Ab 34 ist eine Geburt in der Gebärabteilung einer Klinik ohne Neonatologie-Abteilung möglich, sofern das entsprechend geschulte Personal und die besonderen Einrichtungen dafür vorhanden sind (siehe Punkte 2 und 3).
Empfehlungen / Recommandations
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Vol. 16 No. 1 2005
Ziel dieser Empfehlungen
Fünf bis 10% aller Neugeborenen kommen
zwischen 34 0/7und 36 6/7Schwangerschafts-
wochen auf die Welt. Grundsätzlich können
diese Geburten in der Gebärabteilung einer
Klinik ohne angeschlossene Neonatologie-
Abteilung stattfinden. Im Vergleich zu Ter-
mingeborenen (37
0/7bis 41 6/7SSW) haben
Frühgeborene dieser Altersgruppe gehäuft
Anpassungsstörungen (Abb. 1) und bedürfen
deshalb unmittelbar nach der Geburt und
während der ersten Lebenstage einer in-
tensiveren ärztlichen und pflegerischen Be-
treuung. Mit diesen Empfehlungen sollen da-
für minimale Standards festgelegt werden.
1. Entbindung in einer Klinik
ohne angeschlossene
Neonatologie-Abteilung
Ab 34
0/7ist eine Geburt in der Gebärabteilung
einer Klinik ohne Neonatologie-Abteilung
möglich, sofern das entsprechend geschulte
Personal und die besonderen Einrichtungen
dafür vorhanden sind (siehe Punkte 2 und 3).
Bestehen jedoch zusätzliche Risiken für eine
gestörte postnatale Adaptation, ist eine Ver-
legung vor der Geburt in die Gebärabteilung
einer Klinik mit angeschlossener Neonatolo-
gie-Abteilung zu erwägen. 30% bis 50% der
Frühgeborenen mit 34
0/7bis 34 6/7SSW und
10% bis 20% der Kinder mit 35 0/7bis 35 6/7
SSW müssen nach der Geburt wegen einer
oder mehrerer Anpassungsstörungen in eine
Neonatologie-Abteilung verlegt werden.
Ein Frühgeborenes verbringt deutlich länger im
Spital als ein Termingeborenes, bis es nach
Hause entlassen werden kann (siehe Tabelle 1).
2. Personelle Voraussetzungen
● Speziell geschulte Hebammen und Pfle-
gende
● Ein Kinderarzt* (mit Neonatologie-Er-
fahrung) wird vor jeder drohenden Früh-geburt informiert und ist bei der Geburt
anwesend oder kurzfristig abrufbar.
● Tägliche Arztvisite auf der Wochenbett-
station mit Beurteilung des Kindes. Wird
ein Kind kontinuierlich mit einem Moni-
tor überwacht, muss eine Pflegefachfrau
innert 30 Sekunden beim Kind sein kön-
nen (der Mutter allein kann die Verant-
wortung nicht überlassen werden).
3. Apparative Voraussetzungen
● Tisch mit Wärmelampe und/oder ge-
heizter Unterlage zur Überwachung der
Adaptation und zur Erstversorgung
● Luft-Sauerstoff-Mischgerät (Blender)
empfehlenswert
● Inkubator mit Oxymeter (Gerät zur Mes-
sung der Sauerstoffkonzentration) zurÜberwachung bei Anpassungsstörun-
gen
● Für Neugeborene geeignetes Pulsoxyme-
ter
● Möglichkeit der Messung von Blutgasen,
Blutzucker und Hämatokrit aus Kapillar-
blut in unmittelbarer Nähe
● Wärmebett zur Prophylaxe einer Hypo-
thermie
4. Kriterien für Verlegung
in neonatologische Abteilung
● Frühgeborenes < 34–35 SSW
● Geburtsgewicht < 1 800–2 000 g
● Mutter Trägerin von Streptokokken der
Gruppe B ohne adäquate antibiotische
Prophylaxe (www
.neonet.c h)
● Infektrisiko (Fieber der Mutter sub partu,
Blasensprung mehr als 18 Stunden vor
Geburt usw.) und klinische Auffälligkeit
nach Geburt
● Progredientes Atemnotsyndrom
● Atemnotsyndrom ohne deutliche Bes-
serung 4 Stunden nach Geburt
● Hypothermie < 35,5°
● Persistierende Hypoglykämie (Blutzucker
< 2,5 mmol/l nach Maltodextringabe)
● Bilirubinanstieg >10 µmol/l pro Stunde
● Anämie (Hkt < 40%) oder Polyglobulie
(venöser Hämatokrit > 65%) (Messung
Betreuung von Frühgeborenen
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0/7 bis 36 6/7 Schwangerschaftswochen
Diskutiert in Gruppen an der Frühjahrsversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für
Neonatologie am 4. 6.2004 in Bern
Vorbereitung und Schlussredaktion durch eine Arbeitgruppe, bestehend aus:
P. Baeckert, Zollikerberg; C. Bigler, Bern; H.U. Bucher, Zürich; V. Büttiker, Zürich;
P. Donati, Bellinzona; M. Nelle, Bern; H. Malzacher, St. Gallen; R. Pfister, Genf
* selbstverständlich sind Kinderärztinnen eingeschlossen Abbildung 1: Häufigkeit von Anpassungsstörungen in Abhängigkeit vom Gestationsalter Szabo P.; Arlettaz R.; Bucher H.U., Jahresversammlung Schweiz. Gesellschaft für Pädiatrie, 2002 Fribourg
Tabelle 1: Wie lange bleiben Frühgeborene im Spital bis sie nach Hause
entlassen werden können?
