Einleitung
Im klinischen Alltag gelangen häufig Anfragen zur Diagnostik und Therapie von pädiatrischen Frakturen an uns als Kinderchirurgen und pädiatrische Radiologen. Zuweisende Pädiater, Gruppenpraxen, Notfallstationen, Permanencen und externe Kliniken haben dabei immer wieder ähnliche Fragen und Unsicherheiten. Neben einer engen Zusammenarbeit von Erstversorger und Kinderklinik erscheint uns daher ein Überblick für die optimale Frakturversorgung in der Praxis ein relevantes Thema. In diesem Format können nicht alle Varianten von Frakturen und vor allem nicht die operativen Therapien abgehandelt werden. Wir möchten mit diesem Leitfaden eine strukturierte Herangehensweise für die Diagnostik, Klassifikation und Behandlung der häufigen und unkomplizierten Frakturen, welche konservativ versorgt werden können, zusammenfassen.
Grundlagen
Nomenklatur
Für eine präzise Beschreibung von pädiatrischen Frakturen hat sich die AO Pediatric Comprehensive Classification of Long Bone Fractures (PCCF) international bewährt 1). Im deutschsprachigen Raum wird ebenso die LiLa Klassifikation verwendet 2). Das Grundprinzip ist bei beiden die Beschreibung der Anatomie (z.B. Femur), der genauen Lokalisation im Knochen (z.B. distales Segment, Metaphyse), der Morphologie der Fraktur (z.B. Grünholzfraktur) und des Schweregrades. Diese Form der Frakturbeschreibung ermöglicht dem Leser eine klare Vorstellung auch ohne vorliegendes Röntgenbild. In der AO Klassifikation wird als erstes der betroffene Knochen mit Zahlen codiert (Humerus (1), Radius/Ulna (2), Femur (3), Tibia/Fibula (4)) Jeder Knochen wird dann in 3 Segmente eingeteilt, in ein proximales (1), mittleres (2) oder distales Segment (3). Das proximale und distale Segment wird je in eine Epiphyse (E) und Metaphyse (M) unterteilt. Das mittlere Segment entspricht immer der Diaphyse (D). Die letzten zwei Zahlen beschreiben die Morphologie und den Schweregrad. (Abbildung 1-3)
Anatomie
Die Extremitäten bestehen (ausser dem Carpus, der Patella und dem Tarsus) aus Röhrenknochen. Diese weisen im Wachstumsalter strukturelle Besonderheiten auf. Zwischen der Epiphyse und spongiösen Metaphyse proliferiert, hypertrophiert und ossifiziert der Knorpel in der Wachstumsfuge mit eigener Vaskularisation. Im Schaftbereich liegt die Diaphyse mit der kräftigen Kortikalis aus lamellärem Knochen und dem Markraum. Proximaler Humerus, Femur und Radius sowie die Metacarpalia und Metatarsalia haben einen Kopf (Caput), Hals (Collum) und im distalen Bereich die gelenkbildenden Kondylen. Ansatzpunkte für die Muskeln werden am proximalen Humerus Tuberkel (Tuberculum majus et minus) genannt und Tuberositas tibiae an der proximalen Tibia ventralseitig. Hingegen spricht man am proximalen Femur von Trochanteren (Trochanter major et minor). Im Bereich vom distalen Humerus wird der mediale Muskelansatz Epicondylus ulnaris und der laterale Epicondylus radialis bezeichnet. An der proximalen Ulna findet sich der Processus coronoideus und am distalen Unterarm der Processus styloideus radii et ulnae. (Abbildung 4)
Wachstum
Die Dynamik des wachsenden Skeletts und viele Normvarianten stellen eine Herausforderung in der radiologischen Diagnostik dar. Das verbleibende Wachstum des Knochens kann Fehlstellungen nach Frakturen korrigieren, kann aber auch zu Komplikationen (Wachstumsstörungen) führen, wenn die Wachstumsfuge durch das Trauma oder therapeutische Manipulationen verletzt wurde. Für die Praxis sind z.B. die verschiedenen Wachstumszentren am Ellbogen und ihre altersabhängige Ossifikation von besonderer Bedeutung (Merksatz CRITOE 3)). (Abbildung 5a)Alle Röhrenknochen der oberen und unteren Extremität haben zwei Wachstumsfugen, bis auf die Ossa metacarpalia (MC) und metatarsalia (MT). MC und MT I, sowie alle Grundphalangen, Mittelphalangen und