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Gesundheit und Prävention im Jugendalter: Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendärzten, Schulärzten und der Schule

Aufgrund der neueren, nichtinvasiven, dynamischen Bildgebung des Gehirns konnten zudem bedeutende Prozesse der Hirnentwicklung im Jugendalter verstanden werden ...

1. Einleitung

Das Jugendalter (gemäss Definition der WHO 10 – 19 Jahre) mit seinen tiefgreifenden Entwicklungen auf körperlicher, kognitiver und psychosozialer Ebene und beträchtlichen Plastizität des Gehirns, bietet nach der frühen Kindheit eine zweite grosse Chance für effektive Interventionen zur Förderung einer gesunden Entwicklung und für Prävention. Gleichzeitig bedeutet das Jugendalter auch eine Phase erhöhter Vulnerabilität für negative Einflüsse, wie z.B. Substanzkonsum und Beginn psychischer Krankheiten.

Prävention im Jugendalter ist wichtig:

  • um die unmittelbare Mortalität und Morbidität zu vermeiden
  • um die Gesundheit im Erwachsenenalter zu verbessern und
  • für die Gesundheit der nächsten Generation, da die heutigen Jugendlichen morgen die Eltern der kommenden Kindergeneration sind und Gesundheitsverhalten weitergeben.

Ziel dieses Artikels ist, erstens die Grundlagen der Prävention im Jugendalter aufzuzeigen. Diese ergeben sich aufgrund der Besonderheiten der neurobiologischen und psychosozialen Entwicklungsprozesse, der Jugendepidemiologie und der Lebenswelten Jugendlicher. Zweitens sollen Grundsätze und Ebenen der Prävention und Gesundheitsförderung im Jugendalter beschrieben werden. Dabei werden die individuelle Früherfassung und Prävention in der Gesundheitsversorgung durch jugendmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, die Public-Health-Aufgaben der Schulärzte und die Gesundheitsförderung in der Schule beschrieben. Basierend auf den Aufgaben von Kinderärzten, Schulärzten und Schule werden die Möglichkeiten für eine effiziente Zusammenarbeit untereinander und mit den betroffenen Jugendlichen und ihren Familien aufgezeigt.

2. Besonderheiten der Prävention im Jugendalter

2.1. Entwicklungsbiologische Grundlage: Gehirnentwicklung im Jugendalter

Das Jugendalter ist gekennzeichnet durch rasche körperliche Entwicklungsprozesse, Wachstum und Pubertät mit hormonalen Veränderungen, die bedeutende Auswirkungen auf das körperliche Erscheinungsbild sowie das emotionale und soziale Erleben und Verhalten haben. Aufgrund der neueren, nichtinvasiven, dynamischen Bildgebung des Gehirns konnten zudem bedeutende Prozesse der Hirnentwicklung im Jugendalter verstanden werden. Diese lassen sich im Wesentlichen vereinfacht so zusammenfassen1):  Im Jugendalter macht das Gehirn eine tiefgreifende Reorganisation durch, eine Veränderung von Gehirnstrukturen,- funktionen und Vernetzungen, die erst in der ersten Hälfte der 3. Lebensdekade abgeschlossen ist. Die Plastitizität in dieser Phase bedeutet einerseits eine Chance negative Einflüsse der frühen Kindheit auszugleichen und optimale Voraussetzungen für das Funktionieren des Gehirns im Erwachsenenalter zu entwickeln. Andererseits ist das Gehirn in dieser Phase hoch vulnerabel für Umwelteinflüsse auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene.

Im Reorganisationsprozess werden nicht gebrauchte Synapsen (graue Substanz) abgebaut, während die Axone (weisse Substanz) verstärkt myelinisiert werden, d.h. die Prozesse im Gehirn werden schneller und effizienter. Jedoch besteht, vereinfacht2) und nicht unwidersprochen, eine bedeutende Diskrepanz im zeitlichen Ablauf der Gehirnreifung. So reifen die Strukturen der sensorischen Wahrnehmung und des Belohnungssystems früh in der Pubertät. Die Areale des präfrontalen Kortex, dem Sitz der exekutiven Funktionen, wie Planung und Steuerung, Prioritätensetzung, Fähigkeiten Abzuwägen, abstraktes Denken, Impulskontrolle, reifen zuletzt. Zudem haben die Areale der sensorischen Wahrnehmung und des Belohnungssystems in der Adoleszenz verstärkt Einfluss auf das Kontrollzentrum (präfrontaler Kortex). Dieser Einfluss ist situationsabhängig und z.B. im Beisein von Gleichaltrigen deutlich erhöht. Veränderungen im Hippocampus und Amygdala, zuständig für die Modulation von emotionalen Rückantworten des Gehirns, werden für die vorübergehende Furchtlosigkeit in der Adoleszenz verantwortlich gemacht. Diese wiederum ist Grundlage, dass Jugendliche neue Umgebungen und Situationen explorieren und Erfahrungen sammeln. Man nimmt an, dass diese Gehirnentwicklungsprozesse auch die Tendenz Jugendlicher zu risikobehaftetem Experimentierverhalten erklären. Durch diese Verhaltensweisen, wie beispielsweise Mutproben, gefährliches Auto-/Motorradfahren, sexuelles Experimentieren oder Ausüben von Risikosport ohne Schutzmassnahmen und Ausprobieren von psychotropen Substanzen, sind Jugendliche einem erhöhtem Unfall- und Krankheitsrisiko ausgesetzt.

