Die Autoimmunhepatitis ist eine Krankheit unbekannter Ätiologie, die unbehandelt bei den meisten Patienten zur Leberzirrhose und -insuffizienz führt. Beobachtungen von Klinik und Labor weisen darauf hin, dass es sich um eine multifaktorielle Krankheit handelt, bei welcher sowohl genetische wie auch Umweltfaktoren einen Entzündungsprozess auslösen und unterhalten.
25
Vol. 16 No. 6 2005 F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
Die Autoimmunhepatitis ist eine Krankheit
unbekannter Ätiologie, die unbehandelt bei
den meisten Patienten zur Leberzirrhose
und -insuffizienz führt. Beobachtungen von
Klinik und Labor weisen darauf hin, dass
es sich um eine multifaktorielle Krankheit
handelt, bei welcher sowohl genetische wie
auch Umweltfaktoren einen Entzündungs –
prozess auslösen und unterhalten.
Man kennt zurzeit zwei Typen von Autoim –
munhepatitiden, welche sich durch das Vor –
handensein spezifischer Autoantikörper im
Serum unterscheiden. Patienten mit einer
Autoimmunhepatitis Typ 1 haben Autoanti –
körper gegen die glatte Muskulatur (SMA),
die spezifisch gegen die Aktinfilamente
gerichtet sind, zudem finden sich bei einem
Teil dieser Patienten Autoantikörper gegen
Zellkerne (ANA). Charakteristisch für die Au –
toimmunhepatitis Typ 2 sind Autoantikörper
gegen Leber- und Nierenmikrosome, welche
ein retikulo-endoplasmatisches Protein, das
Cytochrom P450-2D6 (CYP2D6), erkennen.
Bei einem Teil der Patienten sind diese
assoziiert mit Autoantikörpern gegen das
Lebercytosol, welche gegen das Enzym For –
miminotransferase-Cyclodeaminase (FTCD)
gerichtet ist. Die Inzidenz der Autoimmunhe –
patitis Typ 1 sind auf der ganzen Welt ähn –
lich, die Autoimmunhepatitis Typ 2 hingegen
ist in Europa häufiger.
Klinik
Die Autoimmunhepatitis befällt vor allem
Mädchen. Bei der Autoimmunhepatitis Typ 1
sind 70% der betroffenen Patienten weiblich,
bei der Autoimmunhepatitis Typ 2 sind es
90% Die Krankheit wird meistens im pädi –
atrischen Alter diagnostiziert; 40–50% der
Patienten mit Autoimmunhepatitis Typ 1
erkranken vor dem 20. Lebensjahr und bei
90% der Patienten mit Autoimmunhepatitis
Typ 2 wurde die Diagnose zu diesem Alter
bereits gestellt. Das mittlere Alter bei Dia –
gnose einer Autoimmunhepatitis Typ 1 liegt
bei 10 1/2 Jahren, bei der Autoimmunhepatitis
Typ 2 sind es 6 1/2 Jahre.
Die Hälfte der Patienten weist bei der Erst –
konsultation eine akute Hepatitis auf, davon
< 5% eine fulminante oder subfulminante
Form ( Tabelle 1 ). Bei den übrigen Patienten
führen unspezifische Symptome wie Müdig -
keit, Inappetenz oder Gewichtsverlust zur
Diagnose. Bei 10–15% der Patienten wird die
Diagnose wegen einer zufällig festgestellten
Lebervergrösserung oder wegen erhöhter
Transaminasen gestellt. Meist führen Zei -
chen wie Sternnaevi oder ein Palmarery -
them den Kliniker zur Verdachtsdiagnose
einer chronischen Lebererkrankung. Bei
einer Minderzahl von Patienten lassen eine
extrahepatische Autoimmunkrankheit und
Symptome, welche durch diese nicht erklärt
werden, den Kliniker eine Leberkrankheit
vermuten ( Tabelle 2 ). Das Hauptproblem
ist das lange Intervall zwischen den ersten
Symptomen und der Diagnose. Diese Ver -
zögerung ist der Grund, dass bereits bei
Diagnosestellung bei den meisten Patienten
eine fortgeschrittene Leberfibrose vorliegt.
Die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern,
ist bei den oben beschriebenen Symptomen
an diese Krankheit zu denken.
Zu bedenken ist, dass die Autoimmunhepa -
titis einen fluktuierenden Verlauf annehmen
kann. Dies ist auch die Erklärung dafür,
weshalb die Diagnose oft sehr spät gestellt
wird.