(Szabo et al . 2002)
Gestationsalter Hospitalisationsdauer (Tage)
bei Geburt 25. Perzentile 50. Perzentile 75. Perzentile
34 0/7bis 34 6/7S S W 13 16 19
35
0/7bis 35 6/7SSW171213
36
0/7bis 36 6/7SSW 171910
Atemnotsyndrom
Hypoglykämie
Rezidiv. Apnoen
Bakterielle Sepsis
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Vol. 16 No. 1 2005 Empfehlungen / Recommandations
nur auf klinische Indikation, nicht bei al-
len Frühgeborenen)
● Einmalige Apnoe (Zyanoseanfall unab-
hängig von der Nahrungsaufnahme)
● Gewichtsabnahme von mehr als 10% des
Geburtsgewichtes
5. Primäre Adaptation
Die schweizerischen Empfehlungen zur Be-
treuung von Neugeborenen bei Geburt gel-
ten auch bei Frühgeborenen ab 34
0/7SSW
(www
.neonet.c h). Da bei Frühgeborenen
vermehrt mit Atemproblemen, Temperatur-
problemen, Infektgefährdung und Hypogly-
kämien zu rechnen ist, muss vor jeder dro-
henden Frühgeburt der zuständige Pädiater
informiert werden. Dieser oder ein anderer
in der Erstversorgung von Neugeborenen er-
fahrener Arzt ist bei der Geburt anwesend.
6. Atmung
Atemstörungen sind häufig. Deshalb müssen
diese Kinder regelmässig überwacht und
mögliche behandelbare Ursachen abgeklärt
werden. Bei einer Verschlechterung muss
rechtzeitig eine Verlegung in eine Neonato-
logie-Abteilung in die Wege geleitet werden.
7. Wärme/Energie
Die zentrale Temperatur (Rektaltemperatur)
sollte zwischen 36,5° und 37,5° liegen. Nach
der Geburt und nach jedem Waschen muss
das Kind sorgfältig abgetrocknet werden, um
einer Abkühlung durch Verdunstung vorzu-
beugen. Das Kind kann der Mutter auf die
Haut gegeben (Stillversuch) und beide mit
einer warmen Decke zugedeckt werden
(Achtung auf Gesichtsfarbe!). Als Kleider ha-
ben sich Vliesanzüge bewährt. Ein Käppchen
aus Vliesmaterial verhindert wirksam eine
Abkühlung des Kopfes. Ein regulierbares
Wärmebett für die ersten zwei bis drei Le-
benstage ist optimal. Bettflaschen dürfen
wegen des Verbrennungsrisikos nicht ein-
gesetzt werden. Ist ein Kind unter 35,5° ab-
gekühlt oder lässt es sich nicht innert zwei
Stunden über 36,5° aufwärmen, so ist eine
Verlegung in eine Neonatologie-Abteilung in-
diziert.
8. Ernährung
Frühgeborene sollen so früh wie möglich,
spätestens bis zwei Stunden nach Geburt
eine 10%-Maltodextrin-Lösung (Frühernäh-
rung) trinken. Anschliessend sollten sie
mindestens alle 3–4 Stunden neben der Mut-
termilch je nach Situation (5)–10 ml Malto-
dextrin oder ein Muttermilch-Ersatzpräparaterhalten* (www
.swiss -paediatrics.org/pae –
diatrica/vol1 4/n4/alimnn -ge.html ). Für
Frühgeborene unter 35 0/7SSW ist eine adap-
tierte Milch neben der Muttermilch ab Geburt
empfehlenswert. Eine professionelle Still-
beratung ist wichtig.
