Die akute Bronchiolitis ist die häufigste Infektionskrankheit der unteren Atemwege im ersten Lebensjahr und ist weiterhin einer der häufigsten Gründe für eine Spitalzuweisung bei Kindern in den Wintermonaten. Verschiedene Viren können eine akute Bronchiolitis verursachen, wobei das RS-Virus weitaus am häufigsten ist: Bis zum Alter von 2 Jahren sind fast alle Kinder mit dem RSV infiziert.
Die akute Bronchiolitis ist die häufigste In-
fektionskrankheit der unteren Atemwege
im ersten Lebensjahr und ist weiterhin ei-
ner der häufigsten Gründe für eine Spital-
zuweisung bei Kindern in den Wintermo-
naten. Verschiedene Viren können eine
akute Bronchiolitis verursachen, wobei das
RS-Virus weitaus am häufigsten ist: Bis
zum Alter von 2 Jahren sind fast alle Kin-
der mit dem RSV infizier t
1). Unter den infi-
zier ten Kindern werden etwa 1–2% mit ei-
ner Bronchiolitis hospitaliser t, wobei früh-
geborene Kinder deutlich häufiger davon
betrof fen sind. Todesfälle sind sehr selten
und passieren vor allem bei Kindern mit zu-
grunde liegenden Her z- oder Lungenerkran-
kungen. Trotz grossen For tschritten in der
Pharmakotherapie blieben die wesentlichen
Grundpfeiler des Managements unverän-
der t: Vermeidung von unnötigen Handlun-
gen, ausreichend Flüssigkeitssubstitution,
zusätzliche Sauerstof fgabe und in seltenen
Fällen ist eine Beatmung notwendig
2). Die
zusätzliche Gabe von Medikamenten wird
seit über 40 Jahren heftig diskutier t, syste-
matische Metaanalysen jedoch kommen
zum Schluss, dass keines dieser Medika-
mente den natürlichen Verlauf der Bronchio-
litis beeinflusst noch die Dauer der Hospi-
talisation oder Sauerstof fgabe verkür zt
3).
Zur Er fassung des aktuellen Managements
in der Schweiz haben wir deshalb eine Um-
frage bei den Pädiatern im Herbst 2001
durchgeführ t
4). Von 973 verschickten Fra-
gebögen wurden 542 (58%) zurückge-
schickt, davon behandelten aber nur 422
(78%) Kinder mit akuter Bronchiolitis. Die
Auswer tung der Umfrage zeigte eine gros-
se Variation in der Therapie der Bronchio-
litis.Im ambulanten Bereich (vgl. Tabelle 1 und
Graphik 1)gaben 99% der befragten Pädiater
an, ein kur z wirksames Beta2-Mimetikum
(Salbutamol, z.B. Ventolin
®) zu ver wenden;
62% gebrauchten dieses bei jedem Kind
und 37% manchmal. Anticholinergica
(Ipratropium bromid, Atrovent
®) ver wenden
rund ein Drittel der Pädiater, wobei diesesnur bei 2% der Kinder immer gegeben wird.
Mit Ausnahme von 2 Kinderär zten wird
Ipratropium immer in Kombination mit Sal-
butamol ver wendet. Steroide werden mit
87% ebenfalls sehr häufig ver wendet, ein
Drittel ver wendet dies immer und zwei Drittel
manchmal oder bei Risikokindern (Früh-
geborene, Kinder mit Her z- oder Lungen-
18 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 1 2003
Akute Bronchiolitis –
wie behandeln die Schweizer Pädiater?
