Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) beinhalten sehr unterschiedliche klinische Bilder, und ihre Häufigkeit (mittlere Prävalenz 1/100)1) rechtfertigt es unbedingt, dass wir uns bemühen, sie besser ausfindig zu machen, zu dokumentieren und zu beschreiben, um so früh als möglich und auf Grund der ermittelten Besonderheiten Hilfe «nach Mass» leisten zu können. Der internationale wissenschaftliche Konsens betrachtet ASS als Ausdruck einer multifaktoriellen Hirnfunktionsstörung, abhängig von polygenen Erbfaktoren und Umweltfaktoren (Infektionen, toxisch, fötale Störung usw.). Dennoch ist das Zusammenspiel der Ursachen dieser Funktionsstörung, d. h. Hirnstrukturen, neurobiologische Mechanismen und neurobiochemische Faktoren, weiterhin unklar.
18
mit dem Begriff des Spektrums, der eine Ab-
stufung der Symptome beinhaltet, werden der
Einfluss der Symptome auf die Funktionsfä –
higkeit der Person und die dadurch erfolgten
Einschränkungen präzisiert; für jedes der
beiden Hauptkriterien (soziale Kommunikati –
on und restriktive Interessen und Aktivitäten),
wird festgehalten, ob die beobachteten Sym –
ptome sehr viel, viel oder einfache Hilfe erfor –
der n, wob ei die A bstu f ung der Hilfeb e dür f tig –
keit näher beschrieben wird.
Standardisierte Evaluation
Die Wahl der Evaluationsmittel ist abhängig
von Alter und Profil der untersuchten Person.
Im Allgemeinen umfasst die Abklärung im
Centre Cantonal Autisme folgende Punkte:
Diagnostische Stufen
Die Autism Diagnostic Evaluation Schedule
(ADOS -2)
7) besteht aus 5 Modulen, abhängig
von Alter und expressivem Sprachniveau des
Kindes. Sie besteht darin, dem Kind spieleri-
sche Aktivitäten anzubieten, in deren Verlauf
sein Sozial- und Kommunikationsverhalten,
sow ie seine Inter es sen und sein A k ti v it ät spat –
tern beobachtet werden. Die Evaluation wird
als signifikant für ASS betrachtet, wenn der
Schwellen-Score erreicht wird. Ein Vergleichs –
score ermöglicht es, den Schweregrad zu
beurteilen (minim/leicht/mässig/schwer).
Als indirekte Evaluation dient das ADI-R
8), ein
Leitfaden für das Interview einer Bezugsper-
son, meist Eltern, die das Kind kennt und
insbesondere im Alter von 4–5 Jahren kannte
(Zielalter des diagnostischen Algorithmus).
Grenzen dieses Evaluationsmittels sind gege –
ben durch den Informationsgrad der Aus –
kunftsperson, der bei älteren Kindern oder
grosser Geschwisterzahl u.
U. schle
chter ist.
Mittel zur Entwicklungs-/kognitiven Evaluation
Auch hier bestimmen klinisches Bild und Alter
die Wahl des Testinstrumentes: Bei sehr jun –
gen Kindern die Mullen Messskalen
9), WPPSI
IV 10 ), WISC IV 11 ) für Kinder und Jugendliche,
und WAIS IV 12 ) für Erwachsene sind die am
häufigsten verwendeten.
In gewissen Fällen (wenn das Kind nicht im-
st ande ist , au f einen Test einzugehen, b ei dem
die verbale Sprache wesentlich ist) kann auf
WNV-Skala
13 ) oder PEP-R 14 ) zurückgegriffen
werden, die ein Bild des Entwicklungsstandes
des Kindes vermitteln und eine Hilfe bei der
Planung passender Massnahmen sein können.
Das durch diese Tests ermittelte Profil dient
als Argument zugunsten von ASS: Klassi-
scherweise heterogen, wird es Stärken im
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) beinhal
–
ten sehr unterschiedliche klinische Bilder, und
ihre Häufigkeit (mittlere Prävalenz 1/100)
1)
r e cht fer tig t es unb e ding t , das s w ir uns b emüh –
en, sie besser ausfindig zu machen, zu doku –
mentieren und zu beschreiben, um so früh als
möglich und auf Grund der ermittelten Beson –
derheiten Hilfe «nach Mass» leisten zu können.