Endphalangen haben die Fuge proximal, MC und MT II-V jedoch distal angelegt. Eine zusätzliche Fuge, nennt man Pseudoepiphysenfuge. Die Wachstumsfugen sind für das Längenwachstum der Röhrenknochen verantwortlich. (Abbildung 5b) Das kräftig ausgebildete Periost sorgt hingegen für das Wachstum in die Breite. Die Apophysen (Ansatzpunkt von Sehnen, z.B. Tuberositas tibiae) stellen ebenso Wachstumsfugen dar, welche vor allem beim adoleszenten Patienten durch exzentrische Aktivität der Muskeln frakturieren können (Avulsionsverletzungen). An der oberen Extremität findet sich ein exzentrisches Wachstum (ellenbogenfern), das heißt 80% der Länge entstehen aus der proximalen Humerusfuge respektive der distalen Vorderarmfugen, die ellbogennahen Fugen tragen hingegen nur mit 20% zum Längenwachstum des Arms bei. Die untere Extremität weist ein konzentrisches (knienahes) Wachstum auf. Das distale Femur generiert 70% (proximal 30%) der Länge, der proximale Unterschenkel 55% (distal 45%). Die Fugenfläche verschliesst sich zum Wachstumsende exzentrisch, was vor allem an der distalen Tibia traumatologisch relevant ist. (Abbildung 5a, 5b)
Pathophysiologie
Der stetige Umbau des wachsenden Knochens ermöglicht ein hohes Mass an Regeneration, auch Remodelling genannt, und unterstützt die Frakturversorgung bei Kindern. Das Korrekturpotenzial ist abhängig von der Frakturlokalisation (Nähe zur Fuge, Wachstumspotential der Fuge), der Art der Fehlstellung und dem Alter des Patienten (je jünger, desto grösser). Remodelling findet überwiegend in der Hauptbewegungsebene des angrenzenden Gelenkes statt. Dass bedeutet am Beispiel des Kniegelenks, mit der Hauptbewegungsrichtung von Flexion / Extension, dass Fehlstellungen nach dorsoventral ausgezeichnet remodelliert, hingegen Rotationsfehler nicht ausreichend korrigiert werden. Die Heilung erfolgt primär via Kallus, also einem bindegewebig organisiertem Hämatom. Nach Einsprossen von Osteoblasten kommt es zur Mineralisation und damit zur Konsolidation der Fraktur, was man klinisch an der schmerzfreien Palpation erkennt. Ein radiologisches Zeichen für eine ausreichende Stabilität ist Kallus, der in zwei Projektionen an mindesten drei Kortikalisseiten nachweisbar ist. Meist kann dann die Immobilisation beendet werden. Das Ausmass der Kallusbildung hängt von der Grösse der Frakturfläche, dem Fraktur-Spalt, der Achsabweichung und dem Alter ab. Eine ausbleibende Heilung der Fraktur (auch Pseudoarthrose oder Non-Union genannt) ist bei Kindern selten, kann jedoch bei inadäquater Therapie vor allem am Condylus radialis und am Epicondylus ulnaris entstehen.
Grünholzfrakturen, also Frakturen, bei denen durch Biegungskräfte die noch weiche und elastische Kortikalis nicht vollständig zirkulär bricht, sondern nur auf der konvexen Seite, neigen zu Refrakturen innerhalb der nächsten 8-12 Wochen. Der konvexen Seite fehlt der Druckstimulus für eine Heilung (Wolf`sches Gesetz). Durch Gipskeilung oder Gegenbrechen der konkaven Kortikalis wird der Fraktur die Spannung genommen und die Fraktur heilt durch symmetrischen Druck (auch konvexseitig) zirkulär aus, allerdings kann nach einem vollständigen Durchbrechen aus einer initial stabilen Fraktur eine instabile und sekundär dislozierende Fraktur resultieren. Diese Frakturen müssen anschliessend im diaphysären Bereich des Unterarms stabilisiert werden. Hierbei kommt vor allem die elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN Technik) in Frage. Deformiert sich der Knochen ohne sichtbaren Frakturspalt und verbleibt in einer Biegung, spricht man vom Bowing, was insbesondere am Unterarm und Unterschenkel vorkommt. Allerdings ist der junge Knochen physiologischerweise leicht gebogen, was v.a. bei Kindern unter 6 Jahren eine Unterscheidung zu tatsächlichen Bowingfrakturen erschweren kann.