Die meisten Patienten haben zum Zeitpunkt
der Diagnose eine vergrösserte Leber von
fester bis harter Konsistenz und eine Milz -
vergrösserung als Ausdruck einer portalen
Hypertension. Trotz der Häufigkeit der Le -
berzirrhose und der portalen Hypertension
sind Magendarmblutungen vor und nach
Diagnose einer Autoimmunhepatitis selten.
Extrahepatische Autoimmunkrankheiten
werden bei mehr als einem Drittel der
Patienten oder ihrer Familienmitglieder be -
obachtet. Die Suche solcher Erkrankungen
ist für die Diagnose von grosser Bedeutung.
Einige dieser extrahepatischen Autoimmun -
krankheiten sind für die Autoimmunhepatitis
Typ 1 charakteristisch, andere hingegen für
die Autoimmunhepatitis Typ 2 ( Tabelle 2 ).
Trotz der Häufigkeit von Autoimmunkrank -
heiten oder einer positiven Familienanamne -
se für extrahepatische Autoimmunkrank -
heiten sind Fälle von Autoimmunhepatitiden
bei Geschwistern eher selten.
Ein besonderes Augenmerk gilt dem gemein -
samen Auftreten von Autoimmunhepatitis
Autoimmunhepatitis
Fernando Alvarez, Montréal
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds und Johannes Spalinger, Luzern
Erscheinungsformen/Symptomatik:
● akute Hepatitis
● chronische Hepatopathie:
– feste oder harte Hepatomegalie
– Splenomegalie
– Sternnaevi
– Palmarerythem
● Unspezifische Symptome:
– grosse Müdigkeit
– Ausfall der Menses
● Zufallsbefund:
– erhöhte Transaminasen
– Hepatomegalie (± Splenomegalie)
● Extrahepatische
Autoimmunerkrankung
Tabelle 1: Erscheinungsformen bei Patienten mit Autoimmunhepatitis
Tabelle 2: Häufigste extrahepatische Autoimmunkrankheiten
Extrahepatische Autoimmunkrankheiten AIH Typ 1 AIH Typ 2
Arthritis + -
Colitis ulcerosa + -
Morbus Crohn + -
Hämolytische Anämie + -
Glomerulonephritis + -
Diabetes mellitus ± +
Thyreoiditis ± +
Vitiligo - +
Alopezie - +
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
26
Vol. 16 No. 6 2005
Typ 1 und Coeliakie. Hier ist zu bemerken,
dass sich die erhöhten Leberenzyme bei der
Coeliakie durch eine glutenfreie Diät norma -
lisieren. Nur in seltenen Fällen kann in der
Leberbiopsie eine chronisch aktive Hepatitis
gefunden werden, die eine immunsuppres -
sive Behandlung notwendig macht.
Labor
Der fluktuierende Verlauf der Autoimmun -
hepatitis erklärt die stark wechselnden
Werte der Transaminasen, die zum Zeitpunkt
der Diagnose das 1.5- bis 50-fache der
Norm erreichen können. Die Gammaglu -
tamyltransferase ( g-GT) und die alkalische
Phosphatase sind häufig nur leicht erhöht
(Tabelle 3 ). Falls die g-GT oder die alka -
lische Phosphatase mehr als 2- bis 2 1/2-mal
über der Norm liegen, sollte man an die
Möglichkeit von Gallengangskomplikationen
denken und eventuell eine Cholangiographie
erwägen. Bei klassischen Fällen von Autoim -
munhepatitis Typ 1 kann nach Jahren eine
sklerosierende Cholangitis auftreten.
Das wichtigste Kennzeichen der Autoim -
munhepatitis ist die Proliferation von B-Zel -
len vom polyklonalen Typ. Die Aktivierung
dieser Zellen erzeugt eine Hypergammaglo -
bulinämie. Diese Hypergammaglobulinämie
ist gekennzeichnet durch die Zunahme der
Immunglobuline Typ IgG. Die Immunglo -
buline vom Typ IgM liegen im Normbe -
reich. IgA liegt innerhalb oder unterhalb des
Normbereichs, wie dies auch bei anderen
Autoimmunkrankheiten bekannt ist. Ein
genetisch bedingter Mangel an Faktor 4 des
Komplements wurde bei fast einem Drittel
der Patienten beobachtet.
