Die medizinische Forschung wird im Wesentlichen durch Universitäten, Technische Hochschulen, Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, pharmazeutische Firmen und einige private Stiftungen finanziert. Für die seltenen Krankheiten, deren Prävalenz unter 1 : 2000 liegt, ist der finanzielle Beitrag von Universitäten und pharmazeutischen Firmen spärlich. Die Rolle privater Stiftungen ist deshalb für die Förderung der Forschung in dieser Kategorie Krankheiten wesentlich. Die Entwicklung der vor 28 Jahren gegründeten Schweizerischen Stiftung für die Erforschung der Muskelkrankheiten (SSEM) ist ein interessantes Beispiel für die Rolle, die eine private Stiftung bei der Förderung der Forschung in einem so lange Zeit vernachlässigten Bereich spielen kann.
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Einführung
Die medizinische Forschung wird im Wesent-
lichen durch Universitäten, Technische Hoch –
schulen, Nationalfonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung, pharmazeuti –
sche Firmen und einige private Stiftungen fi –
nanziert. Für die seltenen Krankheiten, deren
Prävalenz unter 1 : 2000 liegt, ist der finanziel –
le Beitrag von Universitäten und pharmazeu –
tischen Firmen spärlich. Die Rolle privater
Stiftungen ist deshalb für die Förderung der
Forschung in dieser Kategorie Krankheiten
wesentlich.
Die Entwicklung der vor 28 Jahren gegründe –
ten Schweizerischen Stiftung für die Erfor –
schung der Muskelkrankheiten (SSEM) ist ein
interessantes Beispiel für die Rolle, die eine
private Stiftung bei der Förderung der For –
schung in einem so lange Zeit vernachlässig –
ten Bereich spielen kann.
Gründung und Entwicklung
der SSEM
Entstehung und Ziele der Stiftung
Die Myopathien oder neuromuskulären Krank –
heiten gehören zu den seltenen Krankheiten,
d. h. zu den Krankheiten, die weniger als einen
Menschen auf 2000 betreffen. Man zählt in
der Schweiz etwa 10000 Kranke. Am be –
kanntesten sind die Muskeldystrophie Du –
chenne und die spinale Muskelatrophie. Diese
Krankheiten sind angeboren, fortschreitend
und heute noch unheilbar.
1982 erfuhr Jacques Rognon, dass seine bei –
den Knaben an einer Myopathie litten. Er
stellte fest, dass die Forschung in diesem
Bereich lange Zeit vernachlässigt wurde, und
gründete deshalb vor 28 Jahren, mit Hilfe
seiner Frau und einiger Freunde, die Schwei –
zerische Stiftung für die Erforschung der
Muskelkrankheiten (SSEM) www.fsrmm.ch.
Zweck der Stiftung ist es, in der Schweiz die
wissenschaftliche Erforschung der Muskel –
krankheiten im Kindes- und Erwachsenenalter
zu fördern. Zu diesem Zweck stellt sie in ers-
ter Linie Stipendien für Forscher auf diesem
Gebiet zur Verfügung. Sie kann des Weiteren
wissenschaftliche Tätigkeiten durch andere
Mittel materiell unterstützen.
Organe
Stiftungsrat
Die Stiftung wird durch einen Stiftungsrat
verwaltet, der zweimal jährlich tagt. Er ist für
die finanzielle und administrative Verwaltung,
die Suche nach finanziellen Mitteln und die
Wahl der vom wissenschaftlichen Rat vorge –
schlagenen Stipendiaten verantwortlich. Er
b esteht aus et wa 15 Per sönlichkeiten aus den
drei schweizerischen Sprachregionen, die
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vertre –
ten.
Wissenschaftlicher Rat
Der wissenschaftliche Rat tagt einmal jähr –
lich. Er ist für Beurteilung und Auswahl der
Arbeiten, die zum Erhalt eines Stipendiums
eingereicht werden, verantwortlich. Der wis –
senschaftliche Rat besteht aus prominenten
Fachleuten der Grundlagen- und klinischen
Forschung an Schweizer Universitäten.
