz weit verbreitet. Die Durchführung ist
aber nicht einheitlich und entspricht nicht
immer aktuellen wissenschaftlichen Er-
kenntnissen. Im Bestreben, die 2001 in der
Paediatrica erstmals publizierten Empfeh-
lungen (Vol. 12, No. 6) auf dem neuesten Wis-
sensstand zu halten, hat die Gruppe der pä-
diatrischen Immunologen und Allergologen
der Schweiz (PIA-CH), wiederum in Zu-
sammenarbeit mit der Ernährungskommis-
sion der Schweizerischen Gesellschaft für Pä-
diatrie und der Spezialistenkommission der
Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie
und klinische Immunologie die vorliegende
zweite, revidierte Version erarbeitet.
Ziel
Diese Empfehlungen sind an Kinderärzte, an
Allgemeinpraktiker, die Säuglinge betreuen,
und andere Berufstätige des Gesundheits-
wesens gerichtet, die in einer beratenden
Funktion die ersten Lebensjahre der Kinder
begleiten. Die Beratung der Eltern basiert auf
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen. Damit soll eine Primärprävention vonAllergien für alle diejenigen Neugeborenen
und Säuglinge ermöglicht werden, die ein er-
höhtes Risiko aufweisen, eine atopische Er-
krankung zu entwickeln.
Definition des Atopierisikos
Stark erhöht(etwa 70%-Risiko, eine atopi-
sche Krankheit zu entwickeln):
bei
3 zwei erstgradigen Verwandten mit einer
atopischen Erkrankung
oder
3 einem erstgradigen Verwandten mit einer
starken atopischen Erkrankung.
Mässig erhöht(etwa 30%-Risiko, eine ato-
pische Krankheit zu entwickeln):
bei
3 einem erstgradigen Verwandten mit einer
atopischen Krankheit
Dabei ist der Schweregrad der atopischen
Krankheit zu betrachten und ob der Säugling
schon erste Manifestationen einer atopischen
Krankheit (z.B. atopische Dermatitis) zeigt.
Empfehlungen
Die Ernährung
Vorbemerkung:Diese Ernährungsempfeh-
lungen dienen der primärenPrävention ato-pischer Erkrankungen.Das atopische Ekzem,
das Asthma und die allergische Rhinokon-
junktivitis gehören zu den atopischen Er-
krankungen. Es kann davon ausgegangen
werden, dass das Risiko, eine atopische Er-
krankung zu entwickeln, vom Schweregrad
der atopischen Familienbelastung (Anzahl
der Atopiker und Schweregrad der Erkran-
kung) und dem Bevorstehen einer atopischen
Erkrankung beim Säugling beeinflusst wird.
Bei stark belasteten Familien sind die fol-
genden ausführlichen diätetischen Mass-
nahmen gerechtfertigt.
3 In erster Linie wird Muttermilchfür alle
Neugeborenen empfohlen. Die meisten
Studien zeigen einen präventiven Effekt
des Stillens bis zu einem Alter von 4 bis
6 Monaten auf die Entwicklung atopi-
scher Erkrankungen. Muss die Mutter-
milch beim Neugeborenen bei medizini-
scher Indikation in der ersten Lebens-
woche für wenige Tage ergänzt werden,
so soll für diese kurze Zeit eine hydroly-
sierte Säuglingsernährung gebraucht
werden. Es wurden zwar geringste Men-
gen verschiedener Fremdproteine (Kuh-
milch, Hühnerei, Getreide) in der Mut-
termilch nachgewiesen, doch konnte bis-
her nie der Beweis erbracht werden, dass
ein präventiver Verzicht auf diese Nah-
rungsmittel durch die stillende Mutter ei-
nen Vorteil für das Kind erbringt. Eine sol-
che diätetische Einschränkung kann al-
lenfalls bei schweren allergischen Er-
krankungen von Familienmitgliedern in-
dividuell mit dem spezialisierten Pädiater
diskutiert werden.
