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Pilotprojekt «Advanced Practice Nurses» in der pädiatrischen Grundversorgung

Pflegeexpert:innen «Advanced Practice Nurses» (APN) werden in der pädiatrischen Grundversorgung bisher kaum eingesetzt, obwohl sie dort eine wesentliche Unterstützung zur Sicherstellung und Verbesserung der Versorgung leisten könnten. Ein von der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich gefördertes Pilotprojekt soll dies nun genauer untersuchen.

Ressourcen besser nutzen – das System entlasten

«Haus- und Kinderärzte sind nicht mehr in der Lage, die Grundversorgung zu stemmen – wir müssen die Aufgaben besser verteilen», so Philippe Luchsinger, Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, an einem interprofessionellen Symposium der ZHAW im Jahre 2021. Durch den Fachkräftemangel kommt es zu Lücken in der pädiatrischen Grundversorgung, was eine gute Versorgungsqualität gefährdet(1). Die gesundheitspolitische Strategie 2020-2030 des Bundesrates möchte in den nächsten Jahren das Gesundheitswesen fit für die Zukunft machen. Zwei der vier dringlichsten Herausforderungen von Gesundheit 2030 sind:

  • Der Erhalt einer qualitativ hochstehenden und finanziell tragbaren Versorgung sowie die Chancen auf ein Leben in Gesundheit(2).
  • Der Kanton Zürich hat eine Bevölkerung von 1.5 Millionen Menschen auf verdichtetem Raum. Neben einer effektiven Spitalplanung bedarf es einem besondereren Augenmerk auf Grundversorgung und insbesondere die Kinder- und Jugendmedizin – unsere Zukunft.

Die medizinische Versorgung in der Pädiatrie nimmt viel Personal und Zeit in Anspruch und wird tariflich nicht gut abgebildet. Der Einsatz von Pflegeexpert:innen APN kann Ressourcen besser nutzen und das System entlasten. Gemäss APN-CH ist eine Pflegeexpert:in APN eine registrierte Pflegefachperson, welche sich durch eine akademische Ausbildung mit mindestens einem Master of Science Expertenwissen, Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung bei komplexen Sachverhalten und klinische Kompetenzen für eine erweiterte pflegerische Praxis angeeignet hat(3).

Pflegeexpert:innen APN sind fähig, in unterschiedlichsten Settings vertiefte und erweiterte Rollen zu übernehmen und diese in eigener Verantwortung im interprofessionellen Team auszufüllen. Im Kanton Waadt behandeln Pflegeexpert:innen APN seit 2018 dank gesetzlicher Grundlagen eigenständig. Studien belegen, dass die Integration von Pflegeexpert:innen APN in die Primärversorgung einen signifikanten Mehrwert für das Gesundheitssystem darstellt(4, 5, 6).

So zeigte sich zum Beispiel, dass eine APN eine korrekte Diagnose stellen kann(7). Zudem führen Advanced-Practice-Ansätze erwiesenermassen zu niedrigeren Kosten für das Gesundheitssystem pro Behandlung, wie internationale Untersuchungen in der Physiotherapie und der Pflege belegen(8,9). Es konnte demonstriert werden, dass im Teamwork Ärzt:in – APN auf pädiatrischen Notfallstationen klinisch sehr effizient gearbeitet wird; sogar schneller als Assistenzärzt:in – Oberärzt:in –Teams bei gleichem Outcome(10). Erste Schritte hinsichtlich Implementierung des Berufsbildes in unser medizinisches Denken und Handeln sind bereits erfolgt: Bereits heute haben APN die Möglichkeit, sich beim Berufsverband registrieren zu lassen und müssen für die 5-jährliche Re-Registrierung einen jährlichen Fortbildungsnachweis von mindestens 48 Stunden vorweisen(11).

Interdisziplinäres Teamwork

Die Kinderarztpraxis kindermedizin an der oper liegt an einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in der Stadt Zürich, erstreckt sich auf 200 qm und verfügt über sechs Behandlungszimmer. Ein Team aus Ärztinnen, zwei Pflegeexpertinnen APN, Pflegefachfrauen, einer Fachfrau Gesundheit, Medizinischen Praxisassistentinnen, einer Arztsekretärin und einer Physiotherapeutin arbeitet sowohl in der Grundversorgung, als auch in diversen pädiatrischen Spezialgebieten, seit der Eröffnung im Frühjahr 2024 interdisziplinär zusammen (Tabelle 1). Der Skill-Grade-Mix, die Zusammensetzung des Praxisteams aus Personen mit verschiedenen Fähigkeiten und Bildungsabschlüssen, ist dementsprechend vielfältig (Bild 1 und 2).

Tabelle 1. Interdisziplinarität in Zahlen
Bild 1. Interdisziplinarität macht gute Laune:
Lee-Anne La France, diplomierte Pflegefachfrau und pflegerische Leitung kindermedizin an der oper, Dr. Corinne Brunner, APN und Dr. med. Tessa Kant, Ärztin in Weiterbildung zum Facharzttitel Kinder- und Jugendmedizin (von links nach rechts).
Bild 2. Pflegeexpertin und Assistenzärztin diskutieren einen Fall.

