Das Attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) ist durch Verhaltensstörungen gekennzeichnet: Motorische Hyperaktivität und Impulsivität sowie mangelnde Aufmerksamkeitsfähigkeit. Lange wurde die Diagnose hauptsächlich auf Grund von Verhaltensstörungen gestellt.
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Das Attention deficit/hyperactivity disor –
der (ADHD) ist durch Verhaltensstörungen
gekennzeichnet: Motorische Hyperaktivität
und Impulsivität sowie mangelnde Aufmerk –
samkeitsfähigkeit. Lange wurde die Diagno –
se hauptsächlich auf Grund von Verhaltens –
störungen gestellt. Die Kinder wurden als
«hyperaktiv» bezeichnet, ein Begriff der zu
Missverständnissen und Polemiken führte,
sind doch die Ursachen einer Hyperaktivität
vielfältig. In Tat und Wahrheit ist das Haupt –
symptom die mangelnde Aufmerksamkeits –
fähigkeit. In der Mischform, die weitaus häu –
figste und am besten bekannte Form, bei
welcher sich Hyperaktivität, Impulsivität und
Aufmerksamkeitsstörung kombinieren, ist
die Objektivierung letzterer wichtig, um das
ADHD von anderen Hyperaktivitätsformen
zu unterscheiden. Die hyperaktiv-impulsiven
Formen, bei welchen die Aufmerksamkeits –
störung zu fehlen scheint oder zumindest
im Hintergrund steht, stellen nur 1–2% der
Fälle dar und sind umstritten. Die Diagnose
der Aufmerksamkeitsstörungen, bei wel –
chen die Verhaltensstörungen fehlen oder
gering sind, ist schwieriger und verlangt eine
neuropsychologische Abklärung.
Das Attention deficit/hyperactivity disorder
ist ein Syndrom, dessen Ursachen schlecht
bekannt und wahrscheinlich vielfältig und
multifaktoriell sind.
Die Fortschritte der kognitiven neurobiolo –
gischen Wissenschaften in den letzten 20
Jahren und insbesondere die Arbeiten über
Aufmerksamkeits- und exekutive Funktionen
haben es erlaubt, die Wichtigkeit der Rei –
fung dieser Funktionen schon während der
ersten Lebensjahre hervorzuheben und die
Bedeutung der für das Entstehen des ADHD
verantwortlichen neuropsychologischen Me –
chanismen, sowie deren neuronale Vernet –
zungssysteme besser zu verstehen.
1. Das ADHD: eine Störung
der exekutiven Funktionen
(«syndrome dysexécutif»)
Den Kindern mit einem ADHD mangelt es
an der Fähigkeit, Aufmerksamkeit aufrecht
zu erhalten. Sie sind unfähig, konzentriert
und aufmerksam zu bleiben und kommen bei
Aufgaben und Lernprozessen in Schwierig –
keiten, welche ein längeres Aufrechterhalten
der Aufmerksamkeit erfordern, sei es bei
schulischen oder bei spielerischen Aktivi –
täten. Sie sind zerstreut, vergessen ihre Sa –
chen, haben aber auch eine verminderte Wi –
derstandsfähigkeit gegenüber Ablenkungen,
was erklärt, dass ihre Aufmerksamkeit leicht
abschweift, «gefangen» durch auditive und
visuelle Umgebungsreize. Es fällt ihnen im
weiteren sehr schwer, ihre Aufmerksamkeit
gleichzeitig auf zwei verschiedene Aufgaben
aufzuteilen. Dazu kommt eine fehlende Im –
pulskontrolle (eine Aufgabe unterbrechen,
von einer Aufgabe zu einer anderen über –
gehen) und die Unfähigkeit zu antizipieren,
zu planen und zu organisieren, d. h. eine
Störung der exekutiven Funktionen 2).
