10 Jahre Erfassung von Kinderschutzfällen an Schweizerischen Kinderkliniken: Leider keine Erfolgsgeschichte!
Im Jahre 2018 wurden im zehnten Jahr in Folge die Kinder erfasst, die wegen vermuteter oder sicherer Kindsmisshandlung ambulant oder stationär an einer Schweizerischen Kinderklinik behandelt worden waren. Auch in diesem Jahr konnten wiederum die Daten von 20 der insgesamt offiziellen 31 Kinderkliniken oder Kinderabteilungen der Schweiz erfasst werden. Da nur kleine Kinderabteilungen ihre Fälle nicht gemeldet haben, widerspiegelt diese Statistik einen ganz grossen Anteil der Fälle von Kindsmisshandlung, die an einer Schweizerischen Kinderklinik im letzten Jahr behandelt worden sind.
Resultate
Von den 20 Kliniken wurden insgesamt 1‘502 Fälle gemeldet, rund 13 % weniger als im Vorjahr. Dieser Rückgang ist zurückzuführen auf den Umstand, dass eine grosse Klinik im Jahr zuvor auch die Kinder gemeldet hatte, bei denen zwar eine Beratung, nicht aber ein persönlicher Kontakt wegen häuslicher Gewalt erfolgte. Da wir in der gesamtschweizerischen Statistik nur die Kinder erfassen wollen, die auch tatsächlich an der Klinik gesehen worden waren, wurde dies im Jahr 2018 korrigiert. Alle übrigen Kliniken haben im Jahr 2018 ungefähr gleich viele Kinder erfasst wie im Jahr zuvor.
Fachgruppe Kinderschutz der Schweizer Kinderkliniken
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Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie
Fachgruppe Kinderschutz der Schweizerischen Kinderk liniken
Baden, 14. Mai 2019 mwp/lre
10 Jahre Erfassung von Kinderschutzfällen an Schweizerischen Kinderkliniken: Leider keine
Erfolgsgeschichte!
Im Jahre 2018 wurden im zehnten Jahr in Folge die K inder erfasst, die wegen vermuteter oder
sicherer Kindsmisshandlung ambulant oder stationär an einer Schweizerischen Kinderklinik behandelt
worden waren. Auch in diesem Jahr konnten wiederum die Daten von 20 der insgesamt offiziellen 31
Kinderkliniken oder Kinderabteilungen der Schweiz e rfasst werden. Da nur kleine Kinderabteilungen
ihre Fälle nicht gemeldet haben, widerspiegelt dies e Statistik einen ganz grossen Anteil der Fälle von
Kindsmisshandlung, die an einer Schweizerischen Kin derklinik im letzten Jahr behandelt worden sind.
Resultate
Von den 20 Kliniken wurden insgesamt 1502 Fälle gemeldet, rund 13 % weniger als im Vorjahr.
Dieser Rückgang ist zurückzuführen auf den Umstand, dass eine grosse Klinik im Jahr zuvor auch die
Kinder gemeldet hatte, bei denen zwar eine Beratung , nicht aber ein persönlicher Kontakt wegen
häuslicher Gewalt erfolgte. Da wir in der gesamtsch weizerischen Statistik nur die Kinder erfassen
wollen, die auch tatsächlich an der Klinik gesehen worden waren, wurde dies im Jahr 2018 korrigiert.
Alle übrigen Kliniken haben im Jahr 2018 ungefähr g leich viele Kinder erfasst wie im Jahr zuvor.
Körperliche Misshandlung 436 (29,0%)
Psychische Misshandlung 354 (23,6 %)
Vernachlässigung 405 (27,0 %)
Sexueller Missbrauch 297 (19,8 %)
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom 10 ( 0,7 %)
Die Verteilung unter den verschiedenen Misshandlung sformen präsentiert sich dieses Jahr etwas
ausgeglichener, insbesondere der Anteil von psychis ch misshandelten Kindern ist aus den oben
erwähnten Gründen etwas kleiner. Da die verschieden en Misshandlungsformen oft in Kombination
miteinander vorkommen, ist eine genaue Abgrenzung n icht immer möglich. Die Geschlechter-
verteilung bleibt erstaunlich konstant mit über a lle Misshandlungsformen gesehen 44 % Knaben
und 56 % Mädchen. 244 Fälle (16,2 %) betreffen Kind er im ersten Lebensjahr, ⅓ aller misshandelten
Kinder sind jünger als 4 Jahre, das heisst, in der Regel noch nicht im Kindergarten und somit weniger
unter externer Kontrolle.
