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Praxistauglichkeit des POCUS zur Beurteilung des Schockzustands in der Pädiatrie

Der Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) ist ein leistungsstarkes Instrument, das unter anderem in der pädiatrischen Notfall- und Intensivmedizin zunehmend zur Beurteilung und Behandlung von Patient:innen im hämodynamischen Schock eingesetzt wird. Er ermöglichte eine erhebliche Beschleunigung der Versorgung, mit der sich auch die Überlebenschancen hämodynamisch instabiler Kinder verbessert haben(1,2).

Der Schock gilt weltweit als eine der Hauptursachen für Todesfälle in der Pädiatrie(3).

Es handelt sich dabei um eine schwere akute Erkrankung, gekennzeichnet durch eine Kreislaufinsuffizienz mit nachfolgender Gewebehypoxie, die zum Multiorganversagen führen kann, wenn nicht umgehend eine angemessene, gezielte Behandlung eingeleitet wird. Im Gegensatz zu Erwachsenen bleibt der Blutdruck bei Kindern länger stabil und ist daher kein guter Indikator für die kardiovaskuläre Homöostase. Herzfrequenz und Organperfusion sind, zusammen mit der peripheren Pulsqualität, Bewusstseinszustand, Urinausscheidung, Hautperfusion und Säure-Basen-Status, zur Beurteilung der Kreislaufsituation beim Kind erheblich aussagekräftiger(4).

Pathophysiologisch wird beim Schock üblicherweise zwischen vier Formen unterschieden: hypovoläm, kardiogen, distributiv und obstruktiv(5). Tabelle 1 fasst die Hauptursachen von Schock in der Pädiatrie zusammen.  Unter rein hämodynamischen Gesichtspunkten lassen sich nach Ramlawi die vier Schockformen auf zwei reduzieren: den obstruktiven Schock, der eine Form des kardiogenen Schocks darstellt («Obstruktion» der linksventrikulären Ejektion), und den distributiven Schock, der im Grunde ein hypovolämes Phänomen ist(6).

Tabelle 1. Klinische Klassifikation von Schockzuständen in der Pädiatrie
Bild 1. Plethorische IVC
Bild 2. Kollabierte IVC
Bild 3. Pneumothorax (M-mode)
Bild 4. Positive FAST mit freier Flüssigkeit im hepatorenalen Raum
Bild 5. Positive FAST mit freier Flüssigkeit im Beckenraum

In der Pädiatrie ist die häufigste Ursache für einen Schock eine Hypovolämie vor dem Hintergrund einer akuten Dehydratation. Aber auch der septische und der hämorrhagische Schock werden häufig beobachtet. Der kardiogene und der obstruktive Schock sind seltener und daher schwieriger zu diagnostizieren, weshalb es zu Verzögerungen beim Beginn der Therapie kommen kann(5).

Mit Blick auf den POCUS erweisen sich die Protokolle RUSH (Rapid Ultrasound for Shock and Hypotension) und HIPP (Heart, Inferior vena cava [IVC], Pneumothorax, Pelvis) als hilfreich bei der Abklärung der Ursachen von Hypotonie und Schock bei Erwachsenen und Kindern(7,8). Das RUSH-Protokoll beinhaltet eine Beurteilung der verschiedenen physiologischen Elemente, die bei Erwachsenen zu Hypotonie oder Schock führen können, und erfolgt in drei aufeinanderfolgenden Schritten: Pump, Tank, Pipes(7). Pump bezeichnet die Beurteilung der Herzfunktion, Tank die Beurteilung des Blutvolumens durch Untersuchung der unteren Hohlvene und Pipes die Beurteilung der grossen Gefässe auf das mögliche Vorliegen einer Obstruktion oder Ruptur. Bei der pädiatrischen Population ohne vaskuläre oder thromboembolische Risikofaktoren ist die Beurteilung der grossen Gefässe nicht relevant.

Bei Kindern bietet das HIPP-Protokoll ein an das RUSH-Protokoll angelehntes und speziell auf die pädiatrische Population zugeschnittenes Instrument zur Beurteilung der Ursachen von Schockzuständen, beispielsweise Hypovolämie, Sepsis, Hämorrhagie oder Herzinsuffizienz(8)

Das HIPP-Protokoll umfasst vier separate sonografische Untersuchungen, die man sich mit dem Akronym HIPP (Heart, Inferior vena cava [IVC], Pneumothorax, Pelvis) gut merken kann.

  1. Heart: Beurteilung der Herzfunktion mit Untersuchung der ventrikulären Kontraktilität, der Ventrikelgrösse und Abklärung eines möglichen Perikardergusses
  2. IVC: Beurteilung des Blutvolumens und des zentralen Venendrucks durch Untersuchung des Durchmessers und der respiratorischen Variabilität der unteren Hohlvene
  3. Pelvis: Beurteilung von Abdomen und Becken auf freie intraperitoneale Flüssigkeit als Hinweis auf eine intraabdominelle Blutung
  4. Pneumothorax: Beurteilung des atemabhängigen Pleuragleitens (fehlt bei Pneumothorax).

Es sei angemerkt, dass sich daneben noch zwei andere wichtige pathologische Prozesse mithilfe der Thoraxsonografie nachweisen lassen, nämlich das Lungenödem und der Pleuraerguss.

