Kinderschutzfälle an Schweizerischen Kinderkliniken: Unverändert hohe Fallzahlen!
Im Jahre 2019 wurden im elften Jahr in Folge diejenigen Kinder erfasst, die wegen vermuteter oder sicherer Kindsmisshandlung ambulant oder stationär an einer Schweizerischen Kinderklinik behandelt worden waren. Für die Auswertung lagen uns 21 der insgesamt offiziell 31 Kinderkliniken oder Kinderabteilungen der Schweiz vor, darunter die Zahlen aller grossen und mittelgrossen Kinderkliniken. Wir erfassen somit sicher einen ganz grossen Anteil aller Kinder, die wegen irgendeiner Form von Kindsmisshandlung an einer Kinderklinik in der Schweiz behandelt worden waren.
Resultate
Von den 21 Kliniken wurden insgesamt 1‘568 Fälle gemeldet, gut 4 % mehr als im Vorjahr. Die Gesamtzahl bleibt somit – abgesehen von kleineren jährlichen Schwankungen – auf einem hohen Niveau ungefähr stabil. Diese Zahl widerspiegelt aber in keiner Weise die tatsächliche Anzahl von Kindsmisshandlungen, da viele Fälle von Kindsmisshandlung nicht an einer Kinderklinik abgeklärt und behandelt werden.
Fachgruppe Kinderschutz der Schweizerischen Kinderschutzkliniken
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Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie
Fachgruppe Kinderschutz der Schweizerischen Kinderk liniken
Baden, 16. April 2020 mwp/lre
Kinderschutzfälle an Schweizerischen Kinderkliniken: Unverändert hohe Fallzahlen!
Im Jahre 2019 wurden im elften Jahr in Folge diejen igen Kinder erfasst, die wegen vermuteter oder
sicherer Kindsmisshandlung ambulant oder stationär an einer Schweizerischen Kinderklinik behandelt
worden waren. Für die Auswertung lagen uns 21 der i nsgesamt offiziell 31 Kinderkliniken oder
Kinderabteilungen der Schweiz vor, darunter die Zah len aller grossen und mittelgrossen
Kinderkliniken. Wir erfassen somit sicher einen gan z grossen Anteil aller Kinder, die wegen
irgendeiner Form von Kindsmisshandlung an einer Kin derklinik in der Schweiz behandelt worden
waren.
Resultate
Von den 21 Kliniken wurden insgesamt 1568 Fälle gemeldet, gut 4 % mehr als im Vorjahr. Die
Gesamtzahl bleibt somit abgesehen von kleineren j ährlichen Schwankungen auf einem hohen
Niveau ungefähr stabil. Diese Zahl widerspiegelt ab er in keiner W eise die tatsächliche Anzahl von
Kindsmisshandlungen, da viele Fälle von Kindsmissha ndlung nicht an einer Kinderklinik abgeklärt und
behandelt werden.
Körperliche Misshandlung 486 (31,0%)
Psychische Misshandlung 321 (20,5 %)
Vernachlässigung 470 (30,0 %)
Sexueller Missbrauch 279 (17,8 %)
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom 12 ( 0,8 %)
Die häufigsten diagnostizierten Misshandlungsformen sind die körperliche Misshandlung und die
Vernachlässigung, wobei die beiden zum Teil zusamme n und auch kombiniert mit der psychischen
Misshandlung vorliegen, weshalb eine genaue Zuordnu ng nicht immer möglich ist. Auch dieses Jahr
liegt die Geschlechterverteilung wieder bei exakt 4 4 % Knaben und 56 % Mädchen, wie im letzten
Jahr. Auch die deutliche Übervertretung von kleiner en Kindern (16,7 % jünger als 1Jahr, 1/3 jünger als
4 Jahre) bleibt bemerkenswert konstant.
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Geschlecht der Kinder in den einzelnen Diagnosegrup pen:
Knaben Mädchen
Körperliche Misshandlung 53,3 % 46,7 %
Vernachlässigung 49,5 % 50,5 %
Psychische Misshandlung 47,0 % 53,0 %
Sexueller Missbrauch 17,2 % 82,8 %
Gleichbleibend sehr ausgeglichene Geschlechterverte ilung in allen Misshandlungsformen mit
Ausnahme des sexuellen Missbrauchs, wo Mädchen gut 4 x häufiger betroffen sind als Knaben.