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Geschlecht der Kinder in den einzelnen Diagnosegrup pen:
Knaben Mädchen
Körperliche Misshandlung 54,5 % 45,5 %
Vernachlässigung 51,3 % 48,7 %
Psychische Misshandlung 43,6 % 56,4 %
Sexueller Missbrauch 22,9 % 77,1 %
Weiterhin sehr ausgeglichene Geschlechterverteilung in allen Misshandlungsformen mit Ausnahme
des sexuellen Missbrauchs, wo Mädchen rund 4 x häuf iger betroffen sind als Knaben.
Sicherheit der Diagnose
Sicher 923 (61,5 %)
Wahrscheinlich 310 (20,6 %)
Unklar 269 (17,9 %)
Die höchste Sicherheit wurde erneut im Bereich der psychischen Misshandlung mit 80 % angegeben,
bei den übrigen Misshandlungsformen konnte die Diag nose nur in rund der Hälfte mit Sicherheit
gestellt werden.
Täterin / Täter: Beziehung zum Kind
Familie 1167 (77,7 %)
Bekannte/r des Kindes 188 (12,5 %)
Fremdtäter 49 ( 3,3 %)
Unbekannter Täter 98 ( 6,5 %)
Fast alle Fälle von psychischer Misshandlung oder V ernachlässigung finden im Familienrahmen statt,
die körperliche Misshandlung in ¾ aller Fälle. Beim sexuellen Missbrauch kommt der Täter oder die
Täterin in jedem dritten Fall aus der Familie, in ¼ aller Fälle handelt es sich um einen Fremdtäter od er
um einen unbekannten Täter.
Täterin / Täter: Geschlecht
Männlich 593 (39,5 %)
Weiblich 374 (24,9 %)
Männlich und weiblich (meist Eltern gemeinsam) 400 (26,6 %)
Unbekannt / keine Angabe 135 ( 9,0 %)
Bei der psychischen Misshandlung und bei der Vernac hlässigung werden in den meisten Fällen beide
Elternteile verantwortlich gemacht. Körperliche Mis shandlung wird mehr durch Männer begangen,
beim sexuellen Missbrauch sind die Männer mit 76,4 % weit in der Überzahl.
Täterin / Täter: Alter
Älter als 18 Jahre 1257 (83,7 %)
Jünger als 18 Jahre 134 ( 8,9 %)
Jünger und älter als 18 Jahre (mehrere Täter) 7 ( 0,5 %)
Unbekanntes Alter / keine Angabe 104 ( 6 ,9 %)
Die jugendlichen Täter sind für ¼ der Fälle von sex uellem Missbrauch verantwortlich. Knapp 10 % der
Fälle von körperlicher Misshandlung wird ebenfalls durch Jugendliche begangen, bei psychischer
Misshandlung und insbesondere bei Vernachlässigung spielen sie praktisch keine Rolle.
Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen 381 (25,4 %)
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht 414 (2 7,6 %)
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen 42 ( 2,8 %)
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Meldung an die Strafverfolgungsbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen 201 (13,4 %)
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht 72 ( 4,8 %)
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen 65 ( 4,3 %)
Bei jedem 4. Kind, welches an einer Kinderklinik be züglich Misshandlung abgeklärt wird, ist die
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde bereits schon vorgängig involviert, zudem machen die
Kinderschutzgruppen in 27,6 % der Fälle selber eine Meldung an die Kindes- und Erwachsenen-
schutzbehörde. Diese Zusammenarbeit zwischen den Ki nderschutzgruppen an Kinderkliniken und den
zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden i st von grosser W ichtigkeit, weshalb eine
behördliche Intervention wegen fehlender Einsicht, schlechter Kooperation und oft ungenügenden
familiären Ressourcen häufig nötig ist.
Fazit nach 10 Jahren · Nach Jahren der Zunahme von Fällen (bessere Erfass ung und stärkere Sensibilisierung auf das
Thema) scheinen sich die Fallzahlen auf einem hohen Niveau zu stabilisieren.
· Erneut sind 2018 allein an Kinderkliniken drei Kinder an den Folgen einer Misshandlung
gestorben. In allen Fällen handelte es sich um körp erliche Misshandlung.
· Ein Drittel aller Kinder, die misshandelt werden, sind jünger als vier Jahre alt, das heisst, in einem
Lebensabschnitt, wo es wenig familienexterne Kontro lle gibt. Ein Fokus in der Prävention könnte
darauf gelegt werden, wie man diese besonders gefäh rdete Altersgruppe besser erreicht und
schützt.
Für die Fachgruppe Kinderschutz
Dr. med. Markus Wopmann, Leiter der Fachgruppe
Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche
Kantonsspital
5404 Baden
Weitere Informationen
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Markus Wopmann , Klinik für Kinder und Jugendliche, Kantonsspital Baden