Fachzeitschrift >

Apophysen – die Achillesferse junger Sportler

Sportliche Belastungen führen bei Kindern und Adoleszenten aufgrund des noch nicht ausgereiften Skelettes zu unterschiedlicheren Verletzungsmustern als bei Erwachsenen. Letztere sind häufig von akuten Muskelfaserrissen, Bandverletzungen oder unmittelbaren Sehnenschäden betroffen1). Demgegenüber verfügen Bänder und Sehnen von Kindern und Jugendlichen über eine hohe Zugfestigkeit und Regenerationsfähigkeit dafür vergleichsweise fragile knöcherne Anhaftungspunkte. Daher muss bei akuten Verletzungen und bei Überbelastungsbeschwerden junger Sportler stets an die Wachstumszonen, sprich an die Epiphysen und an die Apophysen gedacht werden, da diese Regionen die anatomischen Schwachstellen des wachsenden Körpers darstellen2).

Im folgenden Text liegt der Fokus auf den Störungen der Apophysen des heranwachsenden Sportlers.

Anatomische Grundlagen

Apophysen sind sekundäre Ossifikationszentren, die beim wachsenden Jugendlichen bei knöchernen Strukturen vorkommen, an denen grössere Sehnen ansetzen. Die Apophysen selber sind vor allem in raschen Wachstumsphasen resisentzgemindert u.a. durch den Einfluss einer erhöhten endogenen Somatotropin-Produktion1). Zudem erhöht das ossäre Wachstum den Zug auf die Apophyse durch eine relative muskuläre Verkürzung aufgrund der sich immer neu präsentierenden Dimensionen zwischen zunehmender Knochen- und im Verhältnis relativ verkürzter Muskellänge. Wiederholte sportliche Belastung sowie allfällige Schmerzen führen zu einem muskulären Hartspann und damit zu weiteren muskulären Verkürzungen. Zusätzlich nimmt ausserdem die Kraft der Muskeln aufgrund der Hormonwirkungen in der Pubertät zu. Dies führt in der Gesamtheit dazu, dass Apophysen anfällig sind für Überbelastungsbeschwerden aber auch für traumatische Verletzungen. Betroffen sind tendenziell sportliche Kinder- und Jugendliche im Wachstumsschub. Eher selten sind Heranwachsende tangiert, die sich vergleichsweise weniger bewegen.

Apophysen-Überbelastung

Ursache für eine Überbelastung von Apophysen ist eine repetitive Traktionsbelastung, die aufgrund von chronischen Mikrotraumata zu einer regionalen Entzündungsreaktion führen. Häufigste Lokalisationen sind Knie, Fersen und Basis des Os metatarsale V.

Der Morbus Osgood-Schlatter (MOS) oder Apophysitis tuberositas tibae stellt dabei die wohl bekannteste Apophysitis dar. Der M. quadriceps femoris übt über die Patella, die für die kraftvolle Knieextension als Hebel dient, via Patellarsehne eine Traktion auf die Tuberositas tibiae aus. Der Altersgipfel dieser Beschwerden liegt bei Jungen zwischen dem 13.-14. und bei Mädchen zwischen dem 10.-11. Lebensjahr3).

Quasi als ‘kleiner Bruder’ des MOS gilt der Morbus Sinding-Larsen-Johansson, wobei die Apophysenreizung hier im Bereich des Patellaunterpols bei gleicher Zugbelastung wie beim MOS durch den M. quadriceps femoris entsteht. Allerdings besteht die apophysäre Reizung am proximalen Anteil der Patellarsehne. Die betroffenen Kinder sind dabei im Schnitt ungefähr zwei Jahre jünger als beim MOS. Beim Morbus Sever (Apophysitis calcanei) wird bei analogem Pathomechanismus über die Achillessehne ein Zug auf die calcaneare Apophyse ausgeübt. Das typische Präsentationsalter liegt zwischen 8-12 Jahren, der Morbus Sever kann aber auch eher auftreten4) (Abb 1).

Abbildung 1. M. Sever/Apophysitis calcanei, Palpation (squeeze test) zeigt vor allem Beschwerden im Bereich der Apohysenfuge (Schmerzzone)

Weniger bekannt ist die Traktionsapophysitis an der Basis Os metatarsale V (Morbus Iselin), wobei die dort ansetzende Sehne des M. peroneus brevis sich für die Zugebelastung verantwortlich zeigt. Insbesondere an der Basis des fünften Mittelfussknochens – gelegentlich auch bei den vorgängig erwähnten Apophysitiden – steht ein Trauma am Anfang der Beschwerden. Öfters aber auch verursacht ein frisches Trauma eine akute Zunahme der Beschwerden, weshalb die genaue Anamnese über vorbestehende Beschwerden wichtig ist.