Die Zusammensetzung der beiden Räte kann
auf der Website www.fsrmm.ch eingesehen
werden.
Geldmittel
Da die Stif tung nicht üb er eine A nf angs schen –
kung verfügte, musste sie aktiv nach Geld –
mitteln suchen. Sie wird durch Wirtschaft,
Stiftungen, Lotterien und Privatpersonen ge –
tragen. Seit 1989 wird sie durch die Stiftung
Telethon unterstützt, eine breitangelegte ka –
ritative Aktion die einmal jährlich Tausende
freiwilliger Helfer mobilisiert. Telethon ist mit
75 % die hauptsächlichste Geldquelle un –
s
er
er Stiftung. Da Telethon in der deutschen
Schweiz wenig bekannt ist, stammt der grös –
ste Teil der Geldmittel zweifellos aus der Ro –
mandie und dem Tessin.
Aktivitäten
Hauptaufgabe der Stiftung ist das Zuteilen
von Forschungsstipendien und die finanzielle
Unterstützung von Seminaren. Dank der im
Wesentlichen ehrenamtlichen Tätigkeit konn –
ten die Verwaltungsspesen mit ungefähr 7 %
sehr tief gehalten werden.
Stipendien
Seit ihr er G r ündung hat die SSEM 66 For scher
aller medizinischen Fakultäten unseres Lan –
des für einen Gesamtbetrag von 22 Millionen
CHF unterstützt. Ende 2012 hat sie das 128.
Stipendium zugeteilt. Das Verzeichnis der
Stipendiaten findet sich unter www.fsrmm.ch.
Die wichtigsten von der SSEM unterstützten
Forschungsthemen sind:
• New therapy approaches for limb-girdle
muscular dystrophy 2D and 2B (groups M.
Sinnreich and M. Jaconi).
• Disease mechanisms and potential thera –
pies for congenital muscle dystrophies
(group M. Rüegg and Santhera Phar –
maceuticals).
• Therapy approaches for spinal muscular
atrophy ( g roups D. Schümp er li and F. A llain ) .
• Potential treatments and efficacy studies
for Duchenne’s and Becker’s Muscular
dystrophies (groups T. Wallimann and U.
Ruegg).
• New diagnostic tools for muscular dystro –
phies (group W. Z’Graggen).
• Skeletal muscle function and repair, cell
therapy (groups L. Bernheim, S. Treves, C.
Handschin, P. Sonderegger, N. Mermod).
Obwohl die Finanzierung der Stiftung im We –
sentlichen durch die französisch- und italie –
nischsprachige Schweiz getragen wird, folgt
die Zuteilung der Stipendien ausschliesslich
Qualitätskriterien und dem Interesse, das die
betreffende Universität den Myopathien ent –
gegenbringt. Abbildung 1 illustriert dies un –
zweideutig.
Aktivitäten der Stiftung auf
nationaler und internationaler
Ebene
Unterstützung der Firma Santhera
pharmaceutical
Die Stiftung hat in den Jahren 2002 und 2003
beschlossen, diese Start-up, die im Bereiche
der seltenen Krankheiten tätig ist und durch
einen ehemaligen Stipendiaten der SSEM ge –
gründet wurde, zu fördern. Dazu hat sie einen
Förderung der Forschung im
Bereiche der seltenen Krankheiten
Rolle privater Stiftungen
Jacques Rognon, CortaillodÜbersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
21Die meedzienee sch
21Die mdzns
22
Betrag investiert, der 25% ihrer Reserven
darstellt. Santhera ist auf folgenden Gebieten
tätig: Friedreich’sche Ataxie, Duchenne Dys-
trophie, eine zu Sehbeeinträchtigung führen –
de Neuropathie (Leber’s Hereditary Optic
Neuropathy) und eine Dyskinesie bei Patien –
ten mit Parkinson’scher Krankheit.