Pilotprojekt APN

Das Ziel des Projektes ist es, den Mehrwert einer APN für die praxisambulante Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich sowie die Möglichkeiten zur Leistungserfassung von APNs aufzuzeigen. APNs können ihre Tätigkeiten bisher nicht angemessen abrechnen, weil die rechtliche Grundlage dafür fehlt. Die Tarife im ambulanten Bereich sind nicht auf Leistungen von nicht-ärztlichen Gesundheitsfachpersonen ausgelegt.

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich zeigte sich sehr offen und weitsichtig unserer innovativen Ideen gegenüber und unterstützt das Pilotprojekt APN über einen Zeitrahmen von drei Jahren. Das Pilotprojekt untersucht, unter welchen Bedingungen und für welche Leistungen APN zweckmässig im praxisambulanten Bereich in der Pädiatrie eingesetzt werden können. Das Pilotprojekt soll die Machbarkeit und Akzeptanz zeigen und so einen ersten Schritt Richtung Umstrukturierung in der Grundversorgung und Anpassung des Tarifsystems gehen. Bewährt sich das Pilotprojekt APN, kann es in Zukunft als neues Versorgungsmodell angeboten werden.

Wir haben für die erste Phase des Projektes drei Bereiche festgelegt, in denen die APN eingesetzt wird:

  1. Spezialsprechstunde Kinderhaut
  2. Notfälle
  3. ADHS/ADS, psychosoziale und schulische Themen, chronische Erkrankungen

Die APN bietet einerseits eine pflegegeleitete Spezialsprechstunde zum Thema Kinderhaut an, andererseits ist sie auch selbständig in der medizinischen Grundversorgung tätig. In der Spezialsprechstunde Kinderhaut werden vor allem Kinder und Jugendliche mit atopischer Dermatitis (AD) betreut. Jedes fünfte Kind ist in der Schweiz von AD betroffen. Die Erkrankung ist gut therapierbar, jedoch sind zeitintensive Aufklärung und Beratung wesentliche Erfolgsfaktoren. Und genau hier liegen die Kernkompetenzen einer APN. Durch die kompetente und persönliche Begleitung der Familien werden Kinderärzt:innen entlastet und Notfallkonsultationen oder Überweisungen in Spitäler reduziert.

Die pädiatrische Notfallversorgung und die Abklärung und Betreuung von Patienten mit ADHS stellen klassische Versorgungsengpässe dar. Die Behandlung von kleinen Notfällen und die Durchführung von Kontrollen durch die erfahrene APN entlastet die Ärzteschaft und verkürzt Wartezeiten. Für die Punkte 2 und 3 werden die APNs neben ihrer theoretischen und klinischen Weiterbildung postgradual mittels Fortbildungsveranstaltungen, teaminterner Hospitanzen und on-the-job-training vorbereitet. Wir wenden Supervisionsstufen und Assessments an, wie wir das von der Weiterbildung unserer Assistenzärzt:innen kennen. Die Behandlungen und Leistungen werden qualitativ und quantitativ erfasst und über den Projektzeitraum ausgewertet.

Rückblick und erste Evaluation

Das Pilotprojekt APN läuft seit Mai 2024, wobei wir im Januar 2025 eine erste Evaluation durchgeführt haben.

Die Spezialsprechstunde Kinderhaut ist erfolgreich angelaufen und die APN wird von den kinderärztlichen Kolleginnen in unserer Praxis rege bei Hautproblemen oder Wunden beigezogen und führt selbständig Verlaufs- und Telefonkonsultationen durch. Zudem erhalten wir Überweisungen von anderen Kinderärzt:innen direkt an unsere spezialisierte APN. Nach einer Einarbeitungsphase betreut die APN nun, pünktlich zu Beginn der Infektsaison, Notfälle unter ärztlicher Supervision. Bei Schulproblemen, ADHS/ADS, psychosozialen Themen und chronischen Erkrankungen übernimmt die APN das Case Management und unterstützt bei Gesprächen und Abklärungen.

