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Hausärztemangel hausgemacht

Mit der Einführung des Tarmed im Jahr 2004 sowie der zunehmenden Digitalisierung wurde die Arbeitswelt der Hausärzte sukzessive verändert.

Kastration des Hausarztberufes durch die Einführung des Tarmed

Mit der Einführung des Tarmed  im Jahr 2004 sowie  der  zunehmenden Digitalisierung wurde die Arbeitswelt der Hausärzte sukzessive verändert. Der Tarmed hat die meisten technischen Untersuchungen dem Hausarzt abgesprochen und  beim Spezialisten belassen.

Die bildgebenden Verfahren sind heute fester Bestandteil von medizinischen Untersuchungen und Diagnosestellungen. Möchte der ambulante Grundversorger mehr sein, als Sekretär der Spezialisten, so muss auch er die Möglichkeit haben, diese Verfahren im Berufsalltag anwenden zu können  und  damit  wieder  zu  seinen  Kernaufgaben – der ärztlichen Tätigkeit mit  Diagnosestellung und  Therapieeinleitung – zurückfinden.

Der Tarmed spricht hier aber klar eine andere Sprache. Einige Beispiele sind:

  • Für den Erhalt des Fähigkeitsausweises Sonografie Abdomen sind 500 vollständig durchgeführte und dokumentierte Sonografien notwendig, davon mind. 400 des gesamten Abdomens. Hinzu kommen 6,5 Kurstage und eine Abschlussprüfung. Der Facharzt für Radiologie benötigt 1‘000 Abdomen-Untersuchungen für den Facharzttitel.
  • Für den Erhalt des Fähigkeitsausweises Gastroenterologie benötigt man 400 Gastroskopien, davon 20 mit endoskopischer Blutstillung, einschliesslich Varizenligatur. Für den Erhalt des Facharzttitels benötigt man neben anderen fachlichen Spezialkenntnissen auch nur 400 Gastroskopien. Einen Fähigkeitsausweis für die Koloskopie ist bis heute nicht vorhanden, obwohl die Krankenkassen heute die Kosten für das Kontrollscreening ab 50 Jahren übernehmen.
  • Eine Holter-EKG-Auswertung darf gemäss Tarmed nur vom Kardiologen getätigt und abgerechnet werden.
  • Der Hausarzt benötigt die beiden Fähigkeitsausweise Praxislabor und dosisintensives Röntgen, um diese Leistungen in der Praxis erbringen zu dürfen. Dies wird nicht bereits in die Weiterbildung zum Facharzttitel eingeschlossen, sondern muss in mühsamen Stunden nebst dem Praxisalltag erarbeitet werden.

Was die Weiterbildung zum Facharzttitel Allg. Innere  Medizin als Selbstverständlichkeit beinhalten sollte,  muss jedoch heute neben dem Praxisalltag mittels Fähigkeitsausweise erlangt werden und dies in einer Lebensphase, in welcher in der Regel die persönliche und berufliche Belastung mit Praxisaufbau  und  familiärer Verpflichtung sehr gross ist.

Die zunehmend fehlende fachliche Kompetenz führt dazu, dass der Spezialist dementsprechend häufig die Hausarztrolle übernimmt. Dies allerdings nur organspezifisch und somit den häufig polymorbiden Patienten im ambulanten Setting nicht gerecht wird, was eine ungenügende medizinische Betreuung zur Folge hat.

  • Wer betreut in Zukunft die polymorbiden Patienten ganzheitlich, unter Einbezug aller medizinischen, persönlichen und familiären Aspekte?

Praxis „Ballenberg“ – Abstellgleis „Hausarzt“

Obgenannter Kompetenzenverlust kann einem Imageverlust gleichgesetzt werden. Die hohen Hürden und die Unmöglichkeit der Kompetenzenerweiterung des Berufsinhaltes schmälert die Attraktivität und ist damit auch ein Grund für das fehlende Interesse am Hausarztberuf.

