Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (SGPP)
Asthma bei Kindern ist eine Krankheit mit vielen Facetten: Es gibt mehrere Krankheitsbilder (Phänotypen), welche sich bezüglich Ursachen, Pathophysiologie, therapeutischem Ansprechen und Prognose unterscheiden. Die Ätiologie ist multifaktoriell. Einerseits braucht es eine genetische Prädisposition, andererseits spielen verschiedene Umwelteinflüsse und Besonderheiten in der Entwicklung des kindlichen Immunsystems eine wichtige Rolle.
Fortbildung / Formation continue
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Vol. 19 No. 5 2008
Asthma bei Kindern ist eine Krankheit mit
vielen Facetten: Es gibt mehrere Krankheits
bilder (Phänotypen), welche sich bezüglich
Ursachen, Pathophysiologie, therapeuti
schem Ansprechen und Prognose unter
scheiden. Die Ätiologie ist multifaktoriell.
Einerseits braucht es eine genetische Prä
disposition, andererseits spielen verschie
dene Umwelteinflüsse und Besonderheiten
in der Entwicklung des kindlichen Immun
systems eine wichtige Rolle.
In den letzten Jahren wurden verschiedene
Studien publiziert, welche postulierten, dass
häufiger Gebrauch von Paracetamol wäh
rend der Schwangerschaft oder Kindheit die
Entwicklung von Asthma begünstigen kön
nte. Einige dieser Studien, insbesondere die
prospektiven Kohortenstudien, welche den
Paracetamol Konsum während der Schwan
gerschaft in Beziehung setzten mit der
Inzidenz von Asthma und allergischer Sen
sibilisierung bei Kindern sind solide durch
geführt und von guter Qualität. Allerdings
war die Erhöhung des Asthma–Risikos für
Kinder in diesen Studien nur gering; in der
grossen Kohortenstudie «ALSPAC» in Bristol
wurde zum Beispiel berechnet, dass etwa
1% der Episoden von obstruktiver Atmung
(wheezing) bei Kindern und 7% der Asthma
Diagnosen bei 7 Jährigen mit vermehrter
Einnahme von Paracetamol erklärt werden
könnten – vorausgesetzt der Zusammen
hang ist wirklich kausal.
Die nun veröffentlichte Studie aus Phase
III der «International Study on Asthma and
Allergies in Childhood (ISAAC)»* hat zwar
grosse Wellen in der Presse geschlagen,
aber wenig zur Klärung der offenen Fragen
bezüglich Einnahme von Paracetamol und
Asthma Risiko beigetragen. Es handelt sich dabei um eine Querschnitts
untersuchung bei über 200 000 6–7 jähri
gen Kindern aus 31 Ländern. Deren Eltern
wurden in einem Fragebogen gefragt, ob
die Kinder in den vergangenen 12 Mona
ten unter Episoden obstruktiver Atmung
(wheezing) gelitten hatten, ob man ihnen in
den vergangenen 12 Monaten Paracetamol
gegeben hatte, und falls ja, wie oft (nie,
mindestens 1 x jährlich, mindestens 1x
monatlich). Ebenfalls wurde retrospektiv
gefragt, ob man ihnen im ersten Lebensjahr
Paracetamol gegen Fieber gegeben hatte.
Solche Querschnittsuntersuchungen haben
immer gewisse methodische Probleme. Das
beinhaltet zum Beispiel die Unmöglichkeit,
zeitliche Zusammenhänge auseinanderzu
halten (entwickelten die Kinder Asthma
wegen dem verabreichten Paracetamol,
oder erhielten sie Paracetamol wegen den
Asthma Episoden?). Dazu kommt das Pro
blem des Recall Bias (wie gut erinnert man
sich 7 Jahre später an den Medikamenten
einsatz bei seinen Kindern, und ist die Erin
nerung gleich gut bei Eltern von kranken und
solchen von gesunden Kindern?) oder Re
porting Bias (gibt es gewisse Eltern, welche
insgesamt der Symptomatik und Therapie
ihrer Kinder mehr Gewicht beimessen, und
dazu tendieren, in Fragebogen eher ein Ja
zu setzen?).
Am wichtigsten ist aber die Tatsache, dass
respiratorische Infekte bei Säuglingen und
Kleinkindern die bei weitem wichtigsten
Auslöser für Asthma Episoden sind. Da
virale Infekte bekanntlich oft mit Fieber
einhergehen und entsprechend behandelt
werden, erstaunt es nicht, wenn eine sta
tistische Assoziation zwischen Häufigkeit
von Paracetamol Gebrauch und Häufigkeit
von obstruktiver Atmung festgestellt wird,
wie dies in der ISAAC Studie der Fall war.
Es würde im Gegenteil sehr erstaunen, wenn
dies nicht so wäre. Die Tatsache, dass dieser
Zusammenhang in allen geographischen
Regionen der Welt gefunden wurde und dass
er statistisch hochsignifikant war, macht die
Resultate nicht wahrer; es bestätigt lediglich
die bekannte Tatsache, dass weltweit virale
Infekte häufige Asthmaauslöser sind, und
dass bei genügend grossen hohen Zahlen
(fast) alles statistisch signifikant wird.
Die Frage stellt sich, ob diese Resultate uns
verpflichten, die gängige Praxis der Antipy
retika Verschreibung bei Säuglingen und
Kleinkindern zu ändern. Dies ist im Moment
sicher nicht der Fall, und schon gar nicht als
Reaktion auf die publizierte Querschnittstu
die. Ernster zu nehmen, sind wie gesagt Re
sultate von prospektiven Kohortenstudien.
Dort war aber das attributable Risiko mit
1% respektive 7% sehr gering. Allerdings
wäre es jetzt an der Zeit, die Fragestellung
in prospektiven Kohortenstudien und rando
misierten klinischen Studien genauer zu
untersuchen, wo Paracetamol verglichen
werden könnte mit anderen Antipyretika
wie zum Beispiel Ibuprofen. Nur durch sol
che Studiendesigns kann diese Hypothese
bestätigt oder verworfen werden.
Aus Sicht der SGPP und aufgrund des aktu
ellen Standes der Datenlage ergibt sich im
Moment keine Indikation, die gängige Praxis
betreffend Behandlung febriler Infekte oder
Schmerzen mit Paracetamol bei Säuglingen
und Kleinkindern zu ändern. Diese Medika
mente sollen aber nur verabreicht werden,
falls sie wirklich indiziert sind.
Korrespondenzadresse:
Dr. Peter Eng
Präsident SGPP
Pädiatr. Pneumologie und Allergologie
Kinderklinik
5001 Aarau
Peter.Eng@ksa.ch
Kommentar
Barr RG. Does paracetamol cause asthma
in children? Time to remove the guesswork.
Lancet 2008;3072:101 1.
* Beasley R, Clayton T, Crane J, von Mutius E, Lai CK,
Montefort S, Stewart A; ISAAC Phase Three Study
Group. Association between paracetamol use in
infancy and childhood, and risk of asthma, rhinocon
junctivitis, and eczema in children aged 6–7 years:
analysis from Phase Three of the ISAAC programme.
Lancet 2008; 3072: 1039–48.
Paracetamol und Asthma bei Kindern
Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische
Pneumologie (SGPP)
Claudia Kuehni 1, Peter Eng 2
1) FMH Pädiatrische Pneumologie, Institut für Sozial
und Präventivmedizin, Universität Bern
2) Präsident Schweiz. Gesellschaft für Pädiatrische
Pneumologie SGPP, Kinderspital Aarau und Luzern
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Claudia Kuehni , Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern / Universitäts-Kinderklinik, Inselspital, Bern