Gerade für Substanzabhängigkeit, insbesondere Nikotin, ist das jugendliche Gehirn, je jünger desto ausgeprägter deutlich vulnerabler als das Erwachsener.3) Darum sollte der Beginn des Rauchens, als Risikofaktor im psychosozialen Screening erfragt werden.

Wenn das Netzwerk der kognitiven Kontrolle dann zu Beginn der 3. Lebensdekade ausgereift ist, legt sich zwar in der Regel das risikoreiche Experimentierverhalten, aber allenfalls haben schon unmittelbare Gesundheitsschäden stattgefunden oder hat sich eine Substanzabhängigkeit etabliert.

2.2. Psychosoziale Entwicklung als Grundlage für Prävention

Die psychosoziale Entwicklung findet in Wechselwirkung mit den körperlichen Veränderungen und der sozialen und physischen Umwelt statt.4) Der veränderte Körper mit deutlichen sekundären Geschlechtsmerkmalen, der neue sexuelle Antrieb, die erhöhte Sensitivität für soziale Informationen, die neuen Fähigkeiten im Denken, Erleben, motorischem und sozialem Funktionieren, müssen vom Jugendlichen in einem langen Findungsprozess verarbeitet und in ein neues Selbstkonzept integriert werden. Das Selbstkonzept der Kindheit ist überholt und muss neu rekonstruiert werden, so dass es über soziale Beziehungen und Kontexte hinaus stabil gültig ist. Grundlage ist, dass Jugendliche die Diskrepanz zwischen Ideal und realem Selbst wahrnehmen und positiv bearbeiten können. Zwar tendieren Jugendliche in der Selbstevaluation sich stark auf Peers zu verlassen, dennoch und gerade deshalb ist die Unterstützung durch eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern oder auch anderen Erwachsenen wichtig. Diese sollten die Entwicklungsbedürfnisse des Jugendlichen verstehen, um eine übertriebene Selbstkritik oder -abwertung, sowie zu hoch gesteckte Erwartungen aufzufangen.4) Diese Herausforderungen und Findungsprozesse werden seit Jahrzehnten als Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz bezeichnet (anfänglich von R. Havighurst und E.Erickson, mehrfach erweitert u.a. von K. Hurrelmann5)) und können vereinfacht folgendermassen zusammengefasst werden:

Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

  • Entwicklung einer Erwachsenen Identität als Antwort auf die Fragen «Wer bin ich?», «Wie sehe ich mich und andere mich?» und «Wo ist mein Platz in der Welt?». Dazu gehört auch
    • die Veränderungen des eigenen Körpers zu akzeptieren und ins Selbstbild zu integrieren.
    • Seine sexuelle Identität zu finden
    • Seine soziale inkl. die geschlechtsbezogene gesellschaftliche Rolle als Mann oder Frau oder drittes Geschlecht zu finden. Besonders herausfordernd ist die Konstruktion der sozialen Identität vor dem Hintergrund, dass Menschen heute zu multiplen Gruppen sozial zugehörig sind (ethnisch, religiös, sprachlich, national, sexuell, bildungs-, berufs- und freizeitbezogen, ökonomisch etc.)
    • Eigenständige Beziehungen zu Erwachsenen, Altersgenossen und zu einem intimen Partner zu entwickeln
  • Entwicklung eigener Werte und realistischer Zukunftsperspektiven (moralisch, beruflich, sozial und betreffend Familiengründung) als Antwort auf die Frage «Wozu bin ich da?».
  • Entwicklung von Autonomie durch Ablösung vom Elternhaus und entwickeln der Fähigkeiten für sich selbst zu sorgen. Diese Entwicklungsaufgabe wird auch differenzierter beschrieben als eine Balance finden zwischen Unabhängigkeit und verbindenden Beziehungen.4)

Hurrelmann präzisiert und ergänzt diese Aufgaben mit der Qualifikation für eine Berufstätigkeit, mit den Fähigkeiten eigenständiger Konsument und partizipierender politischer Bürger zu sein.

2.3. Epidemiologische Grundlagen

Das Jugendalter wird mit Recht aufgrund der relativ tiefen Mortalität und Morbidität als wenig krankheitsbelastete Lebensphase betrachtet. Die aktuellen Gesundheitsprobleme von Jugendlichen lassen sich am besten als «neue Morbiditäten» umschreiben. Gemeint sind Krankheiten, die Folgen von psychosozialen Umständen, gesundheitsschädigendem Verhalten oder Umweltbedingungen sind. Im Folgenden werden zum Verständnis des Präventionsbedarfes relevante Daten zu Mortalität, Morbidität, Gesundheitsverhalten und Wohlbefinden Jugendlicher präsentiert.

a) Mortalität

Die Mortalitätsrate Jugendlicher in der Schweiz ist tatsächlich die tiefste im Lebenszyklus. Bei 15 – 19-jährigen steigt sie leicht an. Bei 15 – 19-jährigen ist gemäss Bundesamt für Statistik die Mortalität bei den Jungen mehr als doppelt so hoch wie bei den Mädchen. Während bei jüngeren Jugendlichen noch somatische Krankheiten gefolgt von Unfällen Haupttodesursachen sind, rücken mit zunehmendem Alter vor allem Unfälle und Suizid in den Vordergrund. Zur Veranschaulichung der Bedeutung von Suizid im Vergleich zu invasiven Meningokokkenkrankheiten siehe Tabelle 1.