Schaffung eines Lehrstuhles
für Myologie
In allen schweizerischen Abteilungen für Neu –
rologie beschäftigt man sich mit neuromusku –
lären Krankheiten, jedoch ohne entsprechen –
den Lehrstuhl. Unter dem Impuls von Myo –
suisse, die zwei schweizerische Myopathiever –
einigungen und die SSEM zus ammenf as s t , hat
die Universität Basel 2009 einen Lehrstuhl
geschaffen, dessen Inhaber Michael Sinnreich
ist. Myosuisse beschloss deshalb, der Univer –
sität Basel während drei Jahren eine jährliche
Summe von CHF 200000.– zuzuteilen.
Organisation von Seminarien
Es ist wichtig, dass die durch die Stiftung
unterstützten Forscher sich treffen und For –
schungsergebnisse austauschen können. Die
Stiftung veranstaltet denn auch alle zwei
Jahre in Magglingen ein zweitägiges Seminar,
das jeweils an die 60 Forscher vereint. Die
Stiftung unterstützt auch nationale und inter –
nationale Seminare, die durch die schweizeri –
schen medizinischen Fakultäten veranstaltet
werden. Seit ihrer Gründung hat die SSEM
CHF 246000.– für Seminare aufgewendet.
Das Verzeichnis dieser Seminare finden Sie
ebenfalls auf der Website www.fsrmm.ch .Beteiligung an der Schaffung eines
Patientenregisters
In seiner letzten Entwicklungsphase muss ein
M e dikament klinischen Tes t s unter zogen wer
–
den. Im Falle seltener Krankheiten ist die
Rekrutierung von freiwilligen Patienten eine
schwierige Aufgabe, die nur in internationaler
Zusammenarbeit gelöst werden kann. Patien –
tenregister wurden in Europa im Rahmen des
Programmes TREAT-NMD erstellt, das von
20 07 bis 2011 dur ch europäische Fonds finan –
ziert wurde. Die beiden ersten Register be –
treffen die Duchenne/Becker Dystrophie und
die spinale Amyotrophie. Die Schweiz beteiligt
sich an der Erstellung dieser Register, verant –
wor tlich zeichnen P.-Y. J eannet und C. B lot zer,
Lausanne und A. Klein, Zürich.
Um das Fortdauern der beiden Register in der
Schweiz zu gar antier en und neue Regis ter von
Myopathien zu schaffen, hat Myosuisse die
SSEM mit dieser Aufgabe beauftragt.
Beteiligung am European Neuro
Muscular Centre (ENMC)
Dieses Zentrum in Holland organisiert jährlich
ein Dutzend Seminare für Spezialisten aus
ganz Europa, die auf dem Gebiet der neu –
romuskulären Krankheiten forschen. Das Zen –
trum nimmt ebenfalls an europäischen For –
schungsprogrammen teil. Die SSEM beteiligt
sich an den Aktivitäten des Zentrums und hat
das ENMC mit einem Betrag in der Höhe von
CHF 716000.– finanziert. Zukunft der Stiftung
Die Finanzierung des SSEM ist insofern ge
–
fährdet, als sie zu 75 % von einer einzigen
Quelle abhängt: dem Telethon. Zudem sind
die finanziellen Reserven der SSEM in Hinblick
auf die mittelfristig eingegangenen Verpflich –
tungen bescheiden. Es ist zu befürchten, dass
der Elan des Telethon nach 26 Jahren ein –
bricht. Die Kontakte mit den zahlreichen
Telethonorganisatoren müssen intensiviert
werden, damit diese wichtige finanzielle Res –
sour ce nicht ver sieg t . Es müs sen je do ch auch
neue Quellen gefunden werden, insbesondere
in der deutschsprachigen Schweiz, wo Te –
lethon wenig oder nicht bekannt ist (Schen –
kungen, Vermögensverwaltung, Stiftungen
usw. ) . W ir s tellen fes t , das s es immer schw ie –
riger wird, Sponsoren für Aktivitäten zu fin –
den, die nicht medienträchtig sind, und das
Mäzenatentum stirbt aus !