La version française de cet ar ticle suivra
70
Immer
Praxis (n = 408) Spital (n = 123)Manchmal Risiko Nie Immer Manchmal Risiko Nie 60
50
40
30
20
10
070
60
50
40
30
20
10
0 Bronchodilatatoren Steroide
Praxis (n = 408) Spital (n = 123)
Graphik 1:Gebrauch von Bronchodilatatoren und Steroiden
in Praxis und Spital
Tabelle 1:Ambulante Behandlung (n = 408)
Immer Manchmal Nur Hochrisiko Nie Keine Antwort
Bronchodilatatoren
• Salbutamol62% 37% 0% 0,5% 0,5%
• Ipratropium bromid2% 27% 1% 40% 30%
Steroide
• Systemisch3% 35% 3% 34% 25%
• Inhaliert35% 48% 2% 9% 6%
• Irgendeines36% 51% 3% 8% 2%
Chromoglycate 3% 15% 0,2% 71% 11%
Antibiotika 2% 36% 18% 38% 6%
Nasentropfen
• Xylometazolin14% 66% 1% 9% 10%
• NaCl 0.9%43% 50% 0% 3% 4%
19 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 1 2003
erkrankungen usw.). Die inhalativen Ste-
roide werden von den Schweizer Pädiatern
den systemischen deutlich vorgezogen. Nur
8% der Kinderär zte ver wenden nie Stero-
ide im ambulanten Bereich. Cromoglykate
werden sehr wenig gegeben (3% immer,
15% manchmal). Antibiotika werden von
2% der Kinderärzte immer verschrieben
und 36% verschreiben ein solches
manchmal, obwohl es sich um eine virale
Erkrankung handelt. Sehr beliebt sind Na-
sentropfen (46% immer, 50% manchmal),
wobei die gewöhnliche Kochsalzlösung
(NaCl 0,9%) deutlich häufiger zur Anwen-
dung kommt als Xylometazolin-Präparate.
Ein Erregernachweis wird im ambulanten
Bereich von 11% der Kinderär zte immer ge-
macht, 49% machen diesen manchmal
bzw. 22% nur bei Risikokindern.
Im Spitalbereich (vgl. Tabelle 2 und Graphik
1)sieht das Bild sehr ähnlich aus: 99% der
Schweizer Pädiater ver wenden ein kur z
wirksames Beta2-Mimetikum (Salbutamol);
57% bei jedem Kind und 42% manchmal.
Ipratropium wird von 5% immer verordnet
und 46% ver wenden es manchmal, wobei
es immer in Kombination mit einem kur z
wirksamen Beta2-Mimetikum ver wendet
wird. Adrenalin wird von 2% der Kinder-
är zte immer gebraucht, 32% benützen es
manchmal. Auch die Steroide kommen im
Spitalmanagement sehr häufig zum Ge-
brauch: 31% ver wenden diese immer und
49% manchmal. Wiederum werden die in-
halativen den systemischen Steroiden
deutlich vorgezogen. Theophyllin wird von
den Spital-Pädiatern selten ver wendet: nur
1% ver wenden es immer und 13% be-
nützen es manchmal. Ribavirin wird eben-
falls sehr selten gebraucht: 2% ver wendenes manchmal und weitere 6% nur bei Risi-
kokindern. Dagegen wird Physiotherapie
sehr häufig verordnet: 36% bei jedem Kind
und 49% manchmal. Internationale Vergleichsstudien zur Behand-
lung der Bronchiolitis sind nur wenige vor-
handen (vgl. Tabelle 3). Eine identische Um-
frage in Australien
3)zeigte, dass die austra-
Tabelle 2:Spitalbehandlung (n = 123)
Immer Manchmal Nur Hochrisiko Nie Keine Antwort
Bronchodilatatoren
• Salbutamol55% 40% 1% 2% 2%
• Ipratropium bromid5% 46% 2% 32% 15%
• Adrenalin2% 32% 4% 42% 20%
• Irgendein57% 42% 0% 1% 0%
Bronchodilator
Steroide
• Systemisch4% 44% 9% 29% 14%
• Inhaliert 30% 45% 3% 16% 6%
• Irgendein Steroid31% 49% 5% 13% 2%
Theophyllin 1% 13% 3% 71% 12%
Ribavirin 0% 2% 6% 82% 10%
Tabelle 3:Internationaler Vergleich der Spitalbehandlung