Die Fortschritte der kognitiven neurobiolo –
gischen Wissenschaften heben die Wichtig –
keit der exekutiven Funktionen hervor und
haben dadurch das Verständnis dieses Syn –
droms grundlegend verändert. Diese Funkti –
onen beinhalten alle notwendigen Prozesse,
welche es erlauben, eine Antwort hinaus –
zuschieben oder zurückzuhalten und uns
so befähigen, eine Handlung zu beginnen,
weiterzuführen oder abzubrechen, oder ganz
einfach von einer Aufgabe zu einer anderen
überzugehen. Das ADHD wäre somit vor
allem der klinische Ausdruck einer Störung
der exekutiven und Aufmerksamkeitsfunk –
tionen. Neuere Studien konnten bei diesen
Kindern eine Störung der Impulskontrolle
nachweisen. Sie haben z. B. grosse Mühe,
eine Aufgabe des Typs «go – no go» zu lösen,
bei welcher sie, durch möglichst häufiges
Drücken auf einen Antwortknopf, auf be –
stimmte Reize antworten und bei anderen
Reizen die Antwort hingegen unterdrücken
müssen. Sie werden dazu neigen auch dort
zu antworten, wo sie nicht sollten. Sie wei –
sen im übrigen häufig auch eine Störung des
Arbeitsgedächtnisses auf, d. h. der Fähigkeit,
Aufgaben mit Hilfe eines Materials durchzu –
führen, das sie während der Durchführung
der Aufgabe im Gedächtnis behalten müs –
sen. Kopfrechnen z. B. wird damit zu einer be –
sonders schwierigen Aufgabe. Diese Kinder
haben Mühe, ihre Aufmerksamkeit aufrecht
zu erhalten und werden deshalb besonders
bei langdauernden Aufgaben scheitern, bei
welchen sie auf nur selten auftretende Reize
antworten müssen (Wachsamkeitstests) 6).
2. Neuroanatomische
Grundlagen
Der Aufmerksamkeit liegt ein komplexes
Netzwerk von Nervenzellen («réseau at –
tentionel») zugrunde. Schematisch kann
es in ein vorderes Netzwerk (hauptsäch –
lich präfrontale Areale), insbesondere am
Aufrecherhalten der Aufmerksamkeit und
an den exekutiven Funktionen beteiligt, in
ein hinteres Netzwerk, für die Orientierung
der Aufmerksamkeit verantwortlich und in
subkortikale, an Wachsamkeit und Alarm –
bereitschaft beteiligte Strukturen aufgeteilt
werden 14). Seit langem wurde auf Grund
klinischer Beobachtungen, insbesondere
auf Grund von Ähnlichkeiten mit Störungen
der exekutiven Funktionen bei Patienten mit
frontalen Hirnläsionen, vermutet, dass Stö –
rungen im Bereich der präfrontalen Areale
beim ADHD eine Rolle spielen können. Ana –
tomische und funktionelle Studien richteten
ihr Interesse deshalb in erster Linie auf die
frontalen Hirnareale.
Die ersten anatomischen Studien wurden
zu Beginn der achtziger Jahre mit tomo –
densitometrischen Methoden (scanner)
verwirklicht. Sie liessen eine Asymmetrie
zwischen den Hemisphären zu ungunsten
der vorderen Regionen der rechten Hemi –
sphäre vermuten. In der Folge erlaubten es
die Fortschritte der Magnetresonanz (MRI),
beim Kind morphologische und morphome –
trische Studien, d. h. quantitative Mes –
sungen der verschiedenen Hirnstrukturen
durchzuführen. Diese neuroanatomischen
Arbeiten erlaubten es, eine Verminderung
des Volumens gewisser Hirnstrukturen auf –
zuzeigen, und zwar der präfrontalen Areale
rechts, des Striatums (Nucleus caudatus
und Pallidum) sowie des vorderen Anteils
des Corpus callosum sowohl bei Mädchen
als auch bei Knaben und unabhängig von
einer Behandlung 9). In einer breit angelegten
longitudinalen Studie zeigte die Wieder –
holung der MRI bei Kindern mit ADHD im
Vergleich zu einer Kontrollgruppe, dass
diese morphologischen Veränderungen mit
der Reifung nicht verschwinden 7). Diese
Befunde scheinen die Hypothese zu bestäti –
gen, dass eine frühe Entwicklungs- bzw. Rei –
Attention deficit/hyperactivity disorder:
Neurofunktionelle Gesichtspunkte
P. Berquin, Amiens
Traduction R. Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
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fungsstörung des neuronalen Netzwerkes
präfrontaler und Striatumstrukturen an den
Aufmerksamkeits- und Ausführungsfunkti –
onen mitveranwortlich ist.
