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Epidemiologie, Ätiologie, Diagnostik, Folgekrankheiten und Therapieansätze der pädiatrischen Adipositas: Schweizerische und internationale Empfehlungen

Adipositas

Der Originalartikel wurde auf Französisch verfasst.

Einführung

Die globale Adipositas-Epidemie stellt ein bedeutendes gesundheitliches, gesellschaftliches und ökonomisches Risiko dar. Nur ein kleiner Anteil der Kinder und Jugendlichen, die von einer Behandlung profitieren würden, haben Zugang zu einer hochwertigen medizinischen Versorgung(1). Die frühzeitige Diagnostik und Behandlung der Adipositas sollte als Priorität betrachtet werden, da bei jungen Menschen nicht nur innerhalb eines kurzen Zeitraums Komplikationen auftreten können, sondern sie auch mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter von Adipositas betroffen sein können, was sie wiederum dem Risiko zahlreicher nichtübertragbarer Krankheiten (NCD) aussetzt, wie Diabetes Typ II, kardiovaskulären Erkrankungen, bestimmten Krebsarten sowie psychischen Erkrankungen(2).

Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Die weltweite Prävalenz von Übergewicht einschliesslich Adipositas ist bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 19 Jahren von gerade einmal 4 % im Jahr 1975 auf 18 % im Jahr 2016 angestiegen(3).

Für die Schweiz liegen keine Daten für Kinder unter 5 Jahren vor, obwohl sie von entscheidender Bedeutung für die frühzeitige Erkennung und Behandlung sind. Im Jahr 2017 waren 11,7 % der Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren übergewichtig und 3,3 % von Adipositas betroffen; die Zahlen unterschieden sich nicht signifikant bei Jungen und Mädchen. Der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen (1999: 14,5 %; 2017: 11,7 %) und derjenigen mit Adipositas (1999: 2,2 %; 2017: 3,3 %) ist im Laufe der Zeit relativ stabil geblieben(4). Im Schuljahr 2022/23 waren in den Städten Basel, Bern und Zürich 16,7 % der untersuchten Kinder übergewichtig (einschliesslich adipös), was einen leichten Rückgang (0,8 %) im Vergleich zum Vorjahr zeigt, insbesondere in der Basisstufe, in der Mitte- und Oberstufe sind die Werte hingegen stabil geblieben(5). Zwischen den Geschlechtern wurden nur leichte Unterschiede festgestellt. In dieser Studie waren 4,3 % der Schüler:innen von Adipositas betroffen, und dieser prozentuale Anteil nimmt bei Schüler:innen in der Oberstufe immer weiter zu. In Ländern mit hohem Einkommen wurde bereits gezeigt, dass Kinder von Eltern ohne nachobligatorische Ausbildung einen noch höheren Anteil von Übergewicht und Adipositas aufweisen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die in der Schweiz veröffentlichten Prävalenzen wahrscheinlich unterbewertet sind, da sie auf Grundlage der höher festgelegten Referenzwerte von Cole et al.(6) berechnet wurden und nicht anhand der von der WHO festgelegten Grenzwerte und den Perzentilenkurven, die in der Schweiz als Referenz verwendet werden(7, 8).

Definition und Diagnosekriterien

Gemäss Definition der WHO ist Adipositas eine chronische und komplexe Erkrankung, die durch eine übermässige oder über das Normalmass hinausgehende Vermehrung des Körperfetts gekennzeichnet ist, welches die Gesundheit schädigen kann(9). Adipositas wird im Allgemeinen durch anthropometrische Methoden berechnet und mit dem Body Mass Index (BMI, Körpergewicht/Körpergrösse2, kg/m2) und dem Standard Deviation Score (SDS) oder den BMI-Perzentilen für Säuglinge, Kinder und Jugendliche ausgedrückt. Die BMI-Kategorien, anhand derer Übergewicht und Adipositas festgelegt werden, variieren je nach Alter und Geschlecht. Die schweizerischen Gewichtskurven basieren auf den BMI-Standards (0–5 Jahre) und -Referenzwerten (5–19 Jahre) der WHO(8, 10). Kinder und Jugendliche gelten als übergewichtig, wenn der BMI für das Alter und Geschlecht über der 90. Perzentile liegt, bei einem BMI über der 97. Perzentile liegt eine Adipositas vor und bei einem BMI über dem Perzentilenwert von 99,5 eine extreme Adipositas.

