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Point Of Care UltraSound «POCUS»

Was ist das?

POCUS steht für Point of Care Ultrasound, Ultraschalluntersuchung am Patient:innenbett. Das entsprechende Gerät wird also von Ärzt:innen ohne Spezialisierung im Fachgebiet Radiologie verwendet. Kinderärzt:innen, die mit einer klinischen Frage konfrontiert sind, setzen die Ultraschall-Diagnostik ein, um die Frage binär mit Ja oder Nein beantworten zu können und so möglichst schnell (Verkürzung der Aufenthaltsdauer für die Patient:innen) und sicher (Ultraschall ist nicht mit einer Strahlenbelastung verbunden) zu einer gezielten Behandlung zu gelangen.

Die Sonografie kann auch prozedural eingebunden werden und damit die Sicherheit und die Erfolgsaussichten diagnostischer oder therapeutischer Verfahren erhöhen.

Wo liegen die Ursprünge?

Die Entdeckung des Ultraschalls reicht in das Jahr 1794 zurück, als der italienische Wissenschaftler Lazzaro Spallanzani erkannte, dass sich Fledermäuse nachts mithilfe von Schallwellen orientieren. Es folgten zahlreiche weitere Entdeckungen, die schliesslich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Sonografie ermöglichten. Die rasanten technischen Fortschritte auf diesem Gebiet führten zu den mobilen Geräten mit mehreren Betriebsarten, die wir heute kennen(1).

In vielen Ländern wurde die Sonografie mehr oder weniger der Radiologie zugeschlagen. In den Ländern des deutschsprachigen Raums wird sie in den meisten medizinischen Fachgebieten eingesetzt, während andernorts der Ultraschall der Radiologie und bestimmten Spezialgebieten vorbehalten bleibt. Das Interesse am POCUS erwachte erst wieder in den 90er Jahren, als amerikanische Notfallmediziner:innen das FAST (Focused Assessment with Sonography for Trauma) entwickelten. Damit wurde es möglich, die Ursache einer hämodynamischen Instabilität rasch abzuklären und zu behandeln und so die Versorgung polytraumatisierter Patient:innen erheblich zu verbessern. Schnell folgte die Anerkennung durch die US-Fachgesellschaften für Notfallmedizin. Heute ist FAST ein integraler Bestandteil des ATLS (Advanced Trauma Life Support)(2).

Die Einbindung der Sonografie in die klinische Untersuchung von Patient:innen durch die erstbehandelnde Ärztin bzw. den erstbehandelnden Arzt ebnete den Weg für die Weiterentwicklung des POCUS, der heute bei mehr als 50 klinischen Indikationen eingesetzt wird.

Parallel dazu entstanden auf Betreiben wissenschaftlicher Fachkreise nationale Gesellschaften, um durch die Untersuchung möglicher Nebenwirkungen und die Regulierung der Ausbildung, die Sicherheit der Sonografie zu gewährleisten. Die erste derartige Gesellschaft in der Schweiz war die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Ultraschall (SAGU). 1980 folgte die Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin und Biologie (SGUMB). Weiterbildungszertifikate wurden erstmals verliehen 1997 für Hüftultraschall, 1998 für Schwangerschaftsultraschall, im Jahr 2000 für Ultraschall mit 6 Modulen (darunter Pädiatrie) und schliesslich 2018 für POCUS(3).

Die Schweizerische Vereinigung für Ultraschall in der Pädiatrie (SVUPP) wurde 1992 gegründet und vertritt die Kinderärzt:innen bei der SGUM(4).

Seit 2017 ist die Sonografie unter der Federführung der «Young Sonographers» auch in die akademische Lehre eingebunden, mit kantonalen Ausschüssen, welche die Ausbildung von Medizinstudierenden und Assistenzärzt:innen organisieren. In der Inneren Medizin gehört der POCUS übrigens seit Januar 2022 zu den Voraussetzungen für den Erwerb des Facharzttitels(5).

Wie erwirbt man das Zertifikat?

Für die Pädiatrie ist die Zertifizierung in der Schweiz vom SIWF geregelt und wird von der SVUPP gemeinsam mit der SGUM durchgeführt.

