Co-Benefits einer nachhaltigen Ernährungsberatung in der Kinder- und Jugendmedizin
Zusammenfassung
Die globale Klima- und Umweltkrise manifestiert sich zunehmend als Gesundheitskrise – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Als vulnerabelste Bevölkerungsgruppe leiden Kinder überproportional unter den direkten und indirekten Folgen der Klimakrise. Die Pädiatrie steht damit vor einer doppelten Aufgabe: Sie muss akute Gesundheitsrisiken erkennen und behandeln – und zugleich präventiv wirken, indem sie Ernährung, Umwelt und Gesundheit im Sinne der Planetary-Health-Perspektive zusammenführt(1).
Eine nachhaltige Ernährungsberatung eröffnet dabei besonders wirkungsvolle Handlungsspielräume: Sie kann kindliche Risikofaktoren für Adipositas, Diabetes und andere chronische Erkrankungen reduzieren und gleichzeitig zur Ressourcenschonung und Emissionsminderung beitragen – eine klassische Win-Win-Situation, die unter dem Begriff „Co-Benefits“ wissenschaftlich beschrieben wird(2).
Klimawandel, Gesundheit und Ernährung: Zusammenhänge
Die klimatischen Veränderungen erhöhen die gesundheitlichen Belastungen für Kinder in mehrfacher Hinsicht:
- Hitzestress: Kinder besitzen eine geringere Fähigkeit zur Thermoregulation und eine höhere respiratorische Frequenz. Bereits Temperaturen über 30 °C führen bei Kleinkindern häufiger zu Exsikkose, Erschöpfungssyndromen und epileptischen Anfällen(3).
- Allergene und Luftqualität: Verlängerte Pollensaisons, höhere CO₂-Emissionen und Luftverschmutzung steigern das Risiko von allergischen Erkrankungen. Untersuchungen zeigen, dass die Allergenität von Gräser- und Birkenpollen unter Einfluss von Stickstoff und CO₂ deutlich zunimmt(4,5).
- Infektionserkrankungen: Die Ausbreitung vektorübertragener Krankheiten (z. B. FSME, Dengue) erreicht zunehmend zentraleuropäische Regionen. Kinder sind gegenüber neuen Pathogenen besonders empfindlich(5).
- Naturkatastrophen, Umweltängste („eco anxiety“) sowie ein Gefühl von Kontrollverlust führen bei Kindern zu Angststörungen, Schlafproblemen und Zukunftspessimismus. Frühzeitige Aufklärung, partizipative Bildung und psychische Resilienzförderung sind hier essenziell(6).
Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Kindesalter hat sich in den letzten 30 Jahren weltweit verdreifacht. In der Schweiz gelten heute 1 von 5 Kindern als übergewichtig oder adipös. Diese Entwicklung ist massgeblich auf den hohen Konsum energie- und zuckerreicher, aber nährstoffarmer Lebensmittel zurückzuführen. Zugleich verursacht die westliche Ernährungsweise etwa ein Drittel aller ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen weltweit(7,8).
Die konventionelle Landwirtschaft mit einem starken Fokus auf Viehzucht und Milchbetriebe trägt zudem zum Landverbrauch, Biodiversitätsverlust und Eintrag von Nährstoffen und Chemikalien in die Umwelt bei; ohne Kursänderung könnten die ernährungsbedingten Emissionen bis 2050 um weitere ~80–90 % steigen. Gleichzeitig sind ernährungsassoziierte Krankheiten wie Adipositas und Typ-2-Diabetes weltweit auf dem Vormarsch – Milliarden Menschen sind betroffen. Eine klimagerechte Ernährungsweise bietet die Chance, beide Krisen gleichzeitig anzugehen. So zeigte eine grosse europäische Prospektivstudie (EPIC), dass Menschen mit einer Ernährung, deren Produktion mit den höchsten Treibhausgas-Emissionen und grösstem Landverbrauch einherging, eine um 13 % bzw. 18 % höhere Gesamtmortalität aufwiesen als Personen mit emissionsarmem bzw. flächenschonendem Ernährungsstil(23). Ähnliche Zusammenhänge fanden sich für Herz-Kreislauf-Todesfälle und Krebsraten. Die Autorinnen und Autoren schliessen, dass umweltverträglichere Diäten auch gesundheitlich vorteilhafter sind und ungesunde Ernährungsgewohnheiten, steigende Zivilisationskrankheiten und die Degradation der Umwelt eng miteinander verknüpft sind(24). Solche Erkenntnisse stützen die Forderung, ökologische Perspektiven im Gesundheitssektor – insbesondere in der Ernährungsprävention – mitzudenken.