Tabelle 1:
Jugendliche sterben heute bis zu 50 Mal häufiger durch Suizid als durch Meningokokkenerkrankungen.

b) Morbidität

Schweizer Daten zur Morbidität im Jugendalter sind nur ungenügend vorhanden. Europäische Daten6) zeigen, dass v.a. nicht-übertragbare Krankheiten sowie psychische Erkrankungen im Vordergrund stehen, sowie Folgen von Unfällen und Selbstverletzungen, chronische Krankheiten und Missbrauch von Drogen. In der Schweiz ist aktuell jeder Vierte Jugendliche in der Oberstufe adipös (6.2 %) oder übergewichtig (18.6 %).7)

Gesundheitsverhalten/Lebensstil und Wohlbefinden Jugendlicher
Das sich in der Adoleszenz entwickelnde Gesundheitsverhalten und der gesundheitsbezogene Lebensstil setzen sich in den meisten Fällen im Erwachsenenalter fort. Die meisten der nicht-übertragbaren Erkrankungen im Erwachsenenalter beruhen auf Risikofaktoren, die sich in der Adoleszenz ausgebildet haben. So werden 8 von 10 adipösen Teenagern adipöse Erwachsene und mehr als 8 von 10 erwachsenen Rauchern haben vor dem Alter von 19 mit dem Rauchen begonnen.8) Prävention, die im Jugendalter ansetzt betrifft also auch die Gesundheit Erwachsener und – wenn man bedenkt, dass die heutigen Jugendlichen die Eltern von morgen sind – auch diejenige der Kinder der nächsten Generation.

Schweizer Daten9) 10) zeigen (Tabelle 2), dass es zwar den meisten 11 – 15-jährigen Jugendlichen subjektiv gut geht; Müdigkeit, Einschlafstörungen, Traurigkeit und v.a. schulischer Stress kommen jedoch häufig vor. Der Konsum legaler und illegaler Drogen, Tabak, Alkohol und Cannabis hat zwar über die letzten Jahre abgenommen, wird aber von einer relevanten Minderheit der Jugendlichen praktiziert. Viele Jugendliche bewegen sich nicht genug, dafür verbringen sie in der Freizeit im Schnitt 4.4 Stunden pro Schultag und 7.4 Stunden pro Wochenendtag vor einem Bildschirm.11)  Mehr als ein Viertel der Jugendlichen (Befunde aus der Stadt Bern) schlafen zu wenig und haben damit ein erhöhtes Risiko für Unfälle, Uebergewicht, Kopfschmerzen, verminderte Aufmerksamkeit, Depression und weitere psychischen Beeinträchtigungen. Mobbing in der Schule und Cybermobbing beeinträchtigen einige Jugendliche in ihrem Wohlbefinden. Zwar wird Sexualität mit Geschlechtsverkehr ausgelebt, es werden jedoch von den meisten, aber nicht allen, Schutzmassnahmen getroffen. Die Schwangerschaftsabbruchrate ist bei Teenagern (15 – 19-jährigen) in der Schweiz mit 3/1000 Frauen eine der tiefsten weltweit.

Tabelle 2:
Gesundheitsverhalten und Wohlbefinden Schweizer Jugendlicher

Gesundheitsverhalten ist stark von den Lebensbedingungen, dem sozioökonomischen und Bildungsstatus beeinflusst. Insbesondere ist eine Akkumulation von Risikofaktoren bei tiefem sozioökonomischem Status gehäuft.

Schutz-oder protektive Faktoren, die eine positive Entwicklung fördern sind in der Adoleszenz ähnlich wie diejenigen in der Kindheit.12) Dazu gehören u.a. gute kognitive Fähigkeiten, gute Selbstregulation und Selbstwirksamkeitsüberzeugung, sowie stabile erwachsene Bezugspersonen und Unterstützung durch die Familie.  

2.4. Lebenswelten Jugendlicher: Fokus Schule

Mit der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen erschliessen sich zunehmend neue Lebenswelten ausserhalb der Familie. Eine besondere Rolle spielt die Lebenswelt Schule.

Schulpflichtige Jugendliche verbringen knapp 40 Wochen pro Jahr in der Schule und erleben z.B. über die 3 Jahren der Sekundarstufe I im Schweizer Schnitt 4’000 Lektionen.A) Hier werden die Weichen für den Bildungserfolg gestellt, der massgeblich die Gesundheit beeinflusst.

Die Jugendlichen werden in der Schule gemeinsam sozialisiert, erlernen Verhaltensmuster auch in Bezug auf die Gesundheit, sehen Rollenmodelle und entwickeln Werte. Die physische, soziale und emotionale Umgebung der Schule hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit der Jugendlichen. So können Jugendliche in der Schule einerseits übertragbaren Krankheiten, Umweltnoxen sowie auch Stress, Gewalt und Mobbing ausgesetzt sein. Andererseits können im optimalen Fall Jugendliche einen gesunden Schulalltag mit einem Lebensrhythmus erleben, der ihren Bedürfnissen entspricht, sich in der Schule gesund ernähren und bewegen, sowie gesunde Verhaltensweisen und soziale Fähigkeiten entwickeln.