Der internationale wissenschaftliche Konsens
betrachtet ASS als Ausdruck einer multifakto –
riellen Hirnfunktionsstörung, abhängig von
polygenen Erbfaktoren und Umweltfaktoren
(Infektionen, toxisch, fötale Störung usw.).
Dennoch ist das Zusammenspiel der Ursachen
dieser Funktionsstörung, d.
h. Hirn
strukturen,
neurobiologische Mechanismen und neurobio –
chemische Faktoren, weiterhin unklar.
Die internationalen Empfehlungen ASS betref –
fend
2) – 4) sind sich über die Wichtigkeit einig,
dass der diagnostische Prozess mit standar –
disierten Evaluationsmittel und durch ein
pluridisziplinäres, geschultes und geübtes
Team durchgeführt wird.
Weit entfernt davon, rein deskriptiv vorzuge-
hen, verfechten wir eine «Aktionsdiagnostik»,
die darin besteht, die Begegnung mit dem
Kind oder Erwachsenen zu nutzen, um durch
eine interdisziplinäre Abklärung nicht nur die
Diagnose, sondern auch das Funktionieren
des Kindes zu erfassen, und alle Kräfte aus-
findig zu machen, auf die sich die Begleitper –
sonen des Kindes stützen können, und die
natürlicherweise zu personalisierten Vor –
schlägen für das therapeutische Vorgehen
führen.
Die Autismus-Spektrum-Störungen:
Aktuelle Definition
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind
schwere kindliche Entwicklungsstörungen.
Vor dem Alter von 30 Monaten beginnend,
kennzeichnen sie sich durch die Unfähigkeit,
normale soziale Kontakte herzustellen, Man –
gel an Interesse für und Reaktionsfähigkeit
gegenüber Mitmenschen, Fehlen oder schwe –
re Störung verbaler und non-verbaler Kommu –
nikation, stereotypes Verhalten und vermin -derte spontane und erfinderische Tätigkeiten.
Bis Mai 2013 definierten die internationalen
Klassifizierungen (DSM-IV
5), CIM 10 6)) diese
Störungen kategorial, wobei die einzelnen
Kategorien auf qualitativem und quantitativem
Beschreiben von Symptomen (autistische
Trias) beruhten, unter Berücksichtigung des
Alters, in welchem sie auftreten. Es sei daran
erinnert, dass man unter der Benennung tief –
greifende Entwicklungsstörungen (Pervasive
Developmental Disorders) folgende Krankhei-
ten aufführte: Autismus, Asperger-Syndrom,
nicht näher umschriebene pervasive Entwick –
lungsstörungen, desintegrative Störungen des
Kindesalters, Rett-Syndrom.
Mit dem Erscheinen der Klassifikation DSM-5
(siehe Kasten 1)
5) wurde der kategoriale An-
satz der ASS-Definition durch einen dimensi –
onalen ersetzt. Die interindividuellen Variati –
onen der Symptomatologie dieser
Entwicklungsstörungen führen dazu, dass
eine Beschreibung der beobachteten Sympto –
me nach Dimensionen bevorzugt wurde; dies
ermöglicht insbesondere im Rahmen der
Forschung eine genauere Beschreibung der
Phänotypen. So findet man z. B. keine Kate-
gorie «Asperger-Syndrom» mehr, sondern
«ASS ohne assoziierte Intelligenzminderung,
ohne assoziierte Sprachstörung». Das Rett-
Syndrom wird eine Differentialdiagnose. Im
Übrigen werden in dieser neuen Klassifikation
die Störungen der gegenseitigen sozialen In –
teraktion und sozialen Kommunikation unter
«Andauernde Defizite der sozialen Kommuni –
kation und sozialen Interaktion, die sich über
mehrere Lebensbereiche erstrecken» zusam –
mengefasst. Das Alter schliesslich, in wel –
chem die Störungen auftreten, das im DSM-IV
unter 3 Jahren sein musste (was u.
a. das
As
perger-Syndrom vom Autismus unter –
schied ) , w ir d im DSM – 5 nuancier t , indem eine
Störung in früher Kindheit vorhanden sein
mus s , sich ab er er st später voll manifestier en
kann (siehe Domäne C).
Ein weiterer Beitrag dieser neuen Definition
von ASS ist, dass der Schweregrad der Stö –
rung berücksichtigt wird. Im Zusammenhang
Diagnose von Autismus-Spektrum-
Störungen heute: Eine umfassende Evalu –
ation im Interesse von Kind und Familie
Sabine Manificat, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTabinTo.,ST,e(chtorTSe(olrTab
19
Zusätzliche Spezifizierungen:
•
Mit/oh
ne intellektuelle Behinderung
•
Mit/ohne
Sprachentwicklungsverzöge –
rung.
•
Assozi
ationen mit bekannten medizini –
schen, genetischen Krankheiten oder
Umweltrisikofaktoren.
•
Assozi
ationen mit entwicklungsneurolo –
gischen, psychologischen oder Verhal –
tensstörungen mit Katatonie
In den B er eichen A und B mus s aus ser dem
bei der Diagnostik der Schweregrad spezi –
fiziert werden.
Aus: C olin Müller, M. A ., DSM – 5 : Diag nose –
kriterien Autismus-Spektrum-Störung.
Anmerkung des Autors: Weil mir die
deutschsprachige Version des DSM-5 nicht
zugänglich war, habe ich die Kriterien
selbst aus dem Englischen übersetzt. Mei –
ne Übersetzung ist natürlich nicht offiziell
und kann in Details von der offiziellen
Version abweichen.
Absolute Warnsignale beim
Kleinkind:
• Fehlen v
on Geplapper, Zeigen mit dem
Finger
oder anderen Gesten im Alter
von 12 Mon
aten
• Fehlen v
on Worten mit 18 Monaten
• Fehlen
spontaner Wortassoziationen
(nicht E
cholalie) mit 24 Monaten
• Verlus
t von Sprache oder sozialer
Kompetenz
en in jedem Alter
(nach Ba
ird et al. 2003)
ren auf dem selben Weg oder dem
gleichen Essen; wiederholtes Fragen oder
extremer Distress bei kleinen Verände
–
rungen).
3.
Fixieru
ng auf sehr eingeschränkte Inter –
essen, die in Intensität oder Thema un –
gewöhnlich sind (wie eine starke Bindung
an oder Beschäftigung mit ungewöhnli –
chen Gegenständen; Interessen, die
übermässig eng umgrenzt sind oder de –
nen sehr intensiv nachgegangen wird).
4.
Über- oder
Unterempfindlichkeit auf sen –
sorische Reize oder ungewöhnliches In –
teresse an sensorischen Aspekten der
Umgebung (wie die augenscheinliche
Gleichgültigkeit gegenüber Schmerz,
Hitze oder Kälte, ablehnende Reaktion
auf bestimmte Geräusche oder Texturen,
übermässiges Riechen oder Berühren
von Gegenständen, Faszination mit Licht
oder sich drehenden Gegenständen).
C.
Die Sym
ptome müssen in früher Kindheit
vorhanden sein, können sich aber erst
dann voll manifestieren, wenn die sozialen
Anforderungen die beschränkten Fähigkei –
ten übersteigen, oder später im Leben
durch erlernte Strategien versteckt sein.
D.
Die Sym
ptome führen zu klinisch bedeut –
samer Beeinträchtigung in sozialen, beruf –
lichen oder anderen aktuell wichtigen
Funktionsbereichen.
E.
