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Aktuelles aus der pädiatrischen Immunologie: Erfolge bei der Erkennung neuer Immundefekte im Neugeborenen-Screening

Jedes Jahr werden neue Immundefekte auf molekularer Ebene identifiziert. Dabei handelt es sich um Immundefekte, die oft ein breites und wenig typisches klinisches Bild zeigen. Betroffene Patient:innen präsentieren sich mit wiederkehrenden oder schweren Infektionen mit einem Erreger oder einer Erregergruppe, oder zeigen Autoimmunität, Autoinflammation, Allergien, eine Knochenmarkinsuffizienz oder eine Prädisposition für Krebserkrankungen. Die Inzidenz aller primären Immundefekte liegt, abhängig der Art, zwischen 1:200 und 1:2000(1–4).

Diese neuen Immundefekte werden häufig durch Fehler im Genom verursacht und betreffen unterschiedliche Gene. Die genetischen Varianten können Erkrankungen durch eine Veränderung des Genprodukts verursachen, entweder durch Aufhebung oder Reduktion der Proteinexpression oder Funktion (sogenannte Funktionsverlustmutationen [loss of function, LOF]), oder indem sie das Protein so verändern, dass ein Funktionsgewinn des Gens (Funktionsgewinn-Mutation [gain of function, GOF]) erreicht wird. Ein und dasselbe mutierte Gen kann verschiedene klinische Bilder hervorrufen, abhängig davon, ob es sich um eine «LOF»- oder «GOF»-Mutation handelt. Darüber hinaus treten dominant-negative Mutationen auf, bei denen das vom mutierten Gen kodierte Protein nicht nur seine eigene Funktion verliert, sondern auch die Funktion des Wildtyp-Allels – also die gesunde Gen-Kopie auf dem zweiten Chromosom – bei heterozygoten Personen unterdrückt(5).

Um die Diagnose eines primären Immundefekts bereits in einem sehr frühen Stadium im Leben eines betroffenen Kindes stellen zu können, wurde in der Schweiz glücklicherweise seit 2019 der Guthrie-Test in das Neugeborenen-Screening integriert. Dadurch können nun auch schwere (und meist «klassische») angeborene Immundefekte frühzeitig erkannt und behandelt werden. Die Schweiz gehört zu den europäischen Länder entweder mit einem nationalen Neugeborenen-Screeningprogramm, während andere europäische Länder noch kein Screeningprogramm oder lediglich regionale Programme eingeführt haben (Abbildung 1A). Allerdings werden durch das Neugeborenenscreening nur Immundefekte erfasst, die mit einer Verminderung der T-Zellen (tiefe TREC = T cell recombination excision circles) oder der B-Zellen (tiefe KREC = Bestimmung [kappa-deleting recombination excision circles]) einhergehen. Dank dieses Screenings kann bei Kindern mit schwerem kombinierten Immundefekt (SCID = severe combined immunodeficiency) die Diagnose noch vor dem Auftreten der ersten Infektionen gestellt werden. Dadurch ist es möglich, rechtzeitig mit einer prophylaktischen antimikrobiellen Therapie sowie der Substitution von Immunglobulinen zu beginnen, um diese Kinder während ihrer ersten Lebensmonate bestmöglich zu schützen, bis sie ein ausreichendes Alter und Gewicht erreicht haben, um eine definitive Behandlung mittels hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT, hematoipoietic stem cell transplantation), Thymus-Transplantation oder Gentherapie zu erhalten.

Das Neugeborenen-Screening mittels Guthrie-Test ist hauptsächlich darauf ausgerichtet, Patienten mit schweren kombinierten Immundefekten sowie Agammaglobulinämie (vollständiges Fehlen von B-Zellen) zu identifizieren. In einigen Fällen kann es auch Immundefekte mit moderater T-Zell-Verminderung aufdecken, wie z. B. das Di-George-Syndrom (Mikrodeletion auf 22q11.2). Es gibt jedoch auch klinische Situationen, die zu falsch-positiven Ergebnissen im Screening führen, z. B. bei Frühgeburtlichkeit, sehr niedrigem Geburtsgewicht, oder wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine immunsuppressive Therapie, wie z. B. gegen B-Lymphozyten gerichtete Biologika, erhalten hat(4, 6). In der Schweiz wurden von 2019 bis 2022 jährlich durchschnittlich 3 SCID-Fälle, 10 Fälle von moderaten T-Zell-Defekten und 0-1 Fälle von schweren B-Zell-Defekten (Agammaglobulinämie) nachgewiesen. Insgesamt konnte jedoch nur bei einem kleinen Teil der Patienten mit auffälligem Screening-Ergebnis ein angeborener Immundefekt nachgewiesen werden, insbesondere, wenn nur die KREC-Werte erniedrigt waren (Abbildung 1B).

Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Neugeborenen-Screening nur einen sehr kleinen Anteil der über 400 heute bekannten genetischen Immundefekte abdeckt. Dies liegt daran, dass T- und B-Lymphozyten zum Zeitpunkt der Geburt nur geringfügig vermindert sein können oder innerhalb der Norm liegen, und es kann sich erst im Laufe der Zeit ein Immundefekt entwickeln. Darüber hinaus gibt es weitere Immundefekte, bei denen das klinische Bild weniger ausgeprägt ist oder bei denen die üblichen immunologischen Untersuchungen nicht immer eine Diagnose ermöglichen. Aus diesem Grund gewinnen genetische Untersuchungen in der klinischen Immunologie zunehmend an Bedeutung.

Häufig ermöglicht jedoch die Bestimmung der Konzentrationen der Gesamt-Immunglobuline (IgA, IgG, IgM) sowie die Messung der Impf-Antikörper nach einer Impfung die Diagnose eines Grossteils der humoralen Immundefekte, die weiterhin die häufigste Form der angeborenen Immundefekte darstellen. Bei älteren Kindern, die erst im Laufe der Jahre zunehmend an einer Infektionsanfälligkeit, d.h. gehäuften oder schweren Infektionen, leiden, sollte ein variables Immundefektsyndrom (CVID, common variable immunodeficiency) oder andere primäre Störungen der Antikörperproduktion in Betracht gezogen werden. Diese Patienten weisen häufig sogenannte Schleimhaut-assoziierte Infektionen auf, also Infektionen im ORL-Bereich oder der Atemwege, teilweise kombiniert mit gastrointestinaler Symptomatik oder auch Autoimmunphänomenen. In solchen Fällen kann die Diagnose bereits durch oben genannten Screeninguntersuchungen verdächtigt werden, da die IgG- und möglicherweise auch IgA-Konzentrationen im Serum typischerweise deutlich reduziert sind, und die Impfantwort sich inadäquat zur Anzahl der erhaltenen Impfungen sowie dem Zeitpunkt der letzten Impfung darstellt. Diese Patienten sollten einem Immunologen oder einer Immunologin zugewiesen werden, um weitere Untersuchungen, einschließlich der Bestimmung von Lymphozyten-Subpopulationen sowie der Durchführung genetischer Analysen, und der Einleitung einer möglichen Substitutionstherapie zu veranlassen.

Bei Patient:innen mit einem weniger typischen klinischen Erscheinungsbild, wie z. B. rezidivierenden unspezifischen Infektionen oder Infektionen mit ausschliesslich einem Erreger oder Erregergruppe, zusätzlich Allergien, Autoimmunität/Autoinflammation oder malignen Erkrankungen, wird ebenfalls die Konsultation eines Immunologen oder einer Immunologin empfohlen, um weitere Untersuchungen durchzuführen und ggf. eine spezifische oder breite genetische Analyse durchzuführen.

An dieser Stelle soll als Beispiel eine erst kürzlich identifizierte angeborene immunologische Erkrankung genannt werden, die das STAT6-Protein betrifft. STAT6 ist an Signalwegen beteiligt, die eine zentrale Rolle bei der allergischen Entzündungsreaktion spielen. Eine «GOF»-Mutation von STAT6 ist mit einer allergischen Dysregulation assoziiert, die bereits im Kindesalter auftritt und mit therapierefraktärer atopischer Dermatitis, Hypereosinophilie im Blut, eosinophiler gastrointestinaler Erkrankung, Asthma, erhöhten IgE-Konzentrationen im Serum und schweren Nahrungsmittelallergien einhergeht. Diese Erkrankung kann sporadisch auftreten oder autosomal-dominant vererbt sein. Die molekulare Charakterisierung dieser Patienten ermöglicht eine personalisierte Therapie, beispielsweise mittels des monoklonalen Antikörpers anti–IL-4Rα (Dupilumab), mit sehr gute Ergebnissen(7).

Aufgrund der häufig unspezifischen Symptomatik oder des breiten Phänotyps bereits bekannter Erkrankungen sollten alle Patienten mit Verdacht oder Diagnose einer angeborenen Immunerkrankung von einem Immunologen oder einer Immunologin beurteilt werden. Eine solche Evaluation ermöglicht es, auch weniger klassische Diagnosen zu stellen, eine angemessene immunologische und genetische Diagnostik durchzuführen und eine passende und zunehmend personalisierte Therapie einzuleiten. Immer häufiger werden bei der Beurteilung von Patienten mit Immunerkrankungen frühzeitig andere Disziplinen einbezogen, z.B. die Humangenetik, Gastroenterologie oder Neurologie. Insbesondere die enge Zusammenarbeit mit Humangenetiker:innen mit Anschluss an ein genetisches, mit neuesten Diagnosemethoden ausgestattetes Labor, ist essentiell. Bei seltenen, unklaren und neuen Immundefekten ist der Übergang zur Forschung oft fliessend. Ein enger Austausch zwischen Kliniker:innen, medizinischen Laboren und Forschungseinrichtungen sowie die Vernetzung mit internationalen Expert:innen ermöglicht es, auch besondere Diagnosen zu stellen und optimale Therapiestrategien für unsere Patienten zu entwickeln.