Im Setting der obligatorischen Schule können fast alle Jugendlichen über eine bereits bestehende Infrastruktur erreicht werden, die es erlaubt, medizinische Vorsorge und Prävention auch an diejenigen Jugendlichen heranzutragen, die keine hausärztliche Versorgung (mehr) haben.

Im Schulsystem arbeiten Fachpersonen verschiedener Disziplinen, wie Sozialarbeit, Psychologie und Heilpädagogik, die Jugendliche in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen. Dazu kommen Fachpersonen der Gesundheitsförderung, die Angebote auf kollektiver und individueller Ebene anbieten.

A) Deutschschweizer Erziehungsdirektoren Konferenz. Stundentafeln zum Lehrplan 21. Auswertung 2017-18.D-EDK 2018. Online: www.d-edk.ch

3.  Prävention und Gesundheitsförderung im Jugendalter

Aus den epidemiologischen Grundlagen folgt, dass im Jugendalter somatisch orientierte Prävention, Früherkennung von Krankheiten und Verhütung von übertragbaren Krankheiten, erweitert werden muss mit Prävention von nicht-übertragbaren Krankheiten. Dabei spielt positive Einflussnahme auf das Gesundheitsverhalten und Stärkung der Gesundheitskompetenzen eine besonders grosse Rolle.

3.1. Allgemeine Prinzipien der Prävention bei Jugendlichen

a) Orientierung der Prävention an der Entwicklung und an Ressourcen Jugendlicher

Präventionsbotschaften und -massnahmen müssen an die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten Jugendlicher angepasst sein. Botschaften müssen möglichst konkret formuliert sein und hauptsächlich unmittelbare und für den Jugendlichen wichtige Auswirkungen auf sein jetziges Leben enthalten.  So ist es z.B. viel zielführender in der Tabakprävention einen Jugendlichen den finanziellen Aufwand für sein Rauchen im Vergleich zu seinem Taschengeld ausrechnen zu lassen, als über die Gefahr von späterem Lungenkrebs zu sprechen.

Die Gestaltung von Präventionsmassnahmen sollte sich an Entwicklungsaufgaben orientieren. Es geht darum, Räume zu schaffen, wo die Jugendlichen spielerisch explorieren, ihre neuen körperlichen, kognitiven, psychischen und sozialen Fähigkeiten breit erfahren und trainieren können. Sie sollen Selbstwirksamkeit erfahren können durch Erreichen persönlicher Ziele, aber auch durch Wertschätzung ihres Beitrags in Familie und Gesellschaft. Jugendliche mit chronischen Krankheiten sollen zunehmend selbst Verantwortung für ihre Behandlung übernehmen können. Das Modell des «Positive Youth Development» konzeptualisiert, basierend auf Ressourcen statt Risikofaktoren, die Anforderungen zur Förderung einer gesunden Entwicklung Jugendlicher. Darin werden die Fähigkeiten, für die Lernräume geschaffen werden müssen, mit den «5 C» zusammengefasst: Competency, Confidence, Connection, Character and Contribution.

b) Ebenen der Prävention

Ganzheitliche Prävention und Gesundheitsförderung setzt in allen Lebenswelten an. Diese sind im Jugendalter v.a.:

  • Jugendliche und ihre Familie
  • Das Gesundheitsversorgungssystem
  • Die Schule
  • Freizeitinstitutionen, Jugend-und Sportverbände
  • der öffentlichen Raum, inklusive die sozialen Medien.

Universelle, d.h. an alle Jugendliche gerichtete Prävention wird ergänzt mit selektiver Prävention, d.h. Massnahmen für spezielle Risikogruppen. Wichtig ist, dass Früherfassung/-intervention und Verhaltensprävention mit Verhältnisprävention, d.h. struktureller Prävention ergänzt wird. Kinder- und Hausärzte spielen traditionell eine wichtige Rolle für die universelle und selektive Prävention auf Ebene des Individuums und der Familie. Aufgrund ihrer Erfahrung und Glaubwürdigkeit können und sollen sie sich jedoch auch für die Verhältnisprävention engagieren und sich anwaltschaftlich einsetzen für strukturelle Veränderungen auf Ebene Schule, Gemeinde und Politik zugunsten einer gesundheitsförderlichen Umgebung. Ein Beispiel dafür auf Politikebene ist das erfolgreiche Engagement für die Initiative «Kinder ohne Tabak».

Schulärzte setzen sich subsidiär auf der individuellen Ebene ein und haben zusätzliche Public-Health-Aufgaben v.a. in der Verhältnisprävention.

Im Folgenden wird auf einzelne Interventionsebenen näher eingegangen. Zuerst wird die  individualmedizinische Prävention in der Gesundheitsvorsorge durch Kinder- und Hausärzte, sowie die Ergänzung durch Schulärzte beschrieben. Als Zweites wird auf die Public-Health -Aufgaben des Schularztes geblickt. Zuletzt wird Gesundheitsförderung am Beispiel des Settings Schule erläutert.

3.2. Jugendmedizinische Vorsorgeuntersuchungen: Früherkennung, Frühintervention und Prävention in der individualmedizinischen Gesundheitsversorgung:

a) Inhalt
Die jmVU orientieren sich inhaltlich an der Jugendepidemiologie und haben somit einen Schwerpunkt Früherkennung von psychischen Störungen und gesundheitsschädigendem Verhalten.  Im Rahmen der jmVU werden auch notwendige Impfungen verabreicht.