Schweiz* Europa* Kanada** Australien*(Barben et al. 2002) (Kimpen et al. 1997) (Wang et al. 1996) (Barben et al. 2000)
Bronchodilatatoren:
Alle Patienten57% 61% 85% 7%
Manchmal42% 69%
Nur Hochrisiko-Patienten0% 34% 12%
Nie1% 5% 9%
Steroide:
Alle Patienten31% 11% 28% 1%
Manchmal49% 35%
Nur Hochrisiko-Patienten5% 69% 22%
Nie13% 19% 38%
Ribavirin:
Alle Patienten0% 0% 6% 0%
Manchmal2% 1%
Nur Hochrisiko-Patienten6% 57% 11%
Nie82% 43% 83%
*) Umfrage **) Retrospektive Studie
20 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 1 2003
lischen Pädiater deutlich weniger Medika-
mente zur Behandlung der akuten Bron-
chiolitis einsetzen. Insbesondere werden
Bronchodilatatoren (7% versus 57%) und
Steroide (1% versus 31%) zur Routine-
behandlung im Spital deutlich weniger ver-
wendet als in der Schweiz. Über ein Drit-
tel der australischen Kinderär zte benützen
nie Steroide im Spitalmanagement (38%
versus 13%). Dies ist nicht ganz unerheb-
lich, schätzt man doch allein die Kosten
des Bronchodilatatoren-Verbrauchs für Bron-
chiolitis in den USA auf 37,5 Millionen US-
Dollar pro Jahr. Der Unterschied in der Ver-
schreibungspraxis zwischen Australien und
der Schweiz könnte darauf zurückzufüh-
ren sein, dass in Australien bereits 1993
ein Consensus view zur Behandlung der
Bronchiolitis von den pädiatrischen Pneu-
mologen publizier t wurde
5). In der Schweiz
existieren bis heute keine solchen Empfeh-
lungen.
Zusammenfassend bestehen grosse Un-
terschiede im Management der Bronchio-
litis in der Schweiz. Dabei gelangen auch
Medikamente mit fraglichem Nutzen wie
Steroide und Bronchodilatatoren oft zum
Einsatz. Nationale Empfehlungen könnten
für eine einheitliche Behandlung basierend
auf klinischer Evidenz hilfreich sein.
Wir danken allen Kinderär zten/innen, die
an der Studie mitgemacht haben. Ebenso
danken wir AstraZeneca für die finanzielle
Unterstützung.
Literatur
1) Hammer J. Die RSV-Infektion im Kindesalter. Schweiz
Med Wochenschr 1998; 128: 366–74.
2) Hodge D, Chetcuti PAJ. RSV: Management of the acu-
te episode. Paediatric Respirator y Reviews 2000;
215–20.3) Barben J, Rober tson CF, Robinson PJ. Implementa-
tion of evidence-based management of acute bron-
chiolitis. J Paediatr Child Health 2000; 36: 491–7.
4) Barben J, Hammer J. Current management of acute
bronchiolitis in Switzerland. Swiss Med Wkly 2003;
133: 9–15.
5) Dawson K, Kennedy D, Asher I, Cooper D, Cooper P,
Francis P et al. Consensus view: the management of
acute bronchiolitis. J Paediatr Child Health 1993; 29:
335–7.
Jürg Barben 1, St. Gallen
Jürg Hammer
2, Basel
1Pneumologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen 2Pneumologie und Intensivmedizin, Universitäts-
Kinderklinik beider Basel
Kommentar :
Dieser Artikel gibt uns Gelegenheit, einen Kommentar zur Behandlung der akuten Bronchiolitis in der Schweiz anzubringen.
Beim Durchlesen dieses Textes fällt einem auf, dass die Behandlung der akuten Bronchiolitis durch die Schweizer Kinderärzte, seien sie im Spital, als Mitglied der Schweizerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische Pneumologie oder in der Praxis tätig, keineswegs einheitlich ist.