3 Verschiedene Arten von Säuglingsnah-
rungen,die auf der Basis von Kuhmilch-
proteinen hergestellt werden, sind in der
Schweiz im Handel:
a) nicht hydrolysierte,
Empfehlung zur Primärprävention von
Allergien für Neugeborene und Säuglinge
mit einem erhöhten Atopierisiko
Revidierte Version, Mai 2004
la version française sera publiée dans le prochain numéro de Paediatrica
Tabelle 1: Ernährungsempfehlungen für Neugeborene und Säuglinge mit einem erhöhten Allergierisiko. Diese Empfehlungen sind gerechtfertigt bei Neugeborenen und Säuglingen mit einem stark erhöhten Allergierisiko (zwei Verwandte ersten Grades, oder beim Vorliegen einer
ausgeprägten allergischen Krankheit bei einem Verwandten ersten Grades). Bei Neugeborenen und Säuglingen mit einem erhöhten Allergierisiko (Eine Verwandte ersten Grades)
sind die Empfehlungen in kursiverSchrift meistens nicht gerechtfertigt.
PIA-CH 2004
NB: Wenn nicht anders erläutert, gelten die aktuellen Empfehlungen für die Säuglingsernährung der SGP www
.swiss -paediatrics.org .
Geburt – Ende 4.–6. Mt. Ab 4.–6. Monat Ab 10 Monate Ab 12. Monat Ab 36. Monat
Muttermilch Einführung der Beikost, Einführung von Einführung von Einführung von
(kann nach 4–6 Monaten ausser: Ei, Kuhmilchpro- Kuhmilchprodukten Vollmilch, Ei, Erdnüssen, Nüssen,
weitergeführt werden) dukte, Fisch, Kiwi, Nüsse, Fisch, Kiwi Mandeln
oder hypoallergene Mandeln.Beginn mit einer
Säuglingsnahrung üblichen altersgerechten
Säuglingsnahrung
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Vol. 15 No. 3 2004 Empfehlungen / Recommandations
b) partiell hydrolysierte
(«HA-Säuglingsernährung») oder
c) stark hydrolysierte Säuglingsnah-
rungen (in der Schweiz: Alfaré
®
oder Damira ®) oder auf der Basis
von anderen Proteinen oder
Aminosäuren (Pregomin
®, Pregomin
AS ®, Neocate ®) hergestellte
Säuglingsnahrungen.
Von der Verwendung von Milchen ande-
rer Säugetiere (Ziege, Schaf oder Stute)
und von Sojapräparaten ist abzuraten, da
kein wissenschaftlicher Hinweis für eine
primäre Präventionswirkung besteht und
der nutritive Wert als ungenügend be-
trachtet werden muss. Bei Neugebore-
nen und Säuglingen mit erhöhtem Ato-
pierisiko, welche nicht oder nur teilweise
gestillt werden, sollen partiell oder stark
hydrolysierte Säuglingsnahrungen ein-
gesetzt werden. Es konnte in einigen Stu-
dien gezeigt werden, dass diese Ernäh-
rungen, wenn während mindestens 4 bis
6 Monaten durchgeführt, eine Reduktion
der kumulativen Inzidenz hinsichtlich der
Entwicklung von frühen atopischen
Symptomen der Haut und des gastroin-
testinalen Traktes erbringen. Nach dem
4. bis 6. Lebensmonat kann eine übliche,
dem Alter entsprechende adaptierte
Säuglingsnahrung gegeben werden.
3 Die Einführung weiterer Nahrungsmittel
(«Beikost») soll nicht vor dem Ende des
4. bis 6. Lebensmonats erfolgen. Die ver-
schiedenen Nahrungsmittel sollen eines
nach dem anderen, im Abstand von je-
weils 3 bis 4 Tagen, in die Ernährung ein-
geführt werden. Getreide, Beeren oder Zi-
trusfrüchte müssen nicht präventiv ge-
mieden werden, da sie nur ganz selten
allergische Reaktionen auslösen. Nah-
rungsmittel, die aus Kuhmilch zubereitet
werden, können ab dem Alter von 10 Mo-
naten gegeben werden.