Metaphysäre Frakturen können sich durch die Bälkchenstruktur und den grösseren Querschnitt besser verzahnen als diaphysäre Frakturen und sind daher meist stabiler. Durch den Zug der umgebenden Weichteilstrukturen (sogenannte Ligamentotaxis) oder durch einen sehr schrägen Frakturverlauf und einen Verlauf durch die leicht gleitende Fuge (Epiphysiolyse) können auch diese Frakturen sekundär abkippen. Die Metaphyse ist durch die spongiöse Knochenmatrix mit einer hohen Elastizität gekennzeichnet, wobei hier vor allem Scherkräfte und axiale Stauchungen zu plastischen Verformungen und sogenannten Torus- oder Wulstfrakturen führen können. Bei Trampolinfrakturen sind die Torusfrakturen häufig im Alter von 2-6 Jahren, bei Torwartfrakturen am häufigsten im Alter von 11-13 Jahren. Beim Radius wird davon ausgegangen, dass in der Pubertät das grösste Wachstum in der distalen Radiusmetaphyse stattfindet und dann auch am vulnerabelsten ist. Bei Torusfrakturen ist keine Frakturlinie sichtbar, vielmehr Auftreibungen der sehr dünnen metaphysären Kortikalis, oder eine Abkippung der Wachstumsfuge. Indirekte Frakturzeichen wie das Pronator quadratus Zeichen können auf distale metaphysäre Frakturen hinweisen.
Posttraumatische Wachstumsstörungen können in solche mit stimulierendem Effekt (überproportionales Längenwachstum), mit hemmendem Effekt (Verkürzung des Knochens) und asymmetrischem Fugenschluss (Angulation) unterteilt werden. Die funktionell relevanten stimulierenden Wachstumsstörungen kommen gehäuft bei Kindern unter 10 Jahren und Frakturen im Femur vor. Je schwerer die Fuge verletzt wurde, umso eher kann dies zu hemmenden Wachstumsstörungen führen. Bilden sich partielle Fusionen von Epiphyse und Metaphyse, dann bewirkt diese im verbleibenden Wachstum eine asymmetrische Bremsung der Fuge, was beispielsweise medialseitig an der proximalen Tibia zu einer Varusstellung im Unterschenkel führt. Diesen Mechanismus macht sich die Kinderorthopädie bei der (temporären) Epiphysiodese zur Korrektur von Achsfehlern im Wachstumsalter zu Nutze. 4) (Abbildung 6, 7a, 7b, 8)
Bildgebung
Das konventionelle Röntgenbild in zwei Ebenen ist – mit wenigen Ausnahmen – die primäre diagnostische Modalität für Frakturen im Kindesalter. Bei diaphysären Frakturen ist darauf zu achten, dass die angrenzenden Gelenke mit abgebildet werden. Bei grösseren Kindern, die klar die Frakturlokalisation angeben können (in der Regel über 6 Jahre), kann eine gezielte Vorderarm-Röntgenaufnahme in 2 Ebenen durchgeführt werden, sofern der Ellbogen frei beweglich ist. Die Computertomographie ist Frakturen vorbehalten, deren Verlauf im konventionellen Röntgen nicht klar dargestellt werden kann, aber diese Informationen für die Therapiefestlegung relevant sind (z.B. komplexe intraartikuläre Frakturen). Für eine präzise Frakturanalyse sind qualitativ gute Röntgenbilder entscheidend. Nicht nur die Bildqualität in Bezug auf Detailauflösung der knöchernen Strukturen, sondern auch der Weichteile ist wichtig. Die korrekte Fokussierung und standardisierte Abbildungsebenen mit optimaler Einstelltechnik unter ausreichender Analgesie und gegenenfalls auch Sedation erleichtern eine verlässliche Frakturdiagnostik. Beim wachsenden Skelett muss immer zwischen Normvarianten, normalen wachsenden Knochenkernen und Pathologien differenziert werden. Zur Röntgenuntersuchung gehört die Befundung der Bilder. Im Idealfall sollen Röntgenaufnahmen dort angefertigt werden wo genügend Erfahrung für die Erstellung pädiatrischer Aufnahmen vorhanden ist (Einstelltechnik, Dosis, Bildqualität), deren Interpretation von geschulten Ärzten (z.B. Kinderradiologen) durchgeführt werden kann und auch eine entsprechende Behandlung oder Triage möglich ist. Röntgenaufnahmen der Gegenseite als „normale Referenz“ sind in der Regel obsolet und Atlanten können helfen, die normale Knochenentwicklung jedes Knochens zu vergleichen. Nach dem radiologischen Grundsatz ALARA (as low as reasonably achievable) muss die Röntgendosis für Untersucher und Patient so gering wie möglich gehalten werden. Neben modernen digitalen Röntgengeräten mit Flatpanel-Technologie und Filter kann durch Bleischutz, grösstmöglichem Abstand zur Strahlenquelle und Einblenden die Strahlenexposition drastisch reduziert werden. Im Ellbogen-, Hand- und Fussbereich kann es unter Umständen notwendig sein die Röntgenaufnahme gipsfrei durchzuführen, damit feine Strukturen ohne Überlagerungen besser abgebildet werden können. Stabile Fissuren und Wulstfrakturen sowie alle übrigen achsengerecht stehenden inkompletten Frakturen benötigen meist keine Stellungskontrolle und kein Konsolidationsröntgen. (Abbildung 9, 10 und Tabelle 1)
Ruhigstellung
Die hier im Zentrum stehenden unkomplizierten Frakturen können überwiegend mittels einer temporären Immobilisation behandelt werden. Jede schmerzhafte Fraktur sollte so rasch und gut wie möglich ruhiggestellt werden. Eine provisorische Schienung z.B. mit einer Armschlinge, SamSplint® oder Dynacast® trägt neben einer medikamentösen Analgesie wesentlich zur Schmerzreduktion und Angstminderung bei.