Die Sym
ptome lassen sich nicht durch in –
tellektuelle Behinderung oder globale Ent-
wicklungsstörung besser erklären. Eine
intellektuelle Behinderung und Autismus
kommen häufig zusammen vor; um komor –
bide Diagnosen einer Autismus-Spektrum-
Störung und einer intellektuellen Behinde –
rung zu stellen, sollte die soziale Kom-
munikation unter dem erwarteten Niveau
für die allgemeine Entwicklungsstufe sein.
Anmerkung: Individuen mit einer gut etab –
lierten DSM-IV-Diagnose einer autisti –
schen Störung, Asperger-Syndrom oder
atypischem Autismus, sollten die Diagnose
Autismus-Spektrum-Störung erhalten. In –
dividuen, die deutliche Defizite in sozialer
Kommunikation haben, deren Symptome
aber nicht die Kriterien für eine Autismus-
Spektrum-Störung erfüllen, sollten auf
eine soziale Kommunikationsstörung un –
tersucht werden. Autismus-Spektrum-Störung
299.00 (F84.0)
A. Andauernde Defizite der sozialen Kom –
munikation und sozialen Interaktion, die
sich über mehrere Lebensbereiche er –
strecken und sich durch folgende Merk –
male zeigen (aktuell oder in der Entwick –
lungsgeschichte):
1.
Defizit
e der sozial-emotionalen Rezip –
rozität; diese reichen von sozialer An –
näherung auf ungewöhnliche Weise
und dem Fehlen von normaler, wech –
selseitiger Konversation über verrin –
gertes Teilen von Interessen, Emotio –
nen und Affekt bis hin zu völligem
Fehlen der Initiierung oder Erwiderung
sozialer Interaktionen.
2.
Defizit
e des nonverbalen kommunikati –
ven Verhaltens in der sozialen Interak –
tion; diese reichen von schlecht integ –
rierter verbaler und non-verbaler
Kommunikation über Abweichungen in
Blickkontakt und Körpersprache oder
Einschränkungen beim Verstehen und
Einset zen von G estik und Mimik bis zum
völligen Fehlen von Gesichtsausdruck
und non-verbaler Kommunikation.
3.
Defizit
e, soziale Beziehungen in einer
Weise zu entwickeln und aufrechtzuer –
halten, die dem Entwicklungsstand
entsprechen (ausser denen mit Be –
zugspersonen); diese reichen von
Schwierigkeiten, das Verhalten an den
sozialen Rahmen anzupassen über
Schwierigkeiten, sich in Rollenspiele
mit anderen hineinzuversetzen oder
Freundschaften zu schliessen bis hin
zu einem offensichtlich fehlenden In –
teresse an Menschen.
B.
Restrikti
ve, repetitive Verhaltensweisen,
Interessen und Aktivitäten, die sich
durch mindestens zwei der folgenden
Merkmale zeigen:
1.
Stereo
type oder repetitive Sprache,
Bewegungen oder Verwendung von
Gegenständen (wie einfache motori –
sche Stereotypien, Echolalie, repetiti –
ve Verwendung von Gegenständen,
oder der Gebrauch idiosynkratischer
Phrasen).
2.
Übermä
ssiges Einhalten von Routinen,
ritualisierte Muster an verbalem und
non-verbalem Verhalten, oder über –
mässiger Widerstand gegen Verände –
rungen (wie Bewegungsrituale, Behar –
Kasten 1 Kasten 2
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTabinTo.,ST,e(chtorTSe(olrTab
20
oder unterstützte Kommunikation. Oft können
auch, vor dem Hintergrund neuer Kenntnisse,
neue ätiologische Spuren erforscht werden.
Diagnostik beim Jugendlichen
Eine solche kann im Rahmen einer krisenbe-
dingten Spitalaufnahme (psychotisch anmu –
tende oder depressive Episode, Selbstmord –
versuch) erforderlich werden. Ist die akute
Episode beherrscht und lässt das Verhalten
des Jugendlichen einen Autismus vermuten,
wird er uns zur Abklärung überwiesen.