An den oberen Extremitäten sind Apophysitiden zumindest in unseren Breitengraden seltener, weil die typischen Wurfsportarten, die häufig die Ursache dieser Beschwerden sind, seltener ausgeübt werden. Die Beschwerden heissen daher auch Little League Shoulder oder Little League Elbow, angelehnt an den Namen der Nachwuchsligen im Baseball in den USA, zumal diese Sportart typischerweise als Ursache der entsprechenden Verletzungen der oberen Extremitäten verantwortlich gemacht werden. Bei der Little League Shoulder handelt es sich mehr um eine Aufweitung der Wachstumsfuge des proximalen Humerus als um eine eigentliche Apophysitis wie die Apophysitis des Epicondylus medialis humeri die einer der Gründe des Little League Elbows ist.  Für die Diagnose der Apophysitiden ist bei typischer Anamnese und Klinik initial eine Bildgebung nicht zwingend notwendig. Auch wenn radiologisch des öfteren eine Fragmentation der Apophyse sichtbar sein kann, ändert dieser Befund nichts am Procedere – zudem stehen differentialdiagnostisch kaum andere Beurteilungen im Raum (Abb. 2 und 3). Vigilant sollte man trotz allem bleiben, wenn Warnzeichen wie beispielsweise nächtliche Schmerzen, Fieber, starke lokale Schwellung, Überwärmung und/oder Rötung vorhanden sind. Neben einer Röntgen- sollte in diesen Fällen auch eine Labordiagnostik in Erwägung gezogen werden. Liegt nach akutem Trauma eine frische Schwellung an typischer Apophysenlokalisation vor, ist eine konventionell-radiologische Bildgebung ratsam, um eine Avulsionsfraktur der Apophyse auszuschliessen. Auch bei Therapieresistenz trotz getroffener konservativer Behandlungsmassnahmen ist eine Bildgebung indiziert.

Zu den Behandlungsgrundlagen der Apophysitiden gehören Belastungsreduktion, Stretching und muskuläre Detonisierung5). Hierbei ist eine korrekte Instruktion der Massnahmen von grosser Wichtigkeit, idealerweise im Rahmen einer qualifizierten Physiotherapie. Ein eigentlicher Belastungsstopp ist je nach Leistungsniveau des jungen Sportlers schwer durchzusetzen und nur in Ausnahmefällen auch notwendig. Oft genügt eine Belastungsanpassung, flankiert von den oben bereits genannten Massnahmen.

Beim MOS kann bei sportlicher Belastung eine subpatelläre Bandage getragen werden.  Allerdings zeigt die Erfahrung, dass nicht alle jungen Sportler darauf ansprechen. Auch die Anlage eines Sporttapings kann einen ähnlichen schmerzreduzierenden Effekt bewirken.

Gerade beim M. Sever kann die Traktion durch einen Fersenkeil reduziert werden, und eine Impactreduktion ist bisweilen noch nicht einmal notwendig6,7). Persönlich denke ich, dass ein Fersenkeil nicht permanent getragen werden sollte, sondern vornehmlich bei belastender Tätigkeit, das heisst also vor allem beim Sport. Durch eine permanente Anhebung der Ferse kann eine muskuläre Verkürzung des M. triceps surae verstärkt werden, wenn keine zusätzlichen Stretchingübungen durchgeführt werden. Dafür macht es Sinn, auch im häuslichen Umfeld einen Zehengang, den der schmerzgeplagte Sportler zur vermeintlichen Fersenschonung praktiziert beispielsweise durch Tragen von Schuhen zu unterbinden. Dies weil beim Zehengang die Wadenmuskulatur unter Dauerspannung steht, was wiederum die Traktion an der bereits gereizten Apophyse unterhält und diese entsprechend nicht zur Ruhe kommen kann.

Neben der eigentlichen Traktionsreduktion an den gereizten Apophysen können bei akuten Schmerzen lokale Weichteilmassnahmen getroffen werden, wie Kühlung und Auftragen von entzündungshemmenden Salben oder Pflaster. Sollten die genannten Therapiemodalitäten nicht zur gewünschten Schmerzreduktion führen, hat auch eine systemische entzündungshemmende Behandlung mit NSAR über einige Tage in der Therapie manchmal seinen Platz.