Co-Benefits: Definition und Bedeutung
Der Begriff Co-Benefits beschreibt gesundheitliche Vorteile, die durch umweltbezogene Verhaltensänderungen entstehen. So senkt eine pflanzenbetonte Ernährung nicht nur das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Typ-2-Diabetes, sondern reduziert auch die ernährungsbedingten Emissionen um bis zu 50 %(9).
Ein anderes Beispiel ist aktive Mobilität – wenn Patienten Strecken zu Fuss oder mit dem Fahrrad zurücklegen, wird nicht nur CO₂-Ausstoss vermieden, sondern auch Bewegung gefördert, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Diabetes senkt.
Die EAT-Lancet-Kommission hat 2019 eine wissenschaftlich fundierte Ernährungsempfehlung vorgelegt, die Gesundheit und planetare Belastungsgrenzen berücksichtigt. Die Planetary Health Diet empfiehlt u. a.(10):
- 300 g Gemüse/Tag, 200 g Obst/Tag
- 232g Vollkorngetreide/Tag
- 75 g Hülsenfrüchte/Tag
- max. 14 g rotes Fleisch/Tag, 250 g Milch/Milchprodukte /Tag
- Reduktion stark verarbeiteter Lebensmittel
Diese Empfehlungen lassen sich über altersadäquate Modulationen in die pädiatrische Ernährungspraxis übertragen. Präventionsmassnahmen in jungen Jahren wirken oft lebenslang und können ganze Krankheitskarrieren verhindern.
Altersangepasste Umsetzung der Planetary Health Diet in der Pädiatrie
Eine direkte Übertragung der Erwachsenenwerte auf Kinder ist nicht möglich, jedoch können die Verhältnisse innerhalb der empfohlenen Lebensmittelgruppen (z. B. Anteil pflanzlicher zu tierischer Eiweisse, Mengenverhältnis Gemüse/Getreide) beibehalten werden. Die untenstehende Tabelle zeigt eine beispielhafte Orientierung, wie die zentralen Elemente der Planetary Health Diet in verschiedenen Altersstufen modifiziert werden können. Grundlage hierfür bilden die altersbezogenen Energiebedarfe gemäss WHO, DGE und FAO, kombiniert mit der EAT–Lancet-Systematik(10,11,12):

Die letzten Jahrzehnte haben eine besorgniserregende Zunahme ernährungsbedingter Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen gebracht. Übergewicht und Adipositas stehen dabei an vorderster Stelle. Laut WHO waren im Jahr 2022 weltweit über 390 Millionen Kinder und Jugendliche (5–19 Jahre) übergewichtig, davon etwa 160 Millionen adipös. Selbst im Vorschulalter (unter 5 Jahren) ist Übergewicht mit rund 37 Millionen betroffenen Kleinkindern kein seltenes Phänomen mehr. Diese Zahlen verdeutlichen einen dramatischen Trend: Übergewicht im Kindesalter hat sich in wenigen Jahrzehnten von einer Randerscheinung zu einer globalen Epidemie entwickelt. So ist die weltweite Prävalenz von Adipositas bei Schulkindern/Adoleszenten von ca. 1–2 % im Jahr 1990 auf über 6 % in jüngster Zeit gestiegen(13,14). Mit der Zunahme des kindlichen Übergewichts manifestieren sich auch sogenannte „Erwachsenenkrankheiten“ immer früher. Typ-2-Diabetes beispielsweise – früher als Altersdiabetes bezeichnet – tritt nun vermehrt bereits bei Jugendlichen auf, parallel zur Adipositasentwicklung. Übergewichtige Kinder haben zudem häufig bereits Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Dyslipidämien oder beginnende Gelenkprobleme. Nicht zu unterschätzen sind auch psychische Folgen und Stigmatisierung.