Abbildung 1. Zeigt eine Zusammenfassung der sonografischen Schritte, welche die vier für das Schockmanagement relevanten Bereiche abdecken.
Bild 6. Perikarderguss (subxyphoidale Ansicht)

Abbildung 2 zeigt vereinfacht die Schockdiagnostik anhand des oben genannten HIPP-Protokolls.

Abbildung 2. Schockdiagnostik gemäss HIPP-Protokoll
KA = kardiale Aktivität, VCI = untere Hohlvene (Vena cava inferior), FAST = focussed assessment with sonography for trauma. *Beim distributiven Schock kann sich die VCI zunächst unauffällig darstellen.

In der Praxis scheint diese Untersuchung nach einer spezifischen Schulung von pädiatrischen Notfallmediziner:innen gut beherrschbar zu sein. Der klinische Nutzen des Protokolls in Notfällen ist dagegen noch nicht nachgewiesen.

Zusammenfassend wird zur Beurteilung des instabilen Kindes im Schockzustand ein schrittweiser methodischer Ansatz empfohlen.  Dieser muss eine Beurteilung der Herzfunktion, der unteren Hohlvene, der rechten Flanke oder des Beckens sowie der Lungen umfassen. Ein solcher Vier-Punkte-Ansatz innerhalb eines einfachen Schockalgorithmus ermöglicht es der zuständigen ärztlichen Fachperson, rasch die Art des Schocks und die im jeweiligen Fall zu ergreifenden Massnahmen, namentlich Volumengabe und Verabreichung von Katecholaminen, zu bestimmen.

Somit kann festgehalten werden, dass bei schwer kranken Kindern die Ätiologie des Schocks oftmals nur schwer zu eruieren ist, zur Rettung von Leben jedoch eine rechtzeitige Diagnose und eine gezielte Behandlung notwendig sind. Unter diesem Aspekt leisten Ultraschalluntersuchungen am Patientenbett einen Beitrag zur raschen Erkennung reversibler Schockursachen in der Pädiatrie(5). In Verbindung mit den üblichen Untersuchungstechniken lässt sich dieses Instrument daher als Erweiterung der klinischen Beurteilung am Patientenbett betrachten(4). Zudem eignet es sich für das Monitoring des Ansprechens auf eine Behandlung, insbesondere Volumenzufuhr oder die Verabreichung von Katecholaminen.

Allerdings muss betont werden, dass dieser systematische Ultraschallansatz noch nicht in der Literatur validiert wurde. Ferner wären zukünftig pädiatrische Studien erforderlich, um die Auswirkungen des POCUS-Einsatzes bei dieser Patientenpopulation zu bewerten.

Interessant wäre auch, dieses Instrument in die PALS-Erstbeurteilung (Pediatric Advanced Life Support) einbinden zu können – wie es entsprechend mit dem FAST (Focused Assessment with Sonography for Trauma) zur Beurteilung von Polytraumatisierten im Schockzustand innerhalb des ATLS (Advanced Trauma Life Support) bereits gehandhabt wurde(9,10).

Referenzen

  1. Marin, J.R., et al., Point-of-care ultrasonography by pediatric emergency physicians. Policy statement. Ann Emerg Med, 2015. 65(4): p. 472-8.
  2. Marin, J.R., et al., Point-of-care ultrasonography by pediatric emergency medicine physicians. Pediatrics, 2015. 135(4): p. e1113-22.
  3. Organization, W.H., World health statistics 2011. 2011. 170.
  4. Hardwick, J.A. and M.J. Griksaitis, Fifteen-minute consultation: Point of care ultrasound in the management of paediatric shock. Arch Dis Child Educ Pract Ed, 2021. 106(3): p. 136-141.
  5. Park, D.B., et al., Point-of-Care Ultrasound for Pediatric Shock. Pediatr Emerg Care, 2015. 31(8): p. 591-8; quiz 599-601.
  6. Ramlawi, M. and R. Larribau, [Shock: diagnostic evaluation in the emergency department]. Rev Med Suisse, 2009. 5(213): p. 1600-2, 1604-5.
  7. Perera, P., et al., The RUSH exam: Rapid Ultrasound in SHock in the evaluation of the critically lll. Emerg Med Clin North Am, 2010. 28(1): p. 29-56, vii.
  8. Weberding, N.T. and J.R. Marin, Point-of-Care Ultrasound for Targeted Assessment of Shock: Remember HIPP in Children. Pediatr Emerg Care, 2019. 35(8): p. 575-578.
  9. Kendall, J.L., S.R. Hoffenberg, and R.S. Smith, History of emergency and critical care ultrasound: the evolution of a new imaging paradigm. Crit Care Med, 2007. 35(5 Suppl): p. S126-30.
  10. Rozycki, G.S., et al., A prospective study of surgeon-performed ultrasound as the primary adjuvant modality for injured patient assessment. J Trauma, 1995. 39(3): p. 492-8; discussion 498-500.

Weitere Informationen

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Die Autor:innen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr med.  Aude Tonson la Tour Médecin cadre, service de pédiatrie, Hôpital de la Tour, Genève et médecin associée, service d’urgences pédiatriques, HUG, Genève

Dr med.  David Samuel Troxler Registrar emergency medicine am Royal Children’s Hospital in Melbourne Australien

Dr med.  Magali Gauthey Médecin cadre, service de pédiatrie, Hôpital de la Tour, Genève et médecin associée, service d’urgences pédiatriques, HUG, Genève