Für die weitere Therapieplanung müssen folgende Punkte geklärt werden:
– Immobilisation notwendig?
Auch eine schmerzhafte Weichteilverletzung ohne Fraktur kann eine temporäre Ruhigstellung rechtfertigen. Die Kontrollintervalle sollten dann aber kurzfristiger sein als bei einer nachgewiesen Fraktur, so dass die Extremität früh wieder für die Belastung im schmerzfreien Bereich freigegeben werden kann.
– Konservatives versus operatives Vorgehen?
Grundsätzlich gilt, dass eine stabile und annähernd anatomisch stehende Fraktur konservativ behandelt wird. Eine relevant dislozierte, offene, intraartikuläre und sehr schmerzhafte Fraktur sollte in der Klinik beurteilt und gegebenenfalls operativ versorgt werden. Weitere Details zu den Grenzen können der Tabelle_2 entnommen werden.
– Welche Funktion kommt der Immobilisation zu?
Bei einer stabilen Fraktur sorgt die Gipsschiene/zirkulärer Gips für eine konsequente Immobilisation und dient als schützende Hülle bei erneuten banalen Traumata. Sie spielt also auch eine wesentliche Rolle in der Linderung der Schmerzen. Bei einer potentiell instabilen Fraktur muss der Gips eine haltende Funktion (Retention) übernehmen und die sekundäre Dislokation verhindern. Die optimale Anpassung des Gipsmaterials an die Extremität erfordert hierfür Erfahrung in der Gipstechnik.
– Welche Immobilisationsform ist für das Alter und die Rahmenbedingungen adäquat?
Bei einem Kleinkind mit einer Femurfraktur eignet sich zum Beispiel die Overheadextension oder ein Beckenbeingips, ein Schulkind ist am besten mit ESIN versorgt und ein adoleszenter Patient über 40kg mit einem ALFN (Adolescent Lateral Femur Nail), proximale Frakturen mit einer Plattenosteosynthese und komplizierte Schaftfrakturen mit einem Fixateur externe. Die Immobilisationstechnik soll ein gutes funktionelles Ergebnis sichern aber auch eine möglichst rasche Bewegung und Belastung (Autonomie) wieder ermöglichen und den Betreuungsaufwand in Grenzen halten.
– Wann ist eine ausreichende Heilung zu erwarten?
Diese Frage kann anhand der Frakturlokalisation, des Frakturtyps und des Alters geklärt werden. Die Tabelle 2 gibt dazu einen Überblick. Eine druckindolente Fraktur ist hinweisend darauf, dass die Belastung wieder gesteigert werden kann.
– Wie soll der graduelle Belastungsaufbau erfolgen?
Auch hier gibt die Tabelle 2 ein grobes Raster vor. Ausserdem muss wieder das Alter und der Charakter des Kindes einbezogen werden. Einige Kinder müssen noch etwas gebremst werden, andere brauchen Unterstützung, um sich die Belastung der frakturierten Extremität wieder zuzutrauen.
Aus diesen Überlegungen resultiert dann die Immobilisations-Technik, die zeitliche Abfolge der klinischen und gegebenenfalls radiologischen Kontrollen sowie die Freigabe für die Alltagsbelastungen und den Sport.