Es ist wichtig zu betonen, dass die langfristige Prognose für Kinder mit angeborenen Immunerkrankungen massgeblich von ihrer frühzeitigen Erkennung und dem schnellen Beginn einer angemessenen Behandlung abhängt. Hierzu zählen auch Therapieformen, mit denen eine definitive Beseitigung des Immundefekts angestrebt wird, wie die hämatopoetische Stammzelltransplantation, die Thymus-Transplantation oder die Gentherapie, auch wenn sich letztere Behandlungsoption aktuell noch in der Entwicklung befindet.

Abschliessend möchten wir betonen, dass viele Kinder mit angeborenen Immunerkrankungen durchaus ein normales Leben führen können, wenn sie eine angemessene Behandlung erhalten. Hierzu gehört der Schutz vor Infektionen durch eine antimikrobielle Prophylaxe und die Substitution von polyvalenten Immunglobulinen, die entweder einmal monatlich intravenös in der Klinik oder einmal wöchentlich subkutan im häuslichen Umfeld verabreicht werden können. Zudem befindet sich ein subkutanes Immunglobulinpräparat in Entwicklung, das lediglich einmal monatlich zu Hause verabreicht werden kann. Dieses Präparat wird auf der Basis von Urokinase hergestellt und ist derzeit nur für Erwachsene zugelassen.

Abbildung 1.
Aktueller Stand der Verfügbarkeit von Screenings auf schwere kombinierte Immundefekte in Europa. In den grün hinterlegten Ländern steht aktuell ein nationales Neugeborenen-Screening zur Verfügung, in den blau hinterlegten Ländern stehen regionale Neugeborenen-Screenings zur Verfügung und in den grau hinterlegten Länder steht aktuell kein Screening-Programm zur Verfügung.

Anteil der nachgewiesenen Diagnosegruppen in Bezug auf die Gesamtzahl aller auffälligen Testergebnisse des Screenings in der Schweiz für die Jahre 2019–2022.

SCID Schwerer kombinierter Immundefekt
CID kombinierter Immundefekt
PID Primärer Immundefekt

Referenzen

  1. List of diseases and genes https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38165471/ : J Clin Immunol . 2024 Jan 2;44(1):39. doi: 10.1007/s10875-023-01640-2.
  2. Bousfiha A, Jeddane L, Picard C, Al-Herz W, Ailal F, Chatila T, et al. Human Inborn Errors of Immunity: 2019 Update of the IUIS Phenotypical Classification. J Clin Immunol. 2020;40(1):66-81.
  3. Tangye SG, Al-Herz W, Bousfiha A, Chatila T, Cunningham-Rundles C, Etzioni A, et al. Human Inborn Errors of Immunity: 2019 Update on the Classification from the International Union of Immunological Societies Expert Committee. J Clin Immunol. 2020;40(1):24-64.
  4. Speckmann C, Nennstiel U, Honig M, Albert MH, Ghosh S, Schuetz C, et al. Prospective Newborn Screening for SCID in Germany: A First Analysis by the Pediatric Immunology Working Group (API). J Clin Immunol. 2023;43(5):965-78.
  5. Gerasimavicius L, Livesey BJ, Marsh JA. Loss-of-function, gain-of-function and dominant-negative mutations have profoundly different effects on protein structure. Nat Commun. 2022;13(1):3895.
  6. Trück J, Prader S, Natalucci G, Hagmann C, Brotschi B, Kelly J, et al. Swiss newborn screening for severe T and B cell deficiency with a combined TREC/KREC assay – management recommendations. Swiss Med Wkly. 2020;150:w20254.
  7. Sharma M, Leung D, Momenilandi M, Jones LCW, Pacillo L, James AE, et al. Human germline heterozygous gain-of-function STAT6 variants cause severe allergic disease. The Journal of experimental medicine. 2023;220(5).

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Die Autor:innen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr med. Géraldine Blanchard Rohner, Médecin adjointe agrégée, responsable de l’unité d’immunologie, vaccinologie et rhumatologie pédiatrique, département de la femme, de l’enfant et de l’adolescent, HUG, Genève
PD Dr. med. Johannes Trück, Abteilungen für Allergologie und Immunologie, Universitäts-Kinderspital Zürich und Forschungszentrum für das Kind, Universität Zürich, Zürich, Schweiz