3 Kinder sollten im 1. Lebensjahr Hühnerei
(Eiklar und Eigelb) meiden. Bei Kindern
mit stark erhöhtem Risiko, eine allergi-
sche Krankheit zu entwickeln, sind auf-
wendigere Massnahmen gerechtfertigt;
bei diesen Kindern empfiehlt es sich, zu-
sätzlich zu Ei auch Fisch und Kiwi erst
nach dem Abschluss des 1. Lebensjahres
einzuführen. Obwohl es keinen wissen-
schaftlichen Beweis gibt, besteht wahr-
scheinlich bei diesen Kindern ein hohes
Risiko, Allergien auf diese hoch allerge-
nen Nahrungsmitteln zu entwickeln. Erd-
nüsse, Nüsse und Mandeln schliesslichsollten bei diesen Kindern nicht vor dem
Ende des 3. Lebensjahrs der Nahrung zu-
gesetzt werden. Das Meiden der jeweili-
gen Nahrungsmittel muss strikte erfol-
gen und auch Nahrungsmittel miteinbe-
ziehen, die nur geringe Mengen der
jeweiligen Proteine enthalten.
3 Liegen bereits allergische Krankheits-
zeichen vor, so bedarf es einer präzisen
Diagnostik vor Beginn einer weiterge-
henden Diät.
Die Umgebung
3 Die primäre Prävention atopischer Er-
krankungen verlangt ganzheitliche Mass-
nahmen und beinhaltet auch die un-
mittelbare Umgebung des Kindes.
3 Die Bedeutung der Umgebung für die
Entwicklung der atopischen Erkrankun-
gen wurde im Verlaufe der letzten Jahre
intensiv untersucht. Die Resultate sind
zum Teil widersprüchlich und lassen
nicht immer klare Schlussfolgerungen zu.
Unbestritten aber ist, dass ein Kind, das
in einer Umgebung ohne ein bestimmtes
Allergen lebt, gegen dieses bestimmte
Allergen auch keine Allergie entwickeln
wird.
3 Massnahmen der primären Prävention
der Umgebung zielen darauf hin, Allerge-
ne wenn möglich zu reduzieren (Haus-
staubmilben, Schimmelpilz, Küchen-
schaben usw.).
3 Eine Familie mit einem Kind mit erhöh-
tem Allergierisiko sollte sich nicht ein fell-
tragendes Tier anschaffen (Katze, Hund,
Hase usw.). Es ist zurzeit noch offen, ob
eine allfällige frühe Exposition (un-
mittelbar nach der Geburt) weniger
schädlich als ein späterer Kontakt ist.
3 Ob Massnahmen zur Reduktion der
Hausstaubmilben («Hausstaubmilben-
sanierung»: Matratzenhülle, Acarizide
usw.) bereits präventiv (und nicht erst
nach erfolgter Sensibilisierung) ergriffen
werden sollen, um die Entwicklung einerAllergie auf Hausstaubmilben vorzubeu-
gen, ist bis heute noch Gegenstand von
Diskussionen. Wir empfehlen diesbe-
züglich für die Primärprävention, also für
das Kind, bei dem keine Sensibilisierung
und keine Symptome vorliegen, einfache
und kostengünstige Massnahmen (ma-
ximal 1 bis 2 waschbare Plüschtiere im
Bett, Waschen der Wäsche bei 60
oC,
Staubsaugen zweimal wöchentlich und
Lüften des Zimmers zweimal täglich,
Temperatur ideal zwischen 18 und 20
oC,
Luftfeuchtigkeit im Zimmer zwischen
40% und 50%).