Mit der Zusammenlegung der Facharzttitel „Allgemeine Medizin“ und „Innere Medizin“ wurde auch das Weiterbildungsprogramm für den neuen Facharzttitel „Allgemeine Innere Medizin“ überarbeitet und mit den zwei Weiterbildungswegen „Curriculum Hausarzt“ und „Curriculum Spitalinternist“ ergänzt. Ein Jahr der Basisausbildung darf als Praxisassistenz in einer Hausarztpraxis absolviert werden. Zwei der insgesamt fünf Jahren geforderter Weiterbildung kann der Assistenzarzt als Rotationen in nahestehenden Fachgebieten absolvieren. Klingt vielversprechend, bei näherer Betrachtung stellt man jedoch rund um die Weiterbildung Hausarzt fest:

  • Hausarztmedizin ist Familienmedizin. Die Pädiatrie hat heute dasselbe Problem wie die Allgemeine Innere Medizin: zu wenig Nachwuchs, zu viele Ärzte, welche pensioniert werden. Der heutige Hausarzt betreut nicht nur Patienten ab dem 18. Lebensjahr. Der angehende Hausarzt darf sich an seine Weiterbildung eine Kinderchirurgie-Rotation anrechnen lassen, der Kinder- und Jugendnotfall – was er am häufigsten als Grundlage für den späteren Praxisalltag benötigen würde – sucht man in den anerkannten Disziplinen vergebens.
  • Z.B. Dermatologie- und HNO-Weiterbildungsstätten findet man fast ausschliesslich im Spital. Gemäss SIWF dürfen ambulante Praxen (unter gewissen Bedingungen) Weiterbildungsstätten sein, doch die Fachgesellschaft der HNO verweigert z.B. einem zukünftigen Allgemeinen Inneren Mediziner den Zugang zur ambulanten Weiterbildungsstätte (HNO-Praxis) und behält diese nur den HNO-Assistenzärzten vor.
  • Lernziele/-inhalte werden zwar vorgegeben, doch sind diese vor allem auf die spitalinternistische Ausbildung fokussiert.
  • Rotationsstellen in den Spitälern beinhalten häufig dienen und nicht lernen. In der Realität verbringen die Assistenzärzte mehr 50% ihrer Arbeitszeit mit Sekretariatsarbeiten wie eine Untersuchung am Universitätsspital Lausanne gezeigt hat.1)

Die Aus- und Weiterbildung liegt somit nach wie vor in erster Linie in den Händen der Spitalmediziner und dort liegt die fachliche Kompetenz – besonders auch der technischen Methoden – fast ausschliesslich in Spezialisten-Händen. Was häufig eine eigenständige Befunderhebung und Diagnosestellung durch den Generalisten als obsolet erscheinen lässt.

Feminisierung, work-life-balance der Y-Generation

Die Feminisierung des Medizinberufes ist längstens bekannt und hat auch überall Einzug gehalten. Beendet eine Studentin ihr Medizinstudium, erwartet sie fünf Jahre Assistenzzeit. In diesem Zeitabschnitt fängt ihre biologische Uhr an zu ticken und das Thema Familienplanung steht im Raum. Wird sie während der Assistenzzeit Mutter, so kann es sein, dass sich ihre Facharztausbildung durch die Teilzeitarbeit nahezu verdoppelt.

Unabdingbar ist somit eine gute Planung der Facharztweiterbildung. Dies bedeutet qualitativ inhaltlich sehr gute Weiterbildungsstätten in kurzen aber intensiven Rotationen in Fachgebieten, welche ihr im Hausarztberuf wirklich dienlich sind. Das Zeitfenster ist klein, eine gute Planung somit unabdingbar.