Eine Hypoalbuminämie und eine mehr oder
weniger ausgeprägte Gerinnungsstörung
sind Zeichen der Leberinsuffizienz und fin -
den sich bei fast der Hälfte der Patienten
zum Zeitpunkt der Diagnose ( Tabelle 3 ).
Die Suche nach Autoantikörpern ist wichtig
für die Diagnose und erlaubt einen raschen
Beginn der Behandlung. ( Tabelle 4 ) Die Titer
dieser Antikörper sind sehr variabel und
schwanken zwischen 1/100 und 1/500 000.
Die am häufigsten verwendete Methode ist
die indirekte Immunfluoreszenz, welche in
spezialisierten Labors durchgeführt werden
sollte, die genügend Erfahrung in der Inter -
pretation der Resultate haben. Dank der
Entwicklung von ELISA- und Radioimmunas -
saymethoden, welche spezifische Antigene
anpeilen, können zirkulierende Autoanti -
körper bei der Autoimmunhepatitis nachge -
wiesen werden. Durch die Verwendung von
synthetisch hergestellten Epitopen, welche
dem Peptid des Autoantigens entsprechen,
können Autoantikörper mit grosser Sensi -
bilität und Spezifität nachgewiesen werden.
Gewisse Autoantikörper, wie die gegen die
löslichen Leberantigene und gegen die Asi -
aloglykoproteinrezeptoren gerichteten Anti -
körper, sind nicht für einen bestimmten Typ
von Autoimmunhepatitis charakteristisch.
Ihre diagnostische Bedeutung ist unklar,
insbesondere auch, weil in den meisten kli -
nischen Zentren Schwierigkeiten bestehen,
diese überhaupt nachzuweisen.
Histologie
Die Autoimmunhepatitis zeichnet sich durch
eine lymphoplasmocytäre Infiltration aus,
bestehend aus CD4-Zellen, aus B-Lympho -
cyten und aus Plasmocyten. Die lympho -
plasmocytäre Infiltration betrifft die Leber -
läppchen und verursacht die als «interface
hepatitis» bezeichneten Veränderungen. Bei
den Lymphocyten, die das Leberläppchen
infiltrieren, handelt es sich mehrheitlich
um T-Zellen des CD8-Typs. Der portale und
periportale Infiltrationsgrad, wie auch die lo -
buläre Entzündung werden durch den fluktu -
ierenden Verlauf der Krankheit beeinflusst.
Es überrascht deshalb nicht, dass trotz
Vorhandensein aller klinischen Zeichen und
Labormerkmale einer Autoimmunhepatitis
die lymphocytäre Infiltration nur gering ist,
aber auch stark ausgeprägt sein kann.
Ein Merkmal, welches in 10–20% der Leber -
biopsien bei Autoimmunhepatitis erkannt
und interpretiert werden muss, ist das Vor -
handensein von mehrkernigen Hepatocyten
oder Riesenzellen. Auch Epithelanomalien
der Gallenwege wurden beschrieben; diese
sind aber nicht mit cholangiographischen
Veränderungen assoziiert. Kürzlich wurden
Nekrosen der Hepatocyten beschrieben, die
mit lymphocytärer Infiltration des Läppchen -
zentrums und mit wenig bis fehlender por -
taler Infiltration einhergingen. Patienten mit
diesen histologischen Veränderungen haben
alle Zeichen einer Autoimmunhepatitis und
reagieren günstig auf die immunsuppressive
Behandlung. Diese erst seit kurzem be -
schriebenen histologischen Veränderungen
müssen dem Kliniker bei der Diagnose einer
Autoimmunhepatitis mitgeteilt werden. Nur
so kann eine immunsuppressive Therapie
rasch in die Wege geleitet werden. Trotz
der grossen diagnostischen Hilfe, die die
Tabelle 4: Serologische Marker bei Patienten mit Autoimmunhepatitis 1) A ntileber- und Antinierenmikrosome (anti-liver-kidney microsomes = LKM)
2) Antilebercytosol (anti-liver cytosol = LC)
3) Lösliches Anti-Antigen der Leber (anti-soluble liver antigen = SLA)
4) Antiasyaloglykoproteinrezeptor (anti-asyaloglycoprotein receptor = ASGPR)
5) Cytochrom P450 2D6
6) Formiminotransferase cyclodeaminase
7) Ribon ukleoprotein
Autoantikörper (Antigen)
Autoimmunhepatitis
Typ 1 Typ 2
SMA (F-aktin) + -
ANA (verschiedene) + -
LKM 1 (CYP2D6) 5 - +
LC2 (FTCD) 6 - +
SLA 3 (tRNP(ser) 7) + +
ASGPR 4 + +
● schwankende Transaminasen -
erhöhung
● g-GT unter 2 x der Norm
● Hypergammaglobulinämie (hyper
IgG)
● zirkulierende Autoantikörper
(> 90% der Patienten)
● Hypoalbuminämie
(ca. 50% der Patienten)
● Gerinnungsstörung
(ca. 50% der Patienten)
● Fehlen viraler Marker
Tabelle 3: Labormerkmale der Autoimmunhepatitis
27
Vol. 16 No. 6 2005 F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
Leberbiopsie bei der Diagnose der Autoim –
munhepatitis bietet, sollte bei Patienten
mit manifester Leberinsuffizienz ohne Ver –
zug eine immunsuppressive Behandlung
begonnen werden, ohne bei bestehender
Blutgerinnungsstörung Risiken einzugehen.