Neben Überernährung bestehen weiterhin Probleme der Unter- und Mangelernährung, teils im selben Land nebeneinander. Eisen- und Vitamin-D-Mangel sind auch in industrialisierten Ländern bei Kindern verbreitet, während global gesehen Protein-Energie-Malnutrition Millionen Kinder in Armutsländern betrifft. Klimawandel verschärft dieses Problem durch Dürren, Ernteausfälle und steigende Lebensmittelpreise – die WHO prognostiziert zehntausende zusätzliche kindliche Unterernährungs-Todesfälle bis 2030, falls keine Gegenmassnahmen ergriffen werden. Damit zeigt sich die doppelte Last von Über- und Unterernährung, die im Konzept der Global Syndemic gemeinsam mit der ökologischen Krise betrachtet werden muss(13,14,15,16).
Insbesondere die „westliche“ Ernährung, charakterisiert durch hohen Konsum von rotem Fleisch, Wurstwaren, fett- und zuckerreichen verarbeiteten Lebensmitteln und zuckerhaltigen Getränken, fördert die Gewichtszunahme und Insulinresistenz – und weist einen großen CO₂-Fussabdruck auf. Tierische Produkte sind ressourcenintensiv: Allein die Fleisch- und Milcherzeugung verursacht rund 15 % der globalen Treibhausgasemissionen – etwa so viel wie der gesamte weltweite Verkehrssektor. Für 1 kg Rindfleisch werden im Schnitt 15.500 Liter Wasser verbraucht, verglichen mit ~700 Litern für 1 kg Äpfel oder ~180 Litern für 1 kg Tomaten. Zudem beansprucht die Tierhaltung ~80 % der landwirtschaftlichen Flächen, was Lebensräume zerstört und indirekt Risiken wie Zoonosen und Pandemien begünstigt. Wenn man nun die Ernährungsgewohnheiten auf die Gesundheit bezieht, dann zeigen epidemiologische Studien eine höhere Sterblichkeit und eine grössere Anzahl von Krebserkrankungen bei Menschen mit einer besonders fleisch- und emissionsreichen Ernährung auf. Umgekehrt gehen pflanzenbasierte Ernährungsformen mit geringerem Übergewichtsrisiko und besserer kardiometaboler Gesundheit einher, wie viele Untersuchungen nahelegen. Zugleich verursachen sie signifikant weniger Treibhausgase und Umweltbelastung(17).

1. Patientengespräche in Sprechstunde und Beratung:
In der Ernährungsanamnese und -beratung sollte gezielt nach den Essgewohnheiten gefragt und auf Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Empfohlen wird eine überwiegend pflanzliche Kost nach dem Vorbild der Planetary Health Diet – reich an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten und Nüssen, mit moderatem Anteil an tierischen Produkten (vorzugsweise Milchprodukte, Geflügel oder Fisch) und wenig rotem bzw. verarbeitetem Fleisch. Dabei sollte betont werden, dass es sich um wissenschaftlich fundierte Empfehlungen handelt und keineswegs um eine „verbietende Diät“. Vielmehr geht es um Vielfalt und Qualität: Pflanzliche Lebensmittel liefern Ballaststoffe, Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe, während ein Zuviel an Fleisch und ultra-verarbeiteten Snacks erwiesenermassen mit Gesundheitsrisiken einhergeht. Eltern kann vermittelt werden, dass eine solche Ernährung nicht nur das Risiko für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden senkt, sondern auch die Zukunft ihres Kindes schützt, indem sie zur Reduktion der Klimakrise beiträgt – ein starkes Motivationsargument (Co-Benefit). Wichtig ist, kulturelle und soziale Gegebenheiten zu berücksichtigen und praktische Tipps zu geben, z. B. wie man liebgewonnene Familiengerichte gesünder abwandeln kann. Auch die Diskussion von Vorbehalten (etwa Sorge um Protein- oder Calciumversorgung bei weniger Fleisch/Milch) sollte proaktiv erfolgen. Hier kann auf Studien und Erfahrungswerte verwiesen werden, die zeigen, dass bei gut geplanter Mischkost alle Nährstoffe ausreichend zugeführt werden können. Gegebenenfalls sind Supplemente (z. B. Vitamin B₁₂ bei rein pflanzlicher Kost) oder angereicherte Lebensmittel zu thematisieren. Die Botschaft sollte sein: «Eine gesunde Planetary-Health-Ernährung ist auch für Kinder möglich – sie muss nur ausgewogen gestaltet sein». Dabei sollen Genuss und Freude am Essen erhalten bleiben.