Abbildung 2. M. Osgood-Schlatter bei 14-jöhrigem Jungen mit Fragmentierung tuberorsitas tibiae
Abbildung 3. Normales Röntgen bei 11-jährigem Mädchen mit klinisch M. Osgood-Schlatter

Traumatische Avulsionsverletzungen der Apophysen

Apophysenausrisse entstehen am häufigsten in der Region des Hüftgelenks (Abb. 4). Dies hängt damit zusammen, dass die kräftige Muskulatur in diesem Bereich bei sportlicher Belastung vielfach stark beansprucht wird und eine plötzliche kraftvolle muskuläre Zugspannung zu einem Versagen des Knorpels in der apophysären Wachstumsfuge führen kann. Somit erklären sich die spezifischen Verletzungsmuster, insbesondere im Beckenbereich und in der unteren Extremität8).

Abbildung 4. Häufigste Lokalisationen von Avulsionsfrakturen

In der Literatur bestehen unterschiedliche Angaben über Häufigkeiten der hüftgelenksnahen Avulsionsfrakturen.  Mit zu den häufigeren Avulsionsverletzungen gilt ein Ausriss am Tuber ischiadicum. Verursacht wird diese Verletzung durch eine akute starke Traktion der ischiocruralen Muskulatur (Hamstrings). Dies kann bei diversen Sportarten geschehen, wobei der typische Traumamechanismus eine kraftvolle Hüftbeugung bei gleichzeitig extendiertem Knie (z.B. Tanz, Hürdenlauf) darstellt. Da die Schmerzen oft entlang der Muskulatur ausstrahlen, wird initial häufig von einer muskulären Zerrung ausgegangen und deshalb die eigentliche Diagnose verzögert gestellt9). Klinisch besteht aber neben dem Muskeldehnungsschmerz meist eine lokale ossäre Druckdolenz. Eine Beckenübersichtsaufnahme verschafft Klarheit über die Diagnose und auch über das Ausmass der Dislokation. In den allermeisten Fällen kann ein konservativer Therapieweg eingeschlagen werden, und nur äusserst selten ist die chirurgische Refixation des Tuber ischiadicum notwendig (Abb. 5).

Abbildung 5. Avulsionsfraktur am Tuber ischiadicum rechts

Avulsionsverletzungen an der Spina iliaca anterior superior (SIAS) wiederum entstehen z.B. beim schnellen Ansetzen eines Sprints, beim Absprung oder gelegentlich bei einem ‘Kick ins Leere’ beim Fussball. Am Ursprung steht ein starkes Zugtrauma durch den M. tensor fasciae latae oder durch den M. sartorius, die an der SIAS ansetzen. Die Avulsion der Spina iliaca anterior inferior (SIAI) entsteht durch einen Zug über den M. rectus femoris. Typisches Verletzungsmuster ist die kraftvolle Schussabgabe beim Fussball – insbesondere, wenn der Ball noch von einem Gegenspieler geblockt wird oder wenn statt des Balles in den Boden getreten wird. Der abrupte, unerwartete Abbruch der Bewegung erhöht die Zugbelastung auf die Apophyse durch die exzentrische Muskelaktivität nochmals erheblich (Abb. 6).

Abbildung 6. Avulsionsfraktur an der Spina iliaca anterior inferior

Gerade bei einer Avulsionsverletzung der SIAI ist eine strenge Belastungsreduktion bis zur kompletten Ausheilung zwingend durchzusetzen, da wiederkehrende Traktionstraumata zu überschiessender Kallusbildung führen können. Dies kann in der weiteren Folge zu erheblicher Einschränkung der Hüftbeugung auf Grund einer ossären ‘Impingementkonfiguration’ und zu konsekutivem Labrumschaden führen. Aber auch an anderen Stellen, wie beispielsweise am Tuber ischiadicum, kann eine ungenügende Immobilisation zu einer ausgeprägten Kallusformation mit funktionellen Einschränkungen führen (Abb. 7).

Abbildung 7. Magnetresonanz- Untersuchung, die exzessive Kallusbildung nach Avulsionsfraktur der SIAI zeigt

