Gabriel Duc ist am 27. Januar 2021 im Alter von 89 Jahren an Covid-19 verstorben. Wegen der Corona-Restriktionen gab es keine öffentliche Gedenkfeier. Dafür haben sich einige seiner Schüler und Nachfolger digital ausgetauscht und Erinnerungen und Anekdoten zusammengetragen. Gabriel Duc war eine starke Persönlichkeit, die während fast 27 Jahren auf dem Lehrstuhl für Neonatologie der Universität Zürich dieses Fach nachhaltig geprägt hat. Dieser Nachruf ist ein Versuch, die verschiedenen Erinnerungen aufleben zu lassen.
Ein Walliser zieht in die weite Welt hinaus
Gabriel Duc kam am 18. Januar 1932 in Chermignon (VS) als Hausgeburt zur Welt. Er besuchte dort die Primarschule und anschliessend das Collège Saint-Michel in Fribourg. Sein Medizinstudium absolvierte er in Lausanne, wo er beim Physiologen Prof. P. Haab doktorierte. Danach bildete er sich in Bern vorerst bei Prof. W. Hadorn in der Kardiologie und der Inneren Medizin und dann bei Prof. E. Rossi in der Pädiatrie weiter.
Seine Leidenschaft für Neugeborene führte ihn 1967 in die USA. Dort spezialisierte er sich im berühmten Babie’s Hospital der Columbia University in New York auf das damals noch junge Fachgebiet Neonatologie und erhielt von seinem Mentor, Prof. William A. Silverman, prägende Impulse.
Der Ordinarius für Neonatologie
1970 berief ihn der Zürcher Regierungsrat auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Neonatologie an der Universität Zürich, einen der ersten in Europa. Gleichzeitig wurde er Leiter des kantonalen Säuglingsheims Rosenberg und der Neugeborenen-Abteilung am Kinderspital Zürich. Er war massgebend bei der Planung und Einrichtung der neuen Klinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich. Von der Eröffnung 1978 bis zu seiner Emeritierung 1997 war er deren umsichtiger Direktor.
Der Visionär
Gabriel Duc hatte klare Vorstellungen von einer modernen Neugeborenen-Medizin und konnte diese in seiner langen Wirkungszeit nach und nach umsetzen. Er war ein Förderer der Bindung zwischen Mutter und Kind ab der Geburt. So wurde er zum engagierten Befürworter des Stillens. Während traditionell die Eltern aus den Säuglingszimmern verbannt waren, zog er diese in die Pflege ihrer Kinder, auch der kranken Kinder, mit ein. Konsequent plante er die neue Intensivstation für Neugeborene im USZ mit Raum für Eltern und Geschwister.
Mit dem Professoren-Ehepaar Albert und Renate Huch gründete er am Universitäts- spital Zürich ein Perinatalzentrum, das sich stetig weiterentwickelte und europaweit führend wurde.
Der Brückenbauer
Als Romand mit deutsch-schweizerischer und angelsächsischer Prägung war er sprachgewandt und konnte zwischen verschiedenen Kulturen vermitteln. Damit verschaffte er dem jungen Fach Neonatologie national und international Anerkennung.
Die Neonatologie war für ihn eine Brücke zwischen der Pädiatrie und der Geburtshilfe. Mit Beharrlichkeit und guten Argumenten konnte er die Geburtshelfer überzeugen, die Verantwortung für die Betreuung der Neugeborenen ab Geburt den Neonatologen zu übergeben. Er pflegte die Beziehungen zu den Geburtshelfern in den peripheren Spitälern und brachte diese mit der Zeit dazu, Schwangere mit drohender Frühgeburt oder einem fetalen Problem zur Betreuung ins Perinatalzentrum zu überweisen. Damit wurde dort eine optimale Versorgung vor, während und nach der Geburt interdisziplinär möglich und eine Trennung von Mutter und Kind konnte vermieden werden. Später wurde diese auf freiwilliger Basis gehandhabte Regel im Rahmen der hochspezialisierten Medizin zur Pflicht.
Der Antiautoritäre mit natürlicher Autorität
Gabriel Duc praktizierte eine flache Hierarchie und war deshalb bei den Pflegenden, dem Hilfspersonal, den ÄrztInnen in Weiterbildung und den Medizinstudenten äusserst beliebt. Er war gesellig, ohne sich dabei anzubiedern. Legendär waren seine Freitagabend-Fortbildungen, bei denen er ein Glas Wein vom Rebgut seiner Familie anbot. Seit Beginn missachtete er die Regel, dass der Chefarzt nur über die Oberschwester mit den Pflegenden sprach. Er bezog die Pflegenden in der Chefarzt-Visite am Krankenbett mit ein, forderte diese jeweils auf, eigene Beobachtungen zu formulieren und sogar mutig nach der Begründung von ärztlichen Verordnungen zu fragen, was er auch selber immer gerne tat. Damit demonstrierte er, dass die «Krankenschwestern» für die Betreuung von kranken Neugeborenen eine wichtige Rolle spielen und brachte ihnen entsprechend grosse Wertschätzung entgegen.
Wenn es um therapeutische Entscheidungen bei den kleinen Patienten ging, hinterfragte er mit Wohlwollen und seinem typischen Schmunzeln Meinungen von fachlichen Autoritäten (Eminenzen) und verlangte Fakten (Evidenzen). Seine wichtigste Frage war: ‘Woher wissen Sie das?’
Er sträubte sich lange gegen die Gründung einer Gesellschaft für Neonatologie mit festen Strukturen und Hierarchien. Dafür war er Mitinitiant einer Neonatologie-Gruppe, die sich ab 1970 an verschiedenen Orten in der Schweiz zur Fortbildung traf und bei jedem Treffen, den Verantwortlichen für das nächste Treffen neu bestimmte. Die an diesen Zusammenkünften erarbeiteten Behandlungsempfehlungen wurden trotz fehlender Verbindlichkeit allgemein befolgt.