9. Hypoglykämie
Wegen des erhöhten Hypoglykämie-Risikos
ist eine Bestimmung des Blutzuckers dreimal
vor je einer Mahlzeit indiziert. Ziel ist ein Blut-
zucker über 2.5 mmol/l. Bei einem Blutzuck-
er < 2.5 mmol/l und asymptomatischem
Kind wird Maltodextrin oder ein Muttermilch-
Ersatzpräparat verabreicht und eine Stunde
später der Blutzucker kontrolliert. Normali-
siert er sich nicht, ist der Pädiater zu infor-
mieren und eine Verlegung auf eine Neona-
tologie-Abteilung (Infusionsbehandlung) in
die Wege zu leiten (www
.neonet.c h).
10. Hyperbilirubinämie
Frühgeborene haben ein erhöhtes Risiko für
einen Kernikterus. Deshalb ist die Fotothera-
piegrenze tiefer als bei Termingeborenen an-
gesetzt (gemäss Empfehlungen 190 bis 240
µmol/l www
.neonet.c h). In den ersten 48 Le-
bensstunden ist eine Kontrolle der Hautfar-
be bezüglich Ikterus mindestens alle 8 Stun-
den und bei beginnendem Ikterus eine Kon-
trolle des Serumbilirubins indiziert. Besondere
Vorsicht ist bei dunkelhäutigen Frühgebore-
nen geboten. Die transcutane Bilirubinmes-
sung ist bei Frühgeborenen nicht etabliert.
11. Infekt
Ein Infekt kann die Ursache einer Frühgeburt
sein, weshalb eine anfänglich 4-stündliche,
dann 6–12-stündliche Überwachung während
mindestens 48 Stunden von Hautfarbe,
Verhalten, Atmung, Herzfrequenz und Tem-
peratur angezeigt ist. Ist die Mutter Trägerin
von Streptokokken der Gruppe B erhöht die
Frühgeburtlichkeit das Infektrisiko. Bei un-
genügender Antibiotikaprophylaxe (weniger
als 4 Stunden vor Geburt), zusätzlichen Ri-
skikofaktoren oder klinischen Infektzeichen
ist eine Verlegung des Kindes in eine Neona-
tologie-Abteilung indiziert (www
.neonet.c h).
12. Hautpflege
Die Haut von Frühgeborenen ist besonders
empfindlich. Deshalb sollen die Kinder zu-rückhaltend gebadet und milde Seifen mit
neutralem pH verwendet werden. Die Na-
belpflege erfolgt gleich wie bei Termingebo-
renen.
13. Kriterien, die für die Verlegung
des Kindes von der Gebärabteilung
auf die Wochenbettstation erfüllt
sein müssen
● Geburtsgewicht über 1800–2000 g
● Problemlose Adaptation
● Abgesehen von Frühgeburtszeichen un-
auffälliger Status
● Rektaltemperatur vor Verlegung > 36,5°
● Blutzucker > 2.5 mmol/l
14. Kriterien für die Entlassung
nach Hause
● Die Mutter ist in der Lage, Ernährung und
Versorgung des Kindes selber vorzu-
nehmen.
● Das Kind kann seine Rektaltemperatur
ohne äussere Wärmezufuhr über 36,5°
halten.
● Die Trinkmenge beträgt mindestens 10%
seines Körpergewichtes (100 ml / kg) pro
Tag und das Kind nimmt an Gewicht zu.
● Die klinische Untersuchung ergibt keine
Anhaltspunkte für dringende Abklärun-
gen oder Behandlungen.
● Die Mütter-Väter-Beratung ist den Eltern
bekannt und – falls es sich um das erste
Kind handelt – informiert.
● Ein erster Termin beim Kinderarzt im Al-
ter von zwei bis drei Wochen ist verein-
bart (früher als bei Termingeborenen).
* Der Schritt 6 der UNICEF-Empfehlungen zur Stillför-
derung (Gesunde Neugeborene benötigen grund-
sätzlich zur Muttermilch keine andere Nahrung oder
Flüssigkeit) gilt nur für Termingeborene und nicht für
Frühgeborene.
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Diskutiert in Gruppen an der Frühjahrsversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie , Diskutiert in Gruppen an der Frühjahrsversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie, Bern