Als in den 1950-ger Jahren bei Kindern mehr und mehr der venöse Zugang benutzt wurde, stellte sich die Frage nach der Lösung, durch diesen neuen Zugang verabreicht werden sollte. Holliday und Segar publizierten 1957 in Pediatrics1) einen Artikel der sozusagen bis heute zur Referenz für pädiatrische Infusionen werden sollte. Um die Zusammensetzung der Infusionslösung zu berechnen, stützten sie sich auf den Natrium-, Kalium- und Chlorgehalt von Mutter- und Kuhmilch, und extrapolierten daraus ihre Empfehlungen: 3 mmol Natrium/kg/d und 2 mmol Kalium/kg/d. Diese Empfehlungen hatten ein langes Leben. In Pediatrics 19982) findet sich ein Kommentar, der diese Angaben als immer noch fachgerecht betrachtete.
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Einführung
Als in den 1950 -ger Jahren bei Kindern mehr
und mehr der venöse Zugang benutzt wurde,
stellte sich die Frage nach der Lösung, durch
diesen neuen Zugang verabreicht werden
sollte. Holliday und Segar publizierten 1957 in
Pediatrics
1) einen Artikel der sozusagen bis
heute zur Referenz für pädiatrische Infusionen
werden sollte. Um die Zusammensetzung der
Infusionslösung zu berechnen, stützten sie
sich auf den Natrium-, Kalium- und Chlorge-
halt von \butter- und Kuhmilch, und extrapo –
lierten daraus ihre Empfehlungen: 3 mmol
Natrium/kg/d und 2 mmol Kalium/kg/d.
Diese Empfehlungen hatten ein langes Leben.
In Pediatrics 1998
2) findet sich ein Kommen –
tar, der diese Angaben als immer noch fach –
gerecht betrachtete.
Eine der ar tige Lösung mit nur 30 mmol/l NaCl
hat eine osmotische Konzentration von nur 30
mOsm/l, das ist 10x weniger als NaCl 0.9
%
(30
8 mOsm/l).
Gefahren der Hyponatriämie
Der extrazelluläre osmotische Druck beruht
im wesentlichen auf Natrium, während der
intrazelluläre osmotische Druck von Kalium
abhängt. Ein Abfall des plasmatischen Natri -ums führt zu einer Verschiebung von Wasser
in den intrazellulären Raum und damit zu ei
–
nem Zellödem. Im geschlossenen intrakrani –
alen Raum hat dies bedeutendere Folgen als
in den übrigen Zellen. Aus diesem Grund be-
sitzen die Nervenzellen Schutzmechanismen
gegen die Ödembildung, sofern die osmoti –
schen Änderung langsam, über Tage eintre –
ten. Rasche und grössere Änderungen des
Natriumplasmaspiegels hingegen, wie dies bei
Infusion von hypotonen Lösungen oder erhöh –
ter Ausschüttung von antidiuretischem Hor –
mon der Fall ist , üb er f ahr en diese Komp ensa –
tionsmechanismen und führen zum Hirnödem
mit schweren neurologischen oder gar tödli –
chen Folgen
3). Es erscheint deshalb sinnvoll,
die Hyponatriämie zu verhindern.
Ursachen von Hyponatriämie
Beim Kind, das in einer Kinderklinik liegt,
müssen im wesentlichen zwei Ursachen für
eine Hyponatriämie in Betracht gezogen wer –
den: Die Infusion hypotoner Lösungen
4) und
die adäquate oder inadäquate Ausschüttung
von antidiuretischem Hormon.
Infusionslösungen:
Die \bechanismen der Natriämieregulation
beruhen auf komplexen Interaktionen zwi –
schen Niere, Durst und eingenommenen
Wasser- und Natriummengen. Ein Patient
dessen gesamte Flüssigkeitszufuhr auf einer
Infusion beruht, verliert seine Durstregulation
und hängt von den verschriebenen Infusions -mengen ab. Die von Segar und Holliday emp
–
fohlene Lösung sieht 3 mmol Natr ium/10 0 ml
vor, was einer 0.17
% ig
en Lösung, oder mit
anderen Worte der in der Pädiatrie verwende –
ten Lösung mit der tiefsten Natriumkonzent –
ration entspricht (siehe Tabelle) .