Frakturen der oberen Extremität
Clavicula
CMeist sind es entweder axiale Stauchungstraumata durch einen Sturz auf die Schulter oder gelegentlich auch direkte Anpralltraumata gegen die Clavicula, die überwiegend im Schaftbereich zu Frakturen führen. Bei einem Säugling oder Kleinkind, das seinen Arm schont, ohne klinischen Frakturnachweis an dieser Extremität, muss an eine Claviculafraktur gedacht werden. In diesem Alter finden sich oft Grünholzbrüche, bei den Schulkindern und Adoleszenten hingegen auch komplette Frakturen. Selbst erhebliche Dislokationen sind meist keine Indikation für ein operatives Vorgehen, da auch die konservative Therapie hier ein sehr gutes Outcome zeigt 5). Perforationsgefährdete Weichteilverhältnisse und ganz mediale sowie laterale Frakturen können selten eine Intervention erfordern. Ein Röntgenbild der Clavicula ist bei den meisten Kindern ohne klinische Symptome nicht indiziert. Ein Ultraschall kann hilfreich sein zur Beurteilung einer sternoclaviculären Dislokation oder acromioclaviculären Gelenksluxation.
Humerus
Subkapitale Humerusfraktur
Im proximalen Anteil des Humerus finden sich überwiegend Salter-Harris II und metaphysäre Frakturen, hingegen fast nie eine Beteiligung der Gelenkfläche. Bedingt durch die grossen Freiheitsgrade im glenohumeralen Gelenk und das enorme Korrekturpotential durch die sehr aktive proximale Fuge ist das funktionelle Ergebnis nach konservativer Behandlung sehr günstig. Eine Reposition und Stabilisierung mittels der ESIN Technik kann Vorteile bei stark dislozierten und schmerzhaften Frakturen bringen. Die normale proximale Humerus-Wachstumsfuge zeigt einen geschlängelten Verlauf, welche als Fraktur fehlinterpretiert werden kann.
Humerusschaftfraktur
Gleiches Prinzip gilt für die diaphysären Frakturen, auch bei erheblicher Achsabweichung, Seit-Versatz und Verkürzung, da mit dem Längenwachstum aus der proximalen Fuge ein grosses Mass an Remodelling möglich ist. Wie bei allen anderen Frakturen, nimmt dieses Potential auch hier mit zunehmendem Alter ab.
Supracondyläre Humerusfraktur
Der Humerus hat an seinem distalen Ende eine anatomische Schwachstelle durch die Fossa olecrani, die dem Knochen im Querschnitt die Form einer schmalen „8“ gibt. Durch Stürze auf die Hand mit extendiertem Arm, wirken an dieser Stelle hohe Kräfte die in der überwiegenden Zahl bei einer Fraktur das Fragment (den gelenkbildenden Condylenblock) nach dorsal abkippen lassen (Extensionsfraktur). Typ I entspricht einer Fraktur ohne Fehlstellung. Teilweise ist der Frakturspalt kaum sichtbar und die Diagnose muss anhand der lokalen Klinik und indirekten radiologischen Zeichen, dem „Fatpad“-Sign (erhöhte Strahlentransparenz des verlagerten physiologischen Fetts-Pads, durch einen Hämarthros), angenommen werden. Die Therapie erfolgt mit einem Oberarmgips in 90 Grad Stellung. Normalerweise schneidet die Fortsetzung der Vorderkante des Humerusschafts (die so genannte Roger Hilfslinie) im Seitenbild die Condylenrolle etwa im Mittelpunkt. Ist das Fragment nur in dieser Ebene verschoben spricht man von einer Typ II Fraktur mit dorsaler (selten ventraler, s.o.) Angulation. (Abbildung 11)
Da bei den häufigen Extensionsverletzungen (Typ II) das dorsale Periost intakt ist, reponiert und stabilisiert man diese Fraktur in Flexionsstellung, mit der Blount-Schlinge bzw. dem Cuff and Collar. Radiologische Verlaufskontrollen werden in Flexionsstellung und nur in Seitenprojektion durchgeführt. Ein Extendieren des Armes zur a.p. Kontrolle würde dem Kind starke Schmerzen bereiten und allenfalls die Fraktur wieder in die Extensionsfehlstellung dislozieren. Typ III hat neben der Fehlstellung in der Bewegungsebene noch einen Rotationsfehler, so dass der radiale und ulnare Pfeiler in Flexion nicht passgenau übereinander stehen und dadurch eine geringere Kontaktfläche haben bis hin zum seitlichen Einknicken, also einer Varus- bzw. Valgus- Fehlstellung in der Frontalebene, wenn einer der Pfeiler durch die Rotation keinen Kontakt mehr zum Fragment hat. Diese Rotation erkennt man an einem Sporn im Seitenbild, je nach Drehrichtung ventral (häufig) oder dorsalseitig. (Abbildung 12)
Bei der Typ IV Verletzung haben die Frakturfragmente keinen Kontakt und sind damit völlig instabil. Beide Frakturtypen erfordern eine annähernd anatomische Reposition und Stabilisation. Hier haben sich die geschlossene Reposition und anschliessende Spickung mit Kirschnerdrähten bewährt. Für Frakturen die sich damit nicht reponieren und halten lassen bietet sich der radiale Fixateur externe an.