O der der Jugendliche w ir d uns au f G r und eines
Lebenslaufes, wie weiter oben für Schulkinder
ohne Intelligenzdefizit beschrieben, zugewie –
sen. In diesem Fall verursachen unerkannte
und fol
glich über längere Zeit nicht beachtete
ASS sekundäre Komplikationen, in Form von
Lern- und Verhaltensstörungen, sozialer Aus –
grenzung, Missbrauch durch Gleichaltrige und
damit hä
ufig Verlust des Selbstwertgefühles
bis zur eigentlichen Depression, mit völlig
überforderten Eltern. Da die einzelnen Ent –
wicklungsbereiche unabhängig voneinander
forts c
hreiten, ist das klinische Bild oft sehr
dysharmonisch und die Autonomie trotz guter
Kompetenzen eingeschränkt.
In diesen komplexen Situationen erlauben die
zeitgleichen pluridisziplinären Ansätze, Um –
s t ände zu klär en, die zur Diag nose f ühr en. O f t
findet man die entsprechenden Elemente
beim Lesen einer gut dokumentierten Kran –
kengeschichte, jedoch verteilt über längere
Zeitabschnitte, bei Kontakten mit verschiede –
nen Fachleuten, was es verunmöglicht, die
entscheidenden Informationen herauszufil –
tern, die schliesslich zur Diagnose führen.
Diese Art Diagnose wirft ein neues Licht auf
die Problematik dieser Jugendlichen und
kann/soll das Wiederaufnehmen der Lernpro-
zesse und des Soziallebens ermöglichen, und
deren Lebensqualität wiederherstellen. Der
Weg dazu ist jedoch nicht einfach und benö –
tigt die Begleitung durch Fachleute (Lehrkräf –
te, Therapeuten, Erzieher usw.), welche die
autistische Denkweise gut kennen und ihre
Interventionen anzupassen wissen, unter
gleichzeitiger Behandlung der Komorbiditäten.
Differentialdiagnose und
Komorbiditäten
Neurologische Störungen und assoziierte
Pathologien werden durch das neuropädiatri –
sche Team besprochen, wir beschränken uns
in diesem Artikel auf die pädopsychiatrischen
Abklärungen.
Bei Kleinkindern sind die häufigsten Differen –
tialdiagnosen der einfache Sprachentwick –
non-verbalen oder im Gegenteil im verbalen
Bereich zeigen.
Spezifische Evaluationen: Logopädie, Psycho
–
motorik
Evaluation des adaptiven Verhaltens mittels
VABS II (Vineland Adaptative Behaviour Scales)
Die VAB S II
15 ) bestehen in einem semistruktu –
rierten Gespräch mit den Eltern. Sie erlauben
Kompetenzen im täglichen Leben (allgemeine
Pflege wie Toilette, essen, sich ankleiden),
Kommunikation (zuhören, sprechen, schrei –
ben), motorische Kompetenzen, zwischen –
menschliche Beziehungen, Spiel- und Freizeit-
verhalten, sowie Sich beschäftigen können
und Autonomie zu beurteilen. Die Befunde
werden in Altersäquivalenten ausgedrückt,
d. h. das Resultat beschreibt für jeden getes –
teten B er eich das vom K ind er r eichte mit tler e
Kompetenzniveau.
Eventuell zusätzliche Skalen, insbesondere um
Komorbiditäten zu evaluieren (ADHS, Zwangs –
störungen, depressive Störungen usw.)
Eine neuropädiatrische Untersuchung ergänzt
systematisch unsere Evaluation, mit je nach
klinischem Bild ergänzenden Laborabklärun –
gen.
Verschiedenartige klinische Bilder
Das diagnostische Vorgehen wird je nach Al –
ter des Kindes und Kontext verschieden sein.
Frühdiagnose
Mit 12 oder 18 Monaten durch eine atypi –
sche Entwicklung
16 ) (siehe Kasten 2) – ver –
spätete Sprachentwicklung, Schwierigkeit
mit dem Kind Kontakt herzustellen, stereo –
type Bewegungen, repetitives Spielen – auf –
merksam gemacht, steht oft der Kinderarzt
hinter der Frage nach Abklärung; immer
häu figer hat er, um seine B eobachtungen den
Eltern gegenüber zu untermauern, seinen
klinischen Eindruck mittels M-CHAT
17 ) bereits
überprüft.
