Atopische Erkrankungen sind familiär gehäuft. Das Risiko, eine atopische Erkrankung zu entwickeln, hängt vom Schweregrad der atopischen Familienbelastung (Anzahl der Atopiker, Schweregrad der Erkrankung) ab. Ein mässig erhöhtes Risiko (ca. 30%) besteht bei einem erstgradig Verwandten mit einer atopischen Krankheit. Ein stark erhöhtes Risiko (ca. 70%) besteht bei zwei erstgradig Verwandten mit einer atopischen Erkrankung oder einem erstgradig Verwandten mit einer starken atopischen Dermatitis.
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Vol. 16 No. 6 2005
Einleitung
Atopische Erkrankungen sind familiär ge –
häuft. Das Risiko, eine atopische Erkran –
kung zu entwickeln, hängt vom Schweregrad
der atopischen Familienbelastung (Anzahl
der Atopiker, Schweregrad der Erkrankung)
ab. Ein mässig erhöhtes Risiko (ca. 30%)
besteht bei einem erstgradig Verwand –
ten mit einer atopischen Krankheit. Ein
stark erhöhtes Risiko (ca. 70%) besteht bei
zwei erstgradig Verwandten mit einer ato –
pischen Erkrankung oder einem erstgradig
Verwandten mit einer starken atopischen
Dermatitis.
Empfehlungen
Ernährung
Grundlage für die Ernährung von Neugebo –
renen und Säuglingen bilden die aktuellen
Empfehlungen für die Säuglingsernährung
der Ernährungskommission der Schweize –
rischen Gesellschaft für Pädiatrie ( www.
swiss-paediatrics.org ). Bei Neugeborenen
und Säuglingen mit erhöhtem Atopierisiko
werden folgende Anpassungen empfohlen:
● Muttermilch: Wie für alle Neugebore –
nen wird in erster Linie Muttermilch
(ausschliessliches Stillen) empfohlen.
Die meisten Studien zeigen einen prä –
ventiven Effekt, wenn während mindes –
tens 4 bis 6 Monaten ausschliesslich
gestillt wird. Die WHO-Resolution von
2001 empfiehlt generell 6 Monate aus –
schliessliches Stillen für alle Neugebo –
renen.
Muss die Muttermilch in der Neonatal
–
periode für einige Tage ergänzt oder
ersetzt werden, sollen entweder partiell
(HA-Milch) oder extensiv hydrolysierte
Muttermilchersatzpräparate verabreicht
werden.
Obwohl geringste Mengen verschiede –
ner Fremdproteine (Kuhmilch, Hühnerei,
Getreide usw.) in der Muttermilch nach –
gewiesen wurden, bedeutet ein präven –
tiver Verzicht auf diese Lebensmittel
durch die stillende Mutter keinen Vorteil
für den Säugling. Eine solche diätetische
Einschränkung der stillenden Mutter
kann in therapeutischer Absicht mit dem
Kinderarzt diskutiert werden, wenn das
Kind bereits an einer allergischen Er –
krankung leidet und eine allergologische
Diagnostik klinisch relevante Sensibili –
sierungen beim Säugling gezeigt hat.
● Muttermilchersatzpräparate: Bei Neu-
geborenen und Säuglingen mit erhöh –
tem Atopierisiko, welche nicht oder nur
teilweise gestillt sind, werden in den
ersten 6 Monaten partiell hydrolysierte
Muttermilchersatzpräparate (HA-Milch)
eingesetzt. Einige Studien haben auch
einen präventiven Effekt von extensiv
hydrolysierten Präparaten gezeigt; de –
ren Einsatz sollte aber nur in speziellen
Fällen nach Rücksprache mit dem Kin –
derarzt und nach Abklärung mit dem
Kostenträger erfolgen (in der Schweiz
z. B. Alfaré ®, Damira ®, Pregomin ®).
● Beikost: Ab dem 5.–7. Lebensmonat
kann bei Kindern eine übliche, altersge –
rechte Beikost gegeben werden. Die ver –
schiedenen Lebensmittel sollen nachei –
nander, im Abstand von 3 bis 4 Tagen,
in die Ernährung eingeführt werden.
Lebensmittel, die Kuhmilch enthalten,
werden erst ab dem 11. Monat gegeben.
Im ersten Lebensjahr ist Ei (Eiklar und
Eigelb) zu meiden. Bei stark erhöhtem
Risiko sollen im ersten Lebensjahr auch
Fisch und Kiwi, bis und mit drittem Le –
bensjahr zusätzlich Erdnüsse, Nüsse und
Mandeln weggelassen werden. Getreide,
Beeren oder Zitrusfrüchte müssen nicht
präventiv gemieden werden, da sie nur
ganz selten allergische Reaktionen aus –
lösen. Bei einzelnen Nahrungsmitteln
(z. B. Zitrusfrüchte, Tomaten etc.) kön –
nen jedoch gelegentlich Hautirritationen
beobachtet werden.
Da auch kleine Mengen an Nahrungspro
–
teinen zu einer Sensibilisierung führen
können, ist auf die Wichtigkeit einer kon –
sequenten Einhaltung der diätetischen
Massnahmen hinzuweisen.
Beim Kind, das bereits unter einer
atopischen Krankheit leidet (im Säug –
lingsalter in der Regel eine atopische
Dermatitis) ist die atopische Konsti –
tution offensichtlich bereits manifest,
ungeachtet der Familienanamnese. In
dieser Situation bedarf es einer präzisen
Diagnostik vor Beginn einer weiterge –
henden Diät.