Nur selten stürzen Kinder auf den flektierten Ellbogen, was zur Flexionsverletzung, also einer Dislokation nach ventral führt. Bei diesen Frakturen ist das dorsale Periost rupturiert und eine Stabilisation in Flexion nicht möglich. Auch hier bietet sich der radiale Fixateur zur Stabilisation als Technik an.
Condylus Verletzung
Die diagnostische Schwierigkeit am wachsenden Ellbogen sind die verschiedenen Ossifikationszentren und die umgebenden Knorpelzonen, wodurch Frakturen nicht immer offensichtlich sind. Frakturiert der radiale Condylus, dann bricht meist eine metaphysäre Schuppe mit aus. Die Fraktur kann mittig bis in die Gelenkfläche reichen. Kommt es hier zu einer Stufenbildung und Varusfehlstellung durch laterales Aufklappen muss die Verletzung ab einem Frakturspalt von 2mm operativ versorgt werden. Eine primär undislozierte komplette Fraktur wird im Gegensatz zur inkompletten (sogenannten «hängenden Fraktur») nicht selten durch Muskelzug sekundär dislozieren. Die radiologische (und gipsfreie!) Kontrolle innerhalb der ersten Woche nach Trauma darf daher nicht vergessen werden. Der Condylus ulnaris frakturiert sehr selten isoliert, wenn dann beim Adoleszenten in Form einer Y-Fraktur mit Abriss auch des radialen Condylus.
Epicondylus Verletzung
Im Gegensatz zur Condylus radialis Fraktur liegt hier eine extraartikuläre Verletzung vor. Meist sind es Ellbogenluxationen, die zur Avulsion des Epicondylus ulnaris führen. Für die Interpretation der Röntgenbilder ist die Kenntnis der normalen Anatomie besonders hilfreich. Ein abgerissener Epicondylus wird durch den Muskelzug der Flexoren nach distal gezogen, gelegentlich auch erst sekundär. Auch hier ist daher die frühe radiologische Kontrolle angezeigt. Bei erheblichem Trauma mit Aufklappen des Gelenks kann er sogar nach intraartikulär verlagert werden, was auf dem Röntgenbild aktiv gesucht werden muss. Eine scharfe Bruchkante findet sich nicht, da der Riss durch die Wachstumsfuge verläuft. Bei einer Verlagerung von mehr als 5-10mm wird in unserer Klinik die Indikation zur Operation (Refixation mit K-Draht oder Schraube) gestellt. Der Dislokationsgrad, ab dem eine Epikondylus Fraktur operiert werden sollte, wird in der Literatur kontrovers diskutiert und bei eigentlich extraartikulärer Verletzung wird in einigen Kliniken die Indikation zur konservativen Behandlung grosszügiger gestellt.
Der Epicondylus radialis ossifiziert erst spät (11. – 14. Lebensjahr), so dass Verletzungen hier radiologisch häufig nicht sichtbar sind. Trotz der relativen Seltenheit von radialen Epicondylusverletzungen muss nach einer Ellbogenluxation und bei einer Schwellung auf der radialen Seite nach indirekten Anzeichen für eine Verletzung gesucht werden. Hierzu zählen kleinste Knochenfragmente, sowie klinisch eine radiale Instabilität bei Varusstress. Häufig liegt dann eine Avulsion des radialen Bandapperates, meistens des LUCL (lateral ulnar collateral ligament) oder aber auch ein periostaler Abriss (sleeve Verletzung) vor. Aufgrund einer zu erwartenden Instabilität und Bewegungsstörung durch eine Fehlverheilung der Fraktur sollte eine operative Rekonstruktion des Bandapparates erfolgen.
Unterarm
Durch axiale Stauchungs- und Biegungskräfte, seltener direkte Anpralltraumata, ist der Unterarm insgesamt die am häufigsten frakturierte Skelettregion.
Radiushalsfraktur
Hier sieht man überwiegend eingestauchte und leicht abgekippte Salter-Harris II Frakturen, die konservativ mit früher Mobilisation behandelt werden können. Ansonsten bietet die aszendierende ESIN-Technik eine elegante Möglichkeit den abgekippten Radiuskopf wiederaufzurichten und so zu fixieren.
Monteggia Fraktur
Alle Ulnaschaftfrakturen in Kombination mit einer Radiuskopfluxation werden als Monteggia-Fraktur bezeichnet. Die Einteilung erfolgt nach Bado in vier Typen. (Abbildung 13)
Liegt die Fraktur der Ulna weiter proximal, also in der Metaphyse oder dem Olecranon wird die Kombinationsverletzung Monteggia-Äquivalent genannt. Ganz entscheidend für die spätere Funktion ist, dass die Radiusluxation nicht verpasst wird. Daher muss bei jeder Ulnafraktur in beiden Röntgenebenen die zentrierte Stellung des Radiuskopfes auf den Condylus radialis beurteilt werden. Ist diese nicht gegeben, wird die Ulna begradigt (und meist in ESIN Technik stabilisiert), wodurch sich das radiohumerale Gelenk wieder zentriert ausrichtet. (Abbildung 10)
Unterarmschaftfraktur
Bei Kindern finden sich oft Grünholzfrakturen im Schaftbereich, die aus eingangs erwähnten Gründen ein hohes Refraktur-Risiko haben, wenn sie nicht vor Beginn der Immobilisation vollständig gebrochen werden. Daher ist hier – ausser bei Kleinkindern – häufig eine Marknagelung notwendig. Eine weitere Indikation sind Angulationen über 10 Grad, insbesondere im proximalen Drittel, da sie mit einer bleibenden Einschränkung der Pro- und Supination behaftet sind.
Distale Unterarmfraktur
Der metaphysäre Bereich hat die höchste Frakturrate beim Kind. Aufgrund der aktiven distalen Fuge besteht jedoch auch ein grosses Potential Abkippungen in der Bewegungseben im verbleibenden Wachstum wieder zu korrigieren. Bei älteren Kindern, erheblicher Fehlstellung und Instabilität wird die Fraktur reponiert und wenn auch hierdurch keine Stabilität entsteht mit einem Kirschnerdraht fixiert.
Hand- und Fingerfrakturen
Prädelektionsstellen für Frakturen am Handskelett sind Stauchungsfrakturen um das Metacarpophalangealgelenk (MCP) vom Daumen und die subkapitale Metacarpalefraktur von Dig V (sogenannte Boxer Fraktur) sowie die Endglieder durch Quetschtraumata. Grundsätzlich gilt hier wiederum, dass abhängig vom Alter, ein hohes Mass an Remodelling in der Bewegungsebene gegeben ist. Nicht spontan korrigiert werden Rotationsfehler, die in Flexionsstellung der Finger aktiv gesucht werden müssen. Intraartikuläre Frakturen mit Fehlstellung sollten auch nicht belassen werden. Banale Frakturen können auch lediglich mit einer interdigitalen Schienung (z.B. Buddy loops®) ruhiggestellt werden.
Frakturen der unteren Extremität
Alle Schaftfrakturen an der unteren Extremität gehen neben der Immobilisation oft mit erheblichen Schmerzen einher. Aus diesen Gründen sollte gut abgewogen werden ob der Patient für die Analgesie, Gipsanlage, gegebenenfalls Kompartment-Überwachung und Mobilisation ambulant oder doch besser in einer Klinik behandelt wird.
Hüfte
Avulsion der Spina liliaca anterior inferior oder superior. Eine Avulsionsfraktur der Spinae entsteht durch maximalen Muskelzug der Flexoren im Hüftgelenk beim Sport. Man findet sie auf dem Röntgenbild nur, wenn man sie kennt und nach ihr sucht. Die Therapie ist fast immer konservativ mit Stockentlastung im schmerzhaften Intervall möglich. (Abbildung 14)
Proximale Femurfrakturen
Diese seltenen Frakturen deuten oft auf ein massives Trauma hin und sollten immer zusammen mit einem Kindertraumatologen behandelt werden.