ADH-Sekretion:
Antidiuretisches Hormon (ADH) wird ausge –
schüttet, wenn die Blutosmolarität zu hoch ist
(oder nachts), um die Wasserrückresorption
in der Niere zu erhöhen. Dies erlaubt die Hy-
perosmolarität durch Verdünnen des intravas –
kulären Volumens zu korrigieren. ADH kann
auch unter anderen physiologischen Bedin –
gungen ausgeschüttet werden, wie Hypovolä –
mie, Schmer z , B r echr eiz o der A ngst gef ühl. Es
gibt auch Situationen, in welchen die Regula –
tion des Systems verloren geht und ADH in –
adäquat ausgeschüttet wird
5). Zudem b esteht
zwischen den beiden Hyponatriämie-\becha –
nismen eine Interaktion, da hypotone Infusi-
onslösungen die ADH-Sekretion fördern
6).
Es ist einf ach zu ver stehen, das s die \behr z ahl
Patienten, die mit einer Infusion in einer Kin –
derklinik liegen, mindestens einen guten
Grund für eine inadäquate ADH-Ausschüttung
haben, sei es nun Hypovolämie, Schmerz,
Brechreiz oder Angst.
Summiert können eine hyponatriämische In –
fusionslösung und erhöhte ADH-Ausschüt –
tung sehr schnell zu einer – vermeidbaren –
Hyponatriämie mit entsprechenden Kom
–
plik
ationen führen.
Isonatriämische Infusionslösungen
\bit der zunehmenden Banalisierung der Infu –
sionstherapie im Kindesalter und der Erken –
nung der Hyponatriämiekomplikationen kam
die Idee auf, Elektrolyt- Glukose-Lösungen zu
Isotonische Infusionslösungen
S. Chalier a), O. Karam b), Genf Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
a)
Servi
ce de pédiatrie générale, Hôpitaux Universi –
taires de Genève, Genève, Suisse
b)
Uni
té de soins intensifs pédiatriques, Hôpitaux
Universitaires de Genève, Genève, Suisse
Lösung Na+Cl-GlucoseOs\bolaritätOs\botische
Konzentration
Elektrolyt-Glucose-
\bischung 2:1 51 mmol/l
51 mmol/l3 . 3 %28 7 mOsm/l100 mOsm/l
Elektrolyt-Glucose-
\bischung 3:1.5 77 mmol/l
77 mmol/l5
%43
2 mOsm/l150 mOsm/l
Segar-Holliday-Lösung 30 mmol/l30 mmol/l5
%34
4 mOsm/l60 mOsm/l
NaCl 0.9
% 154 m
mol/l154 mmol/l –308 mOsm/l308 mOsm/l
Ringer Laktat 131 mmol/l110 mmol/l–278 mOsm/l273 mOsm/l
Iso G5 (HUG) 154 mmol/l154 mmol/l4.6
%561 m
Osm/l308 mOsm/l
Iso G10 (HUG) 154 mmol/l 154 mmol/l9 .1
%81
3 mOsm/l308 mOsm/l
1Prof. ffRTof ff.abi
1Prof. RTab
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verwenden. Die grosse Frage war, ob die Pa-
tienten nicht das Risiko einer Hypernatriämie
laufen würden, da sie viel mehr Natrium als
von Holliday und Segar empfohlen, erhalten.
Zahlreiche Publikationen zu Beginn des Jahr-
hunderts beschäftigten sich mit dieser Frage.
Diese randomisierten Studien konzentrierten
sich meist auf 2 Fragen:
1) Entwickeln die mit einer isonatriämischen Lösung behandelten Kinder seltener eine
Hyponatriämie als die, die eine klassische
Lösung bekommen, und
2 ) Kommt es b ei diesen K inder n zur Hy p er nat –
riämie? Die Resultate ergeben eindeutig,
dass isonatriämische Lösungen seltener zu
Hy p onatr iämie und auch nicht zu Hy p er nat –
riämie führen
4) , 7) , 8) .
Es scheint also, dass isonatriämische Infusi –
onslösungen für den Patienten weniger Risi –
ken bergen als hyponatriämische. Obwohl die
American Society of Pediatrics ihre Empfeh –
lungen noch nicht geändert hat, benutzen
mehr und mehr nordamerikanische und euro –
päische Zentren nur noch isonatriämische
Lösungen.
Pra\btisches Vorgehen an der
Universitäts\binder\blini\b Genf
Vor 15 Jahren wurden Infusionslösungen für
jeden Patienten individuell hergestellt. Der
Arzt verschrieb eine Glucoselösung und die
Elektrolytmenge, die zugefügt werden sollte.
