Senden uns die Flamingos ein letztes SOS?
Der sechste Bericht des Weltklimarats von 2021 lieferte den Nachweis, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist, zeigte aber auch Wege auf, um einer Katastrophe zu entgehen. Die Befunde waren gravierend. Der weltweite Temperaturschnitt liegt bereits bei 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau, jener der Schweiz gar bei 2,9 °C. Ab einem Anstieg von 2 °C haben extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Orkane und schneeärmere Winter direkte Folgen für unsere Gesundheit.
Und das Gesundheitssystem ist mitverantwortlich. Eigentlich soll es für eine bessere Gesundheit sorgen, trägt aber mit rund 5–7 % des Treibhausgasausstosses selbst zum Klimawandel bei. Ein Teufelskreis: Die Umweltverschmutzung gefährdet unsere Gesundheit, und das Gesundheitssystem verschmutzt die Umwelt.
In den Nachrichten der letzten Jahre häufen sich die Warnsignale. Unvergessen sind die Bilder der Sturmverwüstungen von 2024 in La Chaux-de-Fonds. Im Mai 2025 verschüttete ein Gletschersturz das Dorf Blatten. Diesen Sommer veröffentlichte die Zeitung «Le Temps» einen Artikel über ein seltsames Phänomen. In Italien spazieren Flamingos durch die Reisfelder. Unerhört! Zerstörte Kulturen durch ungebetene Gäste, die versuchen, sich an die globale Erwärmung anzupassen, indem sie vor der Dürre fliehen. Die Anwesenheit der Flamingos wirft Fragen über das Zusammenleben auf. Wie wird es uns gelingen, Ressourcen zu teilen, die aufgrund der Klimaerwärmung immer knapper werden?
Das Thema beschäftigt die Menschen in der Schweiz. Laut einer Umfrage der SRG halten 67 % die Klimaerwärmung für ein ernsthaftes Problem, das schnelles Handeln erfordert. Der schädliche Einfluss der Treibhausgase auf die Gesundheit ist inzwischen unbestritten. Bis 2050 dürfte der Klimawandel weltweit pro Jahr geschätzt 250’000 zusätzliche Todesfälle zur Folge haben. Dieses Jahr forderte die Hitze in Europa 2300 Todesfälle, von denen 65 % der Klimaerwärmung zuzuschreiben sind. Auch Kinder sind vielfach betroffen und müssen ihre ganze Anpassungsfähigkeit mobilisieren: gegen Atemwegs- und Vireninfekte, gegen durch Mücken übertragene Krankheiten, gegen Mangelernährung, gegen Hunger und Hitzschläge. Zudem leidet die Schulbildung, etwa durch Schulschliessungen oder hitzebedingte Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten. António Guterres appellierte in seiner UN-Rede vom 3. Dezember 2018 an die Welt, keinen Verrat an den zukünftigen Generationen zu begehen.
Wie soll man mit neuen Krankheitsbilder umgehen, die der Klimawandel hervorbringt? Wie können wir die Qualität der Gesundheitsversorgung sicherstellen und zugleich unseren Planeten schützen?
Die Autor:innen dieser Ausgabe von Paediatrica geben erste konkrete Antworten, indem sie die Gesundheitsrisiken aufzeigen und Lösungen vorschlagen, die wir in unserem Praxisalltag umsetzen können. Sie möchten Instrumente zur Ausübung unseres Berufs an die Hand geben, die diese neuen Parameter berücksichtigen.
Kinderärzt:innen nehmen in der Gesellschaft eine Vielzahl an Rollen ein. Eine der wichtigsten ist, dass sie als vertrauenswürdige Stimmen gelten. Damit sind sie in der idealen Lage, Botschaften zu vermitteln, um die Menschen gesundheitlich besser gegen die Herausforderungen des Klimawandels zu wappnen. Die Konsultationen bieten viele Gelegenheiten, die wir nutzen sollten, um den wechselseitigen Nutzen von individueller Gesundheit und Natur- und Klimaschutz zu thematisieren. Mit diesem Ziel wurde die Kampagne «12 mois – 12 actions» ins Leben gerufen.
Letztlich ist es an uns, gemeinsam zu handeln. 2021 wurde die Schweizer Gruppe «Kinderärzt:innen für das Klima» geschaffen. Ihr Ziel ist es, uns zu sensibilisieren und Lösungen anzubieten. Auch auf Kongressen werden inzwischen Schulungen zu diesem Thema angeboten.
Und so wagen wir es weiterhin, auf ein Umdenken und einen Wandel im Lebensstil zu hoffen, bevor es zur Katastrophe kommt.
«Weise jammern nie vorhandenes Weh, sie schneiden gleich des Jammers Wege ab.» – William Shakespeare.
In der Camargue haben die Reisbauern eine einfache, aber nachhaltige Lösung für das Flamingo-Problem gefunden: Sie haben Hecken gepflanzt.
Aber was, wenn die Flamingos uns ein letztes SOS senden wollten?
Weitere Informationen
Autor:innen
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Dr med. Martine BideauPédiatre installée en cabinet et chargée d’enseignement à l’Institut universitaire de médecine de famille et de l’enfance (IuMFE), Centre Médical Universitaire, Genève
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Dr med. Jean-Yves CorajodSpécialiste en pédiatrie, Médecin répondant pour la néonatologie à la Clinique Générale-Beaulieu, Cologny
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