Nachw uchs zu finden, sei es f ür den Stif tungs –
rat als auch den wissenschaftlichen Rat ist
nicht ganz einfach. Es ist heutzutage schwie –
rig, Persönlichkeiten zu finden, die sich ehren –
amtlich engagieren, damit Institutionen wie
z. B. Stiftungen ihre Tätigkeit ausüben können.
Die 2010 gegründete Schweizerische Allianz
f ür seltene K r ankheiten ( P roRar is ) sollte da zu
beitragen, die seltenen Krankheiten in politi –
schen Kreisen besser bekannt zu machen.
Was braucht es, um eine Stiftung
zu gründen?
Nach 28 Jahren Bestehen der SSEM kann es
sinnvoll sein, zu analysieren, welche Zutaten
notwendig sind, um das Funktionieren einer
Stiftung zu garantieren, die tagtäglich ihre fi –
nanziellen Mittel sichern muss.
• Zuallererst muss man persönlich durch die
Problematik betroffen sein.
• Die Mitglieder des Stiftungsrates müssen
sorgfältig ausgewählt werden. In unserem
Fall haben wir Persönlichkeiten aus Wissen –
schaft, Wirtschaft und Politik aus den drei
Sprachregionen gefunden, die uns viele
Türen öffnen.
• Es mus s ein r eiches N et z wer k an B eziehun –
gen unterhalten und jede Gelegenheit ge –
nutzt werden, um die Stiftung bekannt zu
machen.
• Um die Finanzierung zu garantieren,
braucht es Kreativität und die Fähigkeit,
sich den Bedürfnissen der Marktwirtschaft
anzupassen. Das Mäzenatentum wird im –
mer seltener und der Markt immer an –
spruchsvoller.
7’000
6’000
5’000
4’000
3’000 2’000 1’000 0 Basel6’529
BernZürich Lausanne
Genf Fribourg
Abbildung 1:
Verteilung der Stipendien an Schweizer Universitäten in Tausen CHF, Stand Dez. 2012
3 ’ 271 3 ’ 3914’902
2’572
99
21Die meeedzieneee sch
21Die mdzns
23
• Man muss Ausdauer haben und darf mit
seiner Zeit nicht sparen !
Schlussfolgerung
Seit 28 Jahren gibt die SSEM der medizini –
schen Forschung im Bereiche der neuromus –
kulären Krankheiten in der Schweiz wichtige
Impulse. Sie förderte die Schaffung einer
Forschergemeinde in diesem Spezialgebiet.
Die Medizinische Fakultät der Universität
Bern hat 2011 dem Gründer und Präsidenten
der SSEM den Titel eines Doktors honoris
causa verliehen, und damit der Anerkennung
der akademischen Welt für die geleistete Ar –
beit Ausdruck gegeben.
Vor 28 Jahren beschränkte sich die Forschung
im Wesentlichen auf Grundlagenforschung.
Die Fortschritte von Genetik und Molekular –
biologie erlaubten eine bessere Kenntnis
dieser Krankheiten und öffneten therapeuti –
sche Möglichkeiten, die zu klinischen Versu –
chen führten. Diese Fortschritte erlaubten es
auch, die Diagnostik wesentlich zu verfeinern.
Diese Entwicklung führt aber auch zu einem
steigenden Bedarf an Geldmitteln.
Anlässlich der Feier zum 25-jährigen Beste –
hen der SSEM am 13 Januar 2011 an der Eid –
genössischen Technischen Hochschule in
Lausanne unterstrich deren Präsident, Patrick
Aebischer, die B e deutung der pr i vaten Stif tun –
gen für die Förderung der Forschung im Be –
reiche der seltenen Krankheiten und wies
auch auf die Motivation der Gründer der SSEM
hin.
Korrespondenzadresse
Dr. h.c. Jacques Rognon
Président de la FSRMM
Chemin des Jordils 4
2016 Cortaillod/NE
21Die meedzienee sch
21Die mdzns
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr hc Jacques Rognon , Président de la FSRMM Andreas Nydegger