2. Integration in Vorsorgeuntersuchungen:
Die regelmässigen kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen) bieten ideale Gelegenheiten, nachhaltige Ernährung anzusprechen. Schon im Säuglingsalter können Stillförderung und die Einführung einer vielseitigen Beikost unter Einbezug pflanzlicher Komponenten thematisiert werden. Im Kleinkind- und Schulalter ist Ernährungsberatung oft Teil der Adipositasprävention – hier sollte der Qualitätsaspekt (viel frische, pflanzliche Kost, wenig stark Verarbeitetes) stets mit dem quantitativen Aspekt (Kalorienbalance) verknüpft werden. Anhand von kindgerechten Materialien (z. B. Bilderbücher über Obst und Gemüse, Poster der Ernährungspyramide mit Planetary-Health-Diät-Elementen) kann das Thema anschaulich gestaltet werden. Es hat sich bewährt, mit positiven Botschaften zu arbeiten („Was sollte häufig auf dem Teller sein?“) statt nur vor Ungesundem zu warnen. Im Jugendalter können auch Umweltthemen offen angesprochen werden – viele Jugendliche sind heute für Klimaschutz sensibilisiert (Stichwort Fridays for Future) und begrüssen Tipps, wie sie durch ihr eigenes Verhalten einen Beitrag leisten können. Die Vorsorgeuntersuchung kann z. B. genutzt werden, um zu fragen: „Weisst du, wo dein Essen herkommt?“ oder „Hast du schon einmal vom CO₂-Fussabdruck von Lebensmitteln gehört?“ – um dann edukativ anzuknüpfen. Auch Screenings: Bei deutlich übergewichtigen Jugendlichen sollte routinemässig nach Lebensstil inkl. Ernährung und Bewegung gefragt und Hilfsangebote gemacht werden (Überweisung zu Ernährungsberatung, Bewegungsprogramme etc.), immer mit dem Hinweis auf die langfristigen Vorteile und Co-Benefits des Lebensstilwandels.
3. Schul- und Kita-Kooperationen:
Da ein Grossteil der kindlichen Lebenswelt in Bildungsinstitutionen stattfindet, sind Kooperationen zwischen pädiatrischem Fachpersonal und Schulen/Kindergärten äusserst wertvoll. Kinderärzt:innen könnten z. B. im Rahmen von Elternabenden oder Projekttagen Vorträge über „Gesunde und nachhaltige Kinderernährung“ anbieten. Einige Regionen etablieren bereits Programme, bei denen Mediziner:innen in Schulen Aufklärungsarbeit leisten. Hier können Inhalte des Lernzielkatalogs Gesundheits- und Klimakompetenz(18) genutzt werden: Dieser kürzlich vorgelegte Katalog beschreibt detailliert, welches Wissen junge Menschen brauchen, um Gesundheitsfragen fundiert zu entscheiden und Klimaschutzaspekte mit einzubeziehen. Er wurde unter Beteiligung von Bildungs- und Klimaexpert:innen entwickelt und könnte Lehrer:innen wie auch Gesundheitsexperten als Leitfaden dienen. Pädiater:innen können Schulen auf solche Materialien hinweisen und sich aktiv einbringen, um Gesundheits- und Klimakompetenz gemeinsam zu fördern. Konkrete Ansatzpunkte sind z. B. Projektwochen zu nachhaltiger Ernährung, Schulgarten-Initiativen (Urban Gardening), oder die Begleitung der Schulverpflegung. Eine Zusammenarbeit mit Caterern und Schulbehörden kann darauf hinwirken, dass in Kitas und Schulen vermehrt frisch gekochte, ausgewogene und regionale Speisen angeboten werden, mit täglich vegetarischen Optionen nach den Richtlinien der Planetary Health Diet. Beispielhafte Modelle existieren bereits, etwa Schulen, die sich am Netzwerk der Club-of-Rome-Schulen beteiligen – einem Zusammenschluss von derzeit 25 Schulen in Deutschland, an denen Bildung für nachhaltige Entwicklung praktisch gelebt wird. Dort lernen über 12.000 Schüler:innen alltagsnah, wie nachhaltiges Handeln aussieht, inklusive gesundem Essen und Bewegung. Pädiater:innen könnten solche Schulen als Vorbilder nennen und Eltern ermutigen, sich auch bei der Schulverpflegung ihrer Kinder für Verbesserungen einzusetzen (z. B. in Elternbeiräten)(19).