Zwar sind in der Schweiz die meisten schwerwiegenden organischen Krankheiten aufgrund der guten kinderärztlichen Vorsorge zu diesem Zeitpunkt erkannt. Trotzdem werden noch unbehandelte Fehlsichtigkeit, Hörstörungen, Folgen von Sportraumata oder Fehlhaltungen, psychosozial behindernde Akne, suspekte Naevi, Phimosen und Varikozelen gefunden.13) Bei bereits bekannten chronischen Krankheiten wie z.B.  Asthma, Allergien und Neurodermitis kann eine Behandlungsanpassung notwendig sein.

Manche Gesundheitsprobleme wie Übergewicht und Adipositas, anorektische oder bulimische Tendenzen, Schlafstörungen, Stress, Kopfschmerzen/Migräne oder Dysmenorrhoen gewinnen in der jmVU erstmals ärztliche Aufmerksamkeit.13) Nicht selten erfährt der aufmerksame Jugendarzt von seinen Patienten, dass sie sexuell aktiv sind ohne adäquate Verhütung und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Er kann die Jugendlichen für konsequente Anwendung von geeigneten Schutzmassnahmen motivieren und den Zugang dazu vermitteln. Besondere Aufmerksamkeit ist verlangt um Risikofaktoren und Frühzeichen von psychischen Störungen, insbesondere Depressionen, Verhaltensstörungen, Suchtverhalten und Schulschwierigkeiten zu erkennen und eine adäquate Abklärung und Behandlung einzuleiten. Im ärztlichen Einzelgespräch gilt es, alle Jugendliche in bereits vorhandenem guten Gesundheitsverhalten zu bestärken und zu motivieren, selber Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen, sowie entwicklungsgerechte Präventionsbotschaften zu vermitteln.

b) Durchführung
Die jmVU inkl. -gespräch sollten nach den Regeln der Jugendmedizin durchgeführt werden, das heisst unter anderem Durchführung (auch) mit dem Jugendlichen alleine, Zusicherung des bzgl. Fremd- und Selbstgefährdung beschränkten Patientengeheimnisses, entwicklungsgerechte und ressourcenorientierte Kommunikation mit dem Jugendlichen, Selbstbestimmung des Jugendlichen bzgl. was besprochen und untersucht wird. Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen und das Wissen über die zeitlich verzögerte Entwicklung ihrer kognitiven Kontrolle, wie sie Pädiater und hauptamtliche Schulärzte mitbringen, sind dabei äusserst wichtig. Die Gestaltung des Angebotes sollte an Prinzipien der «jugendfreundlichen Gesundheitsdienste» («Adolescent friendly Health services») ausgerichtet werden, die adäquate Zugänglichkeit (räumlich und zeitlich), chancengerechten Zugang, adäquate, für Jugendliche akzeptable und effiziente Angebote fordern.

Für das beratende Gespräch ist eine positive, nicht wertende Haltung und Wertschätzung gegenüber dem Jugendlichen nötig.  Für die psychosoziale Anamnese und Screening hat sich als Erinnerungshilfe für den Arzt das Akronym «HEEADSSS» (Home, Education, Eating, Activities, Drugs, Sex, Suicide, Safety)15) bewährt, das von vielen Jugendmedizinern noch um ein weiteres «S», Social Media, erweitert wird. Neu kann dazu eine APP (Suchstichwort «Heeadsss») auf Englisch heruntergeladen werden, die auch Formulierungen für Fragen an den Jugendlichen vorschlägt.

Die SGP stellt auf ihrer Website ausführliche Checklisten für die Jugenduntersuchungen zur Verfügung. Eine ausführliche Beschreibung der schweizerischen kinderärztlichen VU inkl. Jugenduntersuchung mit ausführlichen Hintergrundsinformationen befindet sich im Atlas der Entwicklungsdiagnostik.16) .

c) Chancen der Grundversorger
Die Durchführung der JugendVU beim eigenen Kinder- oder Hausarzt hat zum Vorteil, dass er die Jugendlichen mit ihrer gesamten gesundheitlichen Entwicklung im Kontext ihrer Familie kennt. So erhalten vorbestehende Gesundheitsprobleme sicher genügend Beachtung und es können v.a. Doppelspurigkeiten vermieden werden. Zusätzlich haben Kinder- und Hausärzte die Gelegenheit, anlässlich anderweitig motivierter Konsultationen ein – der Situation angepasstes – psychosoziales Screening durchzuführen.

d) Inanspruchnahme
Leider werden mit den jmVU der Grundversorger nicht alle Jugendlichen erreicht. In Deutschland nehmen etwa 40% der Jugendlichen an der jmVU teil, jedoch jugendliche Migranten sowie Jugendliche, die von Allgemeinärzten behandelt werden, nur etwa halb so häufig.13) Schweizer Daten zur Inanspruchnahme der jmVU sind aktuell nicht vorhanden. 

e) Ergänzende schulärztliche Jugenduntersuchungen
Ergänzend zur haus-und kinderärztlichen Versorgung werden in der Schweiz in der Regel allen schulpflichtigen Jugendlichen schulärztliche Jugenduntersuchungen (SJU) angeboten, die je nach Kanton im Alter zwischen 13 und 15 Jahren durchgeführt werden. In der Regel können die Eltern wählen, ob die Untersuchung beim Hausarzt oder Schularzt stattfinden soll. Die Durchführung wird anhand einer Bestätigung vom Hausarzt kontrolliert. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass kein Jugendlicher durch die Maschen des Gesundheitsversorungs- und Präventionsnetzes fällt. So sind auch Jugendliche in Kantonen mit einem Impfangebot über die Schule weitaus besser durchimpft als in Kantonen ohne dieses Angebot (Bsp. HPV-Impfrate:  OR 2.51, 95% CI 1.77-3.56 17)).