Die Begegnung mit verschiedenen Fachleu –
ten und das Teilnehmen an den verschiede –
nen, über ein bis zwei Wochen verteilten
Abklärungen erlaubt den Eltern, sich an den
Gedanken einer verschiedenartigen Entwick –
lung ihres K indes zu gewöhnen. Es ist für sie
auch eine Gelegenheit, unmittelbar Ratschlä –
ge zu er halten, w ie ihr em K ind b eim Kommu –
nizieren zu helfen, und Strategien, um die
alltäglichen Schwierigkeiten zu meistern.
In diesen stark emotionsgeladenen Situatio –
nen mit Kleinkindern hat das diagnostische Team die Aufgabe, falls dies nicht schon ge
–
schehen ist , um das K ind her um ein Net z wer k
aufzubauen: Logopädie, Psychomotorik, Frü –
herziehungsdienst und die Suche nach der
geeig net sten Fachp er son, dieses Net z wer k zu
koordinieren.
In allen internationalen Empfehlungen als prio –
ritäres Ziel beschrieben, hat die Frühdiagnose
Notfallcharakter, denn die Zeit, die verstreicht,
bis die notwendigen Massnahmen umgesetzt
sind, bereitet den Weg für Komplikationen.
Zudem kann auf Grund der Plastizität des
kleinkindlichen Gehirns eine signifikante Beein –
flussung der Entwicklung erwartet werden.
Das Centre Cantonal Autisme entwickelt der –
zeit, im Rahmen der kantonalen Gesundheits –
politik, kantonale Strukturen zur Frühinter –
vention, die sehr jungen Kindern (18 bis 36
Monate) eine intensive Entwicklungsbeglei –
tung vom Typ Early Start Denver Model
18 ) an-
bieten können.
Diagnostik beim Schulkind ohne
Intelligenzdefizit
Sofern zuvor nie erwähnt, kann die Diagnose
die Situation entspannen, indem verwirrende
Verhaltensweisen eines Kindes, das offenbar
üb er alle Fähigkeiten ver f üg t um zu ler nen und
zu ver stehen, damit eine Er klär ung finden. Die
schulische Situation ist oft heikel, da das Kind
als Störefried, als unerzogen empfunden wird,
was in extremen Fällen zum Schulausschluss
führen kann.
Für die Elter n stellt die Diag nose of t das Ende
eines langen und mühsamen Hürdenlaufes
dar, während welchem sie alle verfügbaren
Ressourcen mobilisieren mussten, um einer –
seits die Besonderheiten ihres Kindes (insbe –
sondere problematisches Verhalten) zu meis –
tern und andererseits die Kritiken ihrer
Umgebung auszuhalten. In diesem Zusam –
menhang hat das Aussprechen der Diagnose
Autismus oft eine rettende Wirkung, aller-
dings unter der Bedingung, dass die Neben –
wirkungen des autistischen Verhaltens rasch
durch adäquate Massnahmen eine Lösung
finden.
Diagnostik des Kindes mit Intelligenz –
defizit in Sonderschulung
Diese Situation wird noch angetroffen, sollte
aber mit der Zeit verschwinden. Ziel der Au –
tismusdiagnostik ist es in diesem Fall, Einblick
in die autismusbedingten, die Entwicklung
zusätzlich zum Intelligenzdefizit behindernden
Faktoren zu verschaffen. Es soll damit ein
Anpassen der pädagogischen Massnahmen
ermöglicht werden, insbesondere alternative
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTabinTo.,ST,e(chtorTSe(olrTab
21
lungsrückstand, spezifische Sprachstörungen
und nicht autistische Entwicklungsstörungen.
Es fällt manchmal schwer, diese Krankheits-
bilder zu unterscheiden, insbesondere da sie
assoziiert auftreten können: Hat das Kind mit
einem Entwicklungsrückstand Schwierigkei –
ten zu kommunizieren, weil es ihm an Mitteln
dazu fehlt oder weil es zusätzlich an ASS lei-
det? Von der spezifischen Sprachstörung,
einst Ausschlussdiagnose, wird heute ange –
nommen, dass sie mit ASS koexistieren kann.