Sobald sich diese Parameter mehr oder we –
niger normalisiert haben, kann die Biopsie
durchgeführt werden.
Diagnose
Die International Autoimmune Hepatitis
Group hat Kriterien für Klink, Labor und
Histologie aufgestellt sowie Therapieemp –
fehlungen definiert, welche die Diagnose
und Behandlung einer Autoimmunhepatitis
erleichtern. Die Kriterien gelten sowohl
beim Kind, wie auch beim Erwachsenen.
Die Differenzialdiagnose der Autoimmunhe –
patitis beinhaltet: Die akute und chronische
Hepatitis viraler und toxischer Aetiologie,
den Morbus Wilson und die sklerosierende
Cholangitis. Diese kann mit einem un –
terschiedlich ausgeprägten entzündlichen
Syndrom einhergehen. Bei den viralen He –
patitiden sollte die Hepatitis A gesucht
werden, die meist nur eine vorübergehende
Hepatitis hervorruft. Bei einer chronischen
Entzündung sollte nach Hepatitis B oder C
gesucht werden. Mehrere Medikamente
oder Xenobiotika (Fremdstoffe) können le –
bertoxisch sein.
Im Verlaufe der letzten Jahre haben wir
ein Autoimmunhepatitis-ähnliches Syndrom
beobachtet, welches durch Minocyclin aus –
gelöst wurde. Diese Tetracyclinform kommt
bei Adoleszenten mit schwerer Akne zur
Anwendung. Das Syndrom gleicht einer
Autoimmunhepatitis mit Hypergammaglo –
bulinämie. In einigen Fällen konnten sogar
Autoantikörper gegen Zellkern und/oder
glatte Muskulatur gefunden werden. Diese
toxische Hepatitis trifft man vor allem bei
Mädchen, die eine genetische Veranlagung
haben, vergleichbar mit jener bei Patienten
mit Autoimmunhepatitis. Der Morbus Wilson
kann mit einer akuten oder chronischen
Leberinsuffizienz auftreten, gelegentlich be –
gleitet durch eine intravaskuläre Hämolyse
und gekennzeichnet durch das Vorliegen
eines Kayser-Fleischer-Rings auf der Cornea
(in der Pädiatrie relativ seltenes Zeichen).
Im Labor vermindertes Coeruloplasmin (ist
jedoch bei Leberinsuffizienz schwer inter –
pretierbar) sowie erhöhte Urinkupferwerte.
Die Diagnose wird durch die Bestimmung
des Kupfers im Leberparenchym bestätigt;
die Durchführung der Biopsie ist im Falle
einer schweren Hepatitis jedoch risikoreich.
Die Zu- oder Abnahme des Kupfers im Urin
nach Verabreichung von Penicillamin kann
daher ein hilfreicher Test zur Diagnosesi –
cherung sein. Zu erwähnen ist die Tatsache,
dass bei akutem oder chronischem Morbus
Wilson eine Hypergammaglobulinämie und
auch niedrige Autoantikörpertiter festge –
stellt werden können.
Die Differenzialdiagnose zur sklerosierenden
Cholangitis, welche mit mehr oder minder
ausgeprägten entzündlichen Veränderungen
einhergehen kann, erweist sich gelegentlich
als sehr schwierig. Letztere zeigt in der
Leberhistologie Zeichen einer Obstruktion
der Gallenwege und einer chronisch aktiven
Hepatitis. Die Symptome dieser Patienten
verbessern sich wenig oder gar nicht unter
immunsuppressiver Therapie und reagieren
viel besser auf Ursodesoxycholsäure, wenn
auch diese Substanz den Verlauf der Krank –
heit nicht zu beeinflussen scheint.
Pathogenese
Bei der Pathogenese einer Autoimmunhe –
patitis sind 1) genetische Prädispositions –
faktoren und 2) Umweltfaktoren, welche
den Autoimmunprozess auslösen und unter –
halten, zu unterscheiden. Die im Locus des
Haupthistokompatibilitätskomplexes (HHK)
liegenden Gene wurden bei Patienten mit ei –
ner Autoimmunhepatitis untersucht und die
Resultate mit Kontrollpersonen verglichen.
Die Resultate konnten mit dem Nachweis,
dass diese Prädispositionsgene intrafami –
liär übertragen wurden, bestätigt werden.
Die HLA-Allele der Klasse II sind mit einem
erhöhten Risiko für das Auftreten einer Au –
toimmunhepatitis assoziiert ( Abb. 1 ). Erst
kürzlich wurden Gene ausserhalb des Locus
des HHK mit systemischen Autoimmun –
krankheiten welche einer Autoimmunhepati –
tis einhergehen in Zusammenhang gebracht
(Abb. 2 ). Mädchen, insbesondere im vorpu –
bertären Alter, sind besonders anfällig, eine
Autoimmunhepatitis zu entwickeln.
Die wahrscheinlichste Pathogenese der
Entstehung einer Autoimmunhepatitis ist
eine virale Infektion, die einen Autoimmun –
prozess auslöst. Die Immunreaktion richtet
sich zu Beginn gegen ein virales Epitop,
welches eine Ähnlichkeit mit der moleku –
laren Sequenz eines Leberproteins hat. Die
Autoimmunkrankheit ist die Folge einer
fortwährenden Kreuzreaktion zwischen Vi –
rus- und Leberantigenen, wobei letztere
dauernd dem Immunsystem ausgesetzt sind
(Abb. 3 ). Zwei Tiermodelle zeigen, dass
ähnliche Moleküle eine Autoimmunkrank –
heit in der Leber auslösen und unterhalten
können. Im Tierversuch wurden Mäuse mit
Plasmiden geimpft, welche normalerweise
in der Leber exprimierte Proteine kodieren.
In den peripheren Lymphknoten werden
T-Zellen aktiviert, welche die antigenen
Stellen dieser Proteine erkennen. Diese Pro –
teinkodierenden T-Lymphocyten gelangten
anschliessend in die Leber, proliferierten
dort und entwickelten eine für die Hepato –
cyten aggressive Entzündung.
Die Modelle zeigen, dass eine Unterbre –
chung der peripheren Toleranz genügt, um
eine autoimmune Lebererkrankung auszu –
lösen. Dies ohne das Vorliegen einer vorbe –
stehenden Entzündung des Organs.
In der klinischen Praxis erweist es sich als
ausserordentlich schwierig, eine Virusinfek –
Abbildung 1: Bekannte Faktoren, welche ein autoimmunes Geschehen
in der Leber auslösen und unterhalten können HHK = Haupthistokompatibilitätsfaktor
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
28
Vol. 16 No. 6 2005
tion nachzuweisen. Zum Zeitpunkt der Dia –
gnose lässt sich in der Regel keine kürzlich
durchgemachte Infektion nachweisen. Es
wurden Fälle von Autoimmunhepatitis als
Folge von EBV- oder Hepatitis A-Virus-Infek –
tionen beschrieben. Auch wurden «moleku –
lare Ähnlichkeiten» zwischen den Epitopen
CYP2D6 und FRTD sowie viralen Proteinen
beschrieben ( Abbildung 2 ).
Behandlung
Bei der Wahl der immunsuppressiven Be –
handlung sollten folgende Punkte berück –
sichtigt werden:
1) der Entzündungsprozess muss so rasch
als möglich beherrscht werden;
2) die Leberfibrose kann sich zurückbilden,
falls es gelingt, die Entzündung zu be –
herrschen; 3)
die Nebenwirkungen der lange dauern –
den Behandlung müssen so gering wie
möglich gehalten werden, damit eine
hohe Patientencompliance erreicht wer –
den kann;
4) Alter und Geschlecht des Patienten be
–
einflussen das Auftreten und die Folgen
von Nebenwirkungen;
5) immunsuppressive Medikamente gehen
gelegentlich mit einer Verschlimmerung
gewisser extrahepatischer Autoimmun –
erkrankungen einher.
Die übliche Behandlung der Autoimmunhe –
patitis beinhaltet Prednison (2 mg/kg/Tag,
bis 60 mg/Tag) zusammen mit Azathioprin
(1.5–2 mg/kg/Tag). Diese Behandlung führt
bei über 85% der Patienten zu einer totalen
Remission (Normalisierung der Transami –
nasen). Leider brechen vor allem junge
Mädchen die Behandlung aufgrund der
Steroidnebenwirkungen mit entsprechend
verhängnisvollen Folgen ab.
Je nach Verlauf der Transaminasen muss
die Prednisondosis so rasch als möglich
reduziert werden. Im Allgemeinen kann
eine langsame Dosisverminderung ab der
dritten bis sechsten Behandlungswoche
durchgeführt werden. Drei Monate nach
Behandlungsbeginn liegt die Dosis zwischen
0.3 und 0.5 mg/kg/Tag. Die gleichzeitige
Gabe von Azathioprin erlaubt eine schnel –
lere Reduktion der Prednisondosis.
Seit kurzem wird zur Remissionsinduktion
Cyklosporin eingesetzt. Dieses immunsup –
pressive Medikament hat die Geschichte der
Lebertransplantation verändert und dazu
geführt, dass Inzidenz und Heftigkeit der
Abstossung von transplantierten Lebern
stark zurückgegangen sind. Cyklosporin ist
ein Inhibitor des Kalcineurins und führt zur
Verminderung der Interleukin 2-Sekretion.
Dieses Cytokin stimuliert die T-Lympho –
cytenproliferation.
Die Behandlung mit Cyklosporin in einer
genügend hohen Dosis (Ziel: Serumspiegel
ca. 250 mg/ml) erlaubt eine vollständige
Remission bei 95% der Patienten bis zum
Ende des ersten Behandlungsjahres. Die
mittlere Behandlungsdosis, um den ent –
sprechenden Serumspiegel zu erhalten, liegt
bei 5 mg/kg/Tag, verteilt auf drei Einzeldo –
sen. Um die langfristigen Nebenwirkungen
dieses Medikamentes zu vermindern, soll
Cyklosporin nur während sechs Monaten
gegeben werden und danach durch niedrige
Steroiddosen (0.3 mg/kg/Tag) und Azathio –
prin (1.5–2 mg/kg/Tag) ersetzt werden. Die
so beobachteten Nebenwirkungen waren
immer leichter Art und verschwanden voll –
ständig nach Wechsel auf die Steroid-Aza –
thioprinbehandlung ( Abbildung 3 ).
Andere immunsuppressive Medikamente
wurden zur Behandlung der Autoimmun –
hepatitis vorgeschlagen, wie z. B. Mofetil
Myclophenolat (MMF) und Tacrolimus. Die
Erfahrungen mit diesen Medikamenten sind
sehr beschränkt und sie scheinen gegenü –
ber den bisher angewendeten Medikamen –
ten keine Vorteile aufzuweisen. Immerhin
kann ihr Einsatz bei Unverträglichkeit oder
fehlendem Ansprechen in Betracht gezogen
werden.
Lebertransplantation
Im Kindesalter werden 4% aller Lebertrans –
plantationen bei Patienten mit einer Autoim –
Abbildung 2: Hypothese des Auslösemechanismus einer Autoimmunhepatitis durch eine Virusinfektion oder durch ein toxische Wirkung auf die Leber
Akute
Hepatitis
Vollständige
Heilung
Molekulare Ähnlichkeit
mit Antigenzusammensetz
ung des Lebergewebes
Prädisponierende Gene
Geschlecht
Alter
Autoimmun
Hepatitis
– Virus
– toxisch
Abbildung 3: Cyklosporinbehandlung: Remissionsinduktion
Cyklosporin: ca. 5 mg/kg/Tag (in 3 Dosen)
Prednison: 0,3 mg/kg/Tag
Azathioprin: 1,5 mg/kg/Tag
Azathioprin: 1,5 mg/kg/Tag
6–7 Monate 12 Monate
Behandlungsbeginn
75% der Patienten mit ALAT = Normal 100% der Patienten mit ALAT = Normal
… mehrere Jahre
29
Vol. 16 No. 6 2005 F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
munhepatitis durchgeführt. Die häufigste
Indikation ist die einer Leberinsuffizienz
bei Kindern mit Leberzirrhose (ca. 3.5%).
Seltener führt eine fulminante oder sub –
fulminante Hepatitis, welche nicht auf die
immunsuppressive Behandlung anspricht,
zur Lebertransplantation (ca. 0.6%).
Bei der Nachbehandlung eines transplan –
tierten Kindes muss beachtet werden, dass
das immunologische Grundgeschehen mit
dem Ersatz der Leber nicht korrigiert wird.
Die immunsuppressiven Dosen können da –
her nur sehr langsam reduziert werden, und
kleine Steroiddosen werden wahrscheinlich
über Jahre beibehalten.
Im Vergleich zu Patienten, welche aus ande –
ren Gründen transplantiert wurden, mussten
bei Patienten, die wegen einer Autoimmun –
hepatitis transplantiert wurden, vermehrte
Spätabstossungen nach Reduzierung der
Immunsuppressiva beobachtet werden.
Schlussfolgerungen
Die Autoimmunhepatitis ist eine seltene
Krankheit, welche in die Differenzialdiagno –
se der akuten Hepatitis und der chronischen
Lebererkrankung miteinbezogen werden
muss.
Eine frühzeitige Diagnose und eine wirk –
same Behandlung erlauben es, kurz- oder
langfristig eine Lebertransplantation zu ver –
meiden.
Mehrere Behandlungsschemata stehen zur
Verfügung. Das Behandlungsprotokoll muss
auf der Erfahrung des Zentrums beruhen,
welches für den Patienten verantwortlich
ist. Kinder mit einer Autoimmunhepatitis
gehören in ein Zentrum mit Erfahrung in
pädiatrischer Hepatologie.
Korrespondenzadresse:
Prof. Fernando Alvarez, M.D.
Service de Gastro-entérologie
Hépatologie et Nutrition
Hôpital Sainte-Justine
3175, chemin Côte Sainte-Catherine
Montréal
Québec H3T 1C5
Tél. 514-345-4673
Télécopieur: 514-345-2361
fernando.alvarez.hsj@ssss.gouv.qc.ca
Referenzen1) Odievre M, Maggiore G, Homberg JC, Saadoun F, Courouce AM, Yvart J et al. Seroimmunologic classifi – cation of chronic hepatitis in 57 children. Hepatology 1983; 3(3): 407–409. 2)
Johnson PJ, McFarlane IG. Meeting report: Internatio –
nal Autoimmune Hepatitis Group. Hepatology 1993; 18(4): 998–1005.
3) Maggiore G, Veber F, Bernard O, Hadchouel M,
Homberg JC, Alvarez F et al. Autoimmune hepatitis associated with anti-actin antibodies in children and adolescents. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1993; 17(4): 376–381.
4) Gregorio GV, Portmann B, Reid F, Donaldson PT,
Doherty DG, McCartney M et al. Autoimmune hepa – titis in childhood: a 20-year experience. Hepatology 1997; 25(3): 541-547.
5) Porta G, Gayotto LC, Alvarez F. Anti-liver-kidney
microsome antibody-positive autoimmune hepatitis presenting as fulminant liver failure. J Pediatr Gastro – enterol Nutr 1990; 11(1): 138–140.
6) Herzog D, Rasquin-Weber AM, Debray D, Alvarez F.
Subfulminant hepatic failure in autoimmune hepatitis type 1: an unusual form of presentation. J Hepatol 1997; 27(3): 578–582.
7) Vajro P, Hadchouel P, Hadchouel M, Bernard O, Ala – gille D. Incidence of cirrhosis in children with chronic hepatitis. J Pediatr 1990; 117(3): 392–396.
8) Vergani D, Alvarez F, Bianchi FB, Cancado EL, Mackay
IR, Manns MP et al. Liver autoimmune serology: a consensus statement from the committee for au – toimmune serology of the International Autoimmune Hepatitis Group. J Hepatol 2004; 41(4): 677–683.
9) Gueguen M, Meunier-Rotival M, Bernard O, Alvarez
F. Anti-liver kidney microsome antibody recognizes a cytochrome P450 from the IID subfamily. J Exp Med 1988; 168(2): 801–806.
