Die Adipositas ist Ursache zahlreicher Krankheiten(1) und erzeugt auch in der Schweiz hohe direkte und indirekte Krankheitskosten(2). Adipositas wurde 2000 durch die WHO als Krankheit anerkannt(3), dennoch war im Jahr 2007 im Bundesrat noch die Ansicht vertreten, dass dies keine Krankheit sei und bei Kindern nicht behandelt werden könne. Nur die Prävention sei sinnvoll. pädiatrie schweiz hat 2006 Dr. Josef Laimbacher beauftragt, die Adipositas von Kindern und Jugendlichen national einer evidenzbasierten Betreuung zuzuführen. In der mit allen relevanten Berufsgruppen besetzten «multiprofessionellen» Adipositaskommission wurden ab 2006 Empfehlungen für die Diagnostik(4) sowie die ambulante(5) und stationäre Therapie(6) erstellt und nach Vernehmlassung in der paediatrica publiziert. Erst nach der nationalen Multizenter-Studie von 2008-2013 wurde von der Eidgenössischen Leistungskommission des BAG die Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz als Krankheit anerkannt und deren Behandlung an sich bei strukturiertem multiprofessionellem Vorgehen von den Kostenträgern vergütet(7).
Im vorliegenden Themenheft wird zunächst der Rahmen gegeben durch die aktuellen internationalen Definitionen (Artikel 1). In einem 1. Schritt sucht der Pädiater nach syndromalen bzw. monogenetischen oder sekundären Adipositas-assoziierten Krankheiten (Artikel 2). Von Autor:innen verschiedener Disziplinen werden die genetischen, psychologischen und gesellschaftlichen Ursachen des Übergewichtes (Artikel 1, 2 und 3) sowie der schon früh auftretenden Folgeerkrankungen (Artikel 4) dargestellt und die Verhaltens-basierten multiprofessionellen (Artikel 5) sowie pharmakologischen und chirurgischen Ansätze zur Behandlung zusammengefasst (Artikel 6).
Warum fällt es aber bis heute noch so schwer, Übergewicht und die damit verbundenen Krankheiten zu behandeln? Zum Einen ist die Regulation der Nahrungsaufnahme die Grundlage des körperlichen und psychischen Gedeihens und entspricht einer lebenswichtigen und daher polygen – redundant geregelten Funktion, deren Störungen sich in vielfältigen Krankheitsbildern zeigen. Zum Anderen spiegelt der Gewichtsstatus psychosoziale Einflüsse wider: von der Versuchung durch Medien und Ernährungswerbung bis hin zu Vernachlässigung und seelischen Belastungen. In Unkenntnis der genetischen, psychischen und sozialen Grundlagen sehen sich Menschen mit Übergewicht einer Stigmatisierung ausgesetzt, hierzu Artikel 3.
Die Komplexität der zugrunde liegenden Ursachen des Übergewichts und der Folgeerkrankungen machen die Adipositastherapie für die betreuenden Fachpersonen nicht einfach! Das ruft oft Ohnmachtsgefühle des:der Therapeuten:Therapeutin bei Versagen verschiedener Behandlungsansätze hervor. Die neuerdings auch für Jugendliche verfügbare pharmakologische oder bariatrisch-chirurgische Therapie verlangt sorgfältige Indikationsstellungen und soll nur bei zu erwartender Mitarbeit des:der Patienten:Patientin und seines sozialen Systems angewandt werden. Umso wichtiger ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen, die oft für das Kindesalter noch erarbeitet werden müssen.
Interprofessioneller Austausch in den Behandlungsteams und Supervisionen sind hilfreich, sowohl für die Therapeuten selbst, als auch für die Qualität der Betreuung. Deshalb möchte ich an dieser Stelle zum einen «pädiatrie schweiz» danken, dass den Adipositastherapeut:innen die Gelegenheit gegeben wird, nicht nur zum Wissensstand in der Schweiz zu informieren, sondern auch, sich im Autor:innen-Team zu formieren und auszutauschen und in der Adipositaskommission sowie im Fachverband Adipositas im Kindes- & Jugendalter AKJ enger zusammen zu arbeiten, wozu wir auch die Leser der Paediatrica herzlich einladen möchten.
Zum anderen sind viele Co-Autor:innen aktiv in der Adipositasforschung und dankbar für jede Art der Unterstützung; pädiatrische Adipositas-bezogene wissenschaftliche Projekte finden sich wie folgt in:
- Basel zu funktionellen gastrointestinalen Störungen von Kleinkindern
- Berner Biodatenbank zur Risikostratifizierung & Prävention der Adipositas und deren Folgen, BOCAB(8)
- Genf und St. Gallen zu Outcomes von Therapieprogrammen
- Lausanne zu Schlafstörungen, GLP1-RA und hepatischer Steatose sowie zu pränatalen Einflüssen von Adipositas/ Gestationsdiabetes
- Luzern zu medikamentöser und bariatrischer Therapie sowie früher Prävention
- Zürich zu Grundlagen der Insulinresistenz.
Zum Stand der Projekte informieren die jeweiligen Autor:innen aus den genannten Zentren.
Referenzen
- Rubino F, Cummings DE, Eckel RH et al. Definition and diagnostic criteria of clinical obesity. Lancet Diabetes Endocrinol. 2025 Jan 9:S2213-8587(24)00316-4. doi: 10.1016/S2213-8587(24)00316-4. Epub ahead of print. PMID: 39824205.
- Schneider, H., und W. Venetz (2014): Cost of Obesity in Switzerland 2012. Studie im Auftrag des BAG. Bern: BAG. https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=34024
- WHO. Obesity: preventing and managing the global epidemic. Report of a WHO consultation – PubMed. WHO technical report series 894.World Health Organisation, 2000.
- l’Allemand D, Farpour-Lambert NJ, Laimbacher J. Definition, diagnostisches Vorgehen und Therapie-Indikationen bei Übergewicht im Kindes- und Jugendalter. Paediatrica 2006; 17:13-28
- Farpour-Lambert NJ, Sempach R, l’Allemand D, Laimbacher J. Therapie des adipösen Kindes und Jugendlichen: Vorschläge für multiprofessionelle Therapieprogramme, Paediatrica 2007; 18:33-39
- l’Allemand-Jander D, Knöpfli B, Farpour-Lambert N, Isenschmid I, Laimbacher J, Rutishauser C, Sempach R, Steigert M. Stationäre multiprofessionelle Therapie der schweren Adipositas im Kindes- und Jugendalter: Konsensus Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie. Paediatrica 2011, 22 (4): 6-12. Korrigierte Version vom 16.3.2012.
- l’Allemand D, Farpour-Lambert N, Isenschmid B, Laimbacher J. Übergewichtige Kinder können jetzt umfassend behandelt werden. Schweizerische Ärztezeitung 2014; 95:44
- Biorepository of Obesity in Children and Adolescents in Bern – BOCAB