Allerdings ist der BMI keine direkte Messgrösse für den Körperfettanteil, der dabei unterschätzt (z. B. bei Patient:innen mit reduzierter Muskelmasse, wie beim Prader-Willi-Syndrom) oder überschätzt (z. B. bei Sportler:innen) werden kann. Deshalb wurde im Januar 2025 eine neue internationale Definition von der Kommission für Klinische Adipositas der Zeitschrift Lancet Endocrinology & Diabetology, an der Expert:innen sowie Vertreter:innen von Patient:innen und der WHO beteiligt sind, vorgeschlagen(11). In dieser Definition wird zwischen präklinischer Adipositas und klinischer Adipositas unterschieden, wobei letztgenannte durch eine direkte Funktionsbeeinträchtigung von Gewebe/Organen und/oder erheblichen Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten aufgrund des überschüssigen Körperfetts gekennzeichnet ist. Bei Kindern und Jugendlichen kann das Vorhandensein und der Schweregrad der Organfunktionsstörungen in Zusammenhang mit der Adipositas individuell variieren. Üblicherweise werden nur präklinische Symptome beobachtet, was wahrscheinlich auf die kürzere Dauer der Krankheitsexposition zurückzuführen ist.

Im Einklang mit den Empfehlungen aus dem Jahr 2006 von der Adipositas-Kommission von Pädiatrie Schweiz(12) schlägt die Kommission für klinische Adipositas der Lancet vor, neben dem BMI mindestens ein weiteres anthropometrisches Kriterium (Taillen-/Hüft-Ratio oder Taillen-/Grössen-Ratio) oder eine direkte Messung des Körperfettanteils, sofern diese verfügbar ist (Densitometrie DXA), hinzuzufügen, wobei validierte Methoden und dem Alter, Geschlecht und der ethnischen Zugehörigkeit entsprechende Grenzwerte angewendet werden sollen. Allerdings kann man bei jungen Menschen mit einem stark erhöhten BMI (P > 99,5) pragmatisch von überschüssigem Körperfett ausgehen.

Unabhängig vom Ausmass der Beeinträchtigung von Gewebe/Organen und/oder der Funktionseinschränkungen sollten alle Kinder und Jugendlichen mit Adipositas Zugang zu einer hochwertigen, evidenzbasierten Behandlung haben, mit dem Ziel, die klinischen Manifestationen der Adipositas zu verhindern bzw. eine Verbesserung herbeizuführen. Die Patient:innen mit extremer oder komplexer Adipositas (z. B. mit Anzeichen einer Beeinträchtigung von Gewebe/Organen und/oder Funktionseinschränkungen, früh manifeste Adipositas mit dem Verdacht auf eine genetische Ursache etc.) sollten an pädiatrische Spezialist:innen überwiesen werden.

Ätiologie

Primäre Adipositas

In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich bei der Adipositas um eine multifaktorielle Erkrankung aufgrund einer «obesogenen» Umwelt (z. B. verarbeitete Lebensmittel mit hoher Energiedichte, Marketing, Portionsgrössen, bewegungsarmer Lebensstil, Schlafmangel, hormonell wirksame Chemikalien etc.), psychosozialen Faktoren und genetischer Varianten(2). Die Erblichkeit von Adipositas liegt geschätzt bei 40 bis 70 %; und das Risiko für kindliche Adipositas wird stark vom Gewichtsstatus der Eltern beeinflusst, insbesondere wenn beide Elternteile von der Erkrankung betroffen sind(13).