4.Interdisziplinäre Netzwerke und Öffentlichkeit:
Die Thematik „Klimawandel und Kindergesundheit“ sollte vermehrt in Fachkreisen und Öffentlichkeit diskutiert werden. Pädiater:innen können sich in Netzwerken engagieren, etwa bei Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz oder Health for Future, um Erfahrungen auszutauschen und Materialien zu erarbeiten. Kampagnen wie „12 mois – 12 actions“ aus der Schweiz liefern Inspiration: Diese vom Universitätsspital Genf und der dortigen Pädiatrischen Gesellschaft initiierte Kampagne ermuntert Haus- und Kinderärzt:innen, jeden Monat ein konkretes Klima- und Gesundheitsthema in den Praxisalltag einzubauen, um Patient:innen für den nötigen Wandel zu sensibilisieren. Solche Ideen liessen sich adaptieren, z. B. Monatsaktionen im Wartezimmer (Themenplakate, kurze Infoflyer: Januar = „zu Fuss zur Schule“, Februar = „ökofreundliches Frühstück“, etc.). Auch Fortbildungen und Qualitätszirkel zur klimabewussten Pädiatrie sind sinnvoll, damit sich das Personal sicher in der Materie bewegt und evidenzbasierte Empfehlungen geben kann. Schliesslich sollte die eigene Praxis so gut es geht nachhaltig geführt werden – das Vorleben umweltfreundlicher Massnahmen (Müllvermeidung, Recycling, Energiesparen in der Praxis, bevorzugt regionale Arzneimittel oder Medizinprodukte mit geringem Fussabdruck, etc.) unterstreicht die Glaubwürdigkeit der Beratung.
Das Toolkit Planetary Health der FMH bietet ambulanten Arztpraxen Handlungsmöglichkeiten zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgasemissionen(20,21,22).
Mit diesen Massnahmen wird die Kinderarztpraxis zu einem Ort der Transformation: Eltern und Kinder erfahren aus erster Hand, dass Gesundheit und Umweltschutz Hand in Hand gehen. Dies kann einen Multiplikatoreffekt haben, wenn Familien diese Ratschläge in ihren Alltag integrieren und vielleicht an ihr Umfeld weitergeben. Wichtig ist, die Empfehlungen immer an die jeweilige individuelle Situation anzupassen, da nicht alle Familien sofort biologische und regionale Produkte kaufen oder täglich frische Produkte kochen können. Auch kleine Veränderungen, wie ein «Veggi-Tag» pro Woche oder die Umstellung von zuckerhaltigen Getränken auf Leitungswasser, sind zu begrüssen und zu fördern.
Wichtig ist, die Theorie in die Praxis zu überführen. Dies erfordert Engagement, Aufklärung und oft auch Pioniergeist. Nicht jede Familie wird anfangs Verständnis für Klimathemen in der Kinderarztpraxis haben. Doch wenn es uns gelingt, die Vorteile anschaulich zu machen – etwa mit dem Hinweis, dass gemeinsames Kochen mit frischen Zutaten nicht nur gesund ist, sondern auch das Familienleben bereichert und die Umwelt schont – dann stossen wir auf offene Ohren. Die jüngere Generation ist zudem häufig sehr empfänglich für Umweltthemen; hier können Ärzt:innen als glaubwürdige Vorbilder auftreten, die wissenschaftliche Fakten mit empathischer Beratung verbinden.
Schlussfolgerung
Die Verknüpfung von Pädiatrie und Klimaschutz ist kein „Luxusthema“, sondern angesichts der globalen Entwicklungen eine Notwendigkeit. Nachhaltige Ernährungsberatung in der Kinder- und Jugendmedizin ist dabei ein effektiver Ansatzpunkt, der unmittelbar umsetzbar ist und grosse Wirkungen entfalten kann. Jede Praxis, jedes Gespräch zwischen Ärzt:innen und Patient:innen kann ein Ort des Wandels sein – hin zu einem Lebensstil, der Kindern Gesundheit und eine Zukunft schenkt. Nutzen wir diese Chance, denn die Gesundheit der kommenden Generation wird massgeblich davon abhängen, wie wir heute handeln.
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Weitere Informationen
Autor:innen
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Dr. med. Sabine HeselhausFachärztin Chirurgie Adligenswil, Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Kantonsrätin Luzern