Die mit funktionellen bildgebenden Ver –
fahren (SPECT – Single Photonic Emission
Computerized Tomography und PET – Posi –
tron Emission Tomography) durchgeführten
Studien bekräftigen diese Hypothese. Es
konnte mit diesen Methoden bei Kindern
und Jugendlichen mit einem ADHD eine Ver –
minderung der Hirndurchblutung und des
Zellmetabolismus im vorderen Frontalhirn
und im Striatum nachgewiesen werden 6), 9) .
Neulich wurden funktionelle bildgebende
Studien mittels funktionellem Aktivierungs-
MRI durchgeführt, einer beim Kind einfach
durchzuführenden, nicht irradierenden und
deshalb wiederholbaren Technik. Mit die –
ser Methode können Hirnregionen, die an
bestimmten kognitiven Aufgaben beteiligt
sind, sichtbar gemacht werden. Bei Kindern
und Jugendlichen mit einem ADHD wurde
bei Aufmerksamkeitsaufgaben eine man –
gelnde Aktivierung bestimmter präfrontaler
Areale (Area dorsolateralis und cingularis
anterior) und des Striatums (Nucleus cau –
datus, Globus pallidus) nachgewiesen. Es
handelte sich um Aufgaben vom Typ «go
– no go» (der Proband muss z. B. bei jedem
erscheinen eines Buchstabens, ausser bei
einem X, auf einen Knopf drücken) oder
vom Typ «stop task» (der Proband muss
bei einem bestimmten Signal eine automa –
tische Antwort unterdrücken), Aufgaben,
die anhaltende Aufmerksamkeit und Im –
pulskontrolle verlangen. Diese Resultate
legen eine Funktionsstörung eines stri –
ato-präfrontalen Regelkreises nahe 3), 10) .
Zusätzlich wurde festgestellt, dass nach
Verabreichung von Methylphenidat die Ak –
tivierung mit derjenigen der Kontrollgruppen
vergleichbar wird 15). Die Wiederherstellung
einer normalen Aktivierung erklärt uns die
Funktionsweise der Psychostimulantien und
ist nicht ein Argument zu Gunsten einer
Nervenfunktionsstörung.
Das Kleinhirn, als phylogenetisch alte Struk –
tur betrachtet und der Kontrolle von Motorik
und Gleichgewicht zugeordnet, scheint in
diesem Zusammenhang ebenfalls eine Rolle
zu spielen. Morphogenetische Studien bei
Kindern mit ADHD zeigen eine signifikante
Volumenverminderung des Vermis cerebelli.
Diese Resultate sind bei Kindern beider Ge –
schlechter und Kindern, die nie behandelt
wurden, identisch 4).
Die Rolle des Kleinhirns könnte einige neu –
rologische Symptome von untergeordneter
Bedeutung erklären, welche bei über 50%
der Fälle beobachtet werden. Gewisse
Symptome lassen an eine Störung der
Stammganglien denken: Diskrete chorei –
forme (Prechtl’sche Chorea), athetotische
oder Mitbewegungen; andere Störungen
sind eher cerebellären Ursprungs: Diskrete
Dysmetrie oder Dysdiadochokinese, Intenti –
onstremor sowie bei den vestibulären Tests
und den optokinetischen Fixationstests be –
obachtete Störungen 4), 8) .
Es scheint jedoch nicht, dass das Kleinhirn
Sitz einer eigenen kognitiven Funktion ist, es
greift wahrscheinlich eher als «Koprozessor»
ein, indem es Bearbeitungsschnelligkeit
und Wirkungsgrad der Signale verbessert,
daher der Begriff «kognitive Dysmetrie».
Der Vermis cerebelli wäre demnach an einer
cerebello-thalamo-präfrontalen Vernetzung
beteiligt, indem er die striato-präfrontalen
Regelkreise moduliert. Der anatomische
Nachweis von Verbindungen mit den assozi –
ativen präfrontalen Arealen bekräftigt diese
Hypothese.
Das ADHD scheint demnach das Resultat
einer Reifungsstörung der neuronalen Bah –
nen zu sein, welche den Aufmerksamkeits-
und Kontrollfunktionen zugrunde liegen und
insbesondere einen, exekutiven Funktionen
und Impulskontrolle zugrunde liegenden,
striato-präfrontalen Regelkreis umfassten,
daneben auch einen cerebello-thalamo-
präfrontalen Regelkreis, dessen Störung die
Verlangsamung bei Aufgaben mit Messung
der Reaktionszeit erklären könnte.