Während der Schwangerschaft können mütterliche Adipositas vor der Empfängnis, übermässige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, eine unausgewogene Ernährung sowie Exposition gegenüber hormonell wirksamen Stoffen die Gesundheit des Fötus sowie das Risiko für Adipositas beeinflussen, ebenso wie für NCD im Laufe des Lebens, durch mögliche Veränderungen der metabolischen Programmierung, der hormonellen Steuerung und der Genregulation(14).

Die neuroendokrinen Mechanismen (siehe Artikel 2), die die Nahrungsaufnahme, den Stoffwechsel und die Speicherung von Fett steuern, können eine Erklärung dafür liefern, warum manche Kinder und Jugendliche in einer «obesogenen» Umgebung anfälliger für eine Gewichtszunahme sind(15). Durch Schlafmangel können diese Mechanismen ebenfalls gestört werden, es stehen dadurch ausserdem mehr Zeit und Gelegenheiten zu essen zur Verfügung, körperliche Aktivität nimmt ab, was dann wiederum zu einer übermässigen Gewichtszunahme führen kann(16). All diese Faktoren verhindern zusätzlich eine Gewichtsabnahme und fördern stattdessen eine weitere Zunahme.

Letztlich ist auch bekannt, dass psychosoziale Gesundheitsfaktoren, wie z. B. negative Erlebnisse in der Kinderheit, Traumata, chronischer Stress und Mobbing zu psychischen Erkrankungen sowie Essstörungen und infolge dessen Adipositas beitragen (siehe Artikel 3)(17).

Sekundäre Adipositas

Bei einer kleinen Untergruppe der Patient:innen können, wichtige spezielle ätiologische Faktoren festgestellt werden, wie Krankheiten, Immobilisation, Medikamente, iatrogene Einflüsse, erbliche monogene Mutationen oder genetische Syndrome.

Bestimmte körperliche Störungen oder Krankheiten können bei Kindern und Jugendlichen zu Adipositas beitragen oder sie verursachen(18), darunter: Schädigungen des Hypothalamus (z. B. Kraniopharyngeom, Trauma), Immobilisation von längerer Dauer (z. B. Femurfraktur, komplexes regionales Schmerzsyndrom nach Fraktur, Morbus Perthes), Schlafstörungen, psychische Störungen (z. B. Angststörung, Depression, Essstörung) und sehr selten Hypothyreose, Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom) oder ein Wachstumshormonmangel etc.).

Des Weiteren können bestimmte Medikamente zu einer übermässigen Gewichtszunahme führen und die Behandlung der Adipositas erschweren. Hierzu gehören atypische Antipsychotika, Antikonvulsiva, Phasenprophylaktika, bestimmte Antidepressiva (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer – SSRIs, trizyklische Antidepressiva), Medikamente gegen Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität (Guanfacin) oder gegen Migräne(19).

Monogene oder syndromale Formen der Adipositas sind selten (siehe Artikel 2)(20). Die überwiegende Mehrheit der monogenen Störungen als Ursache der kindlichen Adipositas hängen mit neuroendokrinen Wegen, die den Appetit steuern, zusammen. Die häufigsten mit Adipositas assoziierten Syndrome bei Kindern sind das Prader-Willi-Syndrom, das Alström-Syndrom und das Bardet-Biedl-Syndrom. Bei der ersten Adipositasbewertung (siehe Entscheidungsbaum, Artikel 2) wird die Suche nach bestimmten Symptomen oder spezifischen Anzeichen empfohlen, wie ein frühes Auftreten der Adipositas (< 5 Jahren), Störungen der Appetitregulation (Hyperphagie), psychomotorische Entwicklungsverzögerung, Wachstumsverzögerung, Hypotonie, Auffälligkeiten der Sinneswahrnehmung, Knochenfehlbildungen oder Hypogonadismus. Im Falle von monogenen oder syndromatischen Adipositasformen spielen Verhaltensweisen und Umweltfaktoren eine untergeordnete Rolle.