In den professionellen schulärztlichen Diensten der grösseren Städte sind die Jugenduntersuchungen weitgehend standardisiert. So werden dort meistens die Jugendlichen während einer Schullektion durch eine medizinische Fachpersonen des schulärztlichen Dienstes auf die Untersuchung vorbereitet. Dabei werden auch die Impfungen vorgestellt und auf Wunsch der Jugendlichen Gesundheitsthemen diskutiert, das Prinzip des Patientengeheimnisses erklärt und meist ein (lokal ausgearbeiteter) FragebogenB) zur Gesundheit abgegeben, der sich inhaltlich an HEEADSSS (s.o.) orientiert. Dieser soll an die Untersuchung ausgefüllt mitgenommen werden, bleibt aber im Besitz des Jugendlichen. Inhaltlich orientiert sich die SJU an der jmVU.  Abgesehen von der Erfassung von Grösse, Gewicht und Blutdruck, Seh- und Hörvermögen werden körperliche Untersuchungen nur auf ausdrücklichen Wunsch des Jugendlichen durchgeführt. Die notwendigen Impfungen werden mit Einverständnis der Eltern und des Jugendlichen ergänzt. Bei Impfwunsch des Jugendlichen und fehlendem Einverständnis der Eltern, kann der Jugendliche eine schulärztliche Konsultation vereinbaren, in der auf Basis einer Prüfung der Urteilsfähigkeit die Impfung durchgeführt werden kann.18) 

Der Fokus liegt wie in der jugendmedizinischen Vorsorgeuntersuchung auf dem ärztlichen Einzelgespräch mit dem Jugendlichen.

f) Chancen der schulärztlichen Untersuchung
Nicht selten erhalten Schulärzte von Lehrpersonen Hinweise, um welche Schüler sie sich besonders Sorgen machen, so dass sie diesen spezielle Aufmerksamkeit widmen können.

Bei medizinischer Indikation oder sonstigem Bedarf empfehlen die Schulärzte den Jugendlichen eine Konsultation beim Haus- oder Kinderarzt, der die Jugendlichen und ihre Familien in der Regel gut kennt, aber häufig schon länger nicht mehr in der Praxis gesehen hat. Diejenigen Jugendlichen, v.a. Neuzuzüger, die keinen Kinder-oder Hausarzt haben, werden von den schulärztlichen Diensten in der Suche unterstützt. Bei Bedarf können Jugendlichen weitere schulärztliche Beratungen angeboten oder mit ihrem Einverständnis eine Unterstützung durch die Schulsozialarbeit, andere Fachpersonen der Schule oder durch schuleigene Programme vermittelt werden.

Der Schularzt erhält dadurch, dass er in den SJM viele Schüler einer Klasse sieht, einen Einblick in die gesundheitlichen Verhältnisse an der Schule. So lässt sich nicht selten ein kollektives Problem erkennen, wie z.B. Überbelastung und Stress, Mobbing auf dem Pausenhof oder konfliktbelastetes Klassenklima. So kann er (unter Wahrung des Patientengeheimnisses) auf Schulebene intervenieren, sei es z.B. durch ein Gespräch mit der Schulleitung oder durch Beizug der Schulsozialarbeit.

B) Beispiel des Kantons Bern online erhältlich: https://www.gef.be.ch/gef/de/index/gesundheit/gesundheit/schulaerztlicher_dienst.assetref/dam/documents/GEF/KAZA/de/Formulare/Schulaerztlicher_Dienst/Fragebogen_Jugendliche.pdf

3.3. Public-Health-Aufgaben des Schularztes: Von präventiven Massnahmen auf individueller Ebene zu Verhältnisprävention im Setting Schule

Schulärzte werden in der Regel von Gemeinden beauftragt, Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens in der Schule zu übernehmen. In grösseren Gemeinden und Städten wird dazu in der Regel ein schulärztlicher Dienst organisiert. In Tabelle 3 werden die für die Jugendgesundheit und Prävention relevanten schulärztlichen Aufgaben zusammengefasst.

Tabelle 3:
Schulärztliche Aufgaben

a) Individuelle Ebene: Schulärztliche Jugenduntersuchungen und Beratungen, vertrauensärztliche Funktion
Auch unabhängig von den schulärztlichen Jugenduntersuchungen (s.o.) bieten Schulärzte Jugendlichen und ihren Eltern niederschwellig Beratungen an. Wo nötig nehmen sie eine vertrauensärztliche Funktion ein und vermitteln zwischen Eltern, Jugendlichen und Schule.  Besonders bei Jugendlichen mit chronischen Krankheiten kann es notwendig sein, dass Schulärzte sich für die speziellen medizinischen Bedürfnisse in der Schule einsetzen und als Vermittler zwischen medizinischen Spezialisten und der Schule wirken.