Mittels eines Fragebogens mit geschlossenen und offenen Fragen wurde im Januar 2025 eine Teamevaluation durchgeführt. 11 Mitarbeiterinnen haben an der Befragung teilgenommen. Alle befragten Mitarbeiterinnen finden, dass die APN gut mit dem interdisziplinären Team zusammen arbeitet und die Rückmeldungen der Familien auf ein hohes Mass an Zufriedenheit und positiven Erfahrungen mit der APN hindeuten. Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter:innen finden, dass die APN die Kinderärztinnen entlastet und über die notwendigen fachlichen Kompetenzen verfügt, um die Familien optimal zu behandeln. Des weiteren gaben die befragten Mitarbeiterinnen an, dass die Zusammenarbeit mit der APN die Qualität der Patientenbehandlung erhöht und dass das interprofessionell zusammengesetzte Team (Pflegefachpersonen, Fachangestellte Gesundheit, Ärzt:in- und Spitalsekretär:in, Pflegeexper:tinnen, MPAs, Fachärzt:innen, Ärzt:innen in Weiterbildung, Medizinstudent:innen, Physiotherapeut:in) die Arbeitszufriedenheit steigert. Tabelle 2 zeigt auf, was die befragten Mitarbeiter:innen als die grösste Stärke/den grössten Benefit einer APN in der pädiatrischen Grundversorgung wahrnehmen und wo sie die Herausforderungen und den Optimierungsbedarf sehen. Erstes Fazit nach neun Monaten: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne eines Skill-Grade-Mix bereichert das Praxisleben enorm, sodass Zufriedenheit, Effizienz und Professionalität gesteigert werden konnten.

Tabelle 2. Stärken und Herausforderungen

Ausblick – für die Zukunft von Zürich und der Schweiz

Gemäss dem aktuellen Szenario des Bundes wird die Bevölkerung des Kantons Zürich von 2021 bis 2050 um rund 28 Prozent auf knapp zwei Millionen wachsen. Zürich bleibt in naher Zukunft als Arbeits- und Wohnort attraktiv und zieht viele junge Menschen an. Wesentlich für das Wachstum ist die ansteigende Geburtenrate. Es ist bereits heute eine Herausforderung, die pädiatrische Grundversorgung sicherzustellen und insbesondere in ländlichen Gegenden der Schweiz ist die Situation anspruchsvoll und prekär. Beispielsweise gibt es in der Region Ostschweiz nur halb so viele in der Grundversorgung tätige Kinderärzt:innen in Bezug auf die Bevölkerung wie im Kanton Zürich. Kinder sind unsere Zukunft und verdienen unsere volle Aufmerksamkeit und Zuwendung. Neue Wege mit neuen Versorgungsmodellen sind ein wesentlicher Lösungsansatz, um diese Herausforderungen meistern zu können(12, 13).

Danksagung: Wir danken der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich und hier insbesondere der Regierungsrätin Natalie Rickli sowie dem Abteilungsleiter Versorgungsplanung Jörg Gruber für ihr grosses Interesse an unseren Ideen und ihre wohlwollende Unterstützung.

Referenzen

  1. Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), , 2024, URL: https://www.fmh.ch/themen/stationaere-tarife/begleitforschung.cfm
  2. Bundesamt für Gesundheit BAG: Gesundheitspolitische Strategie des Bundesrats 2020-2030, 2023, URL: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/gesundheit-2030/gesundheitspolitische-strategie-2030.html
  3. APN-CH Pflegeexperte/-in: Advanced Practice Nurse, 2024, URL: https://apn-ch.ch/apn/
  4.  Htay M, Whitehead, D. The effectiveness of the role of advanced nurse practitioners compared to physician-led or usual care: A systematic review. Int J Adv Nurs Stud. 2021;17(3)
  5.  Lauber E, Kindlimann A, Nicca D, et al. Integration of an advanced practice nurse into a primary care practice: a qualitative analysis of experiences with changes in general practitioner professional roles in a Swiss multiprofessional primary care practice. Swiss Med Wkly.2022.1;152
  6. Swa M, Ferguson S, Chang A, et al. Quality of primary care by advanced practice nurses: a systematic review. Int. J. Health Care Qual. 2015;27(5):396-404
  7.  Vedanayagam M, Buzak M, Reid D, et al. Advanced practice physiotherapists are effective in the management of musculoskeletal disorders: a systematic review of systematic reviews. Physiotherapy. 2021;113:116-130
  8. Lafrance S, Demont A, Thavorn K, et al. Economic evaluation of advanced practice physiotherapy models of care: a systematic review with meta-analyses. BMC Health Serv Res. 2021;9;21(1)
  9. Martin-Misener R, Harbman P, Donald F, et al. Cost-effectiveness of nurse practitioners in primary and specialised ambulatory care: systematic review. BMJ Open, 2015;5
  10. McDonnell WM, Carpenter P, Jacobsen K, et al. Relative productivity of nurse practitioner and resident physician care models in the pediatric emergency department. Pediatr Emerg Care. 2015;31(2):101
  11. APN-CH. (2025). Re-Registrierung: https://apn-ch.ch/re-registrierung/
  12. Stadt Zürich: Geburten und Neugeborene, 2024, URL: https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/gleichstellung/indikatoren/bevoelkerung/geburten_kinder.html
  13. FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. (2024). Berufstätige Ärztinnen und Ärzte nach Sektoren, Jahr 2023. URL: https://aerztestatistik.fmh.ch/

Weitere Informationen

Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Prof. KD Dr. med Katrin Fasnacht, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Kinderchirurgie, Praxisinhaberin und Belegärztin, Klinik Hirslanden, Zürich
Dr. med. Corinne Brunner, Pflegeexpertin APN, kindermedizin an der oper, Zürich