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Choosing Wisely – Schweizer Kinderärzt:innen in der Behandlung der akuten Bronchiolitis auf dem richtigen Weg

In der Choosing Wisely Top 5-Liste für das Jahr 2021 empfiehlt die «pädiatrie schweiz» keine Bronchodilatatoren oder Steroide für die Behandlung der akuten Bronchiolitis einzusetzen.1) Eine kürzlich publizierte Studie zeigt, dass die Schweizer Kinderärzt:innen immer weniger Medi­ka­mente bei der akuten Bronchiolitis verwenden und sich auf dem richtigen Weg befinden.2)

Die akute Bronchiolitis ist bei Säuglingen die häufigste virale Infektionskrankheit der unteren Atemwege, deren natürlicher Verlauf durch Medikamente nicht wirksam beeinflusst werden kann.3,4) In den letzten 50 Jahren wurden verschiedenste Therapien wie ß2-Agonisten, Anti­choliner­gika, Steroide, Leukotrienrezeptor-Antagonisten, Antibiotika und Physiotherapie ausprobiert und untersucht, ohne dass ein relevanter Einfluss auf den Krankheitsverlauf gezeigt werden konnte.5–10) Eine erste Umfrage in der Schweiz im Jahre 2001 zeigte, dass diese Medikamente dazumal sehr häufig eingesetzt wurden.11) Daraufhin veröffentlichte die Schweizerische Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie (SGPP) im Jahre 2003 die erste nationale Guideline zur «Behand­lung der akuten Bronchiolitis im Säuglingsalter».12) In dieser wird vom Einsatz all dieser Medika­men­ten abgeraten und nur eine unterstützende Behandlung mit zusätzlichem Sauerstoff, Flüssigkeits­management und Atemunterstützung bei Bedarf empfohlen. Eine weitere Umfrage unter Kinderärzte:innen im Jahre 2006 zeigte bereits einen Rückgang in der Verschreibungspraxis dieser Medi­kamente.13) Seither wurden mehrere inter­nationale Leitlinien mit ähnlichen Empfehlungen veröffentlicht.14–16)

Neuste Umfrage in der Schweiz

Im November/Dezember 2019 fand erneut eine Umfrage zur Behandlung der akuten Bronchiolitis bei allen Kinderärzten:innen in der Schweiz statt, die aber erstmals online durchgeführt wurde.2) Als Grundlage dienten die Fragen aus der Erhebung von 2001 und 2006, wobei neu auch Fragen zu Diagnostik und Management ergänzt wurden. Von den 1618 kontaktierten Kinderärzten:innen nahmen 55% an der Umfrage teil, was einer vergleichbaren Rücklaufquote der früheren Umfragen entsprach (2001: 58%; 2006: 54%).

Im Vergleich zu den früheren Erhebungen fand sich ein weiterer ­signifikanter Rückgang in der Verschreibung von Medikamenten aber auch Physiotherapie sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich (Abbildung 1). Haben im Jahr 2001 noch 55% der Spital-Pädiater angegeben, Bronchodilatatoren immer einzusetzen, ist Ihr Anteil in der letzten Umfrage auf 1% gesunken. Im ambulanten Bereich haben 2001 noch 61% nach eigenen Angaben Broncho­dilatatoren immer verschrieben, im Jahr 2019 waren es nur noch 9%. Der Einsatz von Steroiden ist ebenfalls deutlich zurückgegangen: Der Anteil der Praxis-Pädiater, welche niemals Steroide einsetzen, wuchs von 7% im Jahre 2006 auf 62% im Jahr 2019; im Spital fand sich ein Anstieg von 15% auf 46%. Eine ähnliche Tendenz zeigte sich in der Verschreibungs­praxis von Antibiotika und Atem­physio­therapie. Haben im Jahr 2001 noch 4% der Kinder­ärzte:innen immer Physiotherapie im ambulanten Bereich verschrieben, waren es in der letzten Umfrage nur noch 2%. Im stationären Bereich fiel der Anteil im gleichen Zeitraum von 42% auf 5%. Zwar verordnen immer noch 53% der Kinderärzte:innen Bronchodilatatoren (i.d.R. Ventolin®) im ambulanten und 38% im stationären Bereich, aber die meisten brauchen diese nur manchmal und nicht mehr regelmässig. Steroide werden vergleichs­weise deutlich weniger verschrieben (23% im Spital versus 37% im ambulanten Bereich).

Abbildung 1. Vergleich der Anwendung von Bronchodilatatoren, Steroiden, Antibiotika und Physiotherapie für Säuglinge mit akuter Bronchiolitis (A) im ambulanten Bereich und (B) im Spital 2001, 2006 und 2019 (modifiziert nach Referenz2))

Sowohl im ambulanten Bereich als auch (im geringeren Masse) im Spital verschreiben ältere Kolleginnen und Kollegen häufiger Steroide als jüngere Kinderärzte. Diese Tendenz wurde auch für die Verschreibungspraxis von Bronchodilatatoren in der Praxis beobachtet. Deutsch­sprachige Kinder­ärzte verschrieben im ambulanten Bereich seltener Physiotherapie als die französisch- und italienisch­sprachigen Kollegen:innen, hingegen mehr Steroide. Pädiatrische Pneumologen verordneten seltener Bronchodilatatoren und Physiotherapie als Pädiater mit einer anderen oder keiner Subspezialisierung.