b) Verhältnisprävention im Setting Schule und betriebsärztliche Aufgaben am «Arbeitsplatz Schule»
Die Kenntnis des Schulbetriebs eröffnet vielfältige Möglichkeiten, gesundheitliche Verhältnisse zu verbessern. Basierend auf der Erkenntnis, dass rechtliche Rahmenbedingungen mehr zur Verbesserung des Ernährungsverhaltens an Schulen beitragen als individuelles Verhaltenstraining,19) haben sich Schulärzte an verschiedenen Orten erfolgreich eingesetzt, um Schulverantwortliche für Ernährungsrichtlinien und ein gesundes Ernährungsangebot in der Schule zu gewinnen. Empfehlungen aus ärztlicher Sicht zu einem späteren Schulbeginn morgens für Jugendliche,20) der nachweislich zu mehr Aufmerksamkeit und besseren Schulleistungen führt, konnten sich jedoch bis jetzt in der Schweiz noch nicht dauerhaft durchsetzen. Dies v.a. wegen organisatorischer Widerstände seitens Schule und Eltern.

Schulärzte können auch für weitere Themen ihre medizinische Expertise in das System Schule einbringen, z.B. Beratung über den Umgang mit Hitze und Ozon, das Einfordern einer Helmpflicht beim Schlittschuhfahren im Sportunterricht oder durch fachliche Unterstützung zum Einschätzen von Umweltnoxen wie Asbest oder elektromagnetischer Strahlung. Nicht zuletzt ist auch ärztliche Beratung und Unterstützung gefragt, wie sich das System Schule zur Integration von Jugendlichen mit chronischer Krankheit verbessern kann.  

c) Gesundheitsberichterstattung
Durch Dokumentation und anonymisierte Auswertung der erhobenen Gesundheitsdaten können Schulärzte einen Beitrag zum Monitoring der Jugendgesundheit sowie zur Steuerung und Evaluation der Gesundheitsangebote beitragen. Beispiele sind das BMI-Monitoring der schulärztlichen Dienste7 und der Jugendgesundheitsbericht der Stadt Bern.21 Leider wird das Potential dieser Daten bei Weitem nicht ausgeschöpft, weil v.a. personelle Ressourcen in den schulärztlichen Diensten fehlen. 

3.4 Gesundheitsförderung in der Schule

Bereits 1994 hat die WHO Prävention und Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche mittels Erlernen von Lebenskompetenzen («life-skills») propagiert. Lebenskompetenzen sind als individuelle psychosoziale Fähigkeiten zu verstehen, die es ermöglichen, mit den alltäglichen Anforderungen und Schwierigkeiten des Lebens konstruktiv und produktiv umzugehen. Sie werden als wesentliche Bedingung für ein psychisch gesundes Aufwachsen angesehen sowie als primäre Prävention von Problemen mit z.B. Substanzkonsum. Das Fehlen dieser Kompetenzen während den herausfordernden Entwicklungsprozessen im Jugendalter kann zu psychischen Beeinträchtigungen und der Entwicklung von ungünstigen Gesundheitsverhalten Raum geben. Lebenskompetenzen sind u.a. Selbstwert und Selbstwahrnehmung, kritisches und kreatives Denken, Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit sowie die Fähigkeiten zu Verhandeln und Probleme/Konflikte zu lösen.

In vielen Gemeinden setzen sich seit Jahrzehnten Schulische Gesundheitsförderungsteams  ein, um das Erlernen von Lebenskompetenzen in Schulen zu fördern. Mit dem Lehrplan 21 (www.lehrplan21.ch) werden neu sogenannte überfachliche Kompetenzen gefordert, die im grossen Ganzen den Lebenskompetenzen entsprechen. Allerdings sind diese gegenüber fachlichen Kompetenzen im Lehrplan wenig elaboriert. Die schulische Gesundheitsförderung unterstützt aktuell die Schulen mit praktischer Umsetzung des Erlernens altersgerechter Lebenskompetenzen. Die Gesundheitsförderung identifiziert für Schule, Jugendliche und Eltern wichtige, neue Gesundheitsthemen, wie z.B. Umgang mit digitalen Medien, und bietet dazu Fortbildungen an. Sie entwickelt massgeschneiderte Angebote in Schulen mit systematischer Elternmitwirkung zur Verbesserung der Ernährung in den Pausen. Sie ist eng mit den Anbietern anderer Präventionsangebote in der Gemeinde vernetzt. Wesentliche Unterstützung bietet die Gesundheitsförderung in der Umsetzung der europäischen Initiative «Gesundheitsfördernde Schulen» («Schools for health in Europe», https://www.schoolsforhealth.org), die in der Schweiz von Radix (www.radix.ch) unterstützt wird. Die Gesundheitsförderung initiiert und betreut dazu lokale Netzwerke. 

4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Prävention

Das afrikanische Sprichwort «it takes a village to raise a child” gilt auch für die Prävention und Gesundheitsförderung im Jugendalter. Dazu ist nötig, dass alle Mitwirkenden nicht nur ihre Kompetenzen innerhalb ihrer Zuständigkeiten einbringen, sondern auch diejenigen der anderen kennen und wertschätzen. 