3. Neuronale Vernetzungen
und Neurotransmitter
Die an diesen Netzwerken beteiligten Über –
trägerstoffe sind noch schlecht bekannt.
Experimentelle Resultate beim Tier, die
wenigen Studien beim Menschen sowie
pharmakologische Studien lassen vermuten,
dass noradrenerge, dopaminerge und sero –
toninerge Substanzen eine Rolle spielen.
Die noradrenergen Neurotransmitter schei –
nen am vorderen, der Aufmerksamkeit zu –
grunde liegenden Netzwerk beteiligt zu sein:
Die Injektion von Noradrenalin setzt in der
Tat die Spontanaktivität und die Reaktions –
fähigkeit auf neue Stimuli der Neuronen des
präfrontalen Cortex herab 6), 13) . Bei gewissen
noradrenergen Substanzen wie Clonidin
wurde die Wirksamkeit auf die kognitiven
Funktionen und insbesondere beim ADHD
bewiesen.
Dopamin wurde mit exekutiven Funktionen
in Zusammenhang gebracht: Herabsetzung
des Dopamins in den präfrontalen Synapsen
führt zu einer Störung der Impulskontrolle
und des Kurzzeitgedächtnisses. Durch Ver –
besserung der dopaminergen postsynap –
tischen Funktionen begünstigen demnach
Psychostimulantien die Integration wesent –
licher Stimuli aus anderen Hirnregionen
und somit die exekutiven Funktionen. Beim
Menschen durchgeführte PET-Studien legen
beim ADHD eine abnormale dopaminerge
präsynaptische Funktionsweise und unter
Behandlung eine Speicherung von Methyl –
phenidat im Striatum nahe 11), 13) .
Dopamin interagiert auch mit anderen Neuro –
transmittern, wie das ebenfalls am Aufmerk –
samkeitsregelkreis beteiligte serotoninerge
System 12). Fluoxetin (selektiver Serotonin –
transportblocker) vermindert die Hyperakti –
vität bei hyperaktiven Versuchsmäusen.
Die Wirksamkeit von Psychostimulantien
wie Methylphenidat (Ritalin ®), die die «re –
capture» von Dopamin und Noradrenalin
verhindern, legen eine Beteiligung der dopa –
minergen und noradrenergen Systeme nahe.
Diese Hypothese wird bekräftigt einerseits
durch die Beobachtung, dass die Serumspie –
gel der Monoamine oder ihrer Metabolite
bei hyperaktiven Kindern eher tief sind, an –
dererseits durch die bekannte Rolle dieser
Neurotransmitter bei der Innervation des
Frontalhirn-Striatum-Regelkreises. Die nor –
adrenergen Nervenzellen antworten selektiv
auf neue Stimuli und filtrieren unpassende
oder mit der gerade bearbeiteten Aufgabe
unzusammenhängende Stimuli. Das do –
paminerge System spielt hingegen eine
wichtige Rolle bei der emotionellen und
motorischen Kontrolle.
4. Aetiopathogenese:
Genetische und Umweltfaktoren
Viele Argumente sprechen für eine gene –
tische Ursache des ADHD: Die männliche
Überzahl von fast 80%, die 5-fache Häufig –
keit in Familien mit hyperaktiven Kindern
und der erbliche Faktor, d. h. die Häufigkeit
der Übertragung genetischer Eigenschaften
um die 80%. In Zwillingsstudien ist die Kon –
kordanz bei monozygoten Zwillingen 2,5-
mal höher (66%) als bei dizygoten (28%) 5).
Das Gen des Dopamintransporters (DAT)
und gewisse dopaminerge Rezeptoren (z. B.
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Rezeptor D4) kodierende Gene scheinen
zur Zeit die hoffnungsvollsten Kandidaten 16).
Die Bedeutung dieser genetischen Faktoren
bleibt jedoch in der Genese des ADHD
bescheiden; es handelt sich vielmehr um
Prädispositionsfaktoren, Ursache einer er –
höhten Empfindlichkeit.