Folgen

Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann sowohl über kurze als auch lange Zeit viele Krankheiten oder körperliche und psychische Störungen verursachen (siehe Artikel 4)(11). Manche Gesundheitsprobleme sind auf die übermässige Körperfettablagerung im Gewebe zurückzuführen (z. B. Schlafapnoe, gastroösophagealer Reflux, Hypoventilationssyndrom usw.) oder auf eine übermässige mechanische Belastung (z. B. Valgusstellung des Kniegelenks, Tibia vara, Hyperlordose oder Epiphyseolysis capitis femoris). Andere Komplikationen entstehen durch eine Veränderung des Stoffwechsels oder des Hormonsystems (z. B. Insulinresistenz und Glukoseintoleranz, Dyslipidämie usw.) oder durch Stigmatisierung in Zusammenhang mit dem Übergewicht (siehe Artikel 3).

Kinder und Jugendliche mit Adipositas können erfahrungsgemäss Verspottungen oder Mobbing ausgesetzt sein, was wiederum einen negativen Einfluss auf das Selbstwertgefühl, die psychische Gesundheit, schulische Leistungen usw. hat (siehe Artikel 3)(21). Die durch die Stigmatisierung entstehenden psychosozialen Beeinträchtigungen können dadurch, dass eine negative Feedbackschleife von Stigmatisierung und weiterer Gewichtszunahme entsteht, die Behandlung der Adipositas behindern. Die Angst vor Verurteilung kann Eltern von der Konsultation einer medizinischen Fachkraft für ihr Kind abhalten. Deshalb ist es wichtig, in der Kommunikation während der Behandlungsdauer empathisch und respektvoll zu sein, indem zunächst das Kind bzw. der oder die Jugendliche um Erlaubnis gefragt wird, über sein:ihr Gewicht zu sprechen und durch Verwendung einer personenzentrierten Sprache.

Wenn weitere mit der Adipositas assoziierte Erkrankungen/Störungen oder Komorbiditäten vorliegen, kann das die Therapie verkomplizieren, und diese müssen bei der klinischen Entscheidung bezüglich der Indikationen und der Behandlungsart berücksichtigt werden. Folglich muss eine Bewertung dieser Erkrankungen regelmässig im Verlauf der Betreuung erfolgen.

Auf lange Sicht zählt die Adipositas zu den Hauptrisikofaktoren für zahlreiche NCD, welche wiederum zu den häufigsten Ursachen für Todesfälle, Behinderung und Kosten für das Gesundheitswesen in der Schweiz sowie der europäischen Region der WHO gehören(2). Je höher der BMI in der Kindheit ist, desto höher ist auch das Risiko für die Entwicklung einer mit der Adipositas assoziierten NCD im Erwachsenenalter. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass die Remission von Übergewicht bis zum Abschluss des Jugendalters das Risiko für Diabetes Typ II reduzieren kann(22). Deshalb muss Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in einem frühen Stadium diagnostiziert und behandelt werden, um kurz- und langfristig Organschäden vorzubeugen.

Vor Beginn der Behandlung sind die Durchführung einer genauen Anamnese (Tabelle 1), anthropometrische Messungen und eine klinische Untersuchung (Tabelle 2) sowie gezielte Abklärungen (Tabelle 3) von grosser Bedeutung für die Diagnosestellung, Identifikation der Ursachen der Adipositas, Erkennung von damit assoziierten Erkrankungen/Störungen und/oder Komorbiditäten sowie das Aufdecken positiver wie negativer Einflussfaktoren auf die Behandlung (siehe Artikel 4)(18, 23). Wenn der:die behandelnde Ärzt:in beabsichtigt, den:die Patient:in in ein spezialisiertes Zentrum oder in eine Spezialsprechstunde zu überweisen, sollte mit der Durchführung der Abklärungen besser abgewartet werden.