Sicherheit der Diagnose
Sicher 992 (63,3 %)
Wahrscheinlich 374 (23,9 %)
Unklar 200 (12,8 %)
Am sichersten bezüglich der Diagnose waren sich die Fachleute bei der psychischen Misshandlung
mit fast 80 %, gefolgt von der Vernachlässigung m it 68 %. Bei der körperlichen Misshandlung und
insbesondere auch beim sexuellen Missbrauch konnte die Diagnose oft nicht mit letzter Sicherheit
gestellt werden.
Täterin / Täter: Beziehung zum Kind
Familie 1278 (81,5 %)
Bekannte/r des Kindes 157 (10,0 %)
Fremdtäter 49 ( 3,1 %)
Unbekannter Täter 84 ( 5,4 %)
Wenn Kinder misshandelt werden geschieht dies in de n allermeisten Fällen durch die direkten
Erziehungsberechtigten der Kinder. Beim sexuellen M issbrauch sind 50 % der Täter aus der Familie,
50 % sind entweder Bekannte, Fremdtäter oder unbeka nnte Täter.
Täterin / Täter: Geschlecht
Männlich 596 (38,0 %)
Weiblich 408 (26,0 %)
Männlich und weiblich (meist Eltern gemeinsam) 460 (29,3 %)
Unbekannt / keine Angabe 104 ( 6,7 %)
Wie in den letzten Jahren liegt die Verantwortung f ür Vernachlässigung oder psychische
Misshandlung in etwa der Hälfte der Fälle bei beide n Elternteilen gemeinsam, die körperliche
Misshandlung wird häufiger durch Männer als durch F rauen begangen. Beim sexuellen Missbrauch
sind die Männer mit 83,2 % weit in der Überzahl.
Täterin / Täter: Alter
Älter als 18 Jahre 1335 (85,1 %)
Jünger als 18 Jahre 140 ( 8,9 %)
Jünger und älter als 18 Jahre (mehrere Täter) 6 ( 0,4 %)
Unbekanntes Alter / keine Angabe 87 ( 5,6 %)
Jugendliche Täter sehen wir vor allem beim sexuelle n Missbrauch (24 %) und ebenfalls bei der
körperlichen Misshandlung (13,2 %). Bei den übrigen Misshandlungsformen spielen die jugendlichen
Täter keine Rolle.
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Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen 364 (23,2 %)
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht 384 (2 4,5 %)
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen 140 ( 8,9 %)
Meldung an die Strafverfolgungsbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen 227 (14,5 %)
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht 85 ( 4,8 %)
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen 74 ( 4,7 %)
Rund jedes 4. Kind, welches irgendeine Form von Mis shandlung erleidet, ist aus irgendeinem Grund
bereits vorgängig schon der Kindes- und Erwachsenen schutzbehörde bekannt. In einem weiteren
Viertel machen die Kinderschutzgruppen selber vom I nstrument der Gefährdungsmeldung an eine
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Gebrauch. An v ielen Orten hat sich über die letzten Jahre
eine gute Zusammenarbeit zwischen den Kinderklinike n und den zuständigen Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden eingespielt, was bei dies en oft sehr komplexen Fällen von grösster
Wichtigkeit ist.
Zusammenfassung · Einer Stabilisierung der Fallzahlen auf einem hohe n Niveau scheint stattzufinden.
· Auch 2019 sind an den Kinderkliniken zwei Kinder i nfolge von körperlicher Misshandlung
verstorben. Beide Kinder waren jünger als ein Jahr alt.
· Kleine Kinder sind deutlich öfters einer Misshandl ung ausgesetzt. Die Fachleute, welche mit
diesen Kindern zu tun haben (Kinderärzte/-ärztinnen , Mütter-/Väterberaterinnen, Angestellte von
Kindertagesstätten) sollten deshalb in ihrer Arbeit besonders aufmerksam sein.
Für die Fachgruppe Kinderschutz
Dr. med. Markus Wopmann, Leiter der Fachgruppe
Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche
Kantonsspital
5404 Baden
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Markus Wopmann , Klinik für Kinder und Jugendliche, Kantonsspital Baden