Der vordere Knieschmerz ist eines der häufigsten und bekanntesten orthopädischen Probleme bei Kindern und Jugendlichen. Vielfach treten diese Beschwerden beim Sport auf. Sport ist eine bedeutsame Freizeitaktivität für Kinder und Jugendliche. Er ist wichtig zur Gesundheitsprävention, Charakterbildung und erhöht nebenbei die soziale Integration wie auch Kompetenz. Neben positiven Effekten kann der Sport jedoch Beschwerden am Bewegungsapparat begünstigen, welche therapieresistent sein können und oft zu wiederholten Konsultationen führen1). Obwohl Kinder und Jugendliche sich zwar häufiger verletzen als Erwachsene, sind diese Verletzungen meist weniger schwerwiegend. Überlastungen des Bewegungsapparates nehmen in diesem Zusammenhang eine prominente Stellung ein, allen voran das Kniegelenk.
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Der vordere Knieschmerz ist eines der häu-
figsten und bekanntesten orthopädischen
Probleme bei Kindern und Jugendlichen. Viel –
fach treten diese \beschwerden beim Sport
auf. Sport ist eine bedeutsame Freizeitaktivi –
tät für Kinder und Jugendliche. Er ist wichtig
zur Gesundheitsprävention, Charakterbildung
und erhöht nebenbei die soziale Integration
wie auch Kompetenz. Neben positiven Effek –
ten kann der Sport jedoch \beschwerden am
\bewegungsapparat begünstigen, welche the –
rapieresistent sein können und oft zu wieder –
holten Konsultationen führen
1). Obwohl Kinder
und Jugendliche sich zwar häufiger verletzen
als Erwachsene, sind diese Verletzungen
meist weniger schwerwiegend. Überlastungen
des \bewegungsapparates nehmen in diesem
Zusammenhang eine prominente Stellung ein,
allen voran das Kniegelenk
2).
Morbus Osgood-Schlatter/Sinding-
Larsen-Johansson
A ls b ekannteste Üb er lastung ver steht sich der
Morbus Osgood-Schlatter. \benannt nach den
z wei Er stb eschr eib er n stellt er eine Tr ak tions –
Apophysitis an der Tuberositas tibiae dar
3).
Repetitive exzentrische \belastung des M.
quadriceps femoris am Verknöcherungskern
der Tuberositas tibiae – typischerweise bei
Der belastungsabhängige vordere
Knieschmerz bei Jugendlichen
Carlo Camathias, \bernhard Speth, Erich Rutz, \basel
Fussballern und Tennisspielern – führt zur
Avulsion
4). Die minimalen aber repetitiven
Traumata entzünden die Apophyse chronisch
und können eine aseptische Knochennekrose
hervorrufen
1). Der Morbus Osgood-Schlatter
wird vor allem während des pubertären
Wachstumsschubes im Alter von etwa 8 bis
15 Jahren beobachtet. Knaben sind etwas
häufiger betroffen
5). Ähnlich präsentiert sich
beim Morbus Sinding-Larsen-Johansson die
Symptomatik am distalen Pol der Patella. \bei
beiden Erkrankungen wird die verkürzte Qua –
driceps-Muskulatur ursächlich als Risikofak –
tor angenommen. In der Klinik lässt sich das
Problem meist leicht einkreisen. Die Schmer –
zen können klar über der Tuberositas tibiae
oder der Patellaspitze lokalisiert werden.
Vielfach fällt eine Verdickung der Tuberositas
beim M. Osgood-Schlatter auf, eine Schwel-
lung, welche das Knien auf harter Unterlage
erschwert. Der M. rectus femoris ist meist
verkürzt und schmerzt in dessen funktioneller
Tes tu ng
5).
Ein Röntgenbild ist grösstenteils nicht not –
wendig ( Aus schlus s Neoplasie o der Osteomy –
elitis), pathognomonisch ist jedoch die Frag –
mentation des Ansatzes des Ligamentum
patellae (Abb. 1). Das Pendant an der Patella
–
sp
itze zeigt zeitweise eine Osteolyse am Ort
des Schmerzes. Die Osteolyse ist wiederum
pathognomonisch für den M. Sinding-Larsen-
Johansson. Selbstredend sollten Neoplasien
ausgeschlossen werden, wobei in jenen Fällen
meist der Ruhe- oder Nachtschmerz symp –
tomführend ist
1).