Das Fähigkeitsprogramm «Point of Care-Ultraschall POCUS»(6,7) gibt es seit Januar 2018. Es besteht aus mehreren Komponenten. Für die Pädiatrie relevant ist folgende Komponente: «Pädiatrie Praxis / Notfallstation / Ambulatorium». Ergänzend kommt auch die Komponente «Fokussierte transthorakale kardiale Sonografie (Kinder ab 5. Lebenswoche auf Intensivstation, im Operationssaal und in Notfallsituationen)» in Frage. Vorgeschrieben sind für die POCUS-Komponente Pädiatrie 200 Untersuchungen, von denen 100 unter Anleitung von POCUS-Tutor:innen der SVUPP durchzuführen sind, die Erfassung der Untersuchungen und der Unterschriften der jeweiligen Tutor:innen in den SGUM-Logbüchern(8), die Archivierung der anonymisierten Untersuchungen (Aufnahmen oder Videosequenzen) und deren Beschriebe, die Absolvierung des von der SVUPP durchgeführten Grundkurses pädiatrische Sonografie (Theorie online und 1 Tag Praxis) und des Kurses POCUS in der Pädiatrie (2 Tage Theorie und Praxis) mit Abschlussprüfung (Theorie online, Praxis vor Ort).

In der Praxis

POCUS in der Pädiatrie richtet sich an niedergelassene oder im Spital tätige Kinderärzt:innen, die ihre diagnostischen Fähigkeiten am Patientenbett durch die Einbindung von Ultraschall erweitern möchten. Dies ermöglicht eine schnelle und sichere, schmerzfreie und spielerische Untersuchung. Die klinische Fragestellung ist einfach und binär zu beantworten (zum Beispiel: Liegt eine Pneumonie vor? Ja oder nein). Eine derartige Untersuchung hat zudem unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung. Die ärztliche Fachperson führt die Sonografie durch und betrachtet die Ergebnisse zusammen mit der Anamnese sowie den Befunden der körperlichen Untersuchung und möglicher ergänzender Abklärungen, um für ihre Erwägungen so viele Informationen wie möglich zu erhalten und auf dieser Grundlage zu einer korrekten Diagnose und einer angemessenen Behandlung zu gelangen.

Die POCUS-Indikationen sind vielfältig. Da sich die POCUS-Ausbildung für die Pädiatrie in der Schweiz an Kinderärzt:innen aus Praxis und Spital richtet, sind die Indikationen weniger auf notfallmedizinisch relevante Pathologien ausgerichtet. Sie umfassen die viszerale Sonografie (Abmessungen von Leber und Milz, Vorhandensein freier Flüssigkeit in den Körperhöhlen entsprechend dem FAST, Invagination und Malrotation des Darms, Appendizitis oder andere akute entzündliche Erkrankungen des Darms, pulmonale Konsolidierungen, obstruktive Uropathie) sowie die Sonografie der Haut und des Bewegungsapparates (Fraktur, Gelenkerguss, Hautabszess, Untersuchung von Weichteilen oder Lymphadenopathien, Tumoren und Raumforderungen, Fremdkörper). Im Jahr 2023 werden Ultraschalluntersuchungen des Auges und die Untersuchung auf Pylorusstenose hinzukommen.

International wird die Zertifizierung länderspezifisch unterschiedlich gehandhabt. Manche Länder verwenden ein entsprechendes Modell wie die Schweiz (Länder des deutschsprachigen Raums), andere haben spezifischere Curricula für pädiatrische Notfälle (Nordamerika). In Frankreich gibt es für die Erwachsenen-Notfallmedizin ein DU oder IUP(9) für Sonografie, nicht jedoch für die Pädiatrie; hier ist man auf lokale Schulungen angewiesen. In Europa hat die EPSNIC (European Society of Paediatric and Neonatal Intensive Care) im Jahr 2020 eine auf einer Literaturübersicht basierende Leitlinie für den POCUS-Einsatz auf der pädiatrischen oder neonatologischen Intensivstation(10) veröffentlicht.

 Im Hinblick auf pädiatrische Notfälle nähert sich Europa dem nordamerikanischen Ansatz an, allerdings mit einer gewissen Verzögerung: 60% der pädiatrischen Notfallzentren in Europa setzen POCUS ein, und nur 1,4 % der europäischen Kinderärzt:innen haben eine formale, staatlich anerkannte Ausbildung erhalten, da nur sehr wenige Zentren ein entsprechendes Fellowship anbieten(11).