Was machen andere Länder?

International gibt es nur wenige vergleichbare Daten. Frühere internationale Studien berichteten ebenfalls über einen hohen Einsatz von Medikamenten.17,18) Nach zahlreichen Publikationen über die Unwirksamkeit von Therapien im Management der akuten Bronchiolitis5–10) sowie verschiedenen Guidelines14–16) zeigt sich international ein ähnlicher Trend wie in der Schweiz: In einer aktuellen amerikanischen Studie sank der Einsatz von Bronchodilatatoren von 51% im Jahre 2010 auf 23% im 2019.19) Eine andere amerikanische Studie zeigte ebenfalls einen Rückgang in der Verschreibung von Bronchodilatatoren und Steroiden seit 2006, mit einem deutlichen Abfall nach einem Update der American Academy of Pediatrics Guidelines.20)

Was bedeuten diese Resultate für die Praxis?

Neben dem erfreulichen Rückgang von unnützen Therapien in der Behandlung der akuten Bronchiolitis, hat unsere letzte Umfrage aber auch gezeigt, dass immer noch viele unwirksame Therapien verschrieben werden und weitere Anstrengungen notwendig sind. Eine Zusammenfassung über empfohlene und nicht-empfohlene evidenz-basierte Therapien in der Behandlung der akuten Bronchiolitis sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Tabelle 1. Evidenz-basierte Behandlung der akuten Bronchiolitis

Die Veröffentlichung von Leitlinien allein ist nicht ausreichend, um nachhaltige Verhaltens­änderungen in der Verschreibungspraxis zu erreichen21,22) In der letzten Umfrage haben wir die möglichen Ursachen für eine «Non-adherence» nicht untersucht, was aber Gegenstand einer zukünftigen Studie sein sollte. Andere Publikationen führen eine ablehnende Einstellung und eine mangelnde Zustimmung zu Empfehlungen als Hindernis für eine Verhaltens­änderung auf.23–26) Sinnvoll ist sicher eine intensivere Schulung an Universitäten und Lehrkrankenhäusern; dies scheint nachhaltiger zu sein, als der Versuch, ein etabliertes Verhalten der älteren Generation zu ändern.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Verschreibungspraxis sind die Eltern, welche häufig auf eine Therapie drängen. Auch das kann dazu verleiten, unwirksame Medikamente zu verschreiben.17) Aus diesem Grunde hat die SGPP bereits 2007 ein Eltern­informationsblatt «Bronchiolitis» (Abbildung 2) in den drei Hauptsprachen Deutsch, Französisch und Italienisch verfasst. Dieses Merkblatt soll die Eltern über eine evidenzbasierte Behandlung der akuten Bronchiolitis informieren und sie davon abhalten, verschiedene Ärzte aufzusuchen, bis sie die von Ihnen erwartete Behandlung erhalten («doctor shopping»).27,28)  Leider benutzen fast zwei Drittel der Kinderärzte:innen in der Praxis und im Spital dieses Merkblatt nicht, wie unsere letzte Umfrage zeigte.

Abbildung 2. Bronchiolitis – Elternmerkblatt SGPP Version 2017
http://www.sgpp-sspp.ch/de/bronchiolitis.html

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den letzten zwei Jahrzehnten ein erfreulicher Rückgang der Verschrei­bungen von unwirksamen Therapien in der Behandlung der akuten Bronchio­litis im Säuglingsalter zu beobachten ist. AbUm diesen Trend zu stärken, werden jedoch auch in Zukunft weitere Anstrengungen, wie z.B. die Choosing Wisely Top 5-Liste, notwendig sein.

Dank

Wir möchten nochmals allen Kinderärzten:innen danken, die sich die Zeit genommen haben, die Umfrage zu beantworten, und damit diese Studie ermöglicht haben.

Referenzen

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  2. Hartog K, Ardura‐Garcia C, Hammer J, Kuehni CE, Barben J. Acute bronchiolitis in Switzerland – Current management and comparison over the last two decades. Pediatric Pulmonology. 2021 Dec 17:ppul.25786. doi:10.1002/ppul.25786
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Weitere Informationen

Interessenkonflikt:
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Katharina Hartog Pneumologie, Ostschweizer Kinderspital, St Gallen

PhD. MD.  Cristina Ardura-Garcia Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern, Bern

Prof. Dr. med.  Jürg Hammer Abteilung für Pneumologie und Intensivmedizin, Universitäts-Kinderklinik beider Basel

Prof. Dr. med.   Claudia E. Kuehni Leiterin Bereich Pädiatrische Epidemiologie Fachärztin Pädiatrie (FMH), Schwerpunkt Pädiatrische Pneumologie (FMH) Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Bern

Prof. Dr. med.  Jürg Barben Leitender Arzt Pädiatrische Pneumologie/Allergologie Ostschweizer Kinderspital, St Gallen