Der Hausarzt ist ein Beruf und selten eine Berufung. Ob Hausärztin oder Hausarzt: die junge Hausärztegeneration rückt die Freizeit und die Familie weiter nach vorne, als wir „alten“ Hausärzte dies taten. Anders als früher, sind heute meistens beide Elternteile arbeitstätig und beide Elternteile übernehmen einen Teil der Kinderbetreuung. Dies bedeutet, dass sich der Arzt/die Ärztin der Mehrfachbelastung Familie und Beruf stellen muss und die Fokussierung auf das momentan im Vordergrund Stehende ist alles andere als einfach (Beruf: „Jetzt bin ich Arzt und emotional als Arzt tätig und für meine Patienten da“ im fliegenden Wechsel mit Zuhause: „Jetzt bin ich Vater/Mutter und Ehemann/Ehefrau und voll und ganz für meine Familie da“).

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll viel stärker mitberücksichtigt werden, indem mehr Teilzeitstellen geschaffen werden, Jobsharing ermöglicht, Mutter- und Vaterschaftsurlaub gewährt und auf starre Anwesenheitszeiten verzichtet wird. Junge Mütter können nicht mitten in der Nacht Notfalldienst leisten! Die Medizin muss lernen, auch hier flexibel zu sein und neue Arbeitsmodelle einführen.

Aus der Not eine Tugend machen: die PraktAkademie

Der Hausärztemangel ist hausgemacht! Die Politik, die Ärztegesellschaften und –verbände sowie die einzelnen Ärzte selbst haben in den letzten 15 Jahren mitgeholfen den Hausarztberuf auszuhöhlen und unattraktiv zu machen!

Verirrte sich ein Assistenzarzt in die Facharztweiterbildung Hausarzt, so stellte er mit Bedauern fest,

  • dass er einen wesentlichen Teil seiner Facharztweiterbildung mit administrieren anstelle von lernen und erarbeiten von Kernkompetenzen verbrachte,
  • dass er wahrscheinlich einen Teil seiner Aufbauweiterbildung (Fremdrotationen) in Fachbereichen verbrachte, welche ihm als Hausarzt weniger nützlich sein werden (z.B. Kinderchirurgie) und ihm beim Einstieg ins Berufsleben als Hausarzt wichtige Kompetenzen fehlen,
  • dass es heute noch viele Praxen gibt, welche den Assistenzarzt während der Praxisassistenz als Ökonomie-Pumpe einsetzen und es viele resignierte und desillusionierte Hausärzte gibt, welche den Berufsrollenwechsel an die neuen Herausforderungen verpasst  haben und  den Jungärzten kein spannendes, abwechslungsreiches und attraktives Berufsfeld vorleben können und wollen,
  • dass er trotz 5-jähriger Facharztweiterbildung zu wenig über die Hausarztmedizin weiss.

Mit der PraktAkademie, dem Weiterbildungsnetz für angehende Hausärzte, soll den oben erwähnten Kritikpunkten entgegen getreten werden und eine vollumfängliche Begleitung und Betreuung der Assistenzärzte für das Basisweiterbildungsjahr „Praxisassistenz“ und den Aufbauweiterbildungsjahren bis zum Erhalt des FMH-Titels  geboten  werden. Während diesen Weiterbildungsjahren sind die Assistenzärzte bei der PraktAkademie angestellt. Ihr Curriculum wird nach Interesse und Fähigkeiten für sie zusammengestellt, die Weiterbildungsstätten und weitere Kursangebote werden ihnen organisiert und eine enge Betreuung ist sichergestellt.

Da die PraktAkademie bis heute nicht auf Unterstützungsgelder zurückgreifen kann, entstehen ungedeckte Lohn- und Kurskosten, welche dem Assistenzarzt am Ende seiner Facharztausbildung als Ausbildungsdarlehen stehen bleiben. Der Assistenzarzt hat die Möglichkeit, dieses Darlehen innert ein paar Jahren zurückzuerstatten oder er sucht sich eine Arbeitsstelle, welche ihm gegen eine befristete Arbeitsverpflichtung sein Darlehen übernimmt.

Trotz dieser Verpflichtung haben innerhalb von knapp 2 Jahren heute bereits über 20 Assistenzärzte/-ärztinnen einen PraktAkademie-Arbeitsvertrag.