 In den Vereinigten Staaten hat die American Academy of Pediatrics (AAP) den POCUS seit 2011 in die Notfallstationen integriert, eine Beschreibung der verschiedenen Anwendungen (in Reanimation, Diagnostik und bei bestimmten Verfahren) folgte dort im Jahr 2013(12). Im Jahr 2011 boten etwa 88 % der Fellowships in pädiatrischer Notfallmedizin POCUS-Kurse an(13); die Sonografie ist zu einem «Versorgungsstandard» bei pädiatrischen Notfällen geworden. Darüber hinaus werden in vielen Krankenhäusern Fellowships für POCUS in der pädiatrischen Notfallmedizin angeboten. Die anerkannten Anwendungsgebiete sind breit gefächert und werden ständig erweitert, wie die jüngste Erhebung zeigt, die 2020 von internationalen Fachleuten veröffentlicht wurde (siehe Tabelle 1)(14).

Tabelle 1. POCUS-Anwendungen, unterteilt nach ihrer Relevanz in der pädiatrischen Notfallversorgung, nach Meinung internationaler Experten. Entnommen aus dem Artikel(14).

Der Hauptunterschied zwischen dem schweizerischen und dem internationalen Curriculum besteht beim fokussierten kardialen Ultraschall (FOCUS), einer wichtigen Anwendung in pädiatrischen Notfällen, die in der Schweiz jedoch separat von Kardiolog:innen gelehrt wird und in Bezug auf die praktischen Aspekte bisweilen wenig mit unserem notfallmedizinischen Alltag zu tun haben.

Der POCUS eröffnet viele Möglichkeiten, wobei die Kompetenz immer im Vordergrund stehen sollte. Laut einschlägigen Studien bedarf es zum Erwerb einschlägiger Kompetenz 5 bis 25 Untersuchungen pro Anwendung, die nach Möglichkeit in 20 bis 30 % der Fälle an Patient:innen mit der entsprechenden Pathologie durchzuführen sind(15). Nach dem Erwerb der für die Zertifizierung erforderlichen Kompetenzen ist daher kontinuierliche Fortbildung wichtig, um neu hinzukommende Anwendungen ohne Sicherheitsbedenken in den Praxisalltag einbinden zu können.

Wie lässt sich die kontinuierliche Fortbildung gewährleisten?

Das SIWF hat die Rahmenbedingungen der kontinuierlichen Fortbildung folgendermassen festgelegt: Rezertifizierung alle 5 Jahre, unter Nachweis von 30 in diesem Zeitraum erworbenen Fortbildungscredits. Davon können bis zu 10 im Selbststudium erworben werden, mindestens 20 müssen aus anerkannten SGUM-Kursen stammen. Mehrere Plattformen bieten kostenlose Online-Schulungen an, darunter P2Network(16), eine internationale Gruppe von pädiatrischen Notfallmediziner:innen, die ihr Fachwissen weitergeben, Forschung fördern und sich für die Kleinsten einsetzen.

Wie wird abgerechnet?

Für den POCUS sind keine TARMED-Taxpunkte abrechenbar, er dürfte vielmehr in die neue Tarifstruktur TARDOC aufgenommen werden. Bis dahin können die Untersuchungen als Zeitaufwand im jeweiligen Fall (z. B. körperliche Untersuchung) in Rechnung gestellt werden. Die Abrechnung von Ultraschall-Tarifpositionen nach TARMED durch Nichtradiolog:innen ist nur möglich im Fall von Kinderärzt:innen, die über einen Fähigkeitsausweis im Bereich pädiatrischer Ultraschall oder Hüftultraschall beim Neugeborenen (nicht POCUS) verfügen.

Was ist für die Zukunft zu erwarten?

Wegen mangelnder Tutorien und Kurse bildet die Ausbildung in der Schweiz das Haupthindernis für den verbreiteteren Einsatz des POCUS in der Pädiatrie. Allerdings darf man angesichts des grossen Interesses der Nachwuchsmediziner:innen durchaus optimistisch in die Zukunft blicken.

Ein weiterer Punkt, den man im Auge behalten sollte, ist die künstliche Intelligenz. Seit 2018 boomt die Literatur zu diesem Thema und verspricht auch hier angenehme Überraschungen, hoffentlich im Sinne einer Ausweitung des Zugangs zu dieser unbestreitbar nützlichen Technologie auch auf ländlichere Gebiete.