Die Gemeinde, die Schule mit ihren Fachpersonen, Kinder-/Haus- und Schulärzte und Familien arbeiten zusammen, um Jugendlichen eine gesunde Entwicklung ermöglichen, so dass sie ihr volles gesundheitliches und Bildungspotential erreichen. So können Aufgaben sinnvoll zugeordnet werden und Rollen definiert werden. Im heterogenen, föderalen System der Schweiz können die Zuständigkeiten von Kanton zu Kanton, sogar von Gemeinde zu Gemeinde variieren, so dass die Zusammenarbeit bedarfs- und bedürfnisorientiert lokal ausgehandelt und definiert werden muss. Dabei beginnt der Pfad der individuellen Gesundheitsversorgung und Prävention meist in der Zusammenarbeit von Eltern und Kinder-/Jugendärzten. Diese wiederum benötigen Schulärzte, um medizinische Anliegen ihrer Patienten in der Schule umzusetzen. Schulärzte brauchen Kinder- und Hausärzte, um Jugendliche zur weiteren Abklärung und Behandlung zuzuweisen. Schulen bedürfen der medizinische Expertise der Ärzte.  Ärzte können durch Zusammenarbeit mit der Schule bei ihren Patienten früher Risikofaktoren erkennen. Schule und Ärzte können Eltern unterstützen in der Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder. Bilaterale Beziehungspflege hilft für eine unkomplizierte Zusammenarbeit. Diese kann oft konkret anhand eines Falles stattfinden und ist oft effizienter als langdauernde Sitzungen.

Besonders wünschenswert wäre es, wenn sich v.a. Kinderärzte mit ihrer speziellen Kenntnis über Entwicklung für die Arbeit als Schularzt in ihrer Gemeinde zur Verfügung stellen würden. Ein anderes Modell, bei dem lediglich die Jugenduntersuchungen an verschiedene Kinder- und Hausärzte verteilt werden, stellt zwar sicher, dass alle Jugendlichen die Möglichkeit haben diese Untersuchung wahrzunehmen. Nur mit entsprechender Kontrolle würden aber alle erreicht. Zudem geht bei diesem Modell der zusätzliche Nutzen der Public-Health-Tätigkeiten des Schularztes verloren. 

5. Fazit

  • Für eine effektive Prävention im Jugendalter sind auf der individuellen Ebene medizinische und präventivmedizinische Angebote notwendig, die sich an den Prinzipien der «Adolescent friendly Health services» orientieren, möglichst alle Jugendliche erreichen und die sich bietenden Gelegenheiten für Früherkennung und -Intervention und Gesundheitsförderung unabhängig vom Konsultationsgrund wahrnehmen.
  • Dazu sind Kompetenzen bzgl. Adoleszentengesundheit und Umgang mit Jugendlichen notwendig
  • Risikogruppen sind am besten über die Schule zu erreichen.
  • Der Einfluss der Schule auf die Gesundheit der Jugendlichen ist für präventive Programme zu beachten und zu nutzen
  • Eine Zusammenarbeit zwischen Familien, Kinder-/Hausärzten, Schulärzten, der Schule mit Einbezug weiterer Fachpersonen aus dem medizinischen, pädagogischen und sozialen Bereich ist für eine umfassende und lückenlose Prävention und Gesundheitsförderung notwendig.
  • Pädiater und Schulärzte können ihre Glaubwürdigkeit nutzen, um sich auf politischer und legislativer Ebene anwaltschaftlich für Umstände einzusetzen, die eine positive Entwicklung Jugendlicher fördern.

Nützliche online-Hilfsmittel für die Beratung Jugendlicher und ihrer Eltern

  • feel-ok.ch internetbasiertes Interventionsprogramm für Jugendliche der Schweizerischen Gesundheitsstiftung RADIX.        
  • safezone.ch Online-Beratung durch Fachpersonen Suchtfragen für Betroffene, deren Angehörige und Nahestehende, für Fachpersonen und Interessierte.
  • www.jugendundmedien.ch nationale Plattform zur Förderung von Medienkompetenzen von Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen zu fördern

Nützliche Informationen für Schulärzte

  • scolarmed.ch Vereinigung der Fachpersonen im schulärztlichen Dienst

Abkürzungen

VU       = Vorsorgeuntersuchung

jmVU   = jugendmedizinische Vorsorgeuntersuchung

SJU      = schulärztliche Jugenduntersuchung

Anmerkungen

Dank für Informationen und Diskurs an Drs. med.  Annemarie Tschumper, Denise Felber, Tina Huber-Gieseke, Bernhard Huwiler, sowie die Vorstandsmitglieder Scolarmed.ch und der European Union for School and University Health and Medicine, und an Stefanie Pürro, Gesundheitsförderung Stadt Bern

Referenzen

Aufgrund der Limitierung der Anzahl Literaturangaben sind nicht alle Aussagen referenziert. Eine ausführliche Literaturliste ist bei der Autorin erhältlich

  1. Thyen U, Konrad K. Psychosoziale Entwicklung in der Adoleszenz. In: Stier B, Weissenrieder N, Schwab KO, eds. Jugendmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2018:19-24. doi:10.1007/978-3-662-52783-2_2.
  2. Shulman EP, Smith AR, Silva K, Icenogle G, Duell N, Chain J et al. The dual systems model: Review, reappraisal, and reaffirmation. Dev Cogn Neurosci. 2016;17:103-117. doi:10.1016/j.dcn.2015.12.010
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Weitere Informationen

Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Die Autorin hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Susanne Stronski Huwiler Gesundheitsdienst Stadt Bern und Abteilung Neuropädiatrie, Entwicklung und Rehabilitation, Inselspital Bern