21 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 1 2003
Dieser Ar tikel gibt uns Gelegenheit, einen
Kommentar zur Behandlung der akuten
Bronchiolitis in der Schweiz anzubringen.
Beim Durchlesen dieses Textes fällt einem
auf, dass die Behandlung der akuten Bron-
chiolitis durch die Schweizer Kinderär zte,
seien sie im Spital, als Mitglied der Schwei-
zerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische
Pneumologie oder in der Praxis tätig, kei-
neswegs einheitlich ist. Diese Mannigfal-
tigkeit ist verständlich, ist doch keine Be-
handlung den anderen überlegen; Studien
zur Wirksamkeit sowie vergleichende Stu-
dien fehlen nicht
1) 2) 3) 4) . Weder Bronchodi-
latatoren (mit Atropinwirkung oder beta 2-
Stimulatoren), weder Theophyllin noch to-
pisch oder systemisch wirkende Steroide
bringen in der akuten Phase Erleichterung.
Höchstens mit dem Vernebler verabreich-
tes Adrenalin verbesser t die Situation; es
gibt jedoch wenig Gründe, welche die sy-
stematische Anwendung dieser Droge
rechtfer tigen. Die Literaturangaben zeigen,
dass ausser einer sorgfältigen Beur teilung
der klinischen Situation (Er fassung von
Risikogruppen, Dif ferentialdiagnose, kli-
nische und oxymetrische Messung des
Schweregrades der Atemnot), Verabrei-
chung von Sauerstof f, Absaugen der obe-
ren Luftwege und adäquater Flüssigkeits-
zufuhr, es keine zusätzliche medikamen-
töse Behandlung gibt, deren Wirksamkeit
bewiesen wäre. Ein «Minisymposium»
5)zu
diesem Thema hat einen sehr schönen
Überblick gebracht, nicht nur in Bezug auf
die aktuelle Behandlung, sondern auch be-
züglich Prävention bei Risikokindern.
Diese Feststellung zwingt uns, unsere Be-
handlungsstrategie zu überdenken und zu-zugeben, dass die verschiedenen thera-
peutischen Ansätze nicht nur unnötig, son-
dern auch kostentreibend sind. Wir sollten
deshalb den Mut aufbringen, darauf zu ver-
zichten diese wenig wirksamen Behand-
lungen anzubieten, deren einzige Wirkung
möglicher weise darin besteht, uns das Ge-
fühl «etwas zu tun» und ein gutes Gewis-
sen zu geben. Um uns behilflich zu sein,
unser therapeutisches Ungestüm zu zü-
geln, scheint mir die Idee, schweizerische
Richtlinien zu publizieren ausgezeichnet
und ich kann die Autoren dieses Ar tikels
nur aufmuntern, in naher Zukunft in die-
sem Sinne zu handeln.
Literaturhinweise:
1) Do bronchodilators have an ef fect on bronchiolitis?
Crit.Care 2002; 2:111-2
2) Randomized, controlled trial of the ef fectiveness of
nebulized therapy with epinephrine compared with al-
buterol and saline in infants hospitalised for acute
viral bronchiolitis. J. Pediatr. 2002; 6:818-824
3) Anticholinergic drugs for wheeze in children under the
age of two years. Chochrane Database. Syst. Rev.
2002; 1: CD1279.
4) Shor t term ef fects of adrenaline in bronchiolitis. Arch
Dis Child. 2002: 4; 1275-9
5) Mini symposium RSV. Paediatric Respirator y Reviews
2000; 1: 215-220
Kommentar:
Akute Bronchiolitis – wie behandeln die Schweizer Pädiater?
Stéphane Guinand, Genf
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Korrespondenz:Dr Stéphane Guinand
Spécialiste FMH en pédiatrie
1, rue Emile-Yung, 1205 Genève
e-mail: sguinand@bluewin.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Jürg Barben , Leitender Arzt Pädiatrische Pneumologie/Allergologie Ostschweizer Kinderspital, St Gallen