Tabelle 1. Anamnese
Tabelle 2. Anthropometrische Messungen und klinische Untersuchung
Tabelle 3. Untersuchungen

Therapieansätze

(siehe auch Artikel 5 und 6)

Nachfolgend aufgeführt sind die Hauptziele der Behandlung der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen:

  1. Unterstützung der Verhaltensänderung der Patient:in und ihrer Familie;
  2. Reduktion der Risikofaktoren, Vorbeugung oder Verhinderung der frühzeitigen Entwicklung von NCD;
  3. Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität;
  4. dementsprechend Verringerung der Gewichtszunahme während des Wachstums bzw. Gewichtsabnahme nach Abschluss des Wachstums und Absenken der BMI-Perzentile, des Taillenumfangs oder Taillen-/Grössen-Ratio (sowie des Körperfettanteils, sofern dieser gemessen wurde).

Die Behandlung wird individuell an die jeweiligen Bedürfnisse, Erwartungen, Ressourcen und Motivation der Patient:innen und deren Familien angepasst. Es wird empfohlen, sich auf die körperliche und psychische Gesundheit des Kindes bzw. der Jugendlichen zu konzentrieren, und nicht nur auf die Stabilisierung des Gewichts oder die Gewichtsabnahme.

Folgende Möglichkeiten können angeboten werden(2, 23):

  1. Multimodale Massnahmen, die auf die Verhaltensänderung der Patient:in und deren Familie abzielen; diese können im Rahmen der ärztlichen Praxis und der medizinischen Grundversorgung (multiprofessionelle Gruppenprogramme – MGP oder multiprofessionelle strukturierte Individualtherapie – MSIT), in Zusammenarbeit mit weiteren medizinischen Fachkräften (Pflegekräfte, Ernährungsberater:innen, Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen, Psychiater usw.) erfolgen(24). Es sollte die ganze Familie mit einbezogen werden.
  2. Eine Psychotherapie, kognitive Verhaltenstherapie oder Familientherapie kann ebenfalls ergänzend vorgeschlagen werden, je nach Bedarf des Kindes oder der Jugendlichen.
  3. Für Jugendliche mit Adipositas, die nicht optimal auf die Massnahmen ansprechen, ist die Pharmakotherapie ein vielversprechender Ansatz (siehe Artikel 6). Adipositasspezialisten oder pädiatrische Endokrinolog:innen können Medikamente mit spezifischen Indikationen verschreiben(25).
  4. Die bariatrische Chirurgie kann zu einer signifikanten und dauerhaften Reduktion des BMI (und der Körperfettmasse) bei Jugendlichen mit schwerer Adipositas nach Abschluss des Wachstums führen sowie auch zu einer Verbesserung der mit der Adipositas assoziierten Komplikationen. Allerdings benötigt man hierfür ein multidisziplinäres Team aus Spezialist:innen und eine langfristige Nachsorge (auf tertiärer Versorgungsebene)(26).

Ganzheitlicher Ansatz

Umweltfaktoren werden als Hauptgrund für den enormen Anstieg der Prävalenz von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen angesehen. Daher sind für den Kampf gegen Adipositas bei jungen Menschen ganzheitliche Massnahmen in verschiedenen Bereichen erforderlich, darunter insbesondere folgende(27):

  1. Umsetzung von Massnahmen, die eine gesündere Lebensumgebung zum Ziel haben, durch Interventionen in Schulen sowie an Orten, wo Kinder und Jugendliche leben, lernen und spielen;
  2. Stärkung der persönlichen Fähigkeiten sowie die ihrer Familien, damit sie sich in Entscheidungen, die sie betreffen, einbringen können;
  3. Anerkennung der Adipositas als chronische Krankheit und Verbesserung des Zugangs für junge Menschen zu hochwertiger, evidenzbasierter Behandlung gemäss den Prinzipien der Grundversorgung.