Später können soziale Schwierigkeiten des
Kindes auch im Rahmen von ADHS, intellek-
tueller Frühreife, Gilles de la Tourette Syn-
drom oder Zwangsstörungen auftreten.
Beim Jugendlichen mit sozialer Ausgrenzung
müssen ASS von Sozialphobie, depressiven
Störungen oder psychotischen Episoden im
Rahmen einer Schizophrenie unterschieden
werden. In diesem Zusammenhang kann die
anamnestische Suche nach dem zeitlichen
Auftreten der Störungen, nach Zeichen in der
frühen Kindheit oder Einnahme toxischer,
halluzinogener oder Wahnvorstellungen er –
zeugender Substanzen die diagnostischen
Überlegungen leiten.
Die Diagnose – und was weiter?
Der Frühdiagnose muss eine unmittelbare
Intervention folgen, in Form einer beim Klein –
kind empfohlenen Methode (z.
B. E
arly Start
Denver Model
18 )). Idealerweise ist diese glo –
bal, intensiv, individuell angepasst und wird
dur ch alle Per sonen angewendet , die sich mit
dem Kind befassen. Ziel ist es, alle Entwick-
lungsbereiche zu stimulieren, unter besonde –
rer Berücksichtigung der Kommunikation. Es
soll eine möglichst normale Entwicklung er –
reicht oder angestrebt werden.
Beim älteren Kind wird das weitere Vorgehen
durch die diagnostischen Schlussfolgerungen
und das Funktionieren des Kindes bestimmt.
Es kann darum gehen, Kommunikationshilfen
einzuführen (visuelle Hilfen, PECS
19 ), Unter –
stützung durch Gestik usw.), durch Psycho –
motorik einen harmonischen Gebrauch des
Körpers oder mittels Ergotherapie gezieltes
Handeln zu fördern, durch individuelle Beglei –
tung o der dur ch B eteiligung an einer Übungs –
gruppe Sozialisationshilfen zu bieten.
Auf jeden Fall sind Anerkennung der ASS und
Kenntnis der individuellen Ausdrucksformen
eine wertvolle Hilfe, um das betroffene Kind
in seiner Entwicklung zu führen, um Kompli-
kationen vorzubeugen und seine Bezugsper –
sonen bei der Erziehung zu unterstützen, und
so seine Beteiligung am Familien- und Sozial –
leben zu erleichtern.
In allen Phasen dieses Prozesses spielt der
Kinderarzt eine entscheidende Rolle:
–
Erk
ennen von Warnzeichen schon im frü –
hesten Alter, Berücksichtigen der Befürch –
tungen der Eltern
–
Elt
ern begleiten und dazu bringen, eine Ab –
klärung der Entwicklung ihres Kindes durch
ein spezialisiertes Team zu akzeptieren
–
Ein
bringen seiner Kenntnisse von Kind und
familiärem Umfeld anlässlich der pluridis –
ziplinären Synthese, bei welcher die geeig –
netste Vorgehensweise geplant wird
–
Unt
erstützen der Familie in Anschluss an
die Diagnosestellung
–
Die
Umsetzung der empfohlenen Massnah –
men und die Entwicklung des Kindes über –
wachen, B egleitung der Elter n und Hilfe b ei
Formalitäten (Aufnahme in Kinderkrippe,
IV-Anmeldung usw.)
–
Ber
atung der Eltern in Schlüsselphasen, bei
wichtigen Entscheiden.
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Korrespondenzadresse
Dre Sabine Manificat
Médecin adjointe
Allières
Av. de Beaumont 23
CH-1011 Lausanne
Sabine.manificat@chuv.ch
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit die –
sem Beitrag deklariert.
2lungsrggücngsggskta
2lungsrücktadcns, c,pezifinuc penhuckt
Weitere Informationen
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Sabine Manificat