Umgebung
Die Bedeutung der Umgebung für die Ent –
wicklung der atopischen Erkrankungen wur –
de im Verlaufe der letzten Jahre intensiv
untersucht. Die Resultate sind zum Teil
widersprüchlich. Unbestritten ist, dass ein
Empfehlungen zur Primärprävention
von Allergien für Neugeborene
und Säuglinge mit erhöhtem Atopierisiko
Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (EK SGP) und
Arbeitsgruppe der Pädiatrischen Immunologen und Allergologen der Schweiz (PIA-CH)
Tabelle 1: Ernährungsempfehlungen für Neugeborene und Säuglinge mit erhöhtem Allergierisiko Wenn nicht anders erwhnt, gelten die aktuellen Empfehlungen fr die Suglingsernhrung der Ernhrun\
gskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (www.swiss-paediatrics.org).*Die WHO-Resolution von 2001 empfiehlt generell 6 Monate ausschliessliches Stillen für alle Neugeborenen
Bis Ende 4.–6. Monat* Ab 5.–7. Monat Ab 11. Monat Ab 2. Lebensjahr Ab 4. Lebensjahr
Ausschliesslich Muttermilch Einführung einer üblichen Einführung von Einführung von Vollmilch Einführung von
oder partiell (HA-Milch) resp. altersgerechten Beikost, jedoch Lebensmittel, die und Ei;
Einführung von Erdnüssen, Nüssen,
extensiv hydrolysierte ohne Ei und Kuhmilchprodukte; Kuhmilch enthalten
Fisch und Kiwi bei stark und Mandeln bei stark
Muttermilchersatzpräparate
bei stark erhöhtem Allergierisiko (ausser unverdünnte erhöhtem Allergierisiko erhöhtem Allergierisiko
zusätzlich ohne Fisch, Kiwi, Vollmilch)
Erdnüsse, Nüsse und Mandeln
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Kind, das in einer Umgebung ohne ein be-
stimmtes Allergen lebt, gegen dieses All –
ergen keine Allergie entwickeln wird. Eine
komplette Allergenelimination zu erreichen,
hat sich aber bei manchen Allergenen (z. B.
bei Katzenepithelien) als schwierig heraus –
gestellt.
Die im Folgenden vorgeschlagenen Mass –
nahmen zur Primärprävention zielen darauf
ab, die Belastung mit im Kindesalter rele –
vanten Umweltallergenen mit einfachen und
kostengünstigen Mitteln zu reduzieren.
Eine Familie mit einem Kind mit erhöhtem
Allergierisiko sollte keine felltragenden Tiere
wie Katze, Hund, Hase usw. neu anschaf –
fen.
Hinsichtlich der Hausstaubmilben werden
für die Primärprävention, d. h., wenn weder
eine Sensibilisierung noch klinische Symp-
tome vorliegen, folgende Massnahmen emp –
fohlen: maximal 1 bis 2 waschbare Plüsch –
tiere im Bett, Waschen der Wäsche bei
60 oC, Staubsaugen zweimal wöchentlich
und Lüften des Zimmers zweimal täglich,
Temperatur im Schlafzimmer des Kindes
18 oC bis 20 oC. Weitergehende Massnah –
men wie z. B. milbendichte Bettzeughüllen
sind als Therapie bei bereits manifester
Milbenallergie sinnvoll; die aktuelle Da –
tenlage in der Literatur ist aber zu unklar,
um einen Einsatz in der Primärprävention
generell empfehlen zu können. Hingegen ist
bei Befall mit Schimmelpilzen oder Küchen –
schaben eine diesbezügliche Sanierung des
Wohnbereiches anzustreben.
Mehrere Studien haben eine schützende
Wirkung eines «naturnahen Lebens» (zum
Beispiel auf dem Bauernhof) gezeigt. Ver –
schiedene Faktoren wie z. B. Belastung mit
Mikroben in der Umgebung der Kinder, Er –
nährung etc. wurden in epidemiologischen
Studien mit einem gewissen Schutz vor der
Entwicklung von Allergien assoziiert. Die
aktuelle Datenlage erlaubt es aber zum jet –
zigen Zeitpunkt nicht, aus diesen epidemio –
logischen Studien konkrete Empfehlungen
für die Primärprävention abzuleiten.
Unbestritten ist hingegen der schädliche
Einfluss des Tabakrauches während der
Schwangerschaft und später in der unmit –
telbaren Umgebung des Kindes.
Korrespondenzadressen:
● Prof. Dr. med. Christian P. Braegger
Leiter Abteilung Gastroenterologie
und Ernährung
Universitäts-Kinderklinik
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
● PD Dr. med. Roger P. Lauener
Leiter Allergologie
Universitäts-Kinderklinik
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
● Keine Passivrauchexposition
● Keine felltragenden Tiere neu
anschaffen
● Maximal 1 bis 2 waschbare
Plüschtiere im Kinderbett
● Bettwäsche bei 60 °C waschen
● Zimmer ein- bis zweimal täglich lüften
● Raumtemperatur im
Kinderschlafzimmer: 18 °C–20 °C
● Gegebenenfalls Massnahmen zur
Wohnraumsanierung bei Befall mit
Schimmelpilzen oder Küchenschaben
Tabelle 2: Präventive Massnahmen in der Umgebung des Neugeborenen und Säuglings mit erhöhtem Atopierisiko
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Christian P. Braegger , Abteilung Gastroenterologie und Ernährung, Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung