Liebe Kollegen, wir haben die Einladung, einen Beitrag zu dieser Nummer von Paediatrica unter dem Thema Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zu leisten, mit grosser Freude und grossem Interesse angenommen. Kinderärzte stehen heute in den Strategien zur Erkennung, Diagnostik und Koordination der Betreuung von Kindern mit ASS an vorderster Stelle. Sie sind ebenfalls bei der Umsetzung der Good Practice in diesem Bereich gefordert.
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naten den Zugang zu intensiver Entwicklungs-
förderung und Verhaltenstherapie begünstigt.
Es ist deshalb wichtig, dass diese grundlegen –
den Massnahmen rasch umgesetzt werden.
Diese während den letzten 20 Jahren studier –
ten Interventionsmodelle haben in kontrollier –
ten Studien den \beweis ihrer Wirksamkeit
erbracht
4),5) . Sie können die Entwicklung des
Kleinkindes beeinflussen und durch die Ver –
besserung der kognitiven Funktionen ASS-
bedingte \behinderungen begrenzen, funktio –
nelle Kommunikation ermöglichen und
problematisches Verhalten verringern. Diese
Verbesserung korreliert direkt mit einer früh,
vor dem Alter von 4 Jahren, eingesetzten ad –
äquaten \betreuung.
Für später diagnostizierte Kinder und Jugend –
liche muss ebenfalls eine adaptierte \betreu –
ung stattfinden. Um einen personalisierten
\betreuungsplan erstellen zu können, ist es
wichtig, eine umfassende funktionelle Stand –
ortbestimmung durchzuführen. Dieser \betreu –
ungsplan soll globale und koordinierte, durch
entsprechend ausgebildete Fachleute durch –
geführte Interventionen umfassen, um die
Entwicklung des Kindes in seiner Gesamtheit
zu fördern: Kommunikation und Sprache, so –
ziale Interaktionen, Gefühle und Verhalten,
sensorische und motorische Funktionen, Au –
tonomie im täglichen Leben. Wesentlich bei
der \betreuung ist auch, die \besonderheiten
der Familie zu berücksichtigen. Die ganze
Familie muss b ei der Ausar b eitung des indi v i –
duellen \betreuungsplanes miteinbezogen wer –
den, sie muss angehört werden und soll eine
spezifische \betreuung und Ausbildung genies-
sen. Dieses Konzept einer reellen Partner –
schaft zwischen Familie und Fachpersonen
bedingt einen Wissenstransfer in beide Rich –
tungen und eine Arbeitsteilung. Dies stellt für
Fachleute oft eine Herausforderung dar und
stürzt die etablierte Rollenverteilung um.
Die Problematik des Autismus, der ASS, ist
demnach inter- und transdisziplinär. Sie be –
trifft nicht nur den medizinischen und para –
medizinischen \bereich, sondern erfordert
eine enge und dynamische Zusammenarbeit
aller betroffenen Akteure: Sonderschule,
Lehrkräfte, Kleinkindbetreuung und Gesell –
schaft gesamthaft, um die bestmögliche
Aufnahme und Eingliederung dieser Kinder,
sowie unser gemeinsames Ziel, Zugang zu
Autonomie, Sozialisierung und guter Lebens –
qualität zu erreichen.
Liebe Kollegen, wir haben die Einladung, einen
\beitrag zu dieser Nummer von Paediatrica
unter dem Thema Autismus-Spektrum-Störun
–
gen (ASS) zu leisten, mit grosser Freude und
grossem Interesse angenommen. Kinderärzte
stehen heute in den Strategien zur Erkennung,
Diagnostik und Koordination der \betreuung
von Kindern mit ASS an vorderster Stelle. Sie
sind ebenfalls bei der Umsetzung der Good
Practice in diesem \bereich gefordert.
Autismus-Spektrum-Störungen betreffen
weltweit ca. 1% der \bevölkerung. Sie sind
selten isoliert und eine Komorbidität, geneti –
sche Syndrome und neurologische und meta –
bolische Krankheiten betreffend, wird in 20
bis 30 % der Fälle gefunden
1). O f t sind sie b eim
Kind und im Verlaufe der Entwicklung mit
psychiatrischen Störungen verbunden (Angst –
störungen und Gemütskrankheiten, ADHS
usw.)