Es konnten weitere Faktoren erhöhter Emp –
findlichkeit identifiziert werden, insbeson –
dere geburtshilfliche. Dies gilt für die Früh –
geburtlichkeit. In gewissen Studien über
ehemalige Frühgeborene von weniger als 32
Schwangerschaftswochen erreicht die Häu –
figkeit der Aufmerksamkeitsstörungen mit
oder ohne assoziierte Verhaltensstörungen
vom Typ Hyperaktivität und Impulsivität 20
bis 30%. In mehreren Studien wurde eine
statistisch signifikante Korrelation zwischen
ADHD und geringem Geburtsgewicht oder
intrauterinem Wachstumsrückstand gefun –
den. Und schliesslich wurden bei ehema –
ligen Frühgeborenen oder bei Geburt unter –
gewichtigen Kindern, die ADHD-Symptome
aufweisen, morphologische Anomalien des
Striatums nachgewiesen 1). Rauchen wäh –
rend der Schwangerschaft wurde ebenfalls
angeschuldigt, ohne dass man jedoch sagen
könnte, ob es sich um eine toxische Wirkung
handelt oder um eine Folge des intraute –
rinen Wachstumsrückstandes. Die mögliche
Rolle von Koffein während der Schwanger –
schaft wurde ebenfalls untersucht.
Postnatale toxische oder Ernährungsfak –
toren werden erwähnt. Wenn auch kürzliche
Hinweise auf Verschmutzung, Pestizide oder
gar Nahrungsmittelallergien umstritten sind,
ist die Rolle der Bleivergiftung seit langem
bekannt. Bei gewissen Kindern festgestellte
tiefe Ferritinspiegel liessen eine mögliche
Rolle des Eisenmangels oder eine Störung
des Eisenmetabolismus vermuten.
Bei allen genetischen und Umweltfaktoren
dürfen Bedeutung und Häufigkeit der in –
trafamiliären Beziehungsstörungen nicht
aus den Augen verloren werden. Diese sind
zum Teil Folge der Hyperaktivität, welche die
zwischenmenschlichen Beziehungen beein –
flusst. Sie sind ebenfalls Resultat der Ge –
schichte des Kindes und seines Umfeldes.
Psychsoziale Faktoren sowie Beziehungs-
und Kommunikationsmuster innerhalb der
Familie spielen bereits während der ersten
Lebensjahre eine Rolle.
So wäre das ADHD eher die Resultante ver –
schiedener Risikofaktoren, teils dem Kinde
eigen (genetische, neurobiologische), teils
umweltbedingt.
Schlussfolgerung
Das ADHD scheint also ein Syndrom zu
sein, charakterisiert durch die Funktions –
störung von neuronalen Netzwerken die
den wesentlichen kognitiven Funktionen bei
Lernvorgängen und der Selbstbeherrschung
zugrunde liegen: Die Aufmersamkeits- und
exekutiven Funktionen. Die neueren neuro –
anatomischen Befunde sprechen für eine
Entwicklungsstörung, erlauben es aber
nicht, Schlussfolgerungen bezüglich Aetio-
pathogenese zu ziehen. Welches ist der
Anteil von konstitutionellen, genetischen
(wahrscheinlich erhöhte Empfindlichkeit),
und jener von Umwelt- und epigenetischen
Faktoren? Die Diskussion war lange Zeit
hitzig zwischen den Verfechtern einer psy –
chogenen Sicht: Die Störung hätte einen
psychischen Ursprung, und den Verfech –
tern einer neurobiologischen Ursache, bei
welcher die Störung Folge von «minimalen»
angeborenen Hirnanomalien oder aber ge –
netischen Ursprungs wäre. Diese Diskus –
sion scheint heute künstlich, denn die
Entwicklung der kognitiven Funktionen und
der Persönlichkeit sind untrennbar und
ebenso Folge von neurobiologischen wie
von Umweltfaktoren.
Korrespondenzadresse:
Professeur P. Berquin
Neurologie Pédiatrique Département
de Pédiatrie
Laboratoire de Neurosciences
Fonctionnelles et Pathologie
CNRS 8160
Hôpital Nord – CHU Amiens – France
berquin.patrick@chu-amiens.fr
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Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Professeur Patrick Berquin , Neurologie Pédiatrique, département de Pédiatrie Laboratoire de Neurosciences, CHU Amiens, France