Gemäss den Empfehlungen von Holliday und
Segar b etr ug dies im A llgemeinen 2–3 mmol/
kg NaCl und 1–2 mmol/kg KCl. Diese Verord –
nungen führten oft zu Fehlern, weshalb sie in
den Jahren nach 2000 durch gebrauchsfertige
Elektrolyt-Glucose-Lösungen 3:1.5 ersetzt
wurden. Seitdem ein Patient eine symptoma –
tische Hyponatriämie erlitt, wird der Natrium –
spiegel regelmässiger kontrolliert, und es
wurden mehrmals asymptomatische Hypona –
triämien bei infusionsbehandelten Patienten
festgestellt. Auf Grund der Literatur und un –
serer Erfahrungen haben wir 2012 beschlos –
sen, unsere Elektrolyt-Glucose-Lösungen
durch isotone Lösungen mit 4.6
% Gl
ucose
(IsoG5 genannt) und 9.1
% Gl
ucose (IsoG10
genannt) zu ersetzen.
Die Empfehlungen für die vollständigen Infu –
sionslösungen lauten:
•
Kin
der < 3 Monaten und < 6 kg (nor\bo-
oder hyponatriä\bisch): IsoG10 + KCl 2
mmol/kg/d •
Kin
der < 3 Monaten und < 6 kg (hyper-
natriä\bisch): Iso G10 + NaCl 8 mmol/k g/d
+ KCl 2 mmol/kg/d
•
Kin
der > 3 Monaten oder > 6 kg (unab-
hängig von Natriä\bie): IsoG5 + KCl 2
mmol/kg/d.
Bei allen über 24 Stunden vollständig infun –
dierten Patienten wird mindestens einmal
täglich eine Elektrolytbestimmung vorgenom –
men. Seit dieser Umstellung haben wir nie
mehr eine Hy p o – o der Hy p er natr iämie fest ge –
stellt.
Wir wenden diese Empfehlungen in der allge –
meinen Pädiatrie, Kinderchirurgie, pädiatri –
schen Intensivpflege, inbegriffen postoperati –
ve Betreuung von herzoperierten Kindern, an.
Um Verwechslungen vorzubeugen, sind die
übrigen (hypotonen) Infusionslösungen prak –
tisch nicht mehr verfügbar.
Orale Rehydrierung
In den industrialisierten Ländern haben die
Banalisierung der Infusionstherapie und die
Leichtigkeit, mit der sie im Kindesalter ange –
wandt werden kann dazu geführt, dass man
die physiologischste aller \bethoden zur Erhal –
tung einer normalen Hydrierung oder zur
Rehydrierung ein wenig vergessen hat: der
perorale Weg. Selbst wenn es manchmal
notwendig ist, dem Patienten eine \bagenson –
de zu stecken, ist er immer noch viel weniger
invasiv und risikoärmer als der venöse Weg,
und in den meisten Fällen ebenso effizient
9).
Leider ist es so, dass selbst wenn die perora –
le Rehydrierung möglich ist, der venöse Zu –
gang gewählt wird. Dies erleichtert oft die
Arbeit der Pflegenden (und der Eltern) wenn
das Kind nicht trinken will. \ban sollte sich
jedoch in Erinnerung rufen, dass der perorale
Weg in Entwicklungsländern meist der einzig
mögliche ist, mit hervorragenden Resultaten.
Es gibt hingegen Situationen, in denen der
venöse Zugang klar indiziert ist:
•
Bew
usstseinsstörungen
•
Ileus
•
Sch
were Dehydrierung mit Schock
•
\bis
slingen der peroralen Rehydrierung
(Durchfall und/oder Erbrechen)
Schlussfolgerung
Hypotonische Infusionslösungen können zur
Hyponatriämie führen, sind für den Patienten
gefährlich und können zu schweren neurolo –
gischen Komplikationen führen. Die immer
häufiger verwendet isonatriämischen Lösun –
gen gewährleisten eine stabile Natriämie,
ohne Hypo – oder Hypernatriämie.
Der perorale Weg ist der physiologischste und
sollte, ausser in präzisen Ausnahmefällen,
vorgezogen werden.
Referenzen
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ne ed for water in parenteral fluid therapy. Pediat –
rics. 19: 823–832.
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Pediatr Crit Care med 2008 (9); 6: 589–597.
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meta analysis. Pediatrics 2014; 133: 105–13.
9)
Gav
in N, Merrick N, Davidson B. Ef ficacy of gluco –
se -based oral rehydration therapy. Pediatrics 1996;
98: 45.
Die Autoren haben keine finanzielle Unter
stützung und keine anderen Interessenkon
flikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag.
Korrespondenzadresse
Dre Selina Chalier \bD.
Service de pédiatrie générale
Hôpitaux Universitaires de Genève
6, rue Willy Donzé
1211 Genève 14
selina.chalier@ hcuge.ch
1Prof. ffRTof ff.abi
1Prof. RTab
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dre Selina Chalier , Service de pédiatrie générale Hôpitaux Universitaires de Genève O. Karam Andreas Nydegger