Kinderschutz in der Kinder- und Jugendmedizin: Prävention und Verantwortung
Jedes Kind hat das Recht auf eine sichere und gesunde Entwicklung – daher muss das Thema Kinderschutz ein fester Bestandteil in der pädiatrischen Versorgung sein. Denn gerade Kinderärzt:innen stehen in einer Schlüsselposition, um frühzeitig Hinweise auf Misshandlung, Vernachlässigung oder sexualisierte Gewalt zu erkennen und geeignete Massnahmen zu ergreifen. Die unverändert hohen Fallzahlen mahnen uns, unsere Verantwortung ernst zu nehmen. Dieses Themenheft spiegelt unser gemeinsames Engagement für den Kinderschutz wider. Es bietet konkrete Einblicke und Vorgehensweisen und beleuchtet wichtige Teilaspekte einer anspruchsvollen Aufgabe, die medizinisches Fachwissen ebenso wie interdisziplinäres Denken und kommunikative Sensibilität erfordert.
Eine sorgfältige Anamnese, der Blick auf familiäre Belange und Dynamiken sowie eine vertrauensvolle Gesprächsführung bilden die Grundlage für das frühzeitige Erkennen von Risikokonstellationen. Der Beitrag zu chronischen Krankheiten und Vernachlässigung zeigt beispielhaft, wie eng medizinische Langzeitbetreuung mit kinderschutzrelevanten Fragestellungen verknüpft sein kann – und wie gerade bei chronisch kranken Kindern ärztliche Achtsamkeit entscheidend sein kann.
Im Verdachtsfall ist ein strukturiertes, professionelles und zugleich empathisches Vorgehen zentral. Das Ablaufschema zum Thema «Abusive Head Trauma» zeigt, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit und klar definierte diagnostische Schritte sowohl medizinische Qualität als auch rechtliche Sicherheit fördern können. Auch der Beitrag «Verdacht auf nicht-akzidentielle Verletzungen: Was soll man sagen? Was soll man tun? » bietet praxisnahe Orientierung für ärztliches Handeln in komplexen Situationen. Der Artikel zeigt auf, wie viele, manchmal konkurrierende Aspekte in einem Kinderschutzfall zu bedenken sind: die Gefährdung des betroffenen Kindes, aber auch seiner Geschwister, medizinische Sorgfalt, juristische Korrektheit – und das alles unter Berücksichtigung des obersten Prinzips im Kinderschutz: der Verhältnismässigkeit des Vorgehens. Eine Gratwanderung, die nur im Team gelingt!
Ein besonders sensibles Thema stellt die «Gesprächsführung mit Vorschulkindern bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt» dar. Hier sind Zurückhaltung, entwicklungspsychologisches Wissen und fachlich fundierte Kommunikation gefragt. Der Beitrag bietet praxisnahe Unterstützung, betont jedoch auch die Bedeutung der Einbindung spezialisierter Fachstellen.
Ein zunehmend beachteter Risikofaktor für Kindeswohlgefährdung ist das Miterleben häuslicher Gewalt, da man inzwischen erkannt hat, dass auch indirekte Gewaltformen sich auf die psychische und körperliche Gesundheit von Kindern auswirken können. Der Artikel zum SPEK-Programm stellt ein Beispiel für frühe Intervention bei betroffenen Familien vor.
Das Programm «HEB – Hinschauen, Einschätzen, Begleiten» schliesslich beschreibt ein praxisnahes Modell für strukturierte Einschätzung und Begleitung betroffener Kinder. Es betont die Wichtigkeit klarer Abläufe, regelmässiger Fallbesprechungen und guter Vernetzung mit externen Fachstellen – von der Früherkennung bis zur Nachsorge. Kinderschutz ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Er verlangt fachliche Kompetenz, rechtliche Orientierung und persönliche Haltung. Wir möchten Sie mit diesem Heft zur Reflexion anregen und Mut machen, Verantwortung zu übernehmen – im Interesse der Kinder, die auf unseren Schutz angewiesen sind. Und zögern Sie nie, fachliche Hilfe zu suchen, denn das Grundprinzip des Kinderschutzes heisst: «Nie allein! »
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Autor:innen
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Dr. med. Dörthe Harms HuserLeitung Fachgruppe Kinderschutz, Klinik für Kinder und Jugendliche, Kantonsspital, Baden
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