Schlussfolgerungen

  • Adipositas ist eine komplexe chronische Krankheit, die eine grosse Belastung für die Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft darstellt.
  • Genetische, biologische, metabolische sowie Verhaltens- und Umweltfaktoren spielen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Adipositas und können gleichfalls Hindernisse in der Behandlung darstellen.
  • Die polygene Adipositas ist häufig, wohingegen monogene oder syndromale Formen selten sind.
  • Die frühzeitige Diagnostik und Behandlung der Adipositas in der Kindheit sind von grosser Bedeutung, um der Entwicklung von nicht übertragbaren Krankheiten, die mit Adipositas assoziiert sind, vorzubeugen bzw. diese zu lindern.
  • Die Wachstumskurven (BMI-Perzentilen)(7) sind bei der Erkennung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ein nützliches Instrument.
  • Die Ergänzung des Taillenumfangs und Taillen-/Grössen-Ratio sowie die Suche nach möglicherweise vorhandenen Schädigungen von Gewebe/Organen im Zusammenhang mit der Adipositas und die Bewertung der Funktionsfähigkeit ermöglichen, Risikopatient:innen zu identifizieren und die Behandlung individuell anzupassen.
  • Eine positive Haltung und gute Kommunikationsfähigkeiten sind wichtig für die Etablierung einer guten therapeutischen Beziehung zwischen Patient:in, Familie und Ärzt:in sowie zur Vorbeugung von Stigmatisierung.
  • Die Hauptziele der Behandlung sind Förderung und Begleitung der Verhaltensveränderungen der Patient:innen und deren Familien, um so die körperliche und psychische Gesundheit zu verbessern, übermässiges Körperfett im Wachstumsverlauf zu reduzieren und der Entwicklung von Komplikationen vorzubeugen bzw. diese zu lindern.
  • Pädiater:innen und Allgemeinmediziner:innen haben die Verantwortung, Adipositas und damit assoziierte Erkrankungen/Störungen zu erkennen, die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern (oder die Personen, die sich um sie kümmern) zu begleiten, um eine angemessene Betreuung einzurichten.
  • Patient:innen mit einer frühzeitig eingetretenen Adipositas, bei denen eine genetische Ursache zu vermuten ist, sowie diejenigen mit Anzeichen und Symptomen von Schädigungen von Gewebe/Organen im Zusammenhang mit der Adipositas, sollten in spezialisierten Zentren oder Spezialsprechstunden überwiesen werden.
  • Die Schulung und Unterstützung der Familie ist für eine optimale Betreuung von grösster Bedeutung. Ein besonderes Augenmerk sollte auf vulnerable Patientenpopulationen gerichtet werden.
  • Multiprofessionelle Verhaltensmassnahmen, sowohl individuell oder in der Gruppe, können zu einem leichten Rückgang des BMI-SDS führen sowie zu einer Verbesserung des körperlichen und psychischen Gesundheitszustands bei Kindern und Jugendlichen jeden Alters.
  • Für Jugendliche mit Adipositas, die nicht optimal auf die Verhaltensmassnahmen ansprechen, ist die Pharmakotherapie ein vielversprechender Ansatz, allerdings sind in der Schweiz die Optionen hierbei noch begrenzt.
  • Die bariatrische Chirurgie kann eine dauerhafte Reduktion des BMI bei Jugendlichen mit schwerer Adipositas bewirken. Allerdings benötigt man hierfür ein multidisziplinäres Spezialistenteam.

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Autoren/Autorinnen
Dr med. Nathalie J. Farpour-Lambert, Programme Contrepoids, Unité d’éducation thérapeutique pour maladies chroniques, Département de médecine de premier recours, HUG, Genève
PD Dr. med. Christoph Saner, Medizinische Universitätskinderklinik, Abteilung für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Inselspital, Bern
Dr. med. Marco Janner, Medizinische Universitätskinderklinik, Abteilung für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Inselspital, Bern
PD Dr. med. Tanja Karen, Kinderspital und Adipositaszentrum Zentralschweiz, Luzerner Kantonsspital
Prof. Dr. med. Dagmar l’Allemand, Association obésité de l'enfant et de l'adolescent - Fachverband Adipositas im Kindes- und Jugendalter akj, Baden