2). Im Ver lau fe der let z ten 20 Jahr e hab en
Arbeiten der Neurobiologie zu einem besse –
ren Verständnis der klinischen Erscheinungs –
formen und der entwicklungsneurologischen
Grundlagen geführt. Diese Kenntnisse haben
dazu beigetragen, unsere Sicht der \betreu –
ungsstrategien von Menschen mit ASS zu
modifizieren und unser Verständnis der ätio –
logischen G r undlagen in Fr age zu stellen. Das
Konzept selbst der ASS verweist heute eher
auf eine \behinderung denn auf eine psychiat –
rische Krankheit. Diese Änderung des Krank –
heitsverständnisses geschah nicht reibungs –
los, insbesondere in Europa, wo Autismus
noch durch eine mehr psychoanalytische
\brille betrachtet wurde. Patientenorganisati –
onen und Fachleute haben sich bemüht und
bemühen sich weiterhin um eine Anpassung
der Praktiken und um die Umsetzung von all -gemein anerkannten und für die \betreuung
von ASS am besten geeigneten Modellen
3).
Trotzdem verbleibt die allgemeine Anwendung
dieser Änderungen noch delikat. Dazu müs –
sen in den kommenden Jahren folgende wich –
tigsten Arbeitsachsen verfolgt werden:
1)
\bess
eres Verständnis der klinischen und
entwicklungsbedingten Merkmale von ASS,
was eine entsprechende Ausbildung von
Fachleuten und betreuenden Familienmit –
gliedern erfordert. Alle \berufsrichtungen
sind gefordert: Pädiater, Neuropädiater,
Kinderpsychiater, Lehrkräfte, Psychologen,
Sozialpädagogen, Fachkräfte aus Logopä –
die, Psychomotorik, Ergotherapie und Frü –
herziehung usw.). In diesem sich dauernd
entwickelnden \bereich ist eine solide Fort –
bildung unumgänglich. Als \beispiel sei Fort-
bildung über die \besonderheiten des kogni –
tiven Verhaltens von Menschen mit ASS
genannt, \besonderheiten welche die Art
und Weise bedingen, wie diese Personen
Informationen verarbeiten und wie sie dem –
zufolge ihre physische und soziale Umwelt
erleben. Diesen \besonderheiten muss Rech –
nung getragen werden, um das Funktionie –
ren dieser Menschen zu verstehen, um ihre
\bedürfnisse und Ressourcen zu identifizie –
ren, die \betreuung anzupassen und ihr
Lern- und Anpassungspotential zu fördern.
2)
Syste
matische Suche nach Warnzeichen
von ASS im A lter von 12 bis 24 Monaten, im
Rahmen einer strukturierten Früherken –
nungspolitik für Kinderärzte
3)
Schnel
ler und erleichterter Übergang von
Früherkennung zur spezialisierten Abklä –
rung durch ausgebildete und erfahrene
Fachteams
4)
Scha
ffung eines Programmes zur individu-
alisierten, auf die \bedürfnisse der betroffe –
nen Person und ihrer Familie zentrierten
\betreuung, gestützt auf internationale Emp –
fehlungen, und laufend den sich ändernden,
entwicklungsbedingten \bedürfnissen ange –
passt
Die wissenschaftliche Literatur weist klar
nach, dass die Frühdiagnose mit 18–36 Mo –
Autismus-Spektrum-Störung, ein gesund –
heitspolitisches Problem
Nadia Chabane, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTabinTo.,ST,e(chtorTSe(olrTab
17
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11 5 0 – 9.
Korresponden\badresse
Prof. Nadia Chabane
Directrice du Centre Cantonal Autisme
Département de Psychiatrie, CHUV
1011 Lausanne
Nadia.chabane @chuv.ch
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit die –
sem \beitrag deklariert.
EditoraoolDtoroore G
EditoralDe GsDtrunDuhKUmftiDnhKt-iDe
Weitere Informationen
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Nadia Chabane