10) Lapierre P, Hajoui O, Homberg JC, Alvarez F. Formimi – notransferase cyclodeaminase is an organ-specific autoantigen recognized by sera of patients with au – toimmune hepatitis. Gastroenterology 1999; 116(3): 643–649.
11) Vitozzi S, Djilali-Saiah I, Lapierre P, Alvarez F.
Anti-soluble liver antigen/liver-pancreas (SLA/LP) antibodies in pediatric patients with autoimmune hepatitis. Autoimmunity 2002; 35(8): 485–492.
12) McFarlane BM, McSorley CG, Vergani D, McFarlane
IG, Williams R. Serum autoantibodies reacting with the hepatic asialoglycoprotein receptor protein (hepatic lectin) in acute and chronic liver disorders. J Hepatol 1986; 3(2): 196–205.
13) Hajoui O, Debray D, Martin S, Alvarez F. Auto-anti – bodies to the asialoglycoprotein receptor in sera of children with auto-immune hepatitis. Eur J Pediatr 2000; 159(5): 310–313.
14) Misdraji J, Thiim M, Graeme-Cook FM. Autoimmune
hepatitis with centrilobular necrosis. Am J Surg Pathol 2004; 28(4): 471–478.
15) Djilali-Saiah I, Renous R, Caillat-Zucman S, Debray D,
Alvarez F. Linkage Disequilibrium between HLA Class II Region and Autoimmune Hepatitis in Pediatric Patients. J Hepatol 2004; (in press).
16) Djilali-Saiah I, Ouellette P, Caillat-Zucman S, Debray
D, Kohn JI, Alvarez F. CTLA-4/CD 28 region polymor – phisms in children from families with autoimmune hepatitis. Hum Immunol 2001; 62(12): 1356–1362.
17) Vogel A, Liermann H, Harms A, Strassburg CP, Manns
MP, Obermayer-Straub P. Autoimmune regulator AIRE: evidence for genetic differences between autoimmune hepatitis and hepatitis as part of the autoimmune polyglandular syndrome type 1. Hepa – tology 2001; 33(5): 1047–1052.
18) Alvarez F. Treatment of Autoimmune Hepatitis:
Current and Future Therapies. Curr Treat Options Gastroenterol 2004; 7(5): 413–420.
Erratum
Dans le tableau 7 de l’article «La gé –
nération XXL, le nouveau défi du 21 ème
siècle – Obésité, Diabète du type 2 et
facteurs de risque cardiovasculaire
chez l’enfant et l’adolescent» (Pae –
diatrica 2005; 16(4): 44–46, il y a
une erreur: on devait lire «présent si
> 2 critères».
In der Tabelle 7 des Artikels «Die XXL
Generation, eine neue Herausforde –
rung im 21. Jahrhundert: Adipositas,
Typ 2 Diabetes mellitus und kardio –
vaskuläre Risikofaktoren bei Kindern
und Jugendlichen» (Paediatrica 2005;
16(4): besteht ein Irrtum: man sollte
lesen: «Vorhanden wenn > 2 Kriterien
erfüllt»
Tabelle 7: Das metabolische Syndrom bei Kindern und Jugendlichen
● Triglyzeride > 97. Perzentil● HDL-Cholesterin < 1 mmol/l● Nüchternglukose > 5.5 mmol/l● BMI > 97. Perzentil ● Systolischer Blutdruck > 90. Perzentil● Bauchumfang > 97. Perzentil
Die abdominal betonte Adipositas ist bei
Erwachsenen ein essentielles Kriterium.
Aktuell liegen allerdings nur Normdaten
für den Bauchumfang für Kinder aus den
USA vor 20).
Adaptiert von Referenz 19)
(Vorhanden wenn > 2 Kriterien erfüllt)
Tableau 7: Le syndrome métabolique de l’enfant et de l’adolescent
● Triglycérides > percentile 97● Cholestérol HDL < 1 mmol/l● Glycémie à jeun > 5,5 mmol/l● BMI > percentile 97● Tension artérielle > percentile 97● Tour de taille > percentile 97
L’obésité abdominale est un critère essen –
tiel chez l’adulte. Actuellement n’exi stent
pour le tour de taille de l’enfant que des
valeurs normales provenant des Etats
Unis 20).
Adapté d’après la référence 19).
(présent si > 2 critères)
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Fernando Alvarez , M.D. Service de Gastro-entérologie, Hépatologie et Nutrition, Québec