Femursschaftfrakturen
Bei Kindern bis 4 Jahre können die Schaftfrakturen mittels Overhead-Extension (Bryant-Extension, 90 Grad Flexion in der Hüfte, Reposition durch eigenes Körpergewicht) während 3-4 Wochen konservativ zur Reposition und Konsolidation gebracht werden. Bei älteren Kindern oder mangelnder Compliance ist die operative Versorgung mit 2 ESIN (bei Spiral-, Schrägfrakturen mit Endcaps) Standard geworden. Die Reserve-Technik ist hier der externe Fixateur, insbesondere bei mehrfragmentären Brüchen oder erheblichem Weichteiltrauma, oder auch wenn die Expertise für einen Marknagel (ALFN: Adolescent Lateral Femur Nail) oder die minimal invasive Plattenosteosynthesetechnik (MIO) fehlt. (Abbildung 8)
Unterschenkel
Proximale Tibiafraktur
Diese Fraktur im metaphysären Bereich der proximalen Tibia ist durch die Verbreitung von Trampolinen in den letzten Jahren viel häufiger geworden. Meist handelt es sich um Stauchungsbrüche der proximalen Tibiametaphyse bei Kindern zwischen 2- 6 Jahren. Auf dem Seitenbild der Tibia kann ein anteriorer Tilt der Wachstumsfuge gemessen werden, wobei ein Winkel (Tangenten) zwischen proximaler und distaler Wachstumsfuge gebildet wird. Physiologisch neigt sich die proximale Tibiawachstumsfuge nach hinten. Sobald die Wachstumsfuge sich nach vorne unten neigt und die Anamnese des Trampolinspringens eines Kleinkindes vorliegt, muss an eine Trampolinfraktur gedacht werden. 6) (Abbildung 15a, 15b)
Die meisten Trampolinfrakturen können im Gips ausheilen. Bei Beteiligung der Fuge müssen langfristige Kontrollen im Hinblick auf Achsabweichungen durchgeführt werden. Durch einen vorzeitigen Verschluss der Tuberositas tibiae kann sich im verbleibenden Wachstum eine Antekurvation entwickeln.
Unterschenkelschaftfraktur
Auch diese Frakturen können überwiegend konservativ mit einem gut sitzenden Gips behandelt werden. Im Rahmen der Stellungskontrolle kann gegebenenfalls mittels Keilung eine Varus/Valgus und Ante/Rekurvations Deformität vermieden werden. Die typischen Torsionsbrüche der Tibia (z.B. durch Stürze beim Skifahren) sind meist durch den intakten Periostschlauch ausreichend stabil. Bei direkten Traumata (z.B. Kollision mit PKW) finden sich zum Teil mehrfragmentäre Brüche und erhebliche Weichteilverletzungen, so dass die Gefahr eines Kompartmentsyndroms besteht und die Patienten diesbezüglich überwacht werden müssen. Operativ stehen hier auch die ESIN Technik und der Fixateur externe zur Verfügung.
Distale Tibiafraktur
Durch den exzentrischen Fugenverschluss kommt es hier in der Adoleszenz zu sogenannten Übergangsfrakturen mit einem Frakturverlauf in 2 bzw. 3 Ebenen (Twoplane und Triplane Fraktur). (Abbildung 16)
Undislozierte Frakturen werden konservativ versorgt, mehr als 2 mm dislozierte Brüche werden mittels 1-2 Schrauben reponiert und stabilisiert.
Malleolarfraktur
Im Bereich des OSGs finden sich entweder flake-artige ligamentäre Ausrissfrakturen der distalen Fibula oder häufiger Frakturen des Malleolus medialis. Nur bei erheblicher Dislokation oder intraartikulärer Stufe müssen diese Frakturen mittels Kirschnerdraht oder Schraube fixiert werden. Bei rein ligamentärer Verletzung durch Suppinationstraumata kann ein Softcast-Gipsstiefel während der ersten Wochen und zu Beginn der Mobilisation hilfreich sein.
Zusammenfassung
Ein Grossteil der Frakturen im Wachstumsalter kann konservativ versorgt werden. Für diesen Entscheid ist zunächst eine sorgsame Diagnostik essentiell. Auf Basis der Frakturcharakteristik und dem altersspezifischen Korrekturpotenzial sowie unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen wird dann der Therapieplan erstellt. Die Übersichtstabelle (Tabelle 2) und der Kontakt mit den Kindertraumatologen kann als Entscheidungshilfe dafür genutzt werden.
Referenzen
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- Schneidmüller D, Röder C, Kraus R, Marzi I, Kaiser M, Dietrich D, Laer L (2011) Development and validation of a paediatric long-bone fracture classification. A prospective multicentre study in 13 European paediatric trauma centres. BMC Musculosceletal Disorders 12: 89
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- von Laer L, Growth behavior after epiphyseal plate injury. Importance of “watertight” osteosynthesis, Unfallchirurg 2014 117:1071–1084
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- Ziebarth K, Slongo T, Joeris A, Berger S, Konservative und operative Therapie von Frakturen im Wachstumsalter, Interne Leitlinien, Universitätsklinik für Kinderchirurgie Bern, 2010
Weiterführende Literatur
– Kindertraumatologie, Ingo Marzi, Springer, 2016
– Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter, Lutz von Laer, Thieme, 2012
– Rockwood and Wilkins› Fractures in Children, 8th edition, Lippincott Williams & Wilkins, 2014
– AO Surgery Reference Website, https://www.aosurgery.org Pediatric Trauma
Abbildungen
Alle Röntgenaufnahmen (ausser anders beschrieben) wurden vom Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital Bern angefertigt