Die Avulsionsverletzung der Crista iliaca ist ein sehr seltenes Ereignis. Sie ist auf eine starke Kontraktur der abdominellen Muskulatur zurückzuführen, kombiniert mit einer Rotationskomponente in die kontralaterale Richtung der Verletzung. Ebenfalls eher selten ist die Avulsionsverletzung am Trochanter minor. Hervorgerufen wird diese Verletzung durch eine abrupte, exzentrische Kontraktion des M. iliopsoas, wie dies beispielsweise bei einer Sprunglandung aus grösserer Höhe entstehen kann. Aus dem Beschriebenen geht hervor, dass die Behandlungsmodalität von Avulsionsfrakturen in Abhängigkeit zur Lokalisation der Verletzung und nicht ausschliesslich vom initialen Dislokationsgrad bestimmt wird.  In den allermeisten Fällen können Avulsionsverletzungen konservativ therapiert werden 10).  Entscheidend für den Behandlungserfolg ist die konsequente Meidung von Aktivität derjenigen Muskulatur, die am Apophysenfragment inseriert11). Somit sind Stockentlastung, Gangschulung sowie im Verlauf physiotherapeutische Massnahmen mit graduellem Aufbau bis zur vollen Belastung Eckpfeiler der Therapie. Eine operative Versorgung ist ausschliesslich bei stark dislozierten Fragmenten sinnvoll.

Der Muskel am Ursprung der Verletzung

Sowohl bei apophysären Überbelastungsbeschwerden als auch bei den Avulsionsfrakturen ist das Leitsymptom eine – akute respektive belastungsabhängige – Schmerzsymptomatik im Bereich der Apophyse. Am Ursprung der Verletzung steht in erster Linie der oftmals verkürzte Muskel, der in die Apophyse inseriert.  Begünstigt wird die Verletzung durch die unter Einfluss der Wachstumshormone bedingte Empfindlichkeit des Apophysenknorpels. Als präventive Massnahme solcher Verletzungen sollten deshalb neben gutem Aufwärmen und regelmässigem muskulärem Stretching vor allem eine altersadaptierte Belastung bedacht werden12). Auch eine polysportive Ausrichtung des jungen Sportlers kann einen präventiven Effekt auf allgemeine Verletzungen bewirken.

Vielen Dank an Dr. med. Sven Sprenger, Kantonsspital Aarau, für Durchsicht und Kommentare.

Referenzen

  1. Karahan M, Erol B. Cocukluk ve ergenlik döneminde kas ve tendon yaralanmalari [Muscle and tendon injuries in children and adolescents]. Acta Orthop Traumatol Turc. 2004: 38 Suppl 1: 37-46.
  2. Cassel M, Brecht P, Mayer F. Muskuloskeletale Überbelastungsbeschwerden bei Nachwuchsathleten. In: Menrath I, Graf C, Granacher U, Kriemler S (Hrsg). Pädiatrische Sportmedizin. Springer-Verlag GmbH: Berlin. 269-78: 2021.
  3. Kienstra AJCGM. Osgood-Schlatter disease (tibial tuberosity avulsion). UpToDate. 2019, last updated Oct 26, 2021.
  4. Ramponi DR, Caron D, Baker C. Sever’s Disease (Calcaneal Apophysitis). Adv Emerg Nurs J. 2019: 41(1): 10–14.
  5. Neuhaus C, Appenzeller-Herzog C, Faude O. A systematic review on conservative treatment options for OSGOOD-Schlatter disease. Phys Ther Sport 2021: 49: 178-87.
  6. Perhamre S, Jonson S, Norlin R, Klässbo M. Sever’s injury: treatment with insoles provides effective pain relief. Scand J Med Sci Sports. 2011: 21(6): 819-23.
  7. Perhamre S, Lundin F, Norlin R, Klässbo M. Sever’s injury; treat it with a heel cup: a randomized, crossover study with two insole alternatives. Scand J Med Sci Sports 2011: 21(6): e42-47.
  8. Wirth T. Avulsionsverletzungen der Hüftregion des Jugendlichen. Die Orthopädie 2016: 45(3): 213–8.
  9. Schiller J, DeFroda S, Blood T. Lower Extremity Avulsion Fractures in the Pediatric and Adolescent Athlete. J Am Acad Orthop Surg 2017: 25(4): 251-9.
  10. Yeager KC, Silva SR, Richter DL. Pelvic Avulsion Injuries in the Adolescent Athlete. Clin Sports Medicine. 2021: 40(2): 375-84.
  11. Anduaga I, Seijas R, Pérrerz-Bellmunt A, Casasayas O, Alvarez P. Anterior Iliac Spine Avulsion Fracture Treatment Options in Young Athletes, Journal of Investigative Surgery 2020, 33(2), 159-63.
  12. Rössler R, Donath L, Verhagen E, Junge A, Schweizer T, Faude O. Exercise-based Injury Prevention in Child and Adolescents Sport: A Systematic Review and Meta-Analysis

Weitere Informationen

Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Florian Schaub Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkte Kindernotfall und Sportmedizin, interdisziplinäre Notfallstation und Fachbereichsleiter Sportmedizin, Universitäts-Kinderspital, Zürich