Als 1995 die Gründung einer eigenen Fachgesellschaft zur Diskussion stand, wurde er deren erster Präsident. Er überzeugte eine Mehrheit seiner Fachkollegen davon, dass die Neonatologie eine Subspezialität der Pädiatrie bleiben und nicht eine eigenständige Spezialität werden sollte. Damit war die Zugehörigkeit der Neonatologie zur Pädiatrie und die Abgrenzung gegenüber der Gynäkologie klargestellt. Dies war eine gute Basis für eine fruchtbare interdisziplinäre Zusammenarbeit im neu aufkommenden Bereich der Perinatologie.
Der mitreissende Lehrer
Als Dozent verstand es Gabriel Duc, Generationen von Studierenden für die kleinsten Patienten zu begeistern. Er definierte sein Fach als Allgemeine Medizin für das Neugeborene. Ausgehend von der Beobachtung und klinischen Untersuchungen eines Neugeborenen konnte er physiologische Hintergründe und therapeutische Ansätze aufzeigen. Sein Credo war: Kinder haben ihre eigenen physiologischen und pharmakokinetischen Gesetze und sind nicht einfach kleine Kopien von Erwachsenen.
Der empathische Arzt
Er konnte sich gut in die Lage von sorgenvollen Müttern und Vätern versetzen. Auch für die immer zahlreicheren Pflegenden, Sekretärinnen, Assistenz-, Ober- und Leitenden Ärzte und Ärztinnen hatte er ein offenes Ohr und nahm Anteil an privaten Sorgen und Anliegen.
Der stimulierende Forscher
Er war vielseitig interessiert und verstand es, zahlreiche Kollegen und immer mehr auch Kolleginnen für die Forschung am Neugeborenen zu interessieren. Um seine Arbeit über den Sauerstofftransport bei Neugeborenen zu vertiefen, gründete er ein eigenes Forschungslabor, das sich mit der Zeit verselbständigte. Aus der schon bei den Berufungsverhandlungen geforderten Stelle für die Nachuntersuchung von ehemaligen Frühgeborenen entwickelte sich zusammen mit den von Prof. A. Prader initiierten und R. Largo fortgeführten Zürcher Longitudinalstudien eine eigene Abteilung für die Entwicklungspädiatrie am Universitäts-Kinderspital Zürich. Diese hat eine wichtige Funktion in der Untersuchung der Wirksamkeit von den Interventionen am Neugeborenen im Rahmen von placebo-kontrollierten randomisierten Studien. So war Gabriel Duc am Nachweis der Wirksamkeit von wichtigen neuen Therapien bei Neugeborenen beteiligt. Dies war zum einen die Anwendung eines Nasen-CPAP (continuous positive airway pressure) zur sanften nicht-invasiven Atemunterstützung von Neugeborenen mit Atemnot, und zum andern die intratracheale Gabe von Surfactant zur Behandlung eines Atemnotsyndroms infolge unreifer Lungen.
Er förderte verschiedene nicht-invasive Methoden zur Diagnose und Überwachung von Neugeborenen, so die transkutane Sauerstoffmessung, die Nahinfrarot-Spektroskopie, die Ultrasonographie und die Magnetresonanz-Tomographie.
Der verständige Familienvater
Gabriel Duc verstand es in vorbildlicher Weise ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie zu finden. Wenn er auch ein grosses Herz für Patienten und Mitarbeitende hatte, so war seine Frau Rose-Marie seine grösste Stütze, aber auch seine wohlwollende Kritikerin. Er war sehr stolz auf seine drei Kinder Daniel, Aline und Nathalie, wie auch auf seine Enkel Basil, Celia und Diego. Ein schwerer Schicksalsschlag für ihn war der frühe Tod seines Sohnes Daniel im Jahr 2004.
Der tiefgründige Ethiker
Gabriel Duc erkannte schon früh die Grenzen einer Intensivbehandlung bei schwer kranken Neugeborenen. Eine Maximaltherapie kann dazu führen, dass schwer geschädigte Kinder überleben und damit grosses Leid für sich und die Familie verursachen. Deshalb stellte er zur Diskussion, dass in solchen hoffnungslosen Fällen ein Verzicht oder ein Abbruch von Intensivmassnahmen und dafür eine Palliativtherapie eine Option sein sollte. Die Frage war jedoch, wer aufgrund welcher Kriterien entscheiden sollte.
Er war der Meinung, dass solche schwierigen Entscheidungen nicht allein vom verantwortlichen Arzt getroffen werden sollten, sondern von einem Team bestehend aus ÄrztInnen, Pflegenden, EthikerInnen und JuristInnen. Diese sollten eine sorgfältige Güterabwägung vornehmen und die Meinung der Eltern einholen.
Er setzte sich dafür ein, dass in der Schweiz der Gesetzgeber diesen Entscheidungsspielraum ermöglichte.
Gabriel Ducs Vermächtnis
Viele Werte, Ideen, und Leistungen von Gabriel Duc wurden seither weiterentwickelt und den neuen medizinischen Möglichkeiten aber auch den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst. Seinen zahlreichen Schülern und Nachfolgern bleibt er in erster Linie als visionäre, wohlwollend kritische, humorvolle und charismatische Person in Erinnerung.
Hans Ulrich Bucher, Diego Mieth, Jean-Léopold Micheli, Gregor Schubiger, Christian Kind, Romaine Arlettaz, Riccardo Pfister, Jean-Claude Fauchère, Dirk Bassler.
Korrespondenz: buh@usz.ch