3 Mehrere Studien haben eine schützende
Wirkung eines «naturnahen Lebens»
(zum Beispiel auf dem Bauernhof) ge-
zeigt. Mehrere Faktoren könnten dabei
einen positiven Effekt ausüben (z. B. Bak-
terien in der Umgebung, Ernährung
usw.). Die aktuellen Fakten aus der Lite-
ratur erlauben zurzeit noch nicht, präzi-
se Empfehlungen aus diesen Beobach-
tungen abzuleiten.
3 Der schädliche Einfluss des Tabakrau-
ches während der Schwangerschaft,
insbesondere bezüglich Asthma und
später in der unmittelbaren Umgebung
des Kindes, ist klar dokumentiert. Als
Verantwortliche im Gesundheitswesen
müssen wir die Eltern ermutigen und
unterstützen, das Rauchen aufzugeben.
Korrespondenzadresse:
PIA-CH
Secrétariat d’Allergologie
Hôpital des Enfants
6, rue Willy-Donzé
1211 Genève 14
Die französische Version folgt in der nächs-
ten Ausgabe.
Tabelle 2: Präventive Massnahmen in der Umgebung des Neugeborenen
und Säuglings mit erhöhtem Atopierisiko.
PIA-CH in Zusammenarbeit mit der Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie
und der Spezialistenkommission der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie
3Stoppen des Rauchens während der Schwangerschaft und einer allfälligen passiven
Tabakrauchexposition des Säuglings
3Einleiten einfacher Massnahmen zur Reduktion der Hausstaubmilben
3Massnahmen zur Sanierung des Wohnbereichs (Küchenschaben und Schimmelpilze)
3Einschränkung von Kontakt mit felltragenden Haustieren
Empfehlungen / Recommandations
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Vol. 15 No. 3 2004
Behandlung der
Harnwegsinfektionen
beim Kind
(Schweizerische Arbeitsgruppe
für Pädiatrische Nephrologie)
Korrekturen
Diese Empfehlungen, die in der Paedia-
trica 2001; 12 (1): 16–21 erschienen und
in der SGP-Homepage (www
.swiss –
paediatrics.org/paediatrica/vol1 2/n1 /
pdf/ 16-2 1.pdf ) vorhanden sind, wurden
folgendermassen modifiziert:
Empfehlung Nr. 6:
Antibiotische Behandlung
1. …(unverändert)
2. Bei klinischem Verdacht einer
Pyelonephritis bei älteren Kindern
(> 3 Monate) werden folgende
Therapien empfohlen:
–Erste Wahl:Cephalosporin
der dritten Generation,
z.B. Ceftriaxon 50 mg/kg/d…
Empfehlung Nr. 9:
Indikation einer antibiotischen
Dauerprophylaxe
…
– Bei Kindern in den beiden
ersten Lebensmonaten:
Amoxicillin: 10 mg/kgin 1–2 Dosen
– Bei > 2 Monate alten Kindern:
Cotrimoxazol: 1–2 mg/kg in
1–2 Dosen
…
Traitement des
infections urinaires
chez l’enfant
(Recommandations
du Groupe Suisse de Travail
de Néphrologie pédiatrique)
Corrections
Ce document, publié dans Paediatrica
2001; 12(1): 12–15 et disponible sur le
site internet de la SSP à l’adresse www
.
swiss –paediatrics.org/paediatrica/
vol1 2/n1 /pdf/ 10-1 5.pdf a été modifié
de la manière suivante:
Recommandation 6:
Traitement antibiotique:
1. …(inchangé)
2. Lors d’une suspicion clinique de
pyélonéphrite chez un enfant plus
grand, le traitement consiste en:
–Premier choix: Céphalosporine
de troisième génération,
par exemple ceftriaxone
50mg/kg/j…..
Recommandation 9:
indication à l’antibiothérapie
prophylactique
…
– Pour l’enfant de moins de deux
mois:
Amoxicilline: 10 mg/kgen 1 ou 2
prises
– Pour l’enfant de plus de deux mois:
Cotrimoxazole: 1–2 mg/kg en une
ou deux prises
…
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
PA. Eigenmann