Differentialdiagnostisch bietet der M. Os –
good-Schlatter meist keinen Grund für weite-
re Abklärungen. Trotzdem sollte man Osteo –
myelitiden oder Tumore nicht vergessen. Der
M. Sinding-Larsen-Johansson verhält sich
etwas variabler. Diese Pathologie ist extraar-
tikulärer Natur. Wichtig hingegen ist hier die
Unterscheidung gegenüber intraartikulären
Pathologien. Auch eine vollständige klinische
Knie-Untersuchung kann in manchen Fällen
nicht alle Zweifel an der Diagnose ausräumen.
In diesen Fällen kann eine intraartikuläre In –
filtration mit Lokalanästhetika die Situation klären. Nach Infiltration schmerzt der M.
Sinding-Larsen-Johansson weiterhin. Kann
der Verdacht der intraartikulären Genese
weiterhin nicht ausgeräumt werden, besteht
die Indikation zur MRT-Untersuchung. Patho
–
logien mit ähnlicher Symptomatik: Os –
teochondrosis dissecans, Hoffa-Fettkörper-
Impingement, Plica-Impingement, anteriore
Meniskusläsion, Jumper’s knee.
Der Morbus Osgood-Schlatter und Sinding-
Larsen-Johansson sind eine Domäne der
konservativen \behandlung
6). Ziel ist es, den
Zug der Muskulatur an der Tuberositas, bzw.
Patella zu vermindern. Die Physiotherapie
versucht hier dehnend und kräftigend auf die
Muskulatur einzuwirken. Seit einigen Jahren
propagieren wir das sogenannte Strickland-
Protokoll
7). Es handelt sich um eine Kombina –
tion aus Massagen, Dehn- und Kräftigungs-
übungen. Faszien-Techniken unterstützen die
\behandlung. Evidenz für diese Therapie liegt
momentan nicht vor. Aus unserer eigenen
klinischen Tätigkeit lässt sich jedoch ein po –
siti ves \b ild zeichnen. Sp or t sollte in je dem Fall
für mindestens einen Monat sistiert werden.
Sind danach keine oder nur wenige Schmer-
zen vorhanden, darf das Sportpensum teilwei –
se aufgenommen werden. \bei Schmerzpersis –
tenz ist eine 3 – 4 wöchige Gipsruhigstellung
zu erwägen.
Trotz allen \bemühungen sind Verläufe über
den Wachstumsabschluss hinaus bekannt.
Chirurgische Massnahmen bilden auch bei
diesen Patienten die Ausnahme
8).
Femoropatelläres Schmerzsyndrom
im Rahmen einer Überlastung des M.
tibialis posterior bei \bnick-Senkfuss
Die oben genannten zwei Pathologien präsen –
tieren meist ein relativ scharf abgegrenztes
punctum maximum der Schmerzen. Häufiger
Grund für eine Konsultation beim Arzt stellen
aber diffusere, peripatelläre Schmerzen dar.
Typischerweise treten diese \beschwerden
während oder nach einer sportlichen \betäti –
gung auf. Die \beschwerden konzentrieren sich
meist medial der Kniescheibe. Über die Ursa –
chen des Leidens wird bereits seit Langem
gerätselt. So werden Unregelmässigkeiten
des retropatellären Knorpels (Chondropathia
patellae), bis hin zu Torsionsanomalien des
Ober- und Unterschenkels verantwortlich
gemacht
1).
Sicher ist, dass während der Adoleszenz Kör –
pergewicht und Hebelarme der Muskulatur
ändern. Ein Ungleichgewicht, sei es durch
eine ungenügende Muskulatur, kann zu Über –
Abbildung 1: Konventionelles Röntgenbild
(Knie lateral) bei einem Patienten mit M. Os-
good-Schlatter. Der Pfeil zeigt auf den Ansatz
des Lig. patellae an der Tuberositas tibiae,
welche typischerweise fragmentiert ist.
1Prof. ffRTofaff.bai
1Prof. RTabin,R.Sor.e(chitrocPl,R.h
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lastungen und damit zu Schmerzen führen.
Die \bildgebung des Kniegelenkes präsentiert
meist einen Normalbefund.
Auffallend häufig zeigt sich in unserer tägli-
chen Praxis ein anderes Phänomen: ungenü-
gendes Schuhwerk. Jugendliche favorisieren
momentan im hohen Masse Turnschuhe im
sogenannten «barfuss» oder «minimal» Stil.