Was die Assistenzärzte schätzen

  • Die Assistenzärzte werden während ihrer Facharztweiterbildung zum Hausarzt bereits technisch gut ausgebildet (Sonografie, dosisintensives Röntgen, EKG, Gastroenterologie etc.) und ihnen wird die Möglichkeit geboten, vor Abschluss des FMH-Titels Fähigkeitsausweise zu erwerben, so dass sie diese nicht beim Start in den Praxisalltag noch mühsam erwerben müssen.
  • Während der einjährigen Praxisassistenz erhalten die Assistenzärzte die Möglichkeit an Konsiliardiensten teilzunehmen. Nebst der Erweiterung des Fachwissens, lernen sie den Umgang mit der Interprofessionalität und sie werden an ihre Rolle als Gatekeeper herangeführt.
  • Die Praxisassistenz findet in neuen, dynamischen Strukturen statt, welche den jungen Ärzten kein veraltetes Bild der Hausarztmedizin bieten, sondern einen fördernden und fordernden Arbeitsplatz. Fremdbestimmung soll verhindert werden, Eigenverantwortung gefördert!
  • Um diesen vielseitigen und fordernden Kompetenzen gerecht zu werden, erhalten die Assistenzärzte die Möglichkeit, einen grossen Teil ihrer Weiterbildung im ambulanten Sektor zu verbringen, wo ihnen hausarztspezifische Fachkompetenzen vermittelt werden.
  • Die Assistenzärzte erhalten im Rahmen der Weiterbildung einen Mentor zur Seite gestellt, welcher sie während der gesamten Weiterbildungszeit begleitet, unterstützt und dafür besorgt ist, dass das Hausarztfeuer am Leben bleibt.

Die PraktAkademie GmbH wurde im September 2017 gegründet und ist heute durch ihren gemeinnützigen Zweck steuerbefreit.

Als loses Weiterbildungsnetz sind ihr SIWF/FMH-anerkannte Weiterbildungsstätten angeschlossen, in welchen die Assistenzärzte ihre Weiterbildungen absolvieren. Erhält das Weiterbildungsnetz zukünftig genug finanzielle Unterstützung, so wird es ihr möglich sein, weitere Weiterbildungsstätten einzuschliessen, das Netz in weitere Kantone auszudehnen (momentan Kanton Bern und Solothurn) und somit kann die PraktAkademie mithelfen,

– den Hausarztberuf für die nachfolgenden Generationen wieder attraktiver zu machen,

– die Qualität der hausärztlichen Grundversorgung nachhaltig sicherzustellen,

– und die medizinische Grundversorgung in der Schweiz aufrecht zu erhalten.

Weitere Informationen finden Sie unter www.praktakademie.ch.

Wie Antoine de Saint-Exupéry sagte:
„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Über die Autoren

Dr. med. Hansulrich Blunier: Allgemeine Innere Medizin FMH, FA in Gastroenterologie, Sonografie Abdomen, del. Psychotherapie, Dosisintensives Röntgen, Praxislabor, Initiant des Konzeptes MediZentrum, Hausarzt und VRP im MediZentrum Schüpfen, VR des Spitalzentrums Biel

Antonia Käser-Michel: Geschäftsführerin der PraktAkademie GmbH und der MediZentren Schüpfen, Lyss, Messen, Täuffelen, Landhaus Steffisburg, Burgergut Steffisburg, der Stiftung FIMG, der MediZentren Verbund GmbH, der MediZentrum Consilium GmbH und Eigentümerin der Sektor M GmbH

Referenzen

  1. https://annals.org/aim/article-abstract/2599281/allocation-internal-medicine-resident-time-swiss-hospital-time-motion-study

    https://www.medinside.ch/de/post/assistenzaerzte-90-minuten-am-patientenbett

Der Inhalt dieses Artikels widerspiegelt die Auffassung der Autoren und deckt sich nicht zwingend mit der Meinung der Redaktion oder der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie.

Weitere Informationen

Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Hansulrich Blunier MediZentrum Schüpfen

Antonia Käser-Michel Geschäftsführerin der PraktAkademie GmbH und der MediZentren