Schlussfolgerung

Der POCUS hat sich in der Pädiatrie als nutzbringend erwiesen und konnte neue Massstäbe in der Diagnostik und bei therapeutischen Verfahren setzen, ohne Abstriche bei der Sicherheit. Die Anwendungen sind breit gefächert und noch längst nicht ausgereizt. Allerdings tut eine Regulierung not, um die notwendige Kompetenz für den adäquaten Einsatz zu gewährleisten. In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, in diesem Bereich personell gut aufgestellt zu sein und bereits über ein Curriculum zu verfügen. Die Zukunft ist sowohl unter dem menschlichen als auch unter technologischen Aspekten vielversprechend.

Referenzen

  1. Dietrich CF. 2022 [Abrufbar unter: https://efsumb.org/wp-content/uploads/2021/11/EFSUMB-HoUS-ITALY-08-04-2021-submitted.pdf.
  2. Kendall JL, Hoffenberg SR, Smith RS. History of emergency and critical care ultrasound: the evolution of a new imaging paradigm. Crit Care Med. 2007;35(5 Suppl):S126-30.
  3. SGUM. [Abrufbar unter: https://sgum-ssum.ch/sgum/#SGUM_Geschichte.
  4. SVUPP  [Abrufbar unter: https://www.svupp.ch/de/association-suisse-echographie/.
  5. SIWF. Facharzt für Allgemeine Innere Medizin  [Abrufbar unter: https://www.siwf.ch/files/pdf26/wbp_aim_2011_d.pdf.
  6. SIWF. Point of Care-Ultraschall – POCUS (SGUM)  [Abrufbar unter: https://www.siwf.ch/files/pdf20/fa_pocus_d.pdf.
  7. SIWF. Anhang 2 Komponenten.
  8. SSUM/SGUM. Fähigkeitsausweise.
  9. ASDJ. Weiterbildungsangebot: DU/IUP/Fähigkeitsausweis.
  10. Singh Y, Tissot C, Fraga MV, Yousef N, Cortes RG, Lopez J, et al. International evidence-based guidelines on Point of Care Ultrasound (POCUS) for critically ill neonates and children issued by the POCUS Working Group of the European Society of Paediatric and Neonatal Intensive Care (ESPNIC). Crit Care. 2020;24(1):65.
  11. Parri N, Berant R, Giacalone M, Jones SD, Friedman N, collaboration RP. Dissemination and Use of Point-of-Care Ultrasound by Pediatricians in Europe: A Research in European Pediatric Emergency Medicine Network Collaborative Survey. Pediatr Emerg Care. 2022;38(10):e1594-e600.
  12. Vieira RL, Hsu D, Nagler J, Chen L, Gallagher R, Levy JA, et al. Pediatric emergency medicine fellow training in ultrasound: consensus educational guidelines. Acad Emerg Med. 2013;20(3):300-6.
  13. Marin JR, Zuckerbraun NS, Kahn JM. Use of emergency ultrasound in United States pediatric emergency medicine fellowship programs in 2011. J Ultrasound Med. 2012;31(9):1357-63.
  14. Constantine E, Levine M, Abo A, Arroyo A, Ng L, Kwan C, et al. Core Content for Pediatric Emergency Medicine Ultrasound Fellowship Training: A Modified Delphi Consensus Study. AEM Educ Train. 2020;4(2):130-8.
  15. Abo AM, Alade KH, Rempell RG, Kessler D, Fischer JW, Lewiss RE, et al. Credentialing Pediatric Emergency Medicine Faculty in Point-of-Care Ultrasound: Expert Guidelines. Pediatr Emerg Care. 2021;37(12):e1687-e94.
  16. P2Network [Abrufbar unter: https://p2network.com/education-new/.

Weitere Informationen

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Interessenkonflikt:
Die Autorinnen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr med.  Magali Gauthey Médecin cadre, service de pédiatrie, Hôpital de la Tour, Genève et médecin associée, service d’urgences pédiatriques, HUG, Genève

Dr med.  Aude Tonson la Tour Médecin cadre, service de pédiatrie, Hôpital de la Tour, Genève et médecin associée, service d’urgences pédiatriques, HUG, Genève