Diese Turnschuhe (z. \b. Nike Free
®) zeichnen
sich durch eine weiche, instabile \bauart aus.
Der Fuss soll in diesen Schuhen maximale
\beweglichkeit erhalten und ein Gefühl des
natürlichen \barfusslaufens ermöglichen. In
der Sportwelt feiert man diese Schuhe als
Errungenschaft, die ein energieeffizientes
Laufen auf dem Vorfuss ermöglichen. Der
Laufstil benötigt jedoch einen höheren Kraft –
aufwand der Unterschenkelmuskulatur, vor
allem des M. tibialis posterior
9). Was beim
Sport durchaus Sinn macht, kann sich bei
alltäglicher Anwendung negativ auswirken. So
wird der Turnschuh bei Jugendlichen nicht
mehr als Sportgerät angesehen, sondern als
modisches Accessoire, das jederzeit getragen
wird. Problematisch erweist sich der Schuh,
wenn ein Knick-Senkfuss sichtbar wird, der
nur in Schuhen, jedoch nicht barfusslaufend
festgestellt wird (Abb. 2).
Der funktionelle Knick-Senkfuss steigert die
Aktivität des Musculus tibialis posterior und
überlastet damit vielfach
10 ). Der überlastete Muskel schmerzt, strahlt ins Kniegelenk und
verursacht den typischen vorderen Knie
–
schmerz. Der Unterschenkel dreht leicht nach
innen, möglichweise wird ein Kneeing-in
sichtbar.
Klinisch kann die Überlastung des M. tibialis
posterior einfach getestet werden. Der Pati –
ent steht au f dem b etrof fenen \b ein, stellt sich
auf die Zehenspitzen und beugt gleichzeitig
das Kniegelenk. Ist der Muskel überlastet
schmerzt einerseits das \bein, andererseits
verspürt der Patient die typischen Schmerzen
im Kniegelenk. Gleichzeitig besteht eine aus –
geprägte Druckdolenz beim sitzenden Patient
über der tibialis posterior Muskelloge, teilwei-
se bis zum Ansatz der Muskulatur am Fuss.
Differentialdiagnostisch müssen auch hier
intraartikuläre Pathologien ausgeschlossen
werden, gegebenfalls mit einer \bildgebung
und intraartikulären Infiltration. Nicht verges –
sen sollte man Stressfrakturen der Tibia.
Gerade bei sportlich aktiven Jugendlichen
oder Patienten, welche ein minimales Trauma
erfahren, kann die Fraktur verpasst werden.
Die Symptomatik präsentiert sich häufig ähn –
lich, stellt aber eine grössere diagnostische
und therapeutische Herausforderung dar.
\besteht der Verdacht, sollte nicht mit klären –
der Diagnostik wie der MRT gespart werden.
Die Therapie der Überlastung des M. tibialis
posterior ist denkbar einfach: stabilere
Schuhe. Kann mit der Massnahme kein Erfolg
erzielt werden, empfiehlt sich die Anpassung
von Schuheinlagen mit medialer Abstützung
und Rückfussvarisierung. Die Einlagen sollte
man in jedem Fall kontrollieren und gegeben –
falls korrigieren.
Zusammenfassung
Der vordere Kniesschmerz bei Kindern und
Jugendlichen mit Überlastungen des \bewe –
gungsapparates sind häufig. Die genaue Dia –
gnose kann meist durch einen genauen klini –
schen Untersuch gestellt werden. Die
funktionelle \betrachtung vereinfacht die wei –
tere Therapie. Die \behandlung ist in den
überwiegenden Fällen konservativ.
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Korrespondenz
PD Dr. med. Carlo Camathias
Orthopädie, Universitätskinderspital beider
\basel (UK\b\b)
Postfach, Spitalstrasse 33
CH- 4056 \basel
carlo.camathias @ ukbb.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem \beitrag deklariert. Abbildung 2: A: Der Patient zeigt ein normales Abrollen barfusslaufend. Keine Hinweise für
einen Knick-Senkfuss. \b: Der Fuss des gleichen Patienten knickt in weichem Schuhwerk in der
Standphase ab. Rot eingezeichnet ist jeweils die anatomische Achse des Unterschenkels und
des Rückfusses.
1Prof. ffRTofaff.bai
1Prof. RTabin,R.Sor.e(chitrocPl,R.h
Weitere Informationen
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Autoren/Autorinnen